Gast- und Cameo-Auftritte von Musikern im »Tatort«
von Hans Jürgen Wulff
2.12.2019

Von Bela B. über Dieter Bohlen und Rio Reiser bis Frank Zander

Nicht erst im neueren Film sind Gast- und Cameoauftritte von populären Musikstars und Bands durchaus üblich. Vor allem im populären Musikkino waren derartige Auftritte eine Zusatzgratifikation für die Zuschauer, vermählten den Film mit der jeweils zeitgenössischen populären Kultur von Konzert, Radio, Platte und vermehrt auch Fernsehen. Im Fernsehen wurde der Gastauftritt sogar zu einem essentiellen Mittel der Programmplanung und der Showdramaturgie.

Wie bei allen Cameoauftritten bietet der Gaststar dem Zuschauer Zusatzgratifikationen an, die er als Connaisseur gewinnen kann (aber nicht muss). Das Angebot derartiger Filme und Shows bietet auch Brücken zum zeitgenössischen Wissen an, zu anderen Sphären der Unterhaltung, vielleicht sogar zu einer eigenen Rezeptionsepisode, die weniger dem Rahmen von Film oder Show verpflichtet ist als dem Auftritt selbst (das kommt vor allem dann in Frage, wenn die Gäste einen eigenen Auftritt absolvieren oder wenn sie – als „Cameo-Chargeure“ – in eine kleine Handlungsgepisode eingebunden werden). Manchmal auch werden sie als comic sidekicks inszeniert (erinnert sei neuerdings an Christian Steiffens Auftritte in Sauerkrautkoma [2018, Ed Herzog] oder an seine Rolle als Therapeut in Leberkäsjunkie [2019, Ed Herzog]).

Cameoauftritte finden sich auch außerhalb der Musikgattungen von Film und Fernsehen. Da viele Musikformate selbst auf episodaler Gliederung beruhen, als Folge von musikalischen Nummern verstanden werden können und die ihre wirkungsästhetischen Potentiale episodal entfalten, ist die rezeptionsästhetische Position der Cameo-Akteure in anderen Genres anders. Sie beruhen auf der Folgerichtigkeit der Erzählung, der Dichte der erzählten Welt, auch der Kontinuität der Illusionierung.

Manchmal gehören die Cameos der Authentifizierung der Musikkultur der Zeit an, in der der Film handelt (wie der Yardbirds-Auftritt in Blow Up [1966, Michelangelo Antonioni], ein David-Bowie-Konzert in Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo [1981, Ulrich Edel] oder ein Heino-Cameo in der TV-Satire Willkommen bei den Honeckers [2017, Philipp Leinemann]).

Natürlich ist die erzählte Welt voller Musik, natürlich wird vorhandene Musik eingesetzt (und manchmal aus dem Film ausgekoppelt uns als eigener Titel ausgewertet). Doch die meisten Musiker, die zum Tanz aufspielen oder ein Konzert geben, sind namenlos oder tragen Phantasienamen.

Dass Musiker selbst die Hauptrollen in Filmen spielen, ist ein Charakteristikum des Musikfilms und seiner Spielarten. In Filmen, die im Musikmilieu spielen ohne Musikfilme zu sein, werden die Beispiele seltener. Roland Kaiser, der sozusagen seine eigene Imago in dem Tatort: Summ summ summ (2013) verkörpert, ist die Ausnahme (und kein eigentlicher Cameo).

Wie ein Phantasma aus der Vergangenheit erscheinen die Kesslerzwillinge in Das Dorf (2011), wie eine unirdisch gewordene Erinnerung an das seit 1962 vielfach vorgetragene Lied „Quando quando quando“, gesungen aber von den beiden Interpretinnen, die das Lied einst für das Scopitone-System eingesungen hatten.

Man kann die Cameos als eine Strategie der Unterhaltungsindustrie ansehen, die Präsenz ihrer Stars über die modalen Grenzen von Radio, Platte und Konzert sowie die eigentlichen TV-Musiksendungen hinaus unter Beweis zu stellen. Der Cameo-Auftritt wird dann zu einem verborgenen Subtext, der nicht mehr mit der erzählten Geschichte begründet ist, sondern der Rekapitulation der Personnage des zeitgenössischen Unterhaltungssegments zuarbeitet.

Man könnte einwenden, dass die Wirkung begrenzt ist, weil der Cameo-Auftritt nicht explizit ausgewiesen, seine verborgene Wirkungsabsicht also verborgen ist; allerdings könnte man zu bedenken geben, dass das Erkennen des Stars eine rezeptive Überraschung ist, die zwar aus der dichten Illusionierung der Handlung herausfällt, deshalb aber um so nachhaltiger auffällt. Dass die Cameoauftritte die Kenntnis der öffentlichen Persona des Stars befördern, dass sie nicht als Rollen im dramatischen Spiel wahrgenommen werden (das ist nur eine Maskierung der eigentlichen Figur, um die es geht), dass sie letztendlich die Medialisierung und Allpräsenz des Stars illumieren – genau dies ist eine Funktion, die dem Unterhaltungskomplex als Ganzem zukommt.

Es nimmt also nicht wunder, dass auch in einer Krimireihe wie dem Tatort zahlreiche Cameos enthalten sind. Ja, man könnte sich sogar darüber wundern, dass es nicht mehr sind. Die vorangehenden Überlegungen betreffen übrigens nicht nur Größen des Musikgeschäfts, sondern auch öffentliche Figuren aus Politik (Herta Däubler-Gmelin, Marianne Birthler, Rezzo Schlauch), Juristerei (wie Rolf Bossi), Medien (Dieter Lueg, Friedrich Nowottny, Dagmar Berghoff, Wim Thoelke), Theater und Schauspiel (Curd Jürgens, Heidi Kabel, Anke Engelke), Mode (Rudolf Moshammer), Sport (Peggy Schwarz) und organisiertem Sport (Berti Vogts, Jogi Löw) und anderen Bereichen.

Nicht alle Cameo-Auftritt lassen sich dem beschriebenen Wirkungskreis zuschreiben, wenige sind ganz anders motiviert. Auch dies hat Traditionen. Wenn etwa der berühmte Revue- und Tonfilmkomponist Friedrich Hollaender in Billy Wilders Film One, Two, Three (1961) einen kleinen Cameo-Auftritt als Kapellmeister erhielt, ist dies eine Verbeugung vor dem Musiker und seiner musik- und filmhistorischen Bedeutung – die Musik zu Wilders Film hatte André Previn komponiert.

Auch die Tatort-Reihe enthält derartige Hommagen. Etwa wurde der Schlager- und Filmkomponist Franz Grothe mit einem Gastauftritt in Zwei Flugkarten nach Rio (1976) geehrt. Vor allem der Auftritt Klaus Doldingers, der 1970 die Titelmusik zu der neuen Serie komponiert hatte, die 1978 und 2004 minimal verändert wurden war und unverändert den neuen Folgen vorangestellt war (und auch dann nur minimal verändert wurde), der zudem eine ganze Reihe von Einzelfilmen der Reihe vertonte, erhielt in der Folge Die Wacht am Rhein (2017) einen eigenen nicht-nominierten Auftritt als Straßenmusiker – er improvisierte dabei über das Tatort-Thema auf dem Saxophon. Eine Hommage für Insider, eine Verbeugung für eine Allgemeinwissen gewordene Musik-Sigle, die verlässlich das Kommende ankündigt (auch wenn viele der neuen Folgen den mood, den Doldinger anschlug, nicht mehr verlässlich einlösen).

Chronologisches Verzeichnis der Gast- und Cameoauftritte von Musikstars im Tatort

— Gitte / Gitte Haenning:
7 // Kressin stoppt den Nordexpress; BRD 1971, Rolf von Sydow.
Als Kressins Freundin „Birgit“.

— Heidi Brühl:
38 // Playback oder die Show geht weiter; BRD 1974, Rolf von Sydow.
Als sie selbst; „Sing a Song“.

— Dagmar Koller:
44 // Mord im Ministerium; BRD 1974, Fritz Eckhardt.
Nebenrolle als „Helga“.

— Udo Lindenberg:
45 // Kneipenbekanntschaft; BRD 1974, Jörg-Michael Baldenius.
Als er selbst – ein befreundeter Musiker von Hauptkommissar Brammer; in einer Gesang- und Textrolle; mit einem Lifekonzert in Hannover.

— Rosemarie Heinikel:
54 // Schöne Belinda; BRD 1975, Theo Mezger.
Als Disco-Sängerin „Rosy Rosy“.

— Franz Grothe:
62 // Zwei Flugkarten nach Rio; BRD 1976, Fritz Umgelter.
Der Komponist Franz Grothe am Klavier und kleiner Sprechrolle.

— Vico Torriani:
78 // Drei Schlingen, 1977, Wolfgang Becker.
Als er selbst. Eine junge schwarzhaarige Stuntfrau wird gesucht, die an einem Überfall beteiligt gewesen sein soll; auf einem Photo, das in einem Westerndorf aufgenommen wurde, wird eine Frau gefunden, die die Gesuchte sein könnte. Seinerzeit hatte Vico Torriani in dem Film mitgespielt, aus dem das Photo stammt, der sich erinnern kann; allerdings war die Schwarzhaarige ein junger Mann in Frauenkleidern. Der Kommissar kann den Film beim WDR auftreiben: und man sieht den fraglichen Auftritt – eine Saloonszene, Streit zwischen zwei Frauen, im Zeitraffer; die beiden gehen wie die Katzen aufeinander los, prügeln sich, treten sich, schleudern sich durch den Raum (der Stil der italienischen Slapstick-Western vom Beginn der 1970er ist deutlich zu erkennen); immer wieder Rückschnitte auf den grinsenden Torriani, der amüsiert das Geschehen beobachtet.

— Gottfried Böttger:
175 // Baranskis Geschäft; BRD 1985, Jürgen Roland.
Im gleichen Jahr hatte Böttger mit seiner Gruppe Leinemann und „Mein Tuut Tuut“, einer deutschsprachigen Coverversion von „(Don’t Mess With) My Toot Toot“, seinen größten Hit.

— Die Toten Hosen:
198 // Voll auf Hass; BRD 1987, Bernd Schadewald.
Als sie selbst, authentische Punkband.

— Sandra (Popsängerin):
201 // Salü Palü; BRD 1988, Hans-Christoph Blumenberg.
Als sie selbst. Sie tritt in der Serie in einer Disco auf und singt ihren damals neuen Titel „Stop for a minute“ als Premiere im Deutschen Fernsehen.

— Dieter Bohlen:
214 // Moltke; BRD 1988, Hajo Gies.
Dieter Bohlen, der einige Musikstücke der Schimanski-Folgen produzierte, tritt als eifersüchtiger Freund einer Zeugin auf.

— Rio Reiser:
217 // Der Pott; BRD 1989, Karin Hercher .
Als er selbst. Gleich zu Anfang spielt er mit seiner Band für die streikenden Arbeiter im Stahlwerk das Lied „Über Nacht“.

— Titi Winterstein & Quintett (Jazz):
220 // Armer Nanosh; BRD 1989, Stanislav Barabáš.
Auch mit Häns‘che Weiss.

— Klaus Lage:
232 // Zabou; BRD 1990, Hajo Gies.
In der Rolle eines Kochs.

— Konstantin Wecker:
237 // Blue Lady; BRD 1990, Hans-Christoph Blumenberg.
Saarbrücken. Als Erpresser und jungen Liebhaber im Telefonsex-Milieu. Wecker sang auch das Titellied „You just cańt buy love“.

— Die Toten Hosen:
300 // Und die Musi spielt dazu; BRD 1994, Hanns Christian Müller.
Als Seemannsquintett „Andi und seine Wasserratten“: eine Volksmusikgruppe.

— Die Wellküren / Die Biermösl Blosn:
300 // Und die Musi spielt dazu; BRD 1994, Hanns Christian Möller.
Auftritte der Wellküren und der Biermösl Blosn, die die Begleitmusiker für Jenny Beck geben.

— Rio Reiser:
307 // Im Herzen Eiszeit; BRD 1995, Hans Noever.
Als „Reinhard Kammermeier“. Die Verbindung zwischen den beiden Gastauftritten Reisers ist der Regisseur Hans Noever, der den Song „Macht kaputt, was Euch kaputt macht“ wählte, um eine Hausbesetzerszene musikalisch zu untermalen.

— Nina Hagen:
350 // Tod im All; BRD 1997, Thomas Bohn.
Als sie selbst.

— Karl-Heinz Moik:
457 // Einmal täglich; BRD 2000, Peter Fratzscher.
Karl-Heinz Moik als Gerichtsmediziner.

— Die Prinzen:
465 // Trübe Wasser; BRD 2001, Thomas Freundner.
Auftritt in der Kneipe von Erlichers Freundin.

— Balder, Hugo Egon:
502 // Schlaf, Kindlein, schlaf; BRD 2002, Peter Fratzscher.
Als „Dörmer“ (Reporter).

— Bela B. (von der Punkband Die Ärzte):
510 // Totentanz; BRD 2002, Thomas Freundner.
Als „DJ Lupo“. Der „coole“ DJ legte jedoch nicht nur heiße Beats auf, sondern hatte auch eine Affäre mit dem Mordopfer.

— Jeanette Biedermann:
653 // Schwelbrand; BRD 2007, Thorsten Näter.
A.a. als Sängerin einer Band sowie als Nazi-Aussteigerin. Ebenso enthalten Gastauftritte von Revolverheld, Stefan Gwildis, Simon Webbe, MIA., Mattafix und Mike Leon Grosch.

— Konstantin Wecker:
731 // Bittere Trauben; BRD 2009, Hannu Salonen.
Saarbrücken, als Vater von Kommissar Franz Kappl.

— Hugo Egon Balder:
741 // Borowski und die Sterne; BRD 2016, Angelina Maccarone.
Als Rockstar Bodo Dietrich, der sich seit wenigen Wochen auf Comeback-Tournee befindet und der unter Mordverdacht gerät.

— Helen Schneider:
741 // Borowski und die Sterne; BRD 2016, Angelina Maccarone.
Als „Margret Saloschnik“, erste Liebe eines Rockstars (Balder) und erstes Mordopfer des Films.

— De Höhner:
742 // Platt gemacht; BRD 2009, Buddy Giovinazzo.
Als sie selbst.

— Kessler-Zwillinge:
819 // Das Dorf, BRD 2011, Justus von Dohnányi.
Der Tanz der Zwillinge ist dem Gehirntumor des Kommissars Murot (Ulrich Tukur) zu verdanken, der ihm regelmäßig die wirrsten Halluzinationen beschert; die Zwillinge treten auf, weil er als Kind mit seinen Eltern die Schwestern auf der Bühne gesehen hatte – und eine ältere Dame erinnert ihn an jene Zeit, er geht zum Klavier, stimmt „Sag‘ mir quando“ an, woraufhin hinter ihm die Dame sich verdoppelt und die Schwestern eine Performance des Liedes auf das Parkett legen.

— Ferris MC (Rapper):
843 // Hochzeitsnacht; BRD 2012, Florian Baxmeyer.
Eine idyllische Hochzeit im schönen Weyhe bei Bremen. Der Musiker Ferris MC stört als maskierter Räuber die Hochzeitsfeier, nimmt Geiseln und verschanzt sich in der Wirtschaft.

— Roland Kaiser:
867 // Summ summ summ; BRD 2013, Kaspar Heidelbach.
Als Schlagersänger Roman König. Er verkörperte einen egozentrischen und auch sonst charakterlich höchst fragwürdigen Schlagerstar namens Roman König, der erpresst und schließlich umgebracht wird

— Frank Zander:
907 // Der Hammer; BRD 2014, Lars Kraume.
Als Zuhälter „Bruno Vogler“. Der Lude wird in einem Parkhaus niedergeschlagen und segnet das Zeitliche.

— Element of Crime:
929 // Der irre Iwan; BRD 2015, Richard Huber.
Kurzauftritt mit dem Song „Wenn der Wolf schläft / müssen alle Schafe ruhen“.

— Helene Fischer:
969 // Der große Schmerz; BRD 2016, Christian Alvart.
Als mysteriöse Brünette.

— Ferris MC (Rapper):
970 // Fegefeuer; BRD 2015, Christian Alvart.
„Fegefeuer“ mit dem Titelsong „Glück ohne Scherben“ von Ferris MC, der in der ersten Folge einen russischen Gangster spielt.

— MC Sesman:
975 // Du gehörst mir; BRD 2016, Roland Suso Richter.
Mehrfach – darunter im Fitnessstudio und bei einem Krankenbesuch – der HipHop-Titel „Eres Tú“ von MC Sesman zu hören; zugleich sind Ausschnitte des zugehörigen Videos zu sehen, an dem die beiden Schauspieler Elisa Afie Agbaglah als Tänzerin sowie Matthias Weidenhöfer als Rapper mitwirkten.

— Stefan Mross:
978 // Auf einen Schlag; BRD 2016, Richard Huber.
Nebenrolle in der Unterhaltungsshow „Hier spielt die Musik“.

— Achim Mentzel:
978 // Auf einen Schlag; BRD 2016, Richard Huber.
Nebenrolle in der Unterhaltungsshow „Hier spielt die Musik“: auf einem Selfie ist er zu sehen, das einen Verdächtigen entlastet.

— Klaus Doldinger:
1007 // Wacht am Rhein; BRD 2017, Sebastian Ko.
Der Kommissar Freddy Schenk spendiert dem Straßenmusiker (Doldinger), der am Eingang eines Fußgängertunnels steht, ein paar Münzen; hört man genau hin, erkennt man auch das Stück, das der Saxophonist gerade spielt: es ist eine jazzige Variante der Tatort-Melodie.

— AnnenMayKantereit (Indie-Pop):
1037 // Böser Boden; BRD 2017, Sabine Bernardi.
Als Sänger auf dem Hamburger Kiez: „Du warst allein zu Haus, hast mich vermisst“.

— Daniel Grossmann und das Jewish Chamber Orchestra Munich:
1063 // Die Musik stirbt zuletzt; Schweiz 2018, Dani Levy.
Gast-Performance.

— Voodoo Jürgens:
1068 // Her mit der Marie; Österreich 2018, Barbara Eder.
Cameo-Auftritt: Bei einer Grillparty vom „Dokta“ spielt der österreichische Kult-Liedermacher Voodoo Jürgens auf.

[*]Einen Überblick über das Gesamt der Cameoauftritte im Tatort bietet die URL: <https://www.daserste.de/unterhaltung/krimi/tatort/1000-tatort/gastauftritte-index100.html>.

Dank an Stefan Anhut.