Demokratie nach der Wahl (III)
von Thomas Hecken
1.12.2020

Donald Trump als Mediennutzer und Medienkritiker

Der Versuch eines amtierenden Präsidenten, Ergebnisse zur Wahl des nächsten Präsidenten als Resultat eines Betrugs zu diskreditieren, läuft auf verschiedenen Ebenen ab. Über die rechtliche Ebene haben wir bereits ausführlich informiert (siehe Teil I und Teil II dieser Serie); solange nicht mindestens einer der Fälle vor den Supreme Court gelangt (um Verfahrensfehler bei der Verabschiedung oder Anwendung von Anordnungen zur Wahl festzustellen), ist dort nichts entscheidend Neues zu erwarten.

Auf der Ebene der Parteipolitik ist ebenfalls keine große Änderung zu verzeichnen, viele wichtige Funktionäre der Republikanischen Partei haben Trump öffentlich noch nicht die Gefolgschaft entzogen. Bei anderen einflussreichen Gruppen sieht das etwas anders aus, gut 150 Unternehmensführer haben Trump letzte Woche aufgerufen, seine Niederlage einzugestehen (nähere Informationen hier). Auf eigene Art auffällig ist auch das Schweigen der Staatsanwaltschaften und Nachrichtendienste, die so zu verstehen geben, dass sie nicht den kleinsten Ansatz für Ermittlungen wegen Wahlbetrugs erkennen.

Trump beirrt das jedoch nicht, diese Lage ist auch tatsächlich für ihn nicht anders beschaffen als bereits in den letzten fünf Jahren. Geändert hat sich aber die massenmediale Situation. Wie schon oft in den letzten vier Wochen von den großen internationalen Tageszeitungen betont, hat sich der US-amerikanische Sender Fox News teilweise von Trump distanziert: Moderatoren und Kommentatoren von Fox zweifeln den Vorwurf des Wahlbetrugs an, fordern Beweise ein; Pressekonferenzen von Trump-Anwälten oder -Sprechern überträgt der Sender nicht mehr oder zumindest nicht mehr ganz.

Trump hat diese nuancierte Reaktion auch sofort verstanden und mit heftiger Kritik an Fox reagiert – eine Kritik, die bisher für Sender wie ABC, CBS, CNN und für die großen überregionalen Tageszeitungen (New York Times, Washington Post) reserviert war. Die für ihn übliche Differenzierung zwischen „Lamestream Media“ und Fox hat Trump darum momentan aufgegeben: „The Media is just as corrupt as the Election itself!“, twitterte er (@realDonaldTrump) am 22.11. so generell es eben geht. Mit „Media“ meint er immer ‚Massenmedien‘. Das ist demnach ein sehr negativer Befund für ihn, wie Trump, dem Einschaltquoten so wichtig sind, natürlich selbst weiß.

Um seine eigene Diagnose zu relativieren, verweist er darum in diesem für ihn prekären Augenblick auf einen Rückgang der Zuschauerzahlen bei Fox (TV-Quoten hier): „The great Fox News daytime ratings CRASH will only get worse!” (@realDonaldTrump, 20.11.) Tatsächlich wären diese Zahlen aber für ihn selbst misslich, falls er auf Unterstützung durch „The Media“ setzen sollte. Ein Rückgang bei Fox nutzte ihm ja nichts, falls ABC, CBS etc. davon profitierten. Zu diesen Sendern hat er seine Meinung sicherlich nicht geändert: „The Lamestream Media is doing everything within their power to foment hatred and anarchy. As long as everybody understands what they are doing, that they are FAKE NEWS and truly bad people with a sick agenda, we can easily work through them to GREATNESS!“, notierte er etwa im Mai (@realDonaldTrump, 31.5.2020)

Wenn „everybody“ dies versteht, erklärt sich natürlich nicht ganz, weshalb die „Lamestream Media“ so viele Zuschauer haben. Alles nur Akte der ‚Feindbeobachtung‘? Zumindest für Trump selbst gilt das, auch Fox wird nun nach der Wahl zum Objekt seiner kritischen Aufmerksamkeit: „Fox News daytime is virtually unwatchable, especially during the weekends. Watch OANN, Newsmax, or almost anything else. You won’t have to suffer through endless interviews with Democrats, and even worse!“ (@realDonaldTrump, 28.11)

Offenbar hat er am Wochenende nicht nur tagsüber unverändert Fox geschaut, auch wenn das Programm nach seiner Auffassung mittlerweile „virtually unwatchable“ ist. Weiteres Paradox: Mit seiner eigenen Feindbeobachtung trägt er zum Erfolg von Fox bei, seine ‚Stimme‘ zählt zu den Ratings des Senders, er selbst hält den beschworenen „CRASH“ der Einschaltquoten auf.

Immerhin dokumentiert er aber zeitgleich, dass er auch die von ihm angepriesenen Alternativen eingeschaltet oder zumindest auf Sozialen Netzwerken wahrgenommen hat. Verstärkt bettet er in den letzten Wochen auf Twitter Ausschnitte aus Sendungen von One America News Network (OANN) und Newsmax ein, die sich seiner Sache getreu verpflichten; die Hinweise auf Fox-Sendungen gehen hingegen zurück, sind aber im November noch vorhanden; die Freude über die Aktivitäten von OANN ist mitunter auch bloß der Ausgangspunkt seiner Sehnsucht nach Fox:  „OANN WOW, total election corruption in Arizona. Hearing on now! Why isn’t Fox News covering the Arizona hearings?“ (@realDonaldTrump, 30.11.) Endgültig soll der Draht offenkundig noch keineswegs gekappt werden, sein erstes Telefoninterview nach der Wahl gewährte er am Sonntag (29.11.) doch wieder Murdochs Sender; Fox bringt zudem weiterhin mehr als genug kritische Beiträge über Linksliberale und auch über mögliche Probleme bei der Präsidentschaftswahl und der Stimmauszählung, nur vor dem Betrugsvorwurf macht man dort halt.

Auf den ersten und auch zweiten Blick ist ein Unterschied zwischen „Lamestream Media“, Fox News und OANN oder Newsmax ohnehin kaum oder gar nicht erkennbar. Sie alle setzen als Moderatorinnen und Reporterinnen junge, gutaussehende Frauen und als Moderatoren und Reporter (etwas) ältere Männer mit Kurzhaarfrisuren und gedeckten Anzügen frontal ins Bild, die Studioaufnahmen werden von der Farbe Blau und technoider Sterilität dominiert. Visuell ist ‚One America‘ keine Utopie!

In hohem Maße teilend wirkt nicht einmal die Wortwahl und der Satzbau. (Nur Trump verfügt über eine eigentümliche Redeweise, wahrscheinlich ein wichtiger Grund für seinen Erfolg.) Bei den Sendern soll vor allem die unterschiedlich ausfallende Selektion, wer zu Wort kommen darf, über welche Ereignisse mit welcher Wertung gesprochen werden darf, den gravierenden Unterschied ausmachen. Die Zuschauer teilen diese Überlegung offenbar, sie sortieren sich recht genau nach den angezielten politischen (und damit teilweise auch demographischen) Zielgruppen ein, wenn es um innenpolitische oder alltagskulturelle, symbolpolitische Themensendungen geht.

Etwas anders sieht das auf viel besuchten Social-Media-Seiten aus, sofern es sich um weitgehend frei besuchbare Accounts handelt. Auf ihnen findet mehr Feindbeobachtung und vor allem mehr Feindkommentierung statt. Von der Followerzahl darf man darum bei ihnen nicht zwangsläufig auf die Anzahl der ‚Freunde‘ schließen. Man erkennt es leicht an den vielen negativen Kommentaren, die manche Posts und Tweets erhalten.

Trump, der auf Twitter viele wichtige – weil präsidiale – Aussagen tätigt und dort ca. 90 Millionen Follower bescheinigt bekommt, gelangt darum zu einem ähnlich kritischen Befund wie bei den TV-Sendern: „Twitter is sending out totally false ‚Trends‘ that have absolutely nothing to do with what is really trending in the world. They make it up, and only negative ‚stuff‘. Same thing will happen to Twitter as is happening to Fox News daytime. Also, big Conservative discrimination!” (@realDonaldTrump, 27.11.2020)

Unabhängig von der Frage, wer hier in welchem Maße ‚Trend‘ und ‚Wirklichkeit‘ verwechselt, tritt das Paradox erneut zutage: Trump selbst trägt zum Erfolg von Twitter durch seine Nutzung bei. Möchte er das beenden, müsste er Twitter verlassen. Er selbst könnte so seine Prognose, dass Twitter genau wie Fox Marktanteile verlieren werde, zumindest im eigenen Fall bis zum „CRASH“ wahr werden lassen. Die Alternative zu Twitter steht mit Parler ja bereits zur Verfügung. Eine Alternative, welche die „big Conservative discrimination“ verwirklicht, weil sich auf ihr bislang weit überwiegend Konservative und Reaktionäre mit Tweets, Retweets und bekräftigenden Kommentaren gegenseitig versorgen. Dass Trump diesen Schritt noch nicht vollzogen hat, zeigt, dass er selbst an der Fähigkeit von „everybody“, zu verstehen, „what they are doing, that they are FAKE NEWS“, große Zweifel hegt.

Trumps Medienkritik besitzt darum etwas Disparates und zugleich Desperates. Er nimmt einerseits an, dass man die technische Kontrolle über die Massenmedien besitzen muss, um „‚Trends‘“ zu schaffen. Er gibt andererseits vor zu glauben, dass die ‚Wirklichkeit‘ sich letztlich durchsetzen werde. Dennoch ruft er zur Schaffung und zur Rezeption neuer Sender und Plattformen auf. Gleichwohl will er selbst von der Teilnahme an und der Rezeption von gegnerischen „Lamestream“- bzw. „Fake“-Medien nicht lassen. Kein Wunder, schließlich besitzen Parler, OANN etc. nur geringe Marktanteile. Lösen lässt sich das alles nur, wenn die ‚Wirklichkeit‘ ihnen Dominanz verschafft.

Falls dies nicht geschehen sollte, hätte Trump eine einmalige Laufbahn durchschritten: Vom Präsidenten der Weltmacht zum Subkultur-Heroen. Die vehemente Verteidigung der Präsidentschaft – und damit als exekutive Spitze der Weltmacht dem besten Zugriff auf die ‚Wirklichkeit‘ – ist deshalb in dieser Situation nur verständlich. Wie weit werden Trump und „everybody“ dafür gehen?

[wird fortgesetzt]

 

Ein Gedanke zu „Demokratie nach der Wahl (III)
von Thomas Hecken
1.12.2020

  1. Pingback: Demokratie nach der Wahl (VI) von Thomas Hecken 8.1.2021 | POP-ZEITSCHRIFT

Schreibe einen Kommentar