Quarantäne-Artikel
[aus: »Pop. Kultur und Kritik«, Heft 17, Herbst 2020, S. 102-107]
Alles kann Gegenstand von Boulevardmedien sein. Sie können ein entdifferenziertes Tableau an Themen liefern, ohne dabei auf ihre spezielle Funktion verzichten zu müssen, auf unterhaltende Weise Konsonanz zu erzeugen oder auf konsonante Weise zu unterhalten. Sie leben von dem Paradoxon, Erwartbares überraschend zu gestalten, wozu sie aus dem Populären anderer Funktionssysteme als dem der Massenmedien schöpfen. Damit könnten sie sowohl eine Repräsentations- als auch eine Distributionsfunktion für Stimmungslagen haben.
Wie geht man in diesem Rahmen mit Covid-19 um? Insbesondere zu Beginn der Pandemie thematisierten nicht wenige illustrierte Unterhaltungsmagazine Covid auf dem Cover. Hier trifft die Krise nicht nur auf Prominente, sondern vor allem auf – andere Krisen. Z.B. ist die ältere Generation der englischen Royals außer Gefecht gesetzt – die Queen und Philipp aus Altergründen in Isolation, Charles zu Beginn erkrankt und in Quarantäne, von Andrew lieber ganz zu schweigen –, und vor dem Hintergrund kann umso mehr herausgestellt werden, wie pflichtbewusst William und Kate tun, was Royals eben so tun, während Harry und Meghan desertiert sind, um in Los Angeles nicht ihr Glück zu finden, sondern auf jede Menge Schwierigkeiten zu stoßen. Oftmals geraten die üblichen Krisen ganz zufällig in die große Krise. Die Namen der Prominenten, die mit ihrer Ehe, dem Gewicht, der Haarpflege oder der eigenen Psyche nicht zurechtkommen, liste ich hier gar erst auf, zumal ich den Gemeinplatz anbringen muss, dass ich sehr viele dieser Leute ganz einfach nicht kenne.
Just Anfang April dieses Jahres twitterte Johannes Franzen die Frage »Wer ist Wendler?«, was ich zu diesem Zeitpunkt hätte beantworten können, aber nur weil ich mich da schon zu Recherchezwecke in die unerträgliche selbstperpetuierende Welt der Boulevardmedien begeben hatte. Dabei liebe ich Stars und das Populäre und Klatsch und Tratsch sonst ja sehr. Zurück zum Thema: Boulevardmedien thematisieren immer Scheidungen, Gewichtsprobleme, Beautyentgleisung und Lebenskrisen, solange die Akteur*innen in irgendeiner Form prominent sind, aber da sie auch dazu dienen, sich und der Welt die schiere Gegenwärtigkeit des Daseins vor Augen zu führen, wird nun die Prominenz mit dem Populären der Pandemie versehen. Das heißt, zumeist geht es weder um die Pandemie selbst, noch bedürften Prominente der Pandemie als besondere Würze. Es kommt vielmehr phatisch und metakommunikativ zum Ausdruck, dass man sich seitens der Redaktionen dessen bewusst ist, was ganz oben auf der Agenda steht, auch wenn man im Grunde nichts zum Thema beizutragen hat. Nach dem Motto: Ich weiß, dass Du weißt, dass wir alle… Das zeigt sich auch an den zahllosen Formulierungen wie »Auch in Corona-Zeiten…« (»Closer«, 06.05, S. 13) und »Gerade in Zeiten wie diesen…« (»Brigitte«, 20.05., S. 82), in denen es dann um Kochrezepte, Gymnastiktipps etc. geht, man aber offenbar zusätzlich bestätigen muss, dass man Covid nicht vergessen hat, auch wenn die Selektionskriterien und die Themen im Wesentlichen die gleichen geblieben sind, also Scheidungen, Gewichtsprobleme, Beautyentgleisungen und Lebenskrisen.
So weit, so gut, wenn sich da im April und Mai nicht doch noch ein ganz eigener Akzent eingestellt hätte. Denn die Krise korrelierte einerseits nur zufällig mit allen möglichen anderen Krisen, während sie andererseits auch Krisen ursächlich hervorrief. Anfang April bezeichnet »inTouch« Carmen Geissens Unfrisiertheit als »Luxus-Problemchen. Die Fans sind total genervt« (08.04., S. 7). Der abwertende Ton und die Meta-Perspektive sind Ende April verschwunden, als ein Foto aus der gleichen Strecke noch einmal auftaucht. Dieses Mal wird das Bild aber gänzlich unironisch als »Beauty-Burnout« deklariert (30.04., S. 7).
Es geht um Isolationsgebote und Lockdown, von dem mehr noch als die Haare die Beziehungen von Prominenten betroffen zu sein schienen. In dem Kontext kommt die ratgebende Funktion der Zeitschriften ein wenig zum Zuge, die in Bezug auf Gesundheitsfragen keine Rolle spielt, weil die niedrige Frequenz der Blätter dem äußerst dynamischen Geschehen nicht gerecht werden kann. In dem Artikel »Nur die Liebe zählt. Wie Stars die Krise überstehen« erzählen mehr oder weniger Prominente von den Herausforderungen im isolierten Beziehungsalltag: Verona Pooth und Familie müssen z.B. jetzt selbst kochen, wo sie doch sonst eher essen gehen, was zwar anstrengend, doch auch ein großer Familienspaß sei (»Gala«, 02.04., S. 21). Aber weil das nicht viel mit dem Alltag der Leser*innen zu tun hat, findet sich neben diesem Bericht eine die Leser*innen adressierende Ratgeberspalte für Paar-Verhalten in der Krise (S. 24). Ganz allgemein gibt es zahlreiche Hinweise, wie man mit der Isolation umgehen kann, z.B. »Backen in der Krise« und »Gute Laune trotz Quarantäne« (»Frau im Spiegel«, 01.04., S. 11). Außerdem werden »Streaming-Tipps gegen den Lagerkoller« erteilt (»inTouch«, 08.04., Cover).
Die vielen Ratschläge, wie man mit der Situation der Isolation umgehen kann, erwecken insgesamt den Anschein, der Aufenthalt im eigenen Zuhause mit der Familie sei das schlimmste, was sich im Zuge der Pandemie einstellen kann. Die üblichen Ehekrisen, Gewichtsprobleme, Beautyausfälle und Lebenskrisen bestehen also plötzlich nicht nur unabhängig von der Covid-Krise, sondern werden von ihr verursacht – aber wohlgemerkt: nicht von der Pandemie, sondern von der Isolation. Das mag zwar sein, verdrängt aber die Tatsache, dass die Isolation eine Lösungsmaßnahme ist, während die Pandemie das Problem darstellt. Als seien wir in Deutschland überhaupt je eingesperrt gewesen, heißt es dann im Mai in »Closer«: »Hurra, wir dürfen wieder raus« (13.05., S. 4).
Es ist bezeichnend, dass zwischen März und Mai sehr häufig pauschal von der negativ konnotierten ›Quarantäne‹ die Rede war – einem Wort, das die medizinische Isolation kranker oder potenziell kranker Personen umschreibt und mit Krankenhauszimmern verbunden ist –, auch wenn fast immer einfach nur das ›social distancing‹ gemeint war, also der Umstand, dass man sich möglichst aus der Öffentlichkeit fernhalten, zu Hause bleiben und keine Menschenansammlungen produzieren sollte, wobei es keineswegs verboten war oder kontrolliert wurde, dass oder wenn man Freunde getroffen hat. Dennoch heißt es noch im Juni, in den letzten Monaten »mussten die Staatsoberhäupter drastische Maßnahmen ergreifen. So sind wir alle oder fast alle eingesperrt« (»What’s up«, Nr. 20, Juni, S. 23). Die Umsemantisierung dient der Dramatisierung eines vergleichsweise erträglichen Umstands. Szenarien in Krankenhäusern, Krankheit und Tod wurden kaum thematisiert. Das Ableben von Jörn Kubicki kam kaum, das von Roy Horn vergleichsweise wenig zur Sprache: Fast nur Guido Kretschmer scheint um seine toten Freunde zu weinen, aber Roy Horn verzaubert jetzt die Engel (»Neue Post«, 06.05, S. 6; »Das Goldene Blatt«, 18.05., S. 70). Angst hat allerdings die Queen laut »Neuer Post« um ihren Mann: »Geliebter Philip, bitte bleib bei mir« (06.05., Cover). Auch der Mann von Viktoria von Schweden wird als prominenter Risikopatient vorgeführt (»Frau im Spiegel«, 01.04., S. 12). Und weil die Krise laut bestimmter Medien und Meinungen im Juni 2020 vorbei war, also sobald der Lockdown vorüber war, kann man in der »inTouch« nachlesen, dass die Geissens bei noch bestehenden Reisewarnungen einen Trip nach Südtirol unternommen haben (18.06., S. 14).
Allein durch die Kaum-Thematisierung der medizinischen Aspekte, die in diesen Magazinen auch in keiner Weise denkbar gewesen wären, und dem Zwang zur Aktualitätsvergewisserung und Empathiebekundung in Richtung Leser*innen hat eine wirklich fragwürdige Verzerrung der Problemlage stattgefunden. Hatte man über das Frühjahr und den Frühsommer die geballte Ladung von Boulevard- und Frauenzeitschriften gelesen, musste man sich nicht darüber wundern, dass sich halb Deutschland – und auch halb Österreich – wie ein Haufen renitenter Pubertierender aufgeführt hat angesichts sehr moderater Maßnahmen zur Eindämmung einer doch ziemlich gefährlichen Seuche. Wie kleine Kinder bäumten sich Menschen bockig gegen den Hausarrest auf und zeigten auf die anderen, die angeblich doch auch dürfen usw. Wenn andere reisen, dann ich auch, wenn die Gastronomie öffnet, dann bitte die Kirchenchorproben auch… Was eingefordert wird, ist die Sache mit dem Fenster, nur dass man hier nicht selbst springt, weil Steffi und Torsten doch auch…, sondern andere hinunterstößt. Pubertierende können zu ihrer Entlastung anführen, dass sie sich in einem neurochemischen Ausnahmezustand befinden. Halb Deutschland – und auch halb Österreich – hat eigentlich keine Entschuldigung dafür, dass es auf Geissens-Niveau queruliert hat, könnte aber nun auf den Konsum von Boulevardmedien verweisen, die den Gedanken bestätigt oder evoziert haben, dass ein paar Wochen zu Hause gerade wirklich das größte Problem auf dieser Welt sind.
Dazu passt auch, dass – nicht nur im genannten printmedialen Kontext – zu dem biologisch-medizinisch klingenden Namen Covid-19 üblicherweise nicht gegriffen wird, um die Krankheit zu bezeichnen, sondern dass ganz allgemein von Corona die Rede ist, was ein Konnotationsspektrum von Krönchen bis Bier aufweist – ersteres natürlich nur bei den Lateinkundigen, die wohl eher zu den Zufallsleser*innen beim Friseur gehören. Bleibt also der Schaden durch die angebliche Quarantäne, der selbstverständlich auch tatsächlich entstanden ist: durch Verdienstausfälle von Freiberufler*innen und Künstler*innen, die Doppelbelastung von Eltern, die Archaisierung von Geschlechterrollen bei der notwendigen Kinderbetreuung sowie der Ausfall der Schulbildung usw. usf. Auch das wird, wenn auch in geringerem Maß als das kindische Gejammer, in den Zeitschriften thematisiert. Z.B. verweist die »Neue Post« indirekt durch eine Lösungsmöglichkeit auf die wirtschaftlichen Probleme, indem sie eine Friseurin zitiert: »Mein Vermieter erlässt mir die Miete« (»Neue Post«, 06.05., S. 26). Wenn er*sie es sich leisten kann, warum nicht? Vor allem ist natürlich quasi ganz Mallorca wirtschaftlich hart getroffen, häufen sich die Verdienstausfälle von, naja, sagen wir einfach mal Künstler*innen. Aber man finde bitte den Fehler in folgender Meldung: »Pleite-Schock auf Mallorca. Ausnahme-Zustand nach der Corona-Krise« (»inTouch«, 20.05., Cover). »Nach« der »Corona-Krise«?? Im Mai 2020? Schön wär’s gewesen.
Natürlich entspricht all dies nicht dem ganzen Bild. Spätestens im Juni diversifizierten sich die Themen deutlich. Es werden zahlreiche Prominente gezeigt, die sich für #StayAtHome eingesetzt haben. Es gibt Informationen darüber, wie Routine-Operationen in den nächsten Wochen gehandhabt werden (»Neue Post«, 06.05., S. 54). »Im Corona-Koma bekam [eine Frau] ein gesundes Baby« (»Closer«, 06.05, Cover). Da Bordelle geschlossen haben, boomt – laut eines insgesamt unkritischen Artikels – das Geschäft der Camgirls (»Cosmopolitan«, Juni, S. 84). Im Kunst- und Medienbereich setzen die Leute/Frauen nun auf Crowdfunding und neue Präsentationsplattformen, wodurch die Anhängigkeit vom Management/Männern etc. sinkt (»Brigitte«, Juni, S. 14). Hubert Burda Media schaltet riesige Anzeigen zur Initiative #AufbruchZukunft, in der Textil- und Modeunternehmen von Problemen und Lösungsideen berichten (»InStyle«, Juni, o.S.). Mai Thi Nguyen-Kim wird als gute Wissenschaftspopularisiererin gefeiert (»Gala«, 07.05., S. 68), und dass diese Zeitschriften es sprachlich nie so genau nehmen, sieht man auch an der Beschreibung von Bill Gates als »Mann, der Corona-Impfstoff entwickelt« (»Bunte«, 07.05, S. 18). Ab Mai rücken dann auch die Mund-Nasen-Schutz-Masken-Kollektionen in den Blick (»Glamour«, Juni, S. 82). Aber auch in Bezug auf die Maske erfreuen sich viele Blätter nur haarscharf des lebensrettenden und modischen neuen Accessoires. Man kommt nicht umhin, zumindest implizit die Seuchenpräventionsmaßnahme irritierend zu finden. Zum einen war zu lesen: »Dass die Menschen durch die Maskenpflicht vermummt sind, macht vielen Angst« (»In. Star News«, 20.05., S. 61). Zum anderen wird mit der bildlichen Darstellung eines Prominenten in Gasmaske auf dem Cover explizit darauf verwiesen, dass die Krise verrückt mache (»Inside«, 06.05.). Es ist nicht klar, wann das Foto aufgenommen wurde und ob die Gasmaske einen Zusammenhang mit der Pandemie hat, aber klar ist der Gedanke, der evoziert wird, nämlich dass die Vorsichtigen die Spinner seien, während von Aluhüten keine Rede ist. Bin ich die einzige, die nun ihrerseits von dem Aufheben irritiert ist, das von einem Textil mehr am Körper verursacht wird, das uns einen Zivilisationsschub gewährt?
Allerdings gibt es da noch die in jeder Hinsicht mittelmäßige, aber immer politisch korrekte »Brigitte«, die das Thema Covid gewohnheitsmäßig differenziert und angemessen angeht. Im Impressum weist die Chefredakteurin in der April-Ausgabe darauf hin, dass Home Office für sie und viele nicht ungewöhnlich sein dürfte, versteht aber auch – und ich verstehe ja auch –, dass zu »den gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen« des Lockdowns auch das »Gefühl der sozialen Entbehrung« kommt. Im Heft wird dann das Alleinsein aus verschiedenen Frauenperspektiven in allen möglichen Lebenslagen in einem Spektrum präsentiert, bei dem keine Frau/kein Mensch behaupten kann, er/sie sei nicht mitgemeint: von dem/der einsamen Wolf/in bis zu Personen mit Ängsten vor dem Alleinsein (S. 89). »Brigitte« thematisiert in der Juni-Ausgabe die Maske außerdem nicht nur als neuen Routinegegenstand beim Abzählen vor dem Verlassen des Hauses zusätzlich zu »Schlüssel, Handy, Geld, Brille« (Editorial), sondern bietet auch Masken zum Verkauft für wohltätige Covid-bezogene Zwecke an (S. 17).
Die beste Figur machen die Zeitschriften, die nicht versuchen, das Populäre mit dem Populären aufzupeppen, sondern die das Thema Covid weitgehend ignorieren, weil sie differenziertere und spezialisierte Profile haben. So z.B. die »Maxi«, die nur wenig auf die Pandemie zu sprechen kommt, indem sie im Editorial einer Ausgabe darauf hinweist, dass die Krise das Rollenverhalten zwischen den Generationen durcheinander brächte – Töchter mahnten nun ihre Mütter zur Vorsicht –, um dadurch auf einen Mutter-Tochter-Artikel in der Ausgabe aufmerksam zu machen, der die Krankheit dann aber auf erfrischende Weise nicht mehr zur Sprache bringt (Mai, S. 74ff.).
Vor allem Mode schützt davor, das Spiel um das Wissen um die allgemeine Agenda mitzuspielen. In der »inTouch« muss Mode noch damit verknüpft werden, dass sie zur Pandemie passt. Es werden sinnloserweise Tipps gegeben für stylishe Gummistiefel und Regenmäntel, weil man ja noch spazieren gehen dürfe (April, S. 32). »InStyle«, »Gala Style«, »Cosmopolitan« und »Vogue« lassen sich aber nicht oder kaum von einem Virus eine Agenda diktieren, die nicht die ihre ist. Zu Recht: Mode spielt für Menschen mit Contenance auch zu Hause eine Rolle, und ein bisschen war man ja auch in diesem Sommer unterwegs und brauchte dafür Anregungen für neue Sonnenbrillenmodelle. Etwas mehr auf Covid bezogen war allerdings die Juni-Ausgabe der Vogue«. In dieser fällt zwar auch das Unwort »Quarantäne« (S. 18), aber ansonsten gibt es einen ganz interessanten Artikel zum Verhalten der Modehäuser in der Krise (S. 38) und einen zur Verlagerung von Kunst und Kultur in die Virtualität: »Die Kultur kämpft und sie blüht im Netz« (S. 50). Vor allem aber ist das Heft dem Phänomen der Liebe gewidmet, wo wir doch so wenig taktilen und olfaktorischen Kontakt zu unseren Mitmenschen hatten (Editorial). Und weil das ja auch stimmt, ist die Ausgabe von mir abgesegnet.