Ein Gewebe aus Ikonen
von Anna Seidel
30.5.2023

Patti Smiths »Buch der Tage«

„Then she reminded me of the thing that Patti Smith said, / and that Rambo (?!) said a really long time ago“, sprechsingt Riot-Grrrl-Ikone Kathleen Hanna im Song „Stepping Up To The Mic“. Jedenfalls, wenn es nach der Person geht, die sich die Mühe gemacht hat, die Lyrics des Underground-Projekts Internal/External aus Olympia, Washington, bei songmeanings.com einzutippen. Aber wie lange kann das schon her sein, fragt sich der Unbedarfte. Irgendwann zwischen 1982 (Rambo) und 2019 (Rambo Last Blood) vermutlich. Was dann genau die Schnittmenge von Patti Smith und Rambo ist, wäre zu diskutieren. Die eine ist Tomboy, Beatnik, Messias. Mit dieser Klimax beschreiben sie Joy Press und Simon Reynolds in Sex Revolts (1995). Der andere ist muskelbepackte One Man Army. Das schreibe ich hier und heute.

Die Frage führt aber ohnehin in eine Sackgasse. Wenn Kathleen Hanna von Patti Smith singt, singt sie im nächsten Satz nicht von Rambo. Es ist ein typischer Fall von misheard Lyrics. Das erklärt auch der einzige Kommentar zum Songtext geduldig und ohne Dünkel: „The ‚Rambo‘ in the first part is ‚Rimbaud,‘ the 19th century French poet (pronounced, I believe, ‚Ram-bO.‘)“

Arthur Rimbaud ist einer von Patti Smiths Helden. Sie verehrt ihn so sehr, dass sie 2017 das Grundstück in den Ardennen gekauft hat, auf dem Rimbaud aufgewachsen ist, und auch das darauf stehende Haus, das aus den Trümmern des im Ersten Weltkrieg zerstörten, des eigentlichen Hauses Rimbauds gebaut wurde. Rimbaud ist also einer der Helden Smiths. Und Smith ist eine der Heldinnen Hannas:

Then she reminded me of the thing that Patti Smith said,

and that Rimbaud said a really long time ago,

you know about the new sight, sounds and visions

created by women.

And suddenly it seemed

like everything was possible for us,

in that moment, that time

when we listened to the headphones

and heard Patti Smith say ‘Alright then let’s get to it!’

In und um Patti Smith, so könnte man nun sehr frei nach einem anderen Franzosen, Roland Barthes nämlich, sagen, flicht sich ein Gewebe aus Ikonen. Diese Ikonen manifestieren sich ganz unterschiedlich. Rimbauds Haus zu kaufen ist sicher die skurrilste Variante. Andere werden in ihren Lyrics und Büchern zitiert oder zumindest erwähnt. Manchen von ihnen erweist Smith fotografisch die Ehre. Nicht nur mit ihrer geliebten Polaroid Land 250 mit Zeiss-Entfernungsmesser. Spätestens ab 2018 fotografiert sie auch digital.

@thisispattismith heißt ihr Instagram-Handle! Seit dem ersten digitalen Gruß, der zum „Hello Everybody!“ gehobenen Hand am 20. März 2018, bespielt es die Godmother of Punk höchstselbst, deren Hand wir bekanntlich so offenkundige Hits wie „Because the Night“ (in Co-Autorschaft mit Bruce Springsteen, jaja) und so rührig-poetische Rückblicke wie Just Kids (2010) verdanken. Ihre Tochter Jesse hatte sie dazu animiert. „New sight, sound and visions“ – die Bildplattform bietet hierfür sicher eine gute Umgebung.

Der Account von Patti Smith ist, wie bei so vielen, öffentliches Tagebuch, Sammelstelle für Schnappschüsse, Fundstücke, mehr oder weniger tiefgründige Reflexionen. Kaffeetassenfotos, Katzenfotos, alles da. Dazwischen immer wieder Beweise ihrer eigenen Umtriebigkeit: Buch-Cover, Konzertplakate, Post-Show-Paraden mit ihrem Publikum. So weit, so gut.

@thisispattismith ist aber auch Verknüpfungspunkt mit Freund:innen und Familie. Was erstmal nicht sonderlich spektakulär klingt, erweist sich bei genauerer Betrachtung doch als ziemlich beeindruckendes Verweisnetz. Ein Gewebe aus Ikonen unterschiedlicher Couleur eben. Freund:innen und (Wahl-) Familie, das sind dann bei Smith so Leute wie William S. Burroughs, den sie einst anschwärmte und sich dann mit ihm befreundete, oder Johnny Depp. Wer noch lebt, hat gute Chancen, direkt von (oder mit) ihr geknipst zu werden. This is Patti Smith. This is Avant-Pop.

Alle anderen haben immerhin die Chance, mit ihren Grabstätten oder – etwas weniger morbide – mit kleinen Erinnerungsstücken, ihren Talismanen, wie Smith sie nennt, verewigt zu werden. Patti Smith fotografiert schreinartige Familienaufstellungen in ihrem Zuhause in New York City und lässt uns daran teilhaben: Ein Foto von ihrem verstorbenen Mann Fred Smith von den MC5, den sie überhaupt nur geheiratet habe, weil sie so ihren Namen behalten konnte, wie sie mal scherzt, findet sich etwa in direkter Nachbarschaft einer kleinen Jeanne D’Arc-Figur und Büchern von Samuel Beckett und W.G. Sebald.

Längst ist Smith selbst Teil von solcherlei Schreinen geworden. Und damit meine ich jetzt nicht (nur) den Instagram-Feed, in dem fast täglich ein Lebenszeichen auftaucht. Manche singen sogar von Mise en Scène featuring Ikone:

Auf dem Küchentisch

ein Gedicht von Patti Smith:

female, feel male

sie schreibt: heftig … schwach … schwelgerisch

Blumfeld singen über die Lyrik von Patti Smith, „Lass uns nicht von Sex reden“ (1992) – das Ikonen-Gewebe wird an allen Enden fortgewoben.

Kein Gedicht, aber ihr Buch der Tage, erst als Book of Days bei Penguin Random House und dann auf Deutsch bei Kiepenheuer & Witsch erschienen, können wir uns seit kurzem auf den Küchentisch legen – gern auch dekorativ für den eigenen Instagram-Feed in Szene gesetzt. Mit goldbedrucktem Umschlag und Lesebändchen macht es auch wirklich was her.

Patti Smith versammelt in ihrer neusten Veröffentlichung 366 Fotografien, die größtenteils von ihr selbst oder eben aus ihrem Privatarchiv stammen. Titel und Anzahl der Bilder lassen es schon erahnen: Es handelt sich um eine Art Kalender, ein Diarium. Manches Foto kommt der Betrachterin bekannt vor – von besagter Plattform, aber auch aus Smiths Memoiren, wie sie sich inzwischen oft reich illustriert über mehrere Bücher erstrecken.

Im Buch der Tage stehen die Fotos in einem neuen Paradigma: „Einträge und Bilder sind Schlüssel, um die eigenen Gedanken freizuschalten“, heißt es im von Smith verfassten Vorwort. Im Idealfall gilt das für Produzentin wie Rezipientin gleichermaßen. Für jeden Tag im Jahr – sogar den 29. Februar, für den alle vier Jahre auftretenden Fall – hat sie eine Fotografie ausgewählt und mit einer Bildunterschrift versehen. Die Einträge verbinden oft Historisches mit Persönlichem und werden so zu einer singulären Chronik. Am 23. September feiert Smith zum Beispiel den Geburtstag von John Coltrane. Am 24. September bekommen wir ein Foto von Fred Smiths Tenorsaxofon präsentiert: „Wir improvisierten oft zusammen auf Saxofon und Klarinette“. Sammelalbum meets Familienalbum.

Hier und da schleicht sich entsprechend stock footage ein, um einen Punkt zu machen. Historische Aufnahmen, Fotos Gleichgesinnter, deren Geburtstage gefeiert werden müssen, denen Smith aber nie begegnet ist – all dieses Material nimmt sie dann aus Bildarchiven. Das Foto von John Coltrane stammt etwa von Chuck Stewart, dessen Werk hier nur kurz und funktional aufscheint, wobei es so beeindruckend ist, dass es eigentlich einen eigenen Eintrag verdient hätte. Aber Smiths Einfluss und Ausgangspunkt für Weiteres ist hier eben Coltrane, nicht Stewart.

Auch Kurt Cobain hat Smith – zu ihrem eigenen Bedauern – nie persönlich getroffen. Trotzdem will sie mit ihren Leser:innen dessen Geburtstag am 20. Februar feiern und so blickt er uns eben mit seiner weiß-umrandeten Sonnenbrille von einem der ikonischen Schwarz-Weiß-Fotos des Szenefotografen Anton Corbijn an. Man könnte nun so weit gehen und den Tod der Autorin (Fotografin) daran ablesen – Inhalt vor Ego. Allerdings ist Smiths Zugang eben doch ein ausgesprochen idiosynkratischer, der nach ihr selbst als Knotenpunkt verlangt.

Die durch fremde Linse aufgenommenen Bilder fügen sich entsprechend ein in das Smith’sche Ikonengewebe, wie im Übrigen auch die Lesehinweise, die sie am Ende des Bandes noch gibt. Patti Smith ist noch nie schüchtern gewesen, ihre Einflüsse auch zu benennen. Einen gewissen Fimmel mit einschlägigen Daten hätte man zudem längst erahnen können. So ist das erste Mal, dass sie 1971 ihre Lyrik zu den Klängen von Lenny Kayes E-Gitarre in der Beat-bekannten St. Mark’s Church zum Besten gibt, nicht zufällig der Geburtstag von Bertolt Brecht gewesen.

„But is it lyrical genius or crap rock poetry? / I say the lineage runs Morrison, Patti Smith and me”, singen The Rapture 2006 in „Whoo! Alright – Yeah… Uh Huh.” Wo die Fäden eben hinschlängeln… „Alles ist mit allem verbunden“, sagt Patti Smith im Interview mit dem Süddeutsche Zeitung Magazin. Und sie selbst ist sicher nicht ganz unschuldig daran.

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