Kleine Handtaschen, große Haarspangen, Hüfthosen, Stillosigkeit
Durchstreift man Instagram nach Modeinspirationen, stößt man schnell auf Low-Rise Jeans, Juicy Couture und „It’s Britney, Bitch!“: Kaum ist der Höhepunkt des 90er-Jahre-Streetwear-Retro-Styles erreicht, kann sich die Popkultur aus dem nächsten Jahrzehnt bedienen. Allerorts sieht man nun User*innen, die unterschiedliche Trends aus den 2000er Jahren wiederaufnehmen und mit aktuellen Designs verbinden.
Vor allem kleine Handtaschen – nicht um Clutches – lassen sich in vielen Stylings auffinden. Die Mini-Taschen sind ein Retrophänomen weil sie einen krassen Gegensatz zu den lange getragenen Riesentaschen der 2010er, den „Shopper Bags“, darstellen. Die Erscheinung beschränkt sich allerdings nicht nur auf Outfit-Postings in den Sozialen Medien, sondern auch große Modehäuser lassen sich von den 2000er Jahren inspirieren: So erlebte beispielsweise die „Saddle Bag“ von Dior ein Revival – allerdings in klein.
Auch die ohnehin schon kleine Tasche „Le Chiquito“ des Labels Jacquemus gibt es nun in noch komprimierterer Form („Le Chiquiti“) zu kaufen. Diese extremen Micro-Bags stoßen allerdings, dank ihrer Unfunktionalität bei gleichzeitig niedlichem Aussehen, auf geteilte Meinungen der Community. Der Besitz dieser kleinen Designerhandtaschen kann umso mehr als Statussymbol gedeutet werden, da es sich noch expliziter um ein Luxusobjekt handelt, sich jeder Funktionalität regelrecht verwehrt. Die großen „Shopper Bags“ der 2010er Jahre sind eng mit Praktikabilität, also mit Alltagskultur, verknüpft und kontrastieren den neuen Taschentrend auch in dieser Hinsicht. Darüber hinaus geben kleine Taschen, ob teuer oder nicht, Aufschluss über das Modebewusstsein des Trägers: Anstelle der Funktionalität tritt die Ästhetik.
Neben den kleinen Handtaschen gewinnen auch große, bunte Haarspangen und Haarklammern in Schmetterlingsform immer mehr an Popularität, die besonders während den späten 1990er und zu Beginn der 2000er Jahre auf den Köpfen vieler junger Frauen zu finden waren. Dieser Trend wurde vor allem von Schauspielerinnen in Jugendfilmen und Serien getragen (Hilary Duff, Sarah Michelle Gellar); sowohl On- als auch Off-screen. Gerade die Zurschaustellung kindlich anmutender Accessoires und Kleidung an jungen, allerdings ausgewachsenen Frauen ist eine bis heute anhaltende Erscheinung, die nun wieder verstärkt auftritt. Man denke hierbei auch an die Parallelen zweier Repräsentantinnen der Popmusik: Britney Spears und Ariana Grande, die beide mit einer Art „Lolita“-Image vermarktet wurden.
Ein alter „neuer“ Trend ist immer auch mit tröstlicher Nostalgie verbunden. Besonders die Accessoires der frühen 2000er Jahre verbinden viele der Träger*innen mit Kindheit und lassen diese durch den Trend wieder aufleben. Zu guter Letzt erinnern die Haarspangen außerdem stark an Kinderbastelsets dieser Zeit. Sie werden also nicht nur mit der Ästhetik der Kindheit, sondern auch mit dem Erleben der Kindheit (durch Aktivitäten wie Basteln) verknüpft. Ironischerweise erinnern sich hier Menschen, deren Kindheit und Jugend noch gar nicht so lange vorbei ist.
Neben den wiederkehrenden Accessoires erlebt auch ein nicht wegzudenkendes Kleidungsstück des Jahrzehnts – die Hüfthose, genannt „Low-Rise“ Jeans – eine Renaissance. Ja, auch hier lässt sich ein Wechsel der Gegensätze erahnen: In den letzten Jahren noch gerne in der Taille getragen (High Waist), rutscht die Jeans jetzt wieder auf die Hüfte. Je tiefer, desto besser. Was anfangs als „Bumster“ (eine extrem tief sitzende Jeans mit folglich extremer Blickfreigabe auf die Pobacken) 1993 in einer Show des britischen Modedesigners Alexander McQueen begann, formte sich über die Jahre zu einer weniger dramatischen Ausführung, die man heute als „Hüfthose“ bezeichnet. Selbst die Kombination der tiefsitzenden Hose mit herausschauender Unterwäsche und kurzem (bauchfreien) Oberteil gelangt auf Instagram immer häufiger zur Darstellung.
Das schleichende Revival des Jahrzehnts scheint sich allerdings eher auf bestimmte Kleidungsstücke zu fokussieren, die dazugehörigen Stoffe erfasst es bisher nicht. So sieht man häufiger Jogginganzüge der Marke „Juicy Couture“, besonders gerne in Pink getragen und im Hüfthosen-Format (damals wie heute), jedoch weniger in dem klassischen samtigen Frottee. Eine Ausnahme stellt hier der „Denim“-Stoff dar: Der durch Britney Spears und Justin Timberlake bekannt gewordene „Denim on Denim“-Look (getragen bei den American Music Awards 2001), ist schon seit längerer Zeit kein modisches Faux-Pas mehr.
Die Mode der 2000er Jahre zeichnete sich generell dadurch aus, dass viele Stoffe und Schnitte miteinander kombiniert wurden, die man bisher nicht zusammen gesehen hatte. Darüber hinaus veränderte sich durch die tiefersitzenden Kleidungsstücke die Silhouette des Körpers: Die Taille „verlängerte“ sich und rutschte – wie bei den Kleidern der 1920er Jahre – nach unten, was für einen eher androgynen Look sorgte. Das spiegelte sich auch in dem Körperideal der 2000er wider: Sehr schmal (Paris Hilton) statt – wie heute – kurvig (Kim Kardashian). Einflussreich war auch die „subkulturelle“ Mode, die sich an der Punkszene orientierte und durch Bands wie My Chemical Romance, Green Day oder Sum 41 Verbreitung fand. Hierbei stellt die Künstlerin Avril Lavigne (mit Krawatte, Chuck Taylor Converse und pinkfarbenem Karorock) die ultimative Stilikone des Pop-Punk dieser Jahre dar.
Wichtige popkulturelle Momente des Jahrzehnts waren vor allem Britney Spears‘ psychischer Zusammenbruch in 2007 mit anschließendem „Gimme More“-Comeback, sowie Taylor Swifts Dankesrede bei den „MTV American Music Awards“, die von Kanye West mit „Beyoncé had one of the best videos of all time!“ unterbrochen wurde. Übergreifend kann man die Breite dieser medialen Ereignisse auch auf die veränderten technischen Möglichkeiten der 2000er Jahre zurückführen: Im Gegensatz zum Vorgängerjahrzehnt wurden solche „Skandale“ durch das Internet erstmals besonders schnell und ungefiltert vermittelt. Früher musste man auf Medien wie Zeitschriften zurückgreifen, die in der Übermittlungsdauer des Inhalts eine deutliche längere Zeitspanne umfassten. Zudem wurde der Zugriff auf die Pop-Stile unterschiedlichster Dekaden noch einmal entscheidend vereinfacht.
Das schleichende Revival der 2000er ist deshalb so interessant, weil sich in diesem Jahrzehnt selbst schon aus so vielen vorigen Jahrzehnten bedient wurde: So fragte man sich rückblickend bereits in den 2010er Jahren, was das denn eigentlich alles sollte. Und trotzdem folgt jetzt, nur ein paar Jahre später, eine Rückbesinnung auf das, was man objektiv betrachtet eher als „stillos“ bezeichnen könnte. Mit „stillos“ ist einerseits die scheinbar unwillkürliche Zusammenstellung von Mustern und Textilien gemeint, andererseits das unvorteilhafte Nicht-Umspielen des Körpers durch die Schnitte der Kleidung (Hüfthose, bauchfreie Tops). Warum also dieser Rückbezug?
Oft ist ein Trend, ob in der Mode oder in der Musik, eine Gegenbewegung zum Populären. Bei dem Comeback der 2000er Jahre wird allerdings genau das Populäre dieser Periode genutzt, um jetzt einen Schein von Individualität zu erzeugen. Selbstverständlich ist es dabei hilfreich, dass dieser Stil bis vor Kurzem noch als stillos galt. Mit einem Rückbezug auf die Mode und die Musik der 2000er lässt sich eine „ironische Haltung“ des Trägers/Hörers ausdrücken, eben weil diese Dekade als etwas „trashy“ und daneben angesehen wird. Die Träger*innen „hässlicher“ Kleidungsstücke zeigen damit Souveränität und Selbstbewusstsein. Eine Anti-Haltung resultiert daraus allerdings nicht. Das Revival der 2000er Jahre ist insofern keine Antwort auf unsere Gegenwart. Es geht nicht darum, mit dem Status quo tatsächlich zu brechen. Wie so oft in der Mode, wird vor allem versucht, Individualismus zu demonstrieren. Und dafür scheint dieser Rückgriff auszureichen.
Auch der Zeitfaktor spielt für den Trend eine wichtige Rolle: Die 2000er Jahre sind gerade lange genug her, um als Vergangenheit abgeschlossen und darin als Einheit erkannt werden zu können. Da somit auch vieles in Vergessenheit geraten ist, ist es nun wieder frei für eine Inanspruchnahme durch Popkultur und Mode.
Ein weiterer wichtiger Aspekt der Wiederbelebung von Trends im Allgemeinen ist der kommerzielle: Wenn ein Produkt massentauglich ist und sich einmal gut verkauft hat, wird es sich wahrscheinlich mit etwas zeitlichem Abstand wieder gut verkaufen. Demnach ist auch die Aneignung von Subkulturellem nachvollziehbar, denn es wurde längst erkannt, dass die modischen Inszenierungen kleinerer Gruppen das Potential zur Massentauglichkeit haben und somit in modifizierter Form profitabel sein können. Ob die Trend(er)schaffung aufgrund von Profitmöglichkeiten moralisch richtig ist, ist eine andere Frage. Fakt ist, dass in den kommenden Jahren mit einem kleineren oder größeren Comeback der 2000er zu rechnen ist, erste Anhaltspunkte sind schon da. Nur fällt bei diesem Trend der Zeitsprung überraschend klein aus.