Donald Trump
von Niels Werber
1.6.2024

Populärkultur, Okkasionalismus und Twitter (2021)

[aus: »Pop. Kultur und Kritik«, Heft 18, Frühling 2021, S. 104-111]

Am 8.1.2021 um 10.44 Eastern Standard Time versendete der 45. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika von seinem iPhone die letzte Botschaft über seinen Account @realdonaldtrump: »To all of those who have asked, I will not be going to the Inauguration on January 20th.« Seitdem ist der Account gesperrt, und seine zuletzt 88.776.124 Follower, die seine 59.558 Tweets aus erster Hand zur Kenntnis nehmen konnten, um sie zu liken und zu retweeten, um sie zu bejubeln oder zu beschimpfen, zu affirmieren oder zu kritisieren, müssen sich für ihre Schlachten andere Accounts suchen. Hunderttausende, die jeden Tag im Kommentarbereich des Trump-Accounts gegeneinander mit einer teils unfassbar zugespitzten Sprache der Verleumdung, Herabsetzung und Beleidigung angetreten sind, verlieren eine Arena, auf der mit größter Intensität polemisiert, polarisiert und damit auch popularisiert worden ist. Es waren diese Millionen von erbitterten Gegnern und fanatischen Anhängern Trumps, die ihre Energie täglich in die Kommentare der Tweets von @realdonaldtrump investiert und so diesem Account zu seiner enormen Popularität und Reichweite verholfen haben.

Diese über die Jahre immer weiter gestiegene Popularität, die ihm auf der Plattform Twitter gerade eine ›polarisierte‹ Nation bescheren konnte, die sich vollkommen unmoderiert und maßlos gegenseitig herabsetzt und beleidigt, wird dem abgewählten Präsidenten künftig fehlen. Noch ist kein Medium in Sicht, das Freunde und Feinde Trumps gleichermaßen attrahieren, zur Steigerung der Popularität antreiben und so zugleich auch für die Popularisierung der Plattform einspannen könnte.

Von vielen Beachtung zu finden, genauer: mehr Beachtung als andere bzw. noch genauer: mehr Beachtung als alle anderen, ist aber ein zentrales Motiv von Donald Trump, das schon im Umgang mit den Ratings seiner TV-Serie »The Apprentice« nachzuweisen ist, nicht zuletzt anhand seiner zahlreichen Versuche, Ratings zu seinen Gunsten zu manipulieren oder die eigene gute Platzierung auch gegen besseres Wissen, gegen alle Tatsachen zu behaupten.

Die eigene Popularität zu steigern oder zu erhalten, war nicht nur ein wichtiges Ziel der Twitterei von @realdonaldtrump, sondern auch ein wesentliches Thema seiner Tweets: »Polls looking great! See you soon«, schrieb er am 7.11.2016. Oder: »Any negative polls are fake news, just like the CNN, ABC, NBC polls in the election« am 6.2.2017. Am 21. April 2020 resümierte Trump: »I’ve had great ›ratings‹ my whole life, there’s nothing unusual about that for me. The White House News Conference ratings are ›through the roof‹ (Monday Night Football, Bachelor Finale, @nytimes) but I don’t care about that. I care about going around the Fake News to the PEOPLE!« Dennoch ließ er das Fernsehen natürlich nicht links liegen. Wo immer er persönlich in den Sendungen der Fernsehanstalten auftauche, seien die Zuschauerzahlen enorm, verkündete Trump regelmäßig über Twitter.

Es versteht sich für ihn darum von selbst, dass, umgekehrt, wo immer die Massenmedien den Präsidenten kritisieren, etwa dafür, dass er die US-Wahlen grundlos als manipuliert bezeichnet und den Sieg Bidens nicht anerkennt, die Einschaltquoten in den Keller fallen: »Can’t believe how badly @FoxNews is doing in the ratings. They played right into the hands of the Radical Left Democrats, & now are floating in limboland. Hiring fired @donnabrazile, and far worse, allowing endless negative and unedited commercials. @FoxNews is dead. Really Sad!« (16.12.2020)

Auf solche durch Charts festgestellte Popularität kommt es Trump entscheidend an. Auf solche Popularität kommt es ihm vor Beliebtheit und Bedeutung an, auf die Beachtung von vielen, ganz im Sinne der wegweisenden Definition Thomas Heckens: »Populär ist, was viele beachten. Populäre Kultur zeichnet sich dadurch aus, dass sie dies ständig ermittelt. In Charts, durch Meinungsumfragen […] wird festgelegt, was populär ist und was nicht. […] Das einzige Prinzip der populären Kultur […] liegt im Addieren von Wahlakten und ihrer Präsentation in Ranglisten. In einer vollkommen populären Kultur richteten sich deshalb die jeweils obersten Werte an den empirischen Daten einer Top-Ten-Hitparade aus.« (»Populäre Kultur«, 2006)

Trump kann deshalb geradezu als eine Inkarnation der Populärkultur gelten, insofern er die permanente Ermittlung von Popularität und ihre Präsentation in Ranglisten nicht nur verfolgt und umgehend popularisiert, sondern auch sein eigenes Handeln an den Ranglisten der Populärkultur ausrichtet. Das Populäre zu tun, um populär zu sein, könnte die Maxime seines Handelns lauten. Da Donald Trump tatsächlich zum 45. Präsident der USA gewählt wurde, drängt sich die Frage nach der politischen Dimension dieser populärkulturellen Praxis auf. Mein Vorschlag lautet darum, zumindest versuchsweise einmal nach den politischen Strukturen der Medienpraxis Trumps zu fragen, einer Praxis, die sich sehr gut rekonstruieren lässt, ohne über mögliche Psychopathologien zu spekulieren. Trumps Medienpraxis zielt auf Popularität, und zwar auf eine Popularität, die vollkommen unbekümmert um die Gründe ist, warum etwas die Beachtung von vielen findet. Die grundsätzliche Orientierung an Popularitätsmetriken aller Art, an Ratings und Bestsellerlisten, an Hitparaden und Umfragen dominiert alles andere. Sein Ziel ist es, in den Nullsummenrankings der Populärkultur auf dem ersten Platz zu landen: »Barack Obama was toppled from the top spot and President Trump claimed the title of the year’s Most Admired Man. Trump number one, Obama number two, and Joe Biden a very distant number three. That’s also rather odd given the fact that on November 3rd, Biden allegedly racked up.« (@realdonaldtrump, 30.12.2020)

Versuche, die bedeutenden politischen Entscheidungen und Vorhaben des Präsidenten, die er nahezu durchweg selbst auf Twitter mitteilte, auf eine psychopathologische Störung zurückzuführen, dürfen darum als gescheitert gelten. Die erratische Politik des Präsidenten sollte oft damit erklärt werden, dass Trump ein vulgärer, unberechenbarer, narzisstischer, sexistischer, größenwahnsinniger, lügnerischer Clown sei, den weder Amt noch Berater, weder Partei noch Regierung einzuhegen vermochten. Vielleicht ist er das auch, aber selbst wenn dieses Persönlichkeitsprofil zuträfe, wäre es doch als Grundlage einer Analyse der politischen Dimension seines Handelns unbefriedigend, weil so letztlich keine politischen Begriffe, sondern psychologische und psychiatrische Kategorien das Handeln erklärten.

Trumps Orientierung an der Popularität in Form messbarer Beachtung durch viele und an ihrer spektakulären Inszenierung in Charts ist hingegen sehr gut mit seinem politischen Handeln verknüpfbar. Diese Orientierung legt einen Politikstil nahe, den man mit Carl Schmitt okkasionalistisch nennen könnte. Der Begriff der »occasio« wird von Schmitt in seinem Buch »Politische Romantik« (1925, 2. Auflage) im Gegensatz zum Begriff der »causa« entwickelt. Der klassische, souveräne Staat, dessen Ratio die »causa« gewesen sei, werde in der politischen Romantik von einer »occasionellen Haltung« abgelöst, deren Prinzip die »magische Hand des Zufalls, the magic hand of chance« sei. Der Zufall schafft Gelegenheiten, die dann wiederum zufällig, das hängt ganz vom ›Romantiker‹ ab, ergriffen werden oder nicht.

An die Stelle von Planung, die versucht, die Zukunft an Entscheidungen der Vergangenheit zu binden; an die Stelle von Handlungsprogrammen, deren Maximen an Normen und Institutionen gebunden werden und so Erwartbarkeit erwarten lassen; an die Stelle von Zurechenbarkeit, Folgerichtigkeit, Konsequenz, Verlässlichkeit und vieler anderer Begriffe, die eine feste Kopplung von Ursache und Wirkung, Vergangenheit und Zukunft voraussetzen, tritt laut Schmitt der Zufall: Die »occasionalistische Haltung« löst alle feste »Bindung« auf und das Prinzip der »Konsequenz« ab. Ohne feste Kopplung von Ursache und Wirkung, von Zukunft und Vergangenheit stelle sich unvermeidlich »das Problem der Kontrolle bzw. der Berechenbarkeit« ein.

Genau dieses Problem haben alle Beobachter mit Trump, und es schiene mir eine sehr treffende Beschreibung der Medienpraxis von Donald Trump zu sein, wenn sie lautete, ihr könne »wirklich alles zum Anlaß für alles werden« und ihr werde »alles Kommende, alle Folge in einer abenteuerlichen Weise unberechenbar«, wie Schmitt grundsätzlich zur »Politischen Romantik« ausführt. Weder Gründe noch Folgen sind kalkulierbar. Trumps Entscheidungen, die er auf Twitter mitteilte und die oft unter dem unmittelbaren Eindruck zufälliger Ereignisse standen: einem Tweet seiner Tochter, der Bitte oder Meinung eines befreundeten oder prominenten Gastes im Weißen Haus, der Behauptung eines TV-Hosts in einer Show, die gerade läuft, der neuesten Meinungsumfrage, die auf Twitter trendet, den ›breaking news‹ auf seinem Lieblingssender – sie alle lassen »den Zwang einer berechenbaren Ursächlichkeit, dann aber auch jede Bindung an eine Norm« genauso vermissen wie Schmitts »occasio«. Stattdessen werden das »Gelegentliche und das Zufällige zum Prinzip«.

Carl Schmitt findet das Prinzip der »occasio« paradigmatisch formuliert in der »romantischen Praxis: jede interessante Gelegenheit wird Anlaß zu einem Roman.« Ich möchte vorschlagen, Trumps Medienpraxis als Exempel dieses Okkasionellen aufzufassen: Jede interessante Gelegenheit wird Anlass zu einem Tweet, dessen ›Effektexplosionen‹ nicht erst am 6.1.2021 bei der Besetzung des Kapitols durch seine Anhänger unübersehbar geworden sind. Und so wie die romantischen »Occasionalisten« auf Resonanz und »Affekt« aus waren, auf »Lob und Tadel, Beifall und Abscheu«, so erzielt Trumps Okkasionalismus Popularitätssteigerung durch Polarisierung. Nicht auf Konsistenz der Argumente oder Konsequenz der Entscheidungen kommt es an, sondern auf Resonanz und Affekt. Trumps Grundprinzip der Popularitätssteigerung wird alles andere, gerade auch alles Normative, jede in Verträgen oder Versprechen eingegangene Selbstbindung untergeordnet. All dies wird ganz offen oder unverschämt ausgesprochen. Selbstbindungen, die Trump daran hindern könnten, eine Gelegenheit zu ergreifen, lehnt er dezidiert ab. Am 18.12.2012 twitterte er programmatisch: »I also protect myself by being flexible. I never get too attached to one deal or one approach.«  – »It was a dead issue. Even so, I didn’t give up… I was relentless…, sheer persistence is the difference between success and failure.«

Die Ereignisse des 6.1.2021 lassen sich deuten als eines der letzten und für alle Anhänger von Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung und Demokratie äußerst bedrohlichen Beispiele dafür, wie Trumps Medienpraxis Populärkultur und politischen Okkasionalismus vereinigt. Der sog. »Sturm auf das Kapitol« ist entfacht worden von einigen überaus typischen Tweets, in denen der Präsident seine Spitzenposition reklamiert, den ersten Platz in der Präsidentschaftswahl, allen Tatsachen zum Trotz. »Statistically impossible to have lost the 2020 Election. Big protest in D.C. on January 6th. Be there, will be wild!« (19.12.2020) Und am 6.1.2021: »The States want to redo their votes. They found out they voted on a FRAUD. Legislatures never approved. Let them do it. BE STRONG!« Und am gleichen Tag: »These are the things and events that happen when a sacred landslide election victory is so unceremoniously & viciously stripped away from great patriots who have been badly & unfairly treated for so long.« Da er die Wahl nicht verloren haben kann, muss er Präsident bleiben, der Vizepräsident soll es richten: »All Mike Pence has to do is send them back to the States, AND WE WIN. Do it Mike […]!« (6.1.2021)

Pence hat die Erwartungen des Präsidenten nicht erfüllt, der um 14.22 twitterte: »Mike Pence didn’t have the courage to do what should have been done«. Etwa sieben Minuten zuvor hatten Tausende von Trump-Anhängern, die der Präsident auf seiner »Save America«-Rallye versammelt hat, damit begonnen, das Kapitol zu stürmen. Um 13.12 hatte Trump seine Anhänger in seiner Ansprache dazu aufgerufen, »to fight like hell« und einen Gang zum Kapitol zu unternehmen: »So we’re going to, we’re going to walk down Pennsylvania Avenue, I love Pennsylvania Avenue, and we’re going to the Capitol and we’re going to try and give […] our Republicans, the weak ones, because the strong ones don’t need any of our help, we’re going to try and give them the kind of pride and boldness that they need to take back our country.«

Weniger als eine Stunde später durchbricht der Mob gewaltsam die letzten Absperrungen der Capitol Police und dringt in das Gebäude ein, in dem sich Senat und Kongress zusammengefunden haben, um die Wahl Bidens zum 46. Präsidenten der Vereinigten Staaten zu bestätigen. Senatoren und Abgeordnete flüchten, verstecken oder verbarrikadieren sich. Pence wird in Sicherheit gebracht. Um 13.49 und nochmals um 14.10 und um 14.26 bemühen sich die Polizeikräfte des Kapitols und führende Politiker beider Häuser vergeblich um Verstärkung durch die Nationalgarde. Ein Einsatz zur Sicherung des gestürmten Kapitols wird immer wieder verzögert. Erst um 17.40 treffen erste Soldaten ein. Um 20 Uhr sind das Gebäude und die unmittelbare Umgebung gesichert. Am frühen Morgen des 7.1., um 3.24, erklärt der Kongress Biden zum Gewinner der Wahl. Am 13. Januar wird Donald Trump vom Repräsentantenhaus wegen Hochverrats und Aufruhrs angeklagt.

Ist hier ein Staatsstreich missglückt? Ein Putschversuch? Oder ist hier ein Mob über die Stränge geschlagen, wie es bei erregten Auflaufmassen leicht passieren kann? Auf die Frage »Könnte der amtierende Präsident Trump gleichwohl mit Hilfe des Militärs an der Macht bleiben?« antwortet der Verfassungsrechtler Russell Miller am 14.1.2021 in seinem »FAZ«-Gespräch mit Reinhard Müller: »Eine beunruhigende Frage. Aber: Ja, das wäre möglich. Schon vor dem Aufstand am Capitol gab es Berichte über einen inneren Zirkel im Weißen Haus, der über extreme Strategien diskutiert hat, damit Trump nach dem 20. Januar an der Macht bleiben kann. […] Der Insurrection Act würde es dem Präsidenten erlauben, die Streitkräfte zur ›Unterdrückung eines Aufstandes‹ auf Antrag der Legislative eines Bundesstaats oder eines Gouverneurs einzusetzen. Eine Reihe von republikanisch kontrollierten Staaten schien schon bereit, dem Präsidenten nachzugeben.«

Überhaupt über dieses Thema zu reden, hält Miller daher für angebracht, weil der Präsident die Bindung seiner Amtsführung an Rechtsnormen suspendiert und zur ›neuen Normalität‹ erhoben hat. Das Problem bestehe darin, »dass nach vier Jahren mit Trumps Normenverletzungen ernsthafte Diskussionen über einen Putsch nicht mehr überraschend sind.« Der These zur Trumpʼschen Vereinigung von Okkasionalismus und Populärkultur würde dies durchaus entsprechen.

Der Historiker Wolfram Siemann geht noch einen Schritt weiter und unterstellt in einem Beitrag in der »FAZ« vom 9.1.2021, dass Trump den Sturm auf das Kapitol planvoll angezettelt habe, um dann angesichts der akuten Gewalt, der Gefährdung für Leib und Leben der Abgeordneten und Senatoren und einer handlungsunfähigen Legislative den Ausnahmezustand ausrufen zu können, um Ruhe und Ordnung wiederherzustellen. »Law & Order«, twittert Trump häufig – und auch am 6.1. (um 15.16 Uhr). Es war also ein Coup: »Donald Trump hatte ein klares Kalkül, als er die Massen zum Sturm des Kapitols anstiftete: Er wollte die Gewalt schüren, um dann den Notstand ausrufen und an der Macht bleiben zu können.«

Trump habe den Aufruhr geplant, um den »Kongress kalt« zu stellen und im Ausnahmezustand als »Herr der militärischen Exekutive« auch nach dem 20.1.2021 Präsident zu bleiben, so Siemann: »Trump mobilisierte und enragierte die versammelten Massen, bis sie zum Kapitol marschierten – auf seine Aufforderung hin zu dem erklärten Zweck, den schwachen Republikanern zu Hilfe zu kommen. Mit der Wut, in die er sie versetzt hatte, war der Sturm des Parlaments zu erwarten, das hat er einkalkuliert. Er rechnete mit einer vollständigen Handlungsunfähigkeit des Parlaments.« Pence hingegen, der schließlich selbst die Nationalgarde anforderte, um die Besetzung des Kapitols durch den Mob zu beenden und das Verfahren zur Bestätigung von Bidens Wahlsieg weiterzuführen, habe den Erfolg dieses versuchten Staatsstreichs Trumps verhindert: »Vizepräsident Mike Pence hat ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht, indem er seinerseits eigenmächtig und vorzeitig – vor einem Blutbad – die Nationalgarde rief und die unkontrollierte, aber von Trump erwünschte Eskalation verhinderte.«

Trump als Mastermind einer Verschwörung gegen die USA? Der schon im Dezember seine Anhänger mobilisiert, nach Washington beordert (»will be wild«), die angemessene Bewachung des Kapitols verhindert, den Sturm der Kammern durch seine Fans in Gang setzt, den zeitigen Einsatz der Nationalgarde verhindern lässt, um schließlich, weil das Ergebnis des »Electoral College« vom Kongress nicht bestätigt wird, selbst nach dem 20.1. weiter im Amt zu bleiben und um alle exekutiven Befugnisse zu nutzen, damit auf Dauer durchzukommen?

Vielleicht hätte Trump die Gelegenheit genutzt, wenn sie sich am 6. oder 7.1. tatsächlich geboten hätte. Keine Bindung an moralische, politische oder staatsrechtliche Normen stünde dem bei ihm entgegen. Aber anderseits entspräche die zeitige Planung und Organisation eines Staatsstreichs so gar nicht jenem Prinzip der »occasio«, dem Trumps Medienpraxis und seine politischen Entscheidungen verpflichtet sind. Der Coup wäre ihm zugefallen, »the magic hand of choice« hätte ihn berührt – und er hätte womöglich die Gelegenheit beim Schopfe gegriffen, wenn es ihn auf den Nullsummenrankings nach oben gebracht hätte. Er hätte es getan, um der populärste und beliebteste Präsident zu bleiben, der Gewinner, den, wie er nicht müde wurde auszuführen, ›so viele amerikanische Bürger gewählt haben wie nie zuvor in der Geschichte der Vereinigten Staaten‹.

Am 22.1.2020 retweetete @realdonaldtrump einen Tweet seiner Partei: »RT @GOP: Despite Democrats’ best efforts, President @realDonaldTrump is more popular than ever!« Mit dieser Popularität ist es nun vorbei. Und die Gelegenheiten, auf Twitter die eigene Popularität durch Polarisierung zu steigern, bleiben künftig aus. Erste Verlautbarungen des ehemaligen Präsidenten, geäußert am 22. Januar 2021 im Grill Room des Trump International Golf Club in West Palm Beach lassen weder Effektexplosionen noch Selbststeigerungen erwarten: »However, he has mulled over a number of possibilities including running for president again in 2024, starting his own news network, and launching his own political party, the Patriot Party. But despite talks of all the possibilities, Trump has not yet finalized anything. Right now, he faces a number of obstacles that likely contribute to the lack of direction.« (Meaghan Ellis auf alternet.org am 23.1.2021)

Pläne hat er viele oder keine. Entschieden ist nichts. Der Okkasionalist wird auf Gelegenheiten warten müssen. Und auf eine mediale Plattform, die ihm die Popularisierungsmöglichkeiten bietet, die er nun dringend benötigt. Der jüngste Post Trumps auf Instagram datiert auf den 5.1.2021. Im November hatte er noch 1,387 Millionen Follower auf dieser Plattform dazugewonnen. Inzwischen geht es bergab.

 

Der Beitrag ist Teil der Forschungsarbeit des Siegener DFG-SFB 1472 »Transformationen des Populären«.

 

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