»Trump Campaign«: Die Prozesse gehen weiter
Der amtierende Präsident lässt keinen Zweifel daran, dass er die Wahl gewonnen hat, obwohl die ausgezählten Stimmen das Gegenteil besagen. Er besetzt wichtige Posten kurz vor seinem Amtsende neu, u.a. entlässt er den Verteidigungsminister, der sich gegen den Einsatz von Truppen gegen die teils gewalttätigen Demonstranten im Zuge der Black-Lives-Matter-Proteste im Sommer ausgesprochen hatte. Seine Partei unterstützt ihn größtenteils bei seinem Vorgehen, kaum jemand der hochrangigen Funktionäre widerspricht ihm.
Umfragen zeigen, dass die große Mehrheit seiner Wähler ebenfalls denkt, die Wahl sei nicht „free and fair“ abgelaufen; die Hälfte der Republikaner glaubt sogar, dass ein erheblicher Wahlbetrug vorliege (Daten hier). Auch wenn solche genauen Zahlenangaben bei Umfragen natürlich mit Vorsicht zu genießen sind, zeigen sie hier zweifelsfrei an, wie weit verbreitet die Auffassung unter republikanischen Wähler ist, Trump sei der ‚wahre‘ Sieger der Wahl.
Mit anderen Worten: Sehr viele Bedingungen für eine Staatskrise großen Ausmaßes sind erfüllt (zum gefährlichen Moment der Tage nach einer Wahl s. Teil 1 dieser Serie). Es fehlen jedoch entsprechende Signale aus den Sicherheitsbehörden, den Nachrichtendiensten und dem Militärapparat, sodass die wichtigste Voraussetzung nicht gegeben ist. Wenn man allerdings hinzunimmt, dass viele Anhänger Trumps über Waffen verfügen und in den Sozialen Netzwerken (u.a. bei parler.com) die radikalen, aggressiven Äußerungen reich an Zahl sind, muss das ‚zivile‘ Gewaltpotenzial recht hoch eingestuft werden.
Gesetzesverstöße hat Trump bei seiner Reaktion auf die Wahlen bislang aber so weit bekannt keine begangen; das Eingeständnis der Wahlniederlage ist nur eine Konvention (gewesen), Trumps Bruch mit dieser Tradition also nicht justiziabel; viel findet zudem in aller Öffentlichkeit statt (wie Trumps dubiose Einladung von Politikern, die in ihrem Bundesstaat die Wahlergebnisse zu zertifizieren hatten); Trumps wiederholte Anschuldigung, die Wahl sei „a fraudulent mess“, wird von Twitter zwar angezweifelt („This claim about election fraud is disputed“), verstößt aber keineswegs gegen die US-amerikanische Meinungsfreiheit; vor allem erheben selbst Trumps vehementeste Anhänger bisher nicht ihre (sicherlich überwiegend legal erworbenen) Waffen zu illegalen Zwecken (bei Demonstrationen und beim Gang in Parlamente darf man sie ja offenbar tragen, wie man als erstaunter deutscher Fernsehzuschauer in den letzten Monaten lernen konnte). Es handelt sich bislang demnach nur um einen Austausch von legalen Wörtern.
Und damit zur entscheidenden Frage: Was folgt aus all diesem Verbalradikalismus? Das Bemerkenswerte an solchen Situationen ist, dass ihr Ausgang vollkommen offen ist. Wenn im Laufe der nächsten zwei Wochen mehr ranghohe Republikaner Biden als kommenden Präsidenten begrüßen und Trump irgendwann nachgibt, kann alles friedlich ausgehen. Aus Worten müssen keine Taten werden, vielleicht fällt kein oder kaum ein Schuss. Eine Garantie dafür gibt es aber nicht, zumal Trump seine unentwegte Aussage, um den Wahlsieg betrogen worden zu sein, höchstwahrscheinlich auch ohne entsprechende juristische Bestätigung aufrechterhalten wird.
Dass er überhaupt zahlreiche Prozesse angestrengt hat und in bestimmten Fällen die gesetzlich mögliche Chance der Neuauszählung nutzt, zeigt allerdings, dass er den vorgeschriebenen rechtstaatlichen Gang der Dinge längst noch nicht aufgegeben hat. So weit geht die Radikalität demnach noch nicht.
Einerseits ist das juristische Vorgehen für Trump Teil der publizistischen Offensive; jeder Prozess, jede Neuauszählung bietet Gelegenheit, das Thema des (angeblichen) Wahlbetrugs und der (unterstellten) massiven Fehler bei der Erstauszählung auf die öffentliche Agenda zu setzen. Tatsächlich stellte sich bei einer intern angeordneten Neuauszählung in Georgia heraus, dass bei der Erstauszählung u.a. in Gebieten, die mehrheitlich für Trump votierten, einige Tausend Stimmen nicht berücksichtigt worden waren; Trump konnte seinen Rückstand auf Biden darum von 13,558 auf 12,284 Stimmen verkleinern. Das ist (zufälligerweise) also kein entscheidender Fehler, die Wahlmännerstimmen Georgias sollten nach üblichem Verfahren weiter Biden zufallen; ein bedenklicher, gravierender Fehler ist es gleichwohl.
Andererseits sind die rechtstaatlichen Vorgänge für Trump insofern misslich, als sie auf Verfahrensregeln und Beweispflichten beruhen, die durch stetig wiederholte Vorwürfe und Betroffenheitsrhetorik noch nicht erledigt, befriedigt oder ersetzt werden können. Der Zwiespalt für Trump und seine Parteigänger liegt also darin, dass die weitreichenden Betrugsvorwürfe kaum Aussicht auf Erfolg vor Gericht haben (weil sich einfach kein Betrüger, der dies alles organisiert haben könnte, finden lässt), jene erfolgversprechenderen Klagen aber, die Verfahrensfehler bei der Vorbereitung und Organisation der Wahlen in den Bundesstaaten gerichtlich bescheinigt bekommen möchten, eher unspektakulär ausfallen, jedenfalls wenig oder gar keinen Stoff für mitreißende Tweets und Demonstrationsslogans bieten.
Die bisherigen, zahlreichen Niederlagen vor Gericht bieten zudem den Gegnern Trumps eine sehr gute Angriffsmöglichkeit, besonders wenn die Wortwahl des Richters in hohem Maße eindringlich ist, wie bei der Urteilsbegründung in Pennsylvania am Wochenende (21.11), in der im Rahmen der üblichen, langen, für Schnellleser undurchschaubaren juristischen Abhandlungen einige für Journalisten, Politiker und engagierte Bürger zitierfähige Passagen vorkamen (zu diesem Urteil wieder unser Beitrag v. 23.11.).
Die juristische Antwort auf dieses Urteil hingegen fand typischerweise kaum mediales oder Social-Media-Echo. Die „Trump Campaign“ brachte am 22.11. eine „Emergency Motion“ (Text hier) auf den Weg, über die nun erneut vom Gericht entschieden werden muss. Sie reduziert in dieser Eingabe ihre juristischen Forderungen ausdrücklich. „Appellants seek to exclude the defective mail ballots which overwhelming favored Biden, which may turn the result of the Election. Appellants do not seek to exclude any legally cast votes.“ (S. 4)
Die „Trump Campaign“ bleibt aber unverändert bei ihrem bislang medial wenig beachteten Versuch, Anordnungen zur Briefwahl durch den Pennsylvania Supreme Court als hinfällig erklären zu lassen: „Appellants believe these decision changing prior law in the middle of the Election violates Bush v. Gore, 531 U.S. 98, 104 (2000) (per curiam).“ (S. 3, Fn. 1)
Das ist also der verbliebene juristische Plan (die Skandalisierung der Dominion Voting Systems wird im Umfeld der Prozesse nicht länger betrieben; die sich dabei besonders exponierende Anwältin Powell wurde aus dem „Trump Legal Team“ am 22.11. entfernt). Die Anwälte um Rudy Giuliani versuchen zu erreichen, dass mindestens ein Fall vor den (von Trump und den Republikanern im Senat teils neu besetzten) Supreme Court gelangt – und ihre Hoffnung ist, von solch einer Entscheidung wie 2000 bei der Wahl Bushs zu profitieren (s. dazu die Hinweise in Teil 1 dieser Serie): „This action is of nationwide importance because of the consequences of flawed election processes on the election for the President of the United States in the Commonwealth could turn the election in favor of either candidate“ (S. 3), glaubt die „Trump Campaign“.
Das alles findet unter größtem Zeitdruck statt. Viele der Staaten, in denen das Ergebnis knapp ausgefallen ist, haben die (von Trump fortgesetzt als ‚falsch‘ eingestuften Wahlergebnisse) bereits zertifiziert. Der weitere Ablauf ist klar vorgegeben, am 14.12. wählt das Electoral College den nächsten Präsidenten der USA, der letztmögliche Termin für die Auswahl der Wahlleute ist der 8.12. (nähere Informationen dazu hier). Was wird bis dahin innerhalb und außerhalb der Gerichte noch geschehen?
[wird fortgesetzt]
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