Der Film »Prey« spielt auf eine seltsame und spannende Art im »Predator«-Universum
Im Sommer erschien auf einem der einschlägigen Streaming-Dienste ein eher ungewöhnlicher Historienfilm: Die Geschichte der jungen Comanche Naru und ihrem tödlichen Konflikt mit einem übermenschlichen Wesen. Es ist 1719 und der Schauplatz die nordamerikanischen Steppen und Wälder, die die europäischen Siedler als „Great Plains“ bezeichnen. Das Wesen ist zuerst eine böse Ahnung, die sich Naru aus verstümmelten Kadavern und viel zu großen Fußspuren zusammenreimt. Der einzige Vergleich, der ihr gegenüber ihrem Stamm einfällt, ist Mupits – eine Märchenfigur, mit der die Comanche ihre Kinder zum Gruseln bringen.
Naru wird erst verlacht, doch bald wird das Monster für alle real, ein mordender Außerirdischer, der den Kriegern der Comanche kämpferisch überlegen ist und mit seinem Arsenal auch die Flinten der französischen Trapper weit in den Schatten stellt. Am Ende ist es Naru, die mit Cleverness und Zähigkeit das Monster besiegen kann. Als Geschichte spielt dies gewissermaßen auf zwei Registern: Für das Filmpublikum ist Narus Konfrontation mit dem Monster eine Actionstory, für die Filmfigur selbst eine Initiation, die sie innerhalb des Stammes zur Jägerin qualifiziert.
„Prey“ ist etwas, das in Hollywood in den letzten Jahrzehnten selten geworden ist: ein kleiner Genrefilm, der eine abgeschlossene Geschichte erzählt und nebenbei als gerade dies – etwas Erzähltes – reflektiert. „Prey“ setzt kein Wissen um die ausufernden Welten und Erzählstränge aktueller cinematic universes voraus, und es ist nicht gesagt, dass Naru nochmals als Filmheldin wiederkehren wird – schließlich ist gerade mit der Initiation ihre heroische Rolle abgeschlossen. Das alles stimmt aber nur halb, denn „Prey“ ist nicht weniger als der neuste Marvel-, DC- oder „Star-Wars“-Film Teil einer langlebigen Franchise: Der „Predator“-Reihe, die seit 1987 mit unterschiedlichem Anspruch und Erfolg vier Mal fortgesetzt und zwischendurch mit der Alien-Reihe hybridisiert wurde, um als „Alien vs. Predator“ Comics zwei weitere Filme und diverse Videospiele hervorzubringen.
Genrehistorisch gehört der erste „Predator“–Film zuallererst in die Reihe harter, oft fantastischer Action mit Arnold Schwarzenegger, wie sie in den 1980er Jahren zwischen „Conan“, „The Terminator“ und „Total Recall“ die Regale von Videotheken beherrschte. Ähnlich wie „The Terminator“ entwickelte sich „Predator“ zur Serie, die über eine selbst als Individuum austauschbare antagonistische Figur definiert wurde – anders als „Terminator“ kam sie schnell ohne Schwarzenegger aus.
Der Unterschied zwischen dem von Arnie dargestellten hypermaskulinen Söldner „Dutch“, der in „Predator“ 1987 vom Militärkameraden als „der Beste“ eingeführt wird, und der jugendlichen Naru, die sich selbst im Familienkreis behaupten muss, erscheint markant. Wenig überraschend fällt „Prey“ daher unter die Filme, die auf Internetplattformen vom Publikum aktuell sichtlich negativer beurteilt werden als von der professionellen Kritik – 61 zu 71 auf „Metacritic“, 72 zu 93 auf „Rotten Tomatoes“ (Metacritic 2022a; Rotten Tomatoes 2022). Ein wiederholtes Argument ist dabei, dass hier im Sinne einer „woken Agenda“ ein „winziges“, wahlweise nur „80“ oder „100 Pfund“ auf die Waage bringendes Mädchen die übermächtige Kreatur besiegt – eine Leistung, die den Ansprüchen dieser Fans an den Realismus eines fantastischen Films wohl nicht gerecht wird (Metacritic 2002b).
Ohne dieser Kritik weiteres Gewicht zu verleihen, ist „Prey“ ein interessanter Stoff, um unterschiedliche Perspektiven als Machtverhältnisse zu diskutieren. Bereits in „Predator“ entwickelt sich die Story aus dem schier unüberbrückbaren Unterschied zwischen Mensch und Monster: Nicht nur ist der ‚Predator‘ technisch und physisch überlegen, er ist auch auf eine Weise anders, die innerhalb unserer anthropozentrischen Weltsicht dem Verhältnis zwischen Tier und Mensch in umgekehrter Richtung vorbehalten ist: Die Yautja – wie diese außerirdische Spezies innerhalb der „Predator“–Franchise heißt – brauchen die Menschen gar nicht zu verstehen, da diese lediglich Beute sind. Unterscheidungen treffen sie nur danach, ob etwas es wert ist, getötet zu werden – weil es sich auf eine interessante, anspruchsvolle Weise wehren könnte und sich der gereinigte Schädel gut in der Sammlung macht. Aus der Perspektive der Yautja wären die Menschen wohl im historischen Begriffssinn ‚Barbar:innen‘ – unkultivierte Wesen, die einfach nur ‚br-br‘-Laute machen, ohne verstanden werden zu können. In einer Szene von „Predator“ hören wir, wie der Yautja das schmerzhafte Stöhnen des menschlichen Protagonisten ungefiltert wahrnimmt: Ein tierisches Quieken oder vielleicht Kleinkinderlaute.
Die kränkende Perspektive auf den Menschen herab nimmt eine neue Dimension an, wenn sie in „Prey“ vor dem Hintergrund der (patriarchal geprägten) Kolonialgeschichte erzählt wird. „Predator“ ist seit den Anfängen eine divers besetzte Reihe. Zumindest in den ersten beiden Teilen erscheint dies weniger als ein identitätspolitisches Anliegen, sondern im Sinne der üblichen Typologie des Genrefilms. In „Prey“ steht mit den Comanche nun explizit eine Gruppe im Zentrum, die selbst als ‚unzivilisiert‘ missachtet und genozidaler Gewalt ausgesetzt wurde.
Wie seriös die Produzent:innen dies nahmen, zeigt sich daran, dass sie für den Film eine Synchronfassung auf Comanche produzierten: Die Sprache, in der diese Story von ihren Protagonist:innen erzählt werden würde, die ein weißes Publikum sonst aber bestenfalls als authentischen Sound vermittelt bekommt, der weder verstanden werden kann noch soll. Dass Hollywood hierfür den fünften Teil einer ultrabrutalen Sci-Fi-Reihe brauchte, ist unerfreulich, aber passt ins „Predator“–Narrativ – ein weiterer kleiner Triumph über arrogante Hinunterblicker.
„Prey“ scheint entsprechend einen Nerv bei denjenigen zu treffen, die diskriminierende Top-Down-Perspektiven zur eigenen Selbstverortung brauchen – das zeigt die Entrüstung der reaktionären Fans darüber, dass die heroische Rolle überhaupt von der jungen indigenen Frau eingenommen werden darf. Während die Militärs, Gangster oder Cops der früheren „Predator“–Filme noch als Projektionsflächen normativer oder delinquenter Männlichkeit taugten, ist Naru jemand, auf die schon aufgrund ihrer Körpergröße herabgeschaut wird. Dabei scheint eine gegenläufige Erzählperspektive im „Predator“–Narrativ angelegt, wenn wir es von seinem Ende her als eine fatale Hierarchie der Hybris betrachten: An deren Spitze steht zwar der Yautja, darunter aber in beliebiger Reihenfolge die diversen Kriegsmänner, die sich ihm – mit oder ohne schweres Geschütz – entgegenstellen (vgl. Crow 2022).
Bereits Dutch im „Predator“ von 1987 überwältigt den Yautja dann nicht durch Körperkraft oder das moderne Arsenal, sondern indem er gleichsam mit der Umwelt verschmilzt, sich als der unwahrscheinlichste Treehugger des Spätkapitalismus schlammbedeckt an Baumstämme schmiegt und seinen Gegner in allerlei DIY-Fallen lockt. Naru nutzt ebenso die ‚natürlichen‘ Gefahren des Waldes und das arrogante Vertrauen des Yautja in seine überlegene Waffentechnologie. „Prey“ lässt sich so als wahlweise konservative oder progressive Kritik an (kultureller) Hybris interpretieren. Naru überlebt, weil ihr Verhältnis zur Umwelt intakt ist und nicht wie für den Yautja agonistisch oder wie für die Trapper profitorientiert; in einer verstörenden Szene findet Naru eine ganze Steppenlandschaft aus gehäuteten Büffelkadavern. Dies kann allegorisch in Bezug zu den Krisen unserer Gegenwart gesetzt werden, ist aber ebenso ein viel allgemeinerer Stoff.
1933 notierten US-amerikanische Ethnographen eine Kindergeschichte um Mupits, das Ungeheuer, das Naru im Yautja zu erkennen meint (Kavanagh 2008: 104-109). Hier hat Mupits eine Gruppe von Kindern entführt, die sich auf der Flucht von verschiedenen Lebewesen helfen lassen, während Mupits ein ums andere Mal an der eigenen Arroganz scheitert: So hilft Kranich den Kindern über einen Fluss, wenn sie im Gegenzug einen Floh zerkauen, der auf seinem Kopf krabbelt. Mupits ist der Floh zu bitter, woraufhin ihn Kranich ins Wasser stürzen lässt (am Ende der Geschichte wird Mupits von einem Kalb auf den Mond gekickt, nachdem er dessen Kräfte unterschätzt hat).
An der Moral hat sich also wenig verändert, eher daran, dass der erbauliche Grusel von „Prey“ nicht für Kinder gemeint ist, sondern für ein Genrepublikum, FSK 16. Dies führt zu einem letzten Perspektivwechsel, in dem der Yautja doch die Oberhand behält. Die „Predator“-Reihe ist weniger Märchen als Spektakel, genauer genommen Spezialeffekt-Kino. Der Abspann von „Prey“ erzählt die Geschichte zwar nochmals im Stil der Malerei der Comanche nach, doch das ist nur eine Endnote – die Story wird digital gestreamt, und nicht über einem illustrierten Büffelfell erzählt. Die Mittel, dank denen das Monster unsichtbar und überlegen wird, sind in der Story außerirdische Technologie, auf dem Bildschirm digitale Effekte. Naru oder Dutch mögen auf solche optischen Tricks wenig geben, doch wir vor dem Bildschirm scheinen uns allzu gerne davon überwältigen zu lassen.
Bibliographie
Crow, David (2022): What Prey Haters Fail to Grasp About the Original Predator Movie. In: Den of Geek v. 9. August 2022. https://www.denofgeek.com/movies/prey-haters-fail-to-grasp-about-original-predator-movie/ [25.09.2022].
Kavanagh, Thomas W. (Hg.) (2008): Comanche Ethnography. Lincoln, Nebraska.
Metacritic (2022a): Prey 2022. https://www.metacritic.com/movie/prey-2022 [25.09.2022]
Metacritic (2022b): PREY User Reviews. https://www.metacritic.com/movie/prey-2022/user-reviews?dist=negative [25.09.2022]
Rotten Tomatoes (2022): PREY. https://www.rottentomatoes.com/m/prey_2022 [25.09.2022]