Hervorgehobener Beitrag

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Himmelfahrten oder Die Zukunft verkaufen
von Gunnar Schmidt
22.4.2025

Blue Origin, SpaceX, Virgin Galactic

[aus: »Pop. Kultur und Kritik«, Heft 20, Frühling 2022, S. 36-45]

Marken- und Produktversprechen beziehen ihre Legitimation und Überzeugungskraft aus entgegengesetzten Geschichtsorientierungen. Etablierte Marken ruhen schwerpunktmäßig auf Vergangenheit, die ihre Festlegungskräfte durch weithin bekannte Images, Erzählungen, Kundenbindungsrelationen bis hin zu nostalgischen Mythisierungen entfaltet. Das Verlässlichkeitskapital sinnvoll in sich stetig erneuernde Gegenwarten zu investieren, ist die Kunst der Kommunikations- und Produktentwickler. Dem stehen die Innovatoren und Disruptoren gegenüber, die Versprechungen auf eine Zukunft geben. Das noch nicht Erfahrene, nicht Eingelöste, im wahrsten Sinn nicht Begriffene muss unter dem Lichtschein des Modernitätsdogmas, dass es Fortschritt gebe und dieser zu einer Höherbildung des Lebens führe, ausgemalt werden.

Seit einiger Zeit agieren drei Unternehmen auf einem Terrain, wo ein Markt erst noch entstehen soll. Allen drei ist gemeinsam, dass sie nicht nur eine neue Dienstleistung, sondern eine neue Zukunft in Aussicht stellen. Allein die Unternehmensnamen liefern Sinnvorgaben zwischen Anmutung und visionärem Vorhaben, woraus ihr Stellenwert als Brennkern zu vermittelnder Überzeugungen erkennbar wird: Blue Origin, SpaceX, Virgin Galactic. Bekannter als diese drei Markennamen sind ihre Gründer: Jeff Bezos, Elon Musk, Richard Branson. Alle Akteure haben sich zum Ziel gesetzt, die Raumfahrt als touristisches Event zu vermarkten. Erste Flüge fanden unter sensationsanheizender Medienbegleitung statt. Was einst als Symbol des Wettlaufs zweier feindlicher Gesellschaftssysteme galt, hat sich zu einem kapitalistischen Wettbewerb umgebildet. Anstatt die Überlegenheit einer Weltanschauung zu demonstrieren, werden Kunden mit Erregungsangeboten gelockt.

Die kommunikative Begleitung dieser mit enormen Investitionen vorangetriebenen Eroberung des extraterrestrischen Raums kann auf den jeweiligen Websites mitverfolgt werden – und schnell wird man gewahr, welche Titanenaufgabe hier zu leisten ist. Eingekesselt zwischen zwei Wirklichkeiten stehen die Kommunikationsfachleute vor nicht unerheblichen Schwierigkeiten, verführerische, Aufschwung versprechende oder gar identitätsstiftende Erzählungen zu erfinden.

Die erste Wirklichkeit ist die des Diskurses über Raumfahrt. Der menschliche Aufbruch in die Wildbahn des Orbits fand erstmals am 12. April 1961 statt. In der 60-jährigen Geschichte wurde zweifelsohne der technisch-wissenschaftliche Fortschritt befördert; in gleichem Maße kam es zu Abschleifungen der Neuigkeitswerte und zu kritischen Reflexionen über die Sinnhaftigkeit der Unternehmungen. Neu sind vor allem die kapitalistisch organisierten Rahmenbedingungen, die es ermöglichen, auch untrainierte Menschen in den weltdistanzierenden Kreislauf zu bringen. Die Vertikalitätsreise, die einst dem risikofreudigen Tänzer auf dem Seil über dem unendlichen Abgrund Heldenstatus verlieh, hat sich im Selbstverständnis der Werber in ein demokratisches (»our drive to democratize space«, Virgin Galactic) und komfortables Amüsement verwandelt. Das hergebrachte Tourismusparadigma der Sehenswürdigkeit wird von SpaceX in einer Sprache vorgetragen, die einer Reisebroschüre des 19. Jahrhunderts entstammen könnte: »Experience Earth’s wonders from space – from the Great Barrier Reef, Himalayas, Amazon River, and Giza’s Pyramids by day, to the glow of city lights, lightning storms, and the Aurora Borealis by night.« Der hochgelegte Aussichtspunkt, bei dem niemand mehr an eine Gottesperspektive denkt, wird mit der alten Rhetorik der frühen Raumfahrer legitimiert, wonach man die Erde nun erst in ihrer wirklichen Schönheit und fragilen Perfektion erfahren könne: »The view of Earth is absolutely spectacular, and the feeling of looking back and seeing your planet as a planet is just an amazing feeling. It’s a totally different perspective, and it makes you appreciate, actually, how fragile our existence is.«

Dieser Bedenklichkeit – »witness life-changing views of Earth« (Blue Origin) – haftet nicht nur etwas Altbackenes an, sie leugnet, dass Betrachtungen der Welt zwischen Erhabenheits- und Gefährdungsvorstellungen eine lange Tradition in der Moderne haben. Die als Spontanreaktion versprochene Umprogrammierung der Weltanschauung wird mit einer paradoxen Argumentationsfigur begründet: Intimität mit dem Planeten stellt sich erst aus größter Entfernung her: »The planet peers back at you through the ship’s 17 windows as you see home for the first time.« (Virgin Galactic) Der globalisierte Heimatbegriff gehört ins Kitschrepertoire, mit dem die hochpreisige Spritztour zum Gefühlsevent erklärt wird. Die astronautische Rhetoriktradition des Erstaunt- und Ergriffenseins, die mit »overview effect« und »ultraview effect« begrifflich verallgemeinert wurde, bildet den Intertext der Werbung. Basierend auf dieser Vorlage können Uniqueness-Erfahrungen redekünstlerisch vorbereitet werden. Dem steht gegenüber, dass die frühen Delegationen im Orbit eine eindrückliche Ikonografie des Heimatplaneten an die Auftraggeber bereits übermittelt haben und inzwischen der Blick durchs Fenster mit Virtual-Reality-Technologie simuliert wird. Auch unabhängig von Repräsentationen des Erdblicks muss Zweifel angemeldet werden, ob sich zwischen Abreise und Rückkehr tatsächlich ein Bewusstseinswandel vollzieht; zu sehr sind wir der Rolle als Bodenpersonal verpflichtet, um an der Fernreise in die Luftleere utopischen Geist oder Vorstellungen einer Rückkehr aus versehrter Welt ins Paradies entwickeln zu können. Die Einschiffung ist keine nach Kythera, die eine befreite Geselligkeit beinhalten würde.

Neben der Diskursgrenze, die es fast unmöglich macht, das Neue sprachlich hervorzubringen, steht die Herausforderung, die weitere Zukunft ins Bild zu setzen. Dass die Möglichkeit eines psychogenen Weltanschauungs-Cleanings lediglich einigen Elitetouristen gegeben wird, wissen die drei Unternehmen und statten daher ihre Kommunikation mit Perspektiven für die fernere Zukunft des Planeten aus. Besonders die Rhetorik von Virgin Galactic bedient sich des Topos vom Leben als generationsübergreifende Expansion. Im Video, das Richard Branson auf seinem Flug mit einigen Mitreisenden zeigt, sagt er folgende eingeübte Sätze: »I was once a child with a dream looking up to the sun. Now I am an adult in a space ship. […] For the next generation of dreamers: If we can do this, just imagine what you can do.« Die Adressierung an die Jugend läuft als Grundton durch die ganze Webpräsentation, und man begreift, dass eine andere Jugend angesprochen werden soll als die, die den Freitag wörtlich nimmt, um an diesem Wochentag gegen den thermischen Kapitalismus zu protestieren. Die neualten Raumfahrer in ihren Verbrennungstransportern behaupten zwar einhellig, dass die technischen Entwicklungen nachhaltig und energieeffizient seien, was allerdings auf der Gewinnseite zu verbuchen ist, dürfte die Traumlosen nicht begeistern. Bransons Crew dementiert, was die hehren Worte verkünden, denn man sieht eine kleine Gruppe Erwachsener, die sich wie auf einem Kindergeburtstag oder einem Jahrmarktskarussell verhalten. Die wenigen Minuten der Schwerelosigkeit machen aus ihnen juchzende Euphoriker, die sich zu Kaspereien hinreißen lassen. Werben die Branson- und Bezos-Unternehmen einerseits mit der Erfahrung der Schwerelosigkeit, die nur wenig mit der Meditation über die Weltverfassung zu tun hat, wird im Gegenzug die Erlösung von allen Erdübeln und -beschränkungen postuliert. »Blue Origin was founded by Jeff Bezos with the vision of enabling a future where millions of people are living and working in space to benefit Earth. In order to preserve Earth, Blue Origin believes that humanity will need to expand, explore, find new energy and material resources, and move industries that stress Earth into space.«

Die Fortsetzung der Ressourcenausbeutungslogik regiert in gleicher Weise bei Elon Musk, der die Zivilisation bis zum Mars und »beyond« ausdehnen will: »And I can’t think of anything more exciting than going out there and being among the stars.« Musk ist zugutezuhalten, dass er der einzige mit konkreten Versprechungen ist: Mit seinen Hochgeschwindigkeitsvehikeln sei es möglich, jeden Ort des Globus in weniger als einer halben Stunde zu erreichen. Die Marskolonialisierung sei vorstellbar, weil dort chemo-klimatische Bedingungen herrschten, die eine Bepflanzung erlaubten und somit der Planet mit einer Sauerstoffatmosphäre ausgestattet werden könne.

Die Freitagsprotestierenden werden wahrscheinlich in dem propagierten Zusammenspiel aus Excitement und Befreiung von der Erdschwere den Prozess vom »technisch Möglichen« zum »moralisch Unerlaubten« erkennen. Die »wiedersehensfroh gelandeten Heimkehrer« würden wohl, wie es sich Hans Blumenberg in einem kleinen Text über die Raumfahrt vorstellt, »vor das letzte noch amtierende Tribunal gestellt werden, das die unbelehrbaren Erfinder und Forscher abzustrafen [hätte].«

Eingebettet in umfangreiche Technoinformationen will sich beim Studium der Webtexte- und -bilder kein rechtes Vorstellungsbild von der visionierten Zukunft einstellen. Die Entgrenzungsfantasien der Entrepreneure stehen vorerst in stärkstem Kontrast zur Wirklichkeit der eingesperrten Existenz in Metallhüllen, die zu nicht mehr als dem Schauen aus dem Fenster und dem antigraven Erleichterungserlebnisses befähigen.

Man wird einwenden, dass Marketingtexte und Bilder nicht die Funktion haben, Komplexität, Widersprüche, Sachgenauigkeit sowie ausformulierte Zukunftsbilder zu vermitteln. Das ist zweifelsohne richtig. Ebenso ist es eine grundlegende Marketing-Einsicht, dass Zeitgeistkonformität und Relationierbarkeit mit Erfahrungswelten gegeben sein müssen, um Markterfolg wahrscheinlich zu machen.

Die Bilderlosigkeit der Zukunft, die sich auf den Websites auch ikonografisch durch Leerstellen auszeichnet, erzeugt den Eindruck ideologischer Bequemlichkeit. Der werbekräftig verheißene Abflug ins bessere Leben basiert auf einem zutiefst konservativen Geist. Begründet im 18. Jahrhundert, redet dieser Geist weiterhin, was längst in Frage steht: dass der Gleichschritt von Technikentwicklung, Kapitalismus und Enthusiasmus identisch mit Fortschritt sei. Die Tatsache, dass in einem historischen Moment, in dem die Prognose der ultimativen Globalkatastrophe allgemeine Anerkennung findet, die hergebrachten Astronautenmythologien reaktiviert werden, könnte als Erleichterungsangebot wahrgenommen werden, denn zweifellos basiert kulturelles Schicksal nicht zuletzt auf Technik. Vertrauen mag sich allerdings nicht einstellen, wenn man die Botschaften des Unternehmergeistes, der zu enormen Organisationsleistungen fähig ist, in Gestalt von Headlines mit ungenauer Bedeutung empfängt: »Making Life Multiplanetary«, »Harnessing Space to inspire a Generation«, »building a road to space so our children can build the future«.

Die Konventionalität der Rhetorik erweist sich als Symptom ausbleibender Fantasie. Die Frage stellt sich allerdings, ob mit dieser Kritik nicht etwas verfehlt wird. Mögen die Appelle an die Jugend, sich für die Zukunft und das Weiter-so zu begeistern, einerseits schal wirken, so fällt andererseits auf, dass die Schar an Töchtern und Söhnen letztlich gar nicht die Zielgruppe ist. Hinter der Kommunikationsoberfläche läuft eine andere Adressierung: Die Selbststilisierung als erfolgreiche Wirtschaftsmenschen trägt Züge uramerikanischen Protestantismus, wonach das Gewinnstreben nicht Selbstzweck sein darf; das Kapital habe vielmehr »dem ›Nutzen‹ des Menschengeschlechts zu dienen«, wie Max Weber in »Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus« schreibt. Diese Orientierung strahlt nach innen, auf die Mitarbeiter, deren tägliche Arbeit von einer identitätsstiftenden Idee getragen wird. Die Aufbruchsimagination ist in gleicher Weise belangreich für Investoren und Regierungen, die Aufträge erteilen sollen. Das Gefühl, es mit Partnern zu tun zu haben, die an ihre Mission glauben, gehört zum Kalkül des Investments. Diese anderen Kunden sind zu nennen, denn die exorbitanten Investitionen mit hohem Risikopotenzial ließen sich mit dem kleinen Markt der Superreichen, die weder an einem multiplanetarischen Leben noch an einem Leben nach ihnen interessiert sind, nicht amortisieren.

Bezos, Musk und Branson, bewunderte und verachtete Popfiguren, treten in Videos wie Hoffnungsprediger auf, die mit hollywoodesker Pathosmusik ihre gewaltigen Geschosse als Erdretter preisen. Das Zusammenspiel aus Krisenbewusstsein und unschlagbarem Optimismus ist im Kern zynisch, da der Heimatplanet in seiner Endlichkeit von ihnen schon aufgeben ist. Am Ende sprechen die Marketing-Texte und -bilder zu niemandem außerhalb der kapitalistischen Sphäre der erweiterten Reproduktion. Gewiss, die Showiness erzeugt Aufmerksamkeit und Interesse, in der weiteren gesellschaftlichen Rezeption werden allerdings die beiden anderen Weichen zum Erfolg – Begehren nach dem Produkt und Akt des Kaufens – kaum eine Realisierung erfahren.

Weltunvollendetheit und Zukunftsblindheit sind den Raumanarchisten wohl letztlich egal. Der Glaube an eine hyperplanetarische Expansion hat seinen Grund wohl in der Rechtlosigkeit des Weltraums, wo der Verbrauchskapitalismus im Kleid des Futurismus seine eingeübten Grundhaltungen konserviert. Im Juli 2021 kreisten bereits 1.700 Starlink-Satelliten von SpaceX um die Erde. Derzeit ist die Rede davon, dass das Unternehmen insgesamt 20.000 Satelliten in den Umlauf bringen will, um einen weltweiten Internetzugang aufzubauen. Was menschendienlich erscheint, ist nichts weiter als ein technisches Netzwerk, dessen Dienste sich in Zukunft nur vermögende Nutzer leisten können. Fachleute sagen zudem eine nachhaltige Vermüllung mit Weltraumschrott voraus, die nicht nur das gesamte technische Ökosystem im Orbit gefährdet, sondern auch die Beobachtbarkeit des Kosmos durch Astronomen enorm erschwert.

Die Ausblendung von Wirklichkeitssegmenten einschließlich der doppelten Aussicht auf ein eher triviales wenn auch teures Vergnügen einerseits sowie eine unbekannte und wohlmögliche unwahrscheinliche Zukunft andererseits lassen die werberische Kommunikation aus der Welt fallen. Dass sie scheitert, besagt nichts über Erfolg oder Misserfolg der Projekte. Die Zeichen stehen neben dem Realen.

 

 

 

 

Heft 26
von »Pop. Kultur und Kritik«
8.4.2025

Die neue Ausgabe der »Pop«-Zeitschrift ist erschienen.

Insgesamt 20 Aufsätze

– etwa zu Geld, Prompts, Modezyklus, KI-Krieg, Donald Trump, Dark Romance, geschrieben von u.a. Annekathrin Kohout, Kaspar Maase, Lars Koch, Jörg Scheller und Maren Lickhardt.

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