Beiträge zur Popgeschichte und -theorie
»Testcard« ist ein »Magazin für Popgeschichte«, so die Selbstbeschreibung im Editorial zum ersten Heft 1995. Mit 25 Jahren zählt »Testcard« zu den ältesten deutschsprachigen Zeitschriften zur Popmusik. Wegen der mittlerweile sehr unregelmäßigen Erscheinungsweise – Heft 26 kam 2019 heraus, Heft 25 2017, Heft 24 2014, Heft 23 2013 – ähnelt sie heute allerdings noch stärker einem Sammelband als zu Beginn.
Auch Heft 1 war bereits thematisch gebunden (»Pop und Destruktion«), über einen Sammelband hinaus weist inhaltlich seitdem vor allem die Rezensionsrubrik – und vielleicht auch, dass in den letzten Jahren ein fester Stamm an Autor*innen schreibt: exzellent etwa Roger Behrens, Frank Apunkt Schneider, Laura Schwinger, Jonas Engelmann (im letzten Heft – Nr. 26, Oberthema „Utopien“ – mit einem hervorragenden Artikel über Plastik), Anna Seidel, Holger Adam; dazu vorzügliche wechselnde Beiträger*innen wie Anna Bromley, Katharina Hausladen, Bertrand W. Klimmek, Lis Schröder.
Weltanschaulich ist die Ausrichtung unverändert und klar. Das Editorial zu Heft 1 stellte sich in einen »unmissverständlich linken bzw. ideologiekritischen oder doch zumindest ideologisch indifferenten Kontext«. ›Indifferentes‹ ist jedoch in den Heften so gut wie nicht vertreten. Nur um Musik als Tongestalt sollte und soll es folglich ebenfalls nicht gehen, »im Sinne der ›cultural studies‹« könnten »Pop-Phänomene nicht von anderen kulturellen Strömungen und schon gar nicht von den gesellschaftlichen Bedingungen getrennt werden« (ebd.).
Was heißt hier ›links‹? Bei den linken Zugängen bleibt offenkundig nur der jener Neuen Linken, die allgemein das Feld der Kultur als wichtigen Schauplatz politischer Auseinandersetzungen ansieht und Popkultur im Besonderen als etwas, das nicht von vornherein als kommerzielle und triviale Manipulationsagentur zu ignorieren oder grundsätzlich, unterschiedslos zu kritisieren sei.
Zwar gab die »Testcard«-Redaktion (im Editorial zu Heft 5, »Kulturindustrie – Kompaktes Wissen für den Dancefloor«) zu Protokoll, dass das »Gerede von der Subversion« einem nicht erst 1997 suspekt sein müsste: »Hätte sich nicht schon anhand von Woodstock als riesiger PR-Veranstaltung und anhand von Hendrix hörenden GIs, die zu dessen Soli im Dschungel den Vietkong ausmerzten«, die Frage nach der »systemstabilisierenden Wirkung von Popkultur« ein Vierteljahrhundert zuvor stellen müssen?
Die Antwort der Redaktion ist trotz der Verlockungen sentimentaler Pop-Historiografie zunächst ›ja‹: »Als eine Jugend mit Lennon, Dylan und Mick Jagger im Ohr gegen Vietnam, Schah und Springer auf die Straße ging, später dann gemeinsam mit Rotten, Strummer und der Ramone-Familie das ›faschistische Badezimmer‹ auseinander nehmen wollte, erschien alles so einfach, zu einfach vielleicht. Die Analogie zwischen einem Sound, der unmittelbar Befreiung ankündigte, also dem Lustprinzip Streicheleinheiten verschaffte, und einer gesellschaftlich wie ökonomischen Befreiung aus kapitalistischen Verhältnissen wurde zu schnell gezogen. Von was die Gesellschaft überhaupt befreit werden sollte […] hat Pop nie eindeutig formuliert und vielleicht – seinem Wesen als Ware und Unterhaltung gemäß – nie formulieren können.«
Dennoch – und das ist nach dieser Absage an die Pop-Subversions-Hoffnungen nicht recht verständlich – ließ sich die »Testcard«-Redaktion ein Hintertürchen bzw. einen neulinken Königsweg offen: Zu fragen sei danach, »inwieweit ästhetisches Material sich der kulturindustriellen Verwertung nicht doch entziehen kann«.
Diese Frage stellt man sich seitdem unverändert. Die Hefte sind darum geprägt von sehr weitreichenden, deprimierten Diagnosen oder schonungslos daherkommenden Abrechnungen mit der ›totalen Vereinnahmung‹ und ›realkapitalistischen Ausweglosigkeit‹ einerseits – und andererseits von Beiträgen oder Passagen, die in Popmusikstücken Widerstandsformen entdecken wollen, nicht nur (oder gar nicht) in deren Textbotschaften oder den (subkulturellen) Gruppen, die sie hören, sondern auch (oder gerade) in deren »Sound« bzw. »ästhetischem Material«.
Mit anderen Worten: Von der Überzeugung, dass die renitenten, aggressiven, zarten, repetitiven, mäandernden, avantgardistischen, queeren etc. Songs oder Klänge, die man selber gerne hört, auf dem Wege des Konventionenbruchs, der Entgrenzung, Bewusstseinserweiterung, Glücksverheißung, Intensitätssteigerung, Denaturalisierung, Verfremdung etc. politisch hoch bedeutsam seien, will sich die »Testcard«-Redaktion (wie hunderttausende antikapitalistisch oder romantisch, machtkritisch oder genieästhetisch ausgerichtete Künstler und Theoretiker vor ihr) letztlich nicht verabschieden.
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(1) »Journal of Popular Music«
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Cover der Zeitschrift »Testcard«, Heft Nr. 25, August 2017.