Mit bloßen Fäusten
von Hans J. Wulff
28.1.2025

Zum »bare knuckle fighting« im neueren Kino

Boxen mit bloßen Fäusten oder mit Handschuhen? Ist das eine die archaischere, die ursprüngliche Form, die andere deren Kultivierung und Transformation zu einer Kulturtatsache? Ist das erste eine nicht-gerahmte Form der Auseinandersetzung zweier Kontrahenten, das andere ein Übergang zu Sport und den damit einhergehenden Rahmenbedingungen von Regeln, Kontrolle (durch Schiedsrichter), Präsenz eines Publikums, möglicherweise einer Internationalisierung durch eine Nationale und Internationale von Meisterschaften und zudem durch Kapitalisierung in einem System des Wettens? Ist Boxen in allen Variierungen Teil der Kultivierung, unterscheidet es sich darum von allen Schlägereien in Wirtshäusern, auf Sportplätzen, bei Osterfeuern und ähnlichem?

Im 19. Jahrhundert wurden in England und in den USA Regeln verabredet, die das Boxen als anerkannte Sportdisziplin etablierten. Doch nahezu gleichzeitig entstand in beiden Ländern – zuerst in England, danach aber bald in Amerika – ein Kampfsport, der auf Schlägen ohne jegliche Art von Polsterung an den Händen basiert: der Faustkampf, das auch im Deutschen heute meist sogenannte bare knuckle fighting oder auch nur bare knuckle (dt. etwa: „bloßfäustig“ / „mit blanken Knöcheln“). Die Verletzungsgefahr ist ungemein hoch, weshalb in vielen Ländern derartige Kämpfe verboten sind (in den USA bereits seit 1889, nachdem das Boxen als Sportart 1850 reguliert wurde).

Die Filmgeschichte hatʼs verzeichnet: Faustkämpfe gehören in die Geschichte der Kämpfe von Clans um die Macht in Stadtvierteln, um Erbstreitigkeiten und anderes mehr. Einige Szenen in Gangs of New York [USA/BRD/Italien 2002, Martin Scorsese] erzählen von dieser Straßentradition des Faustkämpfens; in die Vorgeschichte des modernen Film-Faustkampfs des 18. Jahrhunderts weist eine Schlüsselszene in Barry Lyndon [Großbritannien 1975, Stanley Kubrick]).[1]

Doch mit den Verboten entstand auch zunächst in englischsprachigen Ländern eine eigene Parallel-Kultur illegaler Bare-Knuckle-Kämpfe, die bis heute weiterentwickelt wurde (vor allem in Großbritannien, Irland, USA, Deutschland und Polen) – nicht nur in der Realität, sondern vor allem auch in den Filmen, die im Faustkämpfer-Milieu spielen, Filme in der Arme-Leute-Schicht, in sozial nicht integrierten, oft arbeitslosen Einwanderer-Gemeinschaften. Und von Beginn an mit Akteuren, die die eigene Bewährung als Männer im Kampf zu beweisen suchen, außerhalb des sichernden Rahmens der Sportveranstaltungen, in einem Risiko-Feld, in dem die Grenzen zwischen sportlicher Bewegung und persönlicher Beteiligung schnell verwischen können.[2] Faustkämpfe in diesem Sinne sind scharf zu unterscheiden von Schlägereien in Alltagsszenarien, weil sie einem Set von Regeln folgen und in einem Szenario stattfinden, die die Kampfbühne klar vom Zuschauerraum trennt

Manche würden Bare-Knuckle-Kämpfe im heutigen Film als Events in einer „Pseudo-Sportart“ bezeichnen, dabei aber übersehen, dass sie im Film wie in der Realität in einer Sphäre der Illegalität stattfinden, an geheim verabredeten Orten, in Fabrikruinen, geheimen Kellern und anderen nichtöffentlichen Plätzen. Sie dienen dem Vergnügen eines reichen und sensationslüsternen Publikums, Männern und Frauen, die dem oft blutigen Geschehen zwischen Jubel und Abwendung schwankend zusehen. Es werden hohe Wetten abgeschlossen. Den Kämpfern winken manchmal erhebliche Gagen – dafür müssen sie sich darauf einlassen, Kämpfe bis zur Wehrlosigkeit oder sogar zum Tod eines der beiden Kämpfer auszufechten. Zu den Konventionen dieser Art der Kämpfe gehört, dass sie zwischen hohen Gittern oder sogar in Käfigen ausgeführt werden. Ein eindrückliches Beispiel ist die „Donnerkuppel“ in dem australischen Endzeitfilm Mad Max Beyond Thunderdome (Mad Max – Jenseits der Donnerkuppel, 1985, George Miller, George Ogilvie), einer kuppelförmigen Arena aus Metallgittern, die von ferne an die Käfige erinnert, die im Zirkus aufgebaut werden, wenn Raubkatzennummern vorgeführt werden sollen (zum Schutz der Zuschauer ebenso wie als Anzeichen der Gefährlichkeit der Raubkatzen).

Bare-Knuckle-Kämpfe sind die vielleicht blutigste Form theatralischer Aufführung. Bekannt geworden sind derartige Kämpfe vor allem im Kino – und sie sind als dramatische Szenen in doppelter Weise interessant: Zum einen in Hinblick auf das Publikum, das meist zynisch als Klasse von Reichen gezeichnet wird, die die Blutigkeit des Geschehens genießen und mit ihrem Geld die Kämpfe überhaupt erst ermöglichen; diejenigen, die die Macht über die Arbeit haben, erfreuen sich sogar noch an der Verzweiflung der Gekündigten (die bareknuckle fights sind eine Form radikaler Ausbeutung der Kämpfer, die fast ausnahmslos der lower class entstammen). Die Kämpfe zeigen sich in den Filmen als Möglichkeit von Einwanderern, in der neuen Kultur Fuß zu fassen (wie in Far and Away [USA 1992, Ron Howard]), oder als halblegales Freizeitvergnügen von Arbeitern (wie in der Komödie um einen halbprofessionellen Faustkämpfer Every Which Way But Loose [USA 1978, James Fargo], mit Clint Eastwood).

Der Zynismus des Zuschauens, das ist die eine Seite des Geschehens, der auch die fast immer kriminellen Veranstalter und Organisatoren der Kämpfe kennzeichnet.[3] Ein Zynismus, der zudem an manche Programmformate des aktuellen Fernsehens anschließt. Ein deutliches Beispiel ist das amerikanische Action-Melodram Cardboard Boxer (Cardboard Boxer, USA 2016, Knate Gwaltney): Los Angeles, eine Gruppe von gelangweilten reichen Jugendlichen heuert einen Obdachlosen (Thomas Haden Church) an, damit er für ein Preisgeld gegen andere Obdachlose kämpft. Gwaltney hatte vorher u.a. als Produzent von Jackass Erfahrungen sammeln konnte, einer MTV-Show, in der die Protagonisten gefährliche oder selbstverletzende Stunts und Mutproben durchführten

Es ist aber auch ein Zynismus, der den Blick auf die ausgestellte Männlichkeit gestattet, die in der Verursachung und im Ertragen und Zufügen von Schmerz eine Vollendungsform männlichen Selbsterlebens und Handlungsmacht findet und die zudem die kleine Bühne des Kampfes als Raum des Auslebens konzentrierter und kondensierter Wut nutzt. Ein naheliegendes Beispiel ist Fight Club (USA 1999, David Fincher). Weibliche Faustkämpfer sind im Film selten als protagonale Figuren behandelt worden; Chick Fight (Chick Fight – Hit Like a Girl, USA 2020, Paul Leyden) ist eines der Beispiele – die Geschichte einer jungen Frau, die nach dem Verlust ihres Cafés arbeitslos geworden war, Mitglied in einem illegalen Fight Club für Frauen wird und sich dort gegen eine Konkurrentin durchsetzen muss. Der Film nutzt irritierenderweise die Männlichkeitsinsignien und die dem Faustkampf-Ring eigene Charakteristik einer Emotionalitätsbühne – allerdings hier für Frauen, nicht für Männer.

Zumindest auf den ersten Blick zeigen die Filme mit Faustkämpferinnen, dass die Annahme nicht zu halten ist, die zunehmende Verbreitung des bare knuckle fighting lasse sich als filmischer Indikator für eine Remaskulinisierung der Konfliktaustragung und der Wahrnehmung innersozialer Streitigkeiten lesen, wie gelegentlich in der Kritik (vor allem zu irischen und englischen Filmen) zu lesen war. Doch weisen Filme wie Bare Knuckles (USA 2010, Eric Etebari) über eine alleinerziehende Mutter, die am Existenzminimum lebt und durch einen abgewirtschafteten Kampfpromoter angeworben wird, bei einem illegalen Turnier für Frauen mitzuwirken, oder Rigged (Fight Night, USA 2008, Jonathan M. Dillon) über eine Preisboxerin, die eine Karriere bei Kämpfen in dreckigen Bars, alten Lagerhäusern und Hinterhöfen macht, darauf hin, dass das Problem komplexer ist und die Faustkämpferin eine seltene Nebenfigur des Sportfilms wird: Zwar mehren sich Filme mit weiblichen Boxerinnen, doch spielen sie in der Faustkampf-Szene keine Rolle. Vielmehr scheint sich das Boxen als eine Domäne rein männlicher Sportler aufzulösen, wogegen sich die Faustkampfkultur mehr als Show- denn als Sportformat vom Boxen absetzt und großenteils in der Sphäre der Männlichkeitsdarstellungen verbleibt.[4]

Die Filme zeigen zudem, wie die Körperhaftigkeit der Akteure zu einem Element des Dramas und der Erzählung wird, als würden Konflikte intensiviert und näher an die Figuren der Handlung befördert, als wenn man zu moderierenden und stärker regulierenden Zivilisierungsformen des Kämpfens greifen würde. Auch die Faustkämpferinnenfilme zeigen aber, wie sich die Körperlichkeit der Auseinandersetzungen den filmischen Mitteln der Kampfdarstellungen anschmiegt – es sind meist sehr schnell geschnittene Szenen, oft mit unklaren oder verrissenen Teilbildern, oft mit äußerst schnellen Zufahrten auf die Akteure oder Schwenks über die Kämpfenden hinweg, mit gelegentlichen Zeitlupeneinlagen sogar im Ton, unmotivierten freezed frames und subjektive Einstellungen. Der Endkampf in Snatch (2000) ist ein prototypisches Beispiel für eine Montagesequenz, die die Gewalttätigkeit der Aktion mit der ästhetischen Struktur der Darstellung vermählt,[5] der hohen Körperspannung der Figuren filmischen Ausdruck verleihend.

Faustkämpfe als eine Remaskulinisierung des geschundenen Körpers zu lesen, ist aber nur eine der Möglichkeiten, das Phänomen zu interpretieren. Sie lassen sich auch als eine rohe Antwort auf soziale Modernisierungen, die zur Verelendung gerade von Mitgliedern der lower class führten, einordnen (etwa in Folge der Neoliberalisierung der englischen Industrien in der Zeit des Thatcher-Regimes). Auch dazu zwei Beispiele: Populär war der englische Film The Big Man (aka: Crossing the Line, dt.: Big Man, aka: Big Man – Er hat nichts zu verlieren, Großbritannien 1990, David Leland) nach einem Roman von William McIlvanney (1985): Der ehemalige schottische Bergarbeiter Danny Scoular (Liam Neeson), erfolglos auf Arbeitssuche, wird in eine Schlägerei verwickelt. Ein ihm unbekannter Zuschauer bietet ihm viel Geld, wenn er für ihn einen Boxkampf mit blanken Fäusten bestreitet. Der Film wurde seinerzeit als Antwort auf die Thatcher-Zeit aufgefasst, in der 90 % der schottischen Zechen geschlossen wurden und die Arbeitslosigkeit in Westschottland in astronomische Höhen anstieg. Auch der BBC-Film Twenty Four Seven (Großbritannien 1997, Shane Meadows) weist auf die Thatcher-Ära zurück, erzählt allerdings von einer paradox anmutenden Zivilisierung des Faustkämpfens: Der selbst der Arbeiterklasse entstammende Alan Darcy (Bob Hoskins) versucht, die jungen Männer, die sich in seiner von Arbeitslosigkeit heimgesuchten Heimatstadt zu Gangs zusammenrotten, durch die Eröffnung einer Boxschule mit nichtkriminellen Möglichkeiten der Lebensgestaltung bekannt zu machen – und tatsächlich gelingt es ihm, seine Schüler, bisher Mitglieder zweier verfeindeter Gangs, langsam zu einer eingeschworenen Gemeinschaft zu machen.

Das formelhafte Schema der Faustkampf-Erzählung dramatisiert aber eine eigene Dynamik, die die Kämpfer fast immer ins Illegale führt – am Ende eines Arbeitslebens, das in Armut und Perspektivlosigkeit mündet; nur der Einsatz des eigenen Körpers scheint ein Ausweg aus der Lage zu sein. Schon das ältere Boxerdrama Hard Times (Ein stahlharter Mann, USA 1975, Walter Hill) führt das Preisboxen auf die Not, die die Wirtschaftskrise der frühen 1930er im Süden der USA ausgelöst hatte, zurück, also gerade nicht auf die Krise der Männlichkeitsideale, sondern auf die Schließung der Standorte der Schwerindustrie. Charles Bronson, der in seiner Jugend vier Jahre in einem Bergwerk gearbeitet und nach dem Krieg auch als Boxer sein Geld verdient hatte, spielt Chaney, einen Boxer, der mit bloßen Fäusten kämpft. Er schließt sich mit einem herumziehenden Spieler zusammen, der für ihn illegale Preiskämpfe organisieren soll – und gerät damit in ein kriminelles Feld von Korruption und Erpressung, dem er sich nur durch einen finalen Kampf entziehen kann. Dem Eintritt in das kriminogene Feld der Faustkämpfe korrespondiert ein finaler Sieg, der das Austreten aus der Handlungssphäre ermöglicht – das ist zudem eine vielfach variierte, formelhafte Finalisierung der Faustkämpfer-Erzählung.

 

Anmerkungen

[1] Eine Ethnographie der Bedeutungen, die das bare knuckle fighting in manchen Ethnien, Teil- oder Subkulturen hat, steht aus; so lässt sich die Behauptung im Film (zumindest in der deutschen Synchronfassung), der Faustkämpfer „One Punch“ Mickey O’Neil (gespielt von Brad Pitt) in Snatch (SnatchSchweine und Diamanten, Großbritannien 2000, Guy Ritchie) sei ein „Gypsy“ und spreche „Gypsy-Kauderwelsch“, einzig durch den Dokumentarfilm Knuckle (Irland 2011, Ian Palmer) authentifizieren, der die Tradition der Kämpfe in der mysteriösen und brutalen Welt von illegalen Bare-Knuckle-Kämpfen in der Kultur der „Irish Traveller“ in einer zwölfjährigen Beobachtung zu durchdringen sucht. Vgl. dazu King, Robert / O’Riordan, Caoilfhionn: Near the Knuckle. How Evolutionary Logic Helps Explain Irish Traveller Bare-Knuckle Contests. In: Human Nature 30,3, 2019, S. 272-298.

[2] Eine ganze Reihe von Filmen erzählt von Faustkämpfern, die im 19. Jahrhundert ihr Geld im Ring verdienten (wie etwa Far and Away [In einem fernen Land, USA 1992, Ron Howard]). Zur Geschichte vgl. Gorn, Elliott J[acob].: The Manly Art. Bare-Knuckle Prize Fighting in America. 2nd ed. Ithaca: Cornell University Press 2010 [zuerst 1983]. Erinnert sei an die vielen Faustkämpfe vor allem in amerikanischen Filmgenres wie dem Western oder im historischen Abenteuerfilm; vgl. Freese, Gene: Classic Movie Fight Scenes. 75 Years of Bare Knuckle Brawls, 1914-1989. Jefferson, N.C.: McFarland 2017; Freese bringt die zahllosen Filmschlägereien (zwischen den Kämpfen in Saloons bis zum öffentlichen Faustkampf) und die ikonischen Männerfiguren wie John Wayne, Randolph Scott, Charles Bronson, Clint Eastwood, aber auch Martial-Arts-Stars wie Bruce Lee oder Chuck Norris zusammen (mit einem Nebenblick auf die Prügelballette à la Bud Spencer & Terence Hill).

[3] Das Nachdenken über die bare knuckle fights mündet in Überlegungen ein, die Kämpfe selbst als eine Extremform theatralen Spiels anzusehen, als Versuch, eine Einheit von dargestellter Emotionalität und Bewegung zu erzielen; aber – vor allem mit Blick auf das Publikum derartiger Kämpfe – liegt es auch nahe, die zugehörige Rezeptionsform als eine Ausprägung einer „perversen Lust“ an Schmerzdarstellung anzusehen (vgl. dazu: Studlar, Gaylyn: Masochism and the Perverse Pleasures of the Cinema. In: Quarterly Review of Film Studies 9,4, Sept. 1984, S. 267-282). Zur Frühgeschichte des Vergnügens von Zuschauern an Boxkämpfen vgl. auch Costantino, Jesús: Seeing without Feeling. Muybridge’s Boxing Pictures and the Rise of the Bourgeois Film Spectator. In: Film & History 44,2, Fall 2014, S. 66-81.

[4] Zu den Tiefenbedeutungen des Boxerfilms vgl. Grindon, Leger: Body and Soul. The Structure of Meaning in the Boxing Film Genre. In: Cinema Journal 35,4, 1996, S. 54-69.

[5] Vgl. zu dieser These Llinares, Dario: Punishing Bodies. British Prison Film and the Spectacle of Masculinity. In: Journal of British Cinema and Television 12,2, 2015, S. 207-228, ausgehend von der These, dass der „microcosm of the prison, on the one hand, reasserts the male body as the root of physical ‚being-ness‘, yet on the other, reveals masculinity as a constructed performance determined by the social context of incarceration and amplified through cinematic aesthetics“. Die Faustkamp-Szenen könnte man als einen ähnlichen residualen Raum interpretieren, der für den Ausdruck elementarer Männlichkeit einen idealen Rahmen darstellt.

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