Populärkulturelle Perspektiven
Mit der zweiten Wahl Trumps zum Führer der Weltmacht Nr. 1 (die zugleich der wichtigste Produzent popkultureller Produkte ist) muss sich unvermeidlich auch eine kleine Pop-Zeitschrift wieder mit ihm und seinen Anhängern beschäftigen. Natürlich sind hier vielerlei Betrachtungen und Einschätzungen möglich; wenn man sich aber auf Perspektiven der bislang gängigen Populärkulturforschung beschränkt, muss wohl nur einiges neu überlegt werden.
Unverändert gilt u.a., was im Artikel „Der populäre Donald Trump“ in Heft 10 von „Pop. Kultur und Kritik“ im Frühjahr 2017 ausgeführt wurde: dass Trump aus Sicht eines wichtigen Zweigs der Populärkulturforschung vor allem durch „starke Übertreibungen, offene Drohungen, Witze auf Kosten anderer, Beleidigungen und Herabsetzungen“ gekennzeichnet ist; dadurch hebt er sich von den allermeisten anderen erfolgreichen Politikern, auch denen der Neuen Rechten, ab:
„Einige Verfechter der Cultural Studies (von ihren Gegnern gerne als ‚Cultural Populism‘ abgewertet) wie John Fiske haben das vor Jahrzehnten in anderem Zusammenhang zum Teil als Signum der populären Kultur herausgestellt: Die Vermischung von Fakten und Fiktionen, die boulevardesken Übertreibungen und Elemente spielerischer Rhetorik ermöglichten es den meritokratisch Abgehängten erst, eine eigene politische Sprache zu sprechen und nicht von den liberal-technokratischen Eliten mit ihrem ungreifbaren Vokabular und ihren Sachzwang-Standards zum Schweigen gebracht zu werden. Mit seinem ungewöhnlichen Kurzsatz- und Ellipsen-Stil, mit seinen Scherzen, Prahlereien und Beleidigungen hat Trump da den rechten, anti-elitären Ton bestens getroffen“ (der ganze Artikel online hier).
In diesem Sinne (eines seiner politischen Hoffnungen entkleideten Fiske) müsste Trump als aktuell wichtigster Protagonist westlicher ‚Populärkultur‘ (oder eben mit Fiske im Original: der „popular culture“) bezeichnet werden. Bemerkenswert ist vielleicht auch noch, dass vonseiten der Popkultur (etwa im Sinne der Independent Group und von Dick Hebdige) kaum oder gar keine Unterstützung Trumps zu verzeichnen ist – als sei die Abneigung gegen das Vulgäre und Übergriffige nicht mehr bloß das Kennzeichen (früher) als ‚kommerziell‘ und ‚glatt‘ diskreditierter Bands und Brands. Eine Erwähnung wert ist dabei, wie wenig einfallsreich oftmals von den popkulturellen Widersachern Trumps ihre Gegnerschaft zum Ausdruck gebracht worden ist – als seien nicht nur die Auffassungen, sondern sogar die Präsentationsformen der ‚Nato-Liberalen‘ auf die Hollywoodstars und Popmusik-Social-Media-Meinungsführer übergegangen. Da zählte die Katze von Taylor Swift bei der Wahlempfehlung für Kamala Harris schon zum Originellsten und Öffentlichkeitswirksamsten. Auch das aber bloß eine Reaktion auf eine Formulierung von Trumps Vize J.D. Vance, der hier den Ton bzw. das patriarchale ‚Bild‘ („childless cat ladies“) vorgab.
Eine innerhalb der exekutiven Sphäre und der journalistischen Verlautbarungen nicht bereits gänzlich in ihrem früheren Sinne normalisierte Reaktionsweise und Rhetorik macht sich bei den liberalen Gegnern Trumps ohnehin in erster Linie bemerkbar, wenn sie die Übertreibungen und haltlosen Ankündigungen Trumps keineswegs gleich auf ihren Barwert reduzieren. Auf diese Art nähern sie sich Trump halbwegs an. Schier unendlicher Stoff für mögliche Analysen und Kommentare bietet sich hier insbesondere jenen, die unter das ‚Populäre‘ die in Charts und anderen Ranglisten weit oben verzeichneten Beachtungserfolge fallen lassen. Die Mühe lohnt aber wohl nicht, das im Detail zu betreiben, denn der Grundsatz scheint leicht zu benennen zu sein: Jede Übertreibung, jede Laune, jeder verbale Einschüchterungsversuch Trumps wird ebenso von enthusiasmierten Anhängern wie von journalistischen und politischen Widersachern zur Maxime seiner Machtausübung erhoben und als künftiges Gesetz entzückt oder alarmiert öffentlichkeitswirksam an die Wand gemalt, auch wenn in der ersten Amtszeit Trumps de facto nur geringe Abweichungen von den in den letzten Jahrzehnten zu verzeichnenden liberal-konservativen Varianten US-amerikanischen Außen- und Wirtschaftspolitik zu konstatieren waren. Gerechtfertigt wäre die unveränderte Hingabe an Trumps Äußerungen demnach nur, wenn sich herausstellen sollte, dass Trump in der zweiten Amtszeit nun eine gänzlich andere – allgemein stark protektionistische, isolationistische – Politik betriebe und durchsetzte. Allein schon wegen der zu erwartenden weitergeführten Konfrontation mit China erscheint das allerdings unwahrscheinlich zu sein. Aber da können erst die kommenden Jahre endgültigen Aufschluss geben.
Anders sieht es bei seinen ganzen eigenen ‚Weltmachtbestrebungen‘ aus. Hier stand tatsächlich Protektionismus und Isolationismus beherrschend auf der Tagesordnung. Am Ende der ersten Amtszeit Trumps war das alles dominierende Thema sein (von seinen Kritikern korrekt prognostizierter) Versuch, die durchgeführte Präsidentschaftswahl – mit Biden als dem von entscheidenden Institutionen erklärten Sieger – zu seinen eigenen Gunsten ausfallen zu lassen (s. dazu die Artikelserie hier).
Der – so weit das bisher zu überblicken ist – nicht zentral geplante Höhepunkt dieser Bemühungen war die Stürmung des Kapitols am 6. Januar 2021 (dazu der Artikel hier). Hier kamen ganz alte Bedeutungen von ‚Populärkultur‘ (die räumlich versammelte, ‚verführbare, irrationale, wenn einmal in Bewegung gesetzt, kaum mehr zu stoppende ‚Masse‘) mit ganz neuen zusammen (die nicht mehr von Gatekeepern kontrollierte Social-Media-Sendung).
War der erste Zug der Ermittlungen gegen die Eindringlinge noch von großer Aufmerksamkeit sowohl auf Social Media weltweit als auch bei internationalen Zeitungen und TV-Anstalten geprägt (dazu dieser Beitrag hier), blieben die Meldungen und Posts zu den in immens großer Zahl stattfindenden Anklageerhebungen und Prozessen in den folgenden vier Jahren fast ganz auf die USA beschränkt und erreichten auch dort nur selten die Top-Plätze der Schlagzeilen und ‚trending topics‘. Dies lag natürlich auch daran, dass Trump sich in keinem entsprechenden Gerichtsverfahren verantworten musste (nach seinem Wahlsieg 2024 steht das nun vollkommen in den Sternen).
So blieb und bleibt es bei Verhandlungen und Urteilen, die wegen der äußerst großen Menge an Beklagten viel Material für einen anderen traditionellen Zweig der Populärkulturforschung bieten: die ethnografische Analyse der ‚Alltagskultur‘. Sie kann hier sicherlich mindestens an der ein oder anderen Stelle die von ihr gern so bezeichneten ‚populären Listen des Widerstands‘, nun aber auf Alt-Right-Seite, auffinden, teilweise bereits in den Gerichtsakten festgehalten, dort aber im Regelfall als Ausweis mangelnder Kooperation und Reue negativ vermerkt. Dafür wird sogar vom Richter mitunter auf ältere sozialpsychologische Auffassungen der ‚Populärkultur‘ zurückgegriffen (im folgenden Fall auf die bereits erwähnte der räumlichen ‚Massenbewegung‘) – und vom Angeklagten auf eine ebenfalls alte ‚Populärkultur‘-Konzeption, welche die lebendige Sinnlichkeit der ‚populären‘ Expression betont. In den „Notes for Sentencing“ (hier) heißt es:
„He [der Beschuldigte Philip S. Grillo] analogized the violence of January 6 to the ‚friendly type‘ of ‚mosh pit energy‘ one would find at a rock and roll concert, claiming that he was ‚just going with the flow.‘ But the rioters were not dancing in a music hall – they were trespassing on restricted federal grounds. And the ‚flow‘ that day was not the beat of a musical number, but chants encouraging the rioters to ‚stop the steal‘ and ‚[h]ang‘ various elected officials.
Mr. Grillo’s trial testimony further underscores the dangerous double-speak that has taken hold of much of the commentary surrounding January 6. Aside from admitting to ‚trespassing,‘ Mr. Grillo took no responsibility for contributing to the violence that took place on January 6. He stated that he did not jump through a broken window to enter the Capitol but was instead pulled through it. After being shown a video of him jumping through the window unassisted, he back-tracked to say that ‚somebody‘ pushed his rear. He claimed that once inside the Capitol, he was being pushed around, when the truth is that he added his weight to the mass of people who pushed past Capitol police lines and into the halls of Congress. Most galling of all, he even went so far as to claim that he was there protecting police officers from the mob. To hear Mr. Grillo’s version of January 6, he was a passive, wandering bystander who had the bad luck of being swept up in the current of malevolent rioters. But I presided over Mr. Grillo’s trial. Mr. Grillo and thousands like him were not forced to trespass on Capitol grounds on January 6. Like the others, he did so voluntarily. And even though Mr. Grillo himself was not violent that day, his mere presence in the mob gave the violent rioters the reassurance they needed that if they beat, maimed, and assaulted police officers, they would be cheered on as ‚patriots‘ and ‚heroes‘ by hundreds of like-minded individuals standing right behind them.“ (S. 7f.) – „Mob mentality is a powerful force. There can be no monsoon without billions of individual water drops.“ (S. 6)
Vollkommen allein kann jedoch Trump nun die verurteilten oder noch unter Anklage stehenden ‚Mob-Elemente‘ wieder freisetzen, indem er ihnen ‚Pardon‘ bzw. die ‚Gnade‘ des Weltherrschers gewährt, was er bereits mehrfach angekündigt hat. Ob nach dem Urteil des Supreme Court vom Juli 2024 (hier), das dem Präsidenten der Vereinigten Staaten sehr weitgehenden Schutz vor Strafverfolgung zubilligt, wenn es um die Ausübung seiner Amtsgeschäfte geht, Trump zum Ende seiner zweiten Amtszeit auch wieder versuchen wird, mit exekutiven Mitteln an der Macht zu bleiben, kann natürlich noch nicht sicher gesagt werden, ausgeschlossen erscheint es aber keineswegs. Allerdings ist Trump hier wegen fortgerückten Alters zusätzlich auf die ‚Gnade des Herrn‘ angewiesen, auch wenn es ihm nicht einleuchten dürfte, dass es eine Instanz über ihm gehen soll. Aber vielleicht haben Elon Musks Starlink-Techniker ja bis dahin noch eine neue Idee.