Immobilien-Apps
von Ole Petras
15.8.2023

Immoscout24, Immonet, Immowelt, Houzz, Homify, heyObi, selber machen Magazin, Scoperty etc.

[aus: »Pop. Kultur und Kritik«, Heft 17, Herbst 2020, S. 28-31]

Der Titel der vorliegenden Kolumne ist ein Widerspruch in sich: Apps sind so mobil wie ihre elektronischen Wirtsgeräte, Häuser kategorisch immobil. Die Betrachtung des Hauses als Eigenheim, als Geldanlage, Bekenntnis zu einem Ort und einer meistens überschaubaren Personengruppe, als Konstante im Leben, Zuflucht auf Jahre oder Jahrzehnte könnte nicht weiter vom prekären Status unserer Telefone und Handcomputer liegen, die begrapscht, bespuckt, befummelt werden, in dunklen Taschen verschwinden, auf den Böden öffentlicher Toiletten zerschellen und am Ende ihres kurzen Lebens dem nächst­besseren Modell weichen müssen.

Mit gleicher Plausibilität ließe sich jedoch eine strukturelle Identität behaupten. Häuser wie Handys sind Gebrauchsgegenstände, die wir täglich um uns haben, sie katalysieren den Rückzug, sind mitunter Statussymbole und definieren die Ästhetik unserer schlotternden Existenz. Viele Begriffe, mit denen wir Digitalität fassbar machen, stammen aus dem semantischen Spektrum der Behausung: Window, Desktop, Homescreen usw. Ent­sprechend gibt das virtuelle Interieur eines jeden Endgeräts Auskunft über seine entweder huddeligen oder neurotisch sauberen Eigentümer. Und es gilt natürlich die beliebig ableitbare Regel: Wer Handyschmuck kauft, besitzt Wandtattoos.

Einen ›real benefit‹ erhält die Immo-App angesichts eines ›real problems‹ a.k.a. Haussuche, wobei das Versprechen im Raum steht, Apps wie eBay-Kleinanzeigen, Immoscout24, Immonet oder Immowelt verbannten mittelbar Makler und Exposé auf den Dachboden. Tatsächlich ersetzen die Apps oftmals nur das Anzeigenblatt bzw. den Gang vor das Schaufenster des Maklerbüros. Denn die Mehrzahl aller Inserate auf Immoscout24 wird von professionellen Maklern eingestellt. Ebenso häufig findet sich die genaue Adresse des Objekts erst im angeforderten Exposé, mit dem schließlich auch der Mittler seine Bezahlung rechtfertigt. Wahr ist, dass die Rotations­geschwindigkeit steigt. Per Push-Nachricht erfährt man sofort und überall von neuen Angeboten, die zahlreichen Kriterien erlauben eine relativ genaue Suche. Nicht wenige Nutzer ›upgraden‹ auf einen kostenpflichtigen ›premium account‹, weil der schnelle Durchlauf verpasster Chancen bereits ein bewegtes Bild der eigenen Unbehaustheit ergibt.

Von der diesem Prozess zugrunde liegenden ›Property Technology‹ wird noch zu sprechen sein, dem naiven Benutzer (respektive Kulturwissenschaftler) fällt zunächst etwas ganz anderes auf: In sehr wenigen Bereichen unseres Lebens werden abstrakte, mitunter globale Entwick­lungen so anschaulich wie hier. Vom Leitzins der Europäischen Zentralbank zur Einordnung der jeweiligen Forderung in den durchschnittlichen Angebotspreis ist es ein kurzer Weg. Hohe Margen und billiges Geld bilden, so jedenfalls die vom Laien kaum durchschaubare Legende, kommunizierende Röhren. Das Problem scheint darin zu bestehen, dass das digitale Medium nur jeweils eine dieser Röhren sichtbar macht: entweder das eingezeichnete Suchgebiet oder die faktische Lage, entweder die fast durchgängig opake Preisgestaltung der Makler oder die realiter gezahlten Beträge, entweder die eingestellten Bilder oder die besichtigte Ruine. Immobilien-Apps werden so zum Indikator einer nach wie vor unhinter­gehbaren Differenz von virtuell und reell, von Wunsch und Denken, Datum und Fakt.

Es ist deshalb ungleich angenehmer, Immoscout nach Art des notorischen Kleiderkreisels zu nutzen, also ohne wirkliche Kaufabsicht, zur reinen Befriedigung voyeuristischer Triebe. Immobilien-Apps sind das soziale Medium par excellence, das einen viel intimeren Blick in die Wohnzimmer der Republik gestattet, eben weil nicht nur Profilneurotiker ihre Häuser verkaufen wollen. Das Spektrum reicht hier von Vorsatzklinker-Bausünden über lupenreine Messie-Haushalte zu offenbar überraschend vielen Menschen einleuchtenden Wohnzimmer­fliesen. Man erkennt die eigene Kinderzimmereinrichtung wieder, bestaunt das Architekten­haus mit offenem Mauerwerk in der Essecke und träumt sich in das überteuerte Luxus­apartment am See. Die unsere asozialen Seelen kitzelnden Fragen lauten dabei stets: Wer wohnt so? Wer will, wer kann so wohnen? Warum darf ich nicht so wohnen?

Die logische Ableitung letzterer Frage stellt zumeist ein Ausweichen in Feelgood-Formate wie Houzz, Homify oder Pinterest dar. Hier ist Luxuswohnen das eigentliche Lebensziel und Walter Gropiusʼ Axiom, das Endziel aller künstlerischen Tätigkeit sei der Bau, bereits Wirklichkeit. Wobei Bau großzügig mit Design, oder schlimmer: Innenarchitektur zu über­setzen wäre. Wer die durch das fortgesetzte Tragen von Jogginghosen entglittene Kontrolle über sein Leben wiedererlangen will, setzt auf Homedecorating. Die z.B. auf Houzz verfügbaren Hinweise auf verantwortliche Handwerker und Firmen sind dabei in etwa auf dem Niveau der Beilage in »Architectural Digest« (8/20): »Die schönsten Kaufobjekte 2020«, Villa in Digne-les-Bains, 588.000 Dollar. Denn wenn die Hygge nicht kommen will, hilft immer das Geld. Die stilistische Erlösung für jedes 70er-Jahre-Reihenendhaus ist zweifellos die Gaggenau-Küche.

Wie fanatisch Haus-Fans wirklich sind, zeigt das nunmehr einundzwanzigjährige Bestehen der britischen Fernsehserie »Grand Designs«. Moderator Kevin McCloud begleitet darin Paare beim Bau ihrer Traumhäuser, kritisiert und lobt und mahnt und neckt, was eine als angenehm empfundene Entmündigung der Bauherren bewirkt, die nun McCloud, den Gott des Baus, über sich wissen und das ganze Elend nicht mehr allein schultern müssen. In eine ganz ähnliche Richtung weisen Do-it-yourself-Apps wie »heyObi«, »Hornbach«, »selber machen Magazin« oder »Heimwerker.de«, die den User (und zunehmend auch die Userin) allesamt in väterlich unterstützendem, gleichwohl forderndem Ton anreden. Das selbstgebastelte Heim ist so die preiswerte Variante des selbstkuratierten Domizils, wobei die Verbindung von Form und Funktion an beiden Enden der Skala schwächelt. Dennoch ist dies der Bereich, in dem die umfassende Verfügbarkeit von Information echte Ergebnisse zeitigt, und sei es in Form der Kurzwahl für den Notruf.

Von der Technik ist es abschließend ein kleiner Schritt zur Technologie. Sog. PropTechs versprechen, wie ein Artikel von Marianne Körber in der »Süddeutschen Zeitung« (Nr. 38/2020) nahelegt, nicht weniger als eine Revolutionierung des Realitätenbesitzes, die sich, ich fasse zusammen, auf die Bereiche Bewertung, Verwaltung und Vertrieb erstreckt. Entscheidend sind in allen drei Sparten die erhobenen Datenmengen, die, man kann es sich vorstellen, zur Steigerung der Effizienz eingesetzt werden. Ob es also um den Verkehrswert des Eigenheims geht (wie ihn die Firma Scoperty ermittelt), um die Abwicklung des Papierkrams (z.B. Mietify) oder das Angebot von Wohnraum (z.B. Airbnb), immer häufiger ersetzt Künstliche Intelligenz eine abwägende Beurteilung. Diese Entwicklung ist vor allem deshalb interessant, weil wiederum die algorithmenbasierten Vergleichswerte sichtbar machen, was bisher nur dumpf empfunden wurde: dass der Wert eines Hauses allein vom Gewinnstreben seines Besitzers abhängt. Addiert man kommunale Bodenrichtwerte und Normalherstellungskosten (NHK 2010) einer beliebigen Bestandsimmobilie, entpuppen sich fruchtbarer Grund und Massivbauweise als nachrangige Faktoren, und selbst die vielbeschworene Lage, Lage, Lage erweist sich als dehnbare Kategorie. Die KI sammelt nämlich Daten getätigter Geschäfte und kann insofern nur Ausreißer identifizieren, nicht aber der lebensfeindlichen Spekulation Einhalt gebieten.

Im Hintergrund dieser Entwicklung steht natürlich die moralneutrale Digitalisierung als solche, weil ohne sie Phänomene wie die Gentrifizierung nicht denkbar sind. Erst der massenhafte Transfer sozialer Daten erlaubt die milieufremde Abschöpfung kulturellen Kapitals, erst die Möglichkeit der adressatenlosen Präsentation verwandelt das stilvolle Heim in ein ultimatives Zeugnis guten Lebens und damit in eine massenhaft nachgefragte Ware, was die massiven Preissteigerungen erst bedingt. Aber selbst hier tut sich der oben beschriebene Riss auf, weil das präsentable Heim immer das unangetastete Heim ist. Übersteigt die häusliche Verwahrlosung die nachlässig über die Sofalehne geworfene Alpaka-Decke, muss der Status wie gesehen durch Verkaufsabsicht oder Elendstourismus legitimiert werden. Denn so gern wir das Prinzip Minecraft auf das reale Leben übertrügen, setzen doch meistens die Ressourcen unserer Vorstellung Grenzen, nicht umgekehrt. Der Wunsch, ›so zu leben‹, klammert also das ›leben‹ aus, weil es tendenziell unpräsentabel ist.

Eine Handykolumne ist sicher nicht der Ort, um über die gesellschaftlichen Aushandlungs­prozesse zu befinden. Im weiteren Kontext von Immobilien-App und aktueller Krise wird jedoch deutlich, dass die einen Probleme (keine bezahlbare Wohnung in München finden) und die anderen Probleme (sich in der Baracke neben der Fleischfabrik mit Corona infizieren) nur noch auf sehr diskrete Art zusammenhängen, obwohl sie den genau gleichen Gegenstands­bereich haben. Auch dies macht die Immo-App also sichtbar: die faktische Benachteiligung der Benachteiligten und die Nöte der digitalen Gentry fallen auseinander. Aber wer maßte sich an, darüber zu urteilen?

 

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