The Queen of England
von Maren Lickhardt
8.9.2022

From human being to symbol or Coronation plus mass media is pop

[English version below]

Es war einmal eine Zeit, in der England von MonarchInnen regiert wurde. Kulturell – und man kann auch sagen: politisch – waren sie auch danach von größter Bedeutung. Ein Empire, in dem die Sonne nie unterging, bedurfte einer Figur, auf die sich alle beziehen konnten – sei es affirmativ, sei es kritisch. Und auch als die Sonne im Empire wieder unterging, konnten nicht einmal die Sex Pistols nicht auf die Queen verweisen. God save the Queen lässt sich zu jedem Rhythmus, in jeder Tonlage und mit vielfältigen Intentionen singen. Als die Band She ain’t no human being reimte, erfolgte dies mit der Absicht einer berechtigten Kritik am englischen Gesellschaftssystem, aber eigentlich lässt sich dies auch ganz wertfrei äußern: Soweit es die Öffentlichkeit betrifft, darf die Queen kein Mensch, muss sie larger than life sein.

Königin Elizabeth II. wurde in der Westminster Abbey vom Erzbischof von Canterbury nach einem Ritus gekrönt, der fast tausend Jahre alt ist. Am 2. Juni 1953 fuhr Elizabeth Alexandra Mary Windsor in der goldenen Staatskutsche in die Abtei, um diesen Ort als Elizabeth II. von England zu verlassen. Dazwischen liegt eine komplexe Zeremonie, in der das Krönungsobjekt vor Gott und einer Bibel nach einer ganzen Reihe von Versprechen, Eiden und Schwüren an das Volk, an die Regierung und an die Kirche transformiert wird.

Begleitet von der Krönungshymne Zadok the Priest von Georg Friedrich Händel wird aus einem mittelalterlichen Löffel das Öl gegossen, mit dem der Erzbischof Hände, Brust und Kopf salbt. Die Supertunica wird angelegt. Der Reichsapfel wird übergeben. Der Hochzeitsring Englands wird übergeben. Die Armreife werden übergeben. Der Leinenhandschuh wird übergeben. Am Ende hält Elizabeth das Sceptre with the Dove und das Sceptre with the Cross und damit den größten geschliffenen Diamanten der Welt, den Cullinan I, in den Händen. Dann wird die St. Edward’s Crown aufgesetzt.

Natürlich haben alle Insignien eine spezifische Funktion, aber sie verbindet vor allem eins: Sie verwandeln einen Menschen in eine Skulptur. Der leibliche Mensch verschwindet unter all diesen Zeichen und wird selbst zu einem Symbol. Alles an ihm verweist auf Gott, auf die Staatsmacht und auf das unter ihr geeinte Volk. Während sich andere Funktionen im Lauf der Geschichte verflüchtigt haben, ist das Symbol als Selbstzweck, als wichtigste Funktion geblieben.

Schon der Gang in die Westminster Abbey unter einem überlangen Umhang sieht schwer aus, und es scheint nicht leichter zu werden, nachdem die Krone dazu gekommen ist. Wie lange ist es möglich, ein ausdrucksloses Gesicht zu wahren, das eine ebenso leere Projektionsfläche sein muss wie der Körper, das aber nicht eingekleidet und geschmückt, also verhüllt werden kann, wenn die Weltöffentlichkeit, Kameras und viele Blicke minutenlang auf es gerichtet sind?

Nicht umsonst werden bei der Krönung einige Teile von Edward Elgars Pomp and Circumstance gespielt. Natürlich kann man das mit Glanz und Gloria übersetzen, und Glanz passt zu dem Schein, der von einem Symbol ausgehen muss, das ja sinnliche Qualitäten braucht, um Wirksamkeit zu entfalten. Aber es geht auch um einen Panzer oder eine Rüstung, um das, was die Person nun umgibt, was um sie herum gelegt ist – quod eam circumdat. Bis auf den kleinen Teil des Gesichts, den es zu kontrollieren gilt, sehen wir nichts mehr von diesem Menschen. Und zu Circumstance passt auch der nicht zu vergessende kontingente Umstand, dass irgendein Mensch als Mensch geboren wurde, um ein Symbol zu werden. Ohne die Inszenierung einer Oberfläche geht das nicht.

Die Queen hat sich viele Jahre danach zu der Krönungszeremonie geäußert (Interview mit Alastair Bruce für die BBC; siehe etwa hier) . Wie schwer die Krone sei. Sinngemäß hat sie dies mehrfach gesagt. Viel bemerkenswerter sind ihre Gedanken zu den Perlen: „Most pearls like to be sort of living creatures so they’ve just been out, hanging out here for years, so they’re all sad. The trouble is that pearls are sort of live things and they need warming.“ Es wäre eine unzulässige Psychologisierung, dies auf das Empfinden der Queen zu beziehen, von dem wir nichts wissen können und dürfen. Aber die eingefassten, unberührbaren Perlen spiegeln doch ihre Rolle.

Die beschriebene Zeremonie fand vor den Augen der Weltöffentlichkeit statt. Man behauptet, dass sie eines der größten Medienereignisse der Fernsehgeschichte darstellt. Das immense öffentliche Interesse an der Bildübertragung wundert nicht, wenn man bedenkt, dass Elizabeth II. von nun an Herrscherin über mehr Länder war, als ein normaler Mensch je bereisen wird. Von der BBC produziert, war diese Krönung bemerkenswerter Weise die erste länderübergreifende europäische Liveübertragung überhaupt. Elizabeth hatte dies nicht gewollt. Die Medien hatten dies erzwungen. Nur die Salbung galt als so heilig, dass sie unter einem Baldachin stattfand und nicht gesehen werden konnte.

Mit den Massenmedien wird eine öffentliche Person noch öffentlicher, und so erscheint sie wieder auf dem Boulevard, nachdem MonarchInnen zu früheren Zeiten herumgereist waren, um sich dem Volk zu präsentieren. Man banalisiert die Lebensleistung der Queen, wenn man darauf verweist, dass sie Schirmherrin für ca. 600 Wohltätigkeitsorganisationen war, dass sie Corgis mochte und als witzig galt. Angemessen ist es, darauf hinzuweisen, dass ihr Antlitz auf hunderttausenden von Porzellantassen zu sehen ist, dass sogar ihr Gesicht mittlerweile auf ihr Bild verweist und nicht ihr Bild auf ihr Gesicht.

Mediale Vermittlung bringt das Symbol nun effektiver in die ganze Welt. Die Umstände verändern sich, nicht aber die kulturelle Funktion. Und so ist es kein Wunder, dass die Queen nicht weint, als ihre ehemalige Schwiegertochter stirbt. Sie steht in der Weltöffentlichkeit als die Skulptur, zu der sie durch die Krönung geformt wurde. Das ist ihre Funktion. Das ist mehr als eine Rolle, aus der man nicht fallen darf. Mit Salbung und Krönung war sie als Mensch immer schon durchgestrichen.

Mit den Massenmedien wird die Queen Pop, nicht einfach nur weil sich die Popularität in einem allgemeinen Sinn steigert, sondern weil die ästhetische Form zugänglich gemacht wird und weil sie weitere Formungen durch die Medien erfährt. Wichtig ist, dass durch die instantane globale und schichtenübergreifende Zugänglichkeit der Bilder der Queen durch die modernen Medien ein Spectaculum geboten wird, das zunächst einmal jenseits aller Beurteilungen unmittelbar zugänglich ist.

Dass die Queen zu politischen Belangen schweigen musste, dass sie selbst nicht wählen durfte etc., ist alles Ausdruck ihrer Symbolhaftigkeit. Sie musste vor allem einfach da sein, immer wieder erkennbar sein, sich stets gleichbleiben. Damit sie gesehen werden konnte. Und es war ein ästhetisches, ein sinnliches, ein visuelles Ereignis, dass sie einfach da war und stets auf sich selbst verwies, dass alle wussten, dass sie dieselbe Blickrichtung hatten, wenn sie die Queen gesehen haben. Der Kristallisationspunkt einer kulturellen Szene gemeinsamer Aufmerksamkeit hat am Ende doch den Weg alles Irdischen gefunden, ist wieder zu einem leiblichen Körper geworden, und obwohl die Rolle bleibt und immer wieder neu ausgefüllt werden kann, wird ganz sicher lange niemand Queen Elizabeth II. an Contenance übertreffen können.

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There was a time when England was ruled by monarchs. Even afterwards they were culturally—and one could also say politically—of utmost importance. An empire on which the sun never set required a figure everyone could refer to—whether it be in an affirmative or critical way. And although the sun set again in the Empire, not even the Sex Pistols could not refer to the Queen. God save the Queen can be sung to any rhythm, in every pitch and with various intentions. When John Lydon rhymed She ain’t no human being, he intended a legitimate criticism of the British social system, however, you can also state this in a completely impartial way: As far as the public is concerned, the Queen is not allowed to be a human being. She has to be larger than life.

Queen Elizabeth II was crowned at Westminster Abbey by the Archbishop of Canterbury following a rite which is nearly a thousand years old. On June 2, 1953, Elizabeth Alexandra Mary Windsor rode in the Gold State Coach to the Abbey leaving this place as Elizabeth II of England. In between lies a complex ceremony, in which the crowning object is transformed following a set of promises, oaths and vows to God, the bible and the people.

Accompanied by the coronation anthem Zadok the Priest by Georg Friedrich Händel, the archbishop pours the oil from a medieval spoon anointing the hands, chest and head. The Supertunica is put on. The Sovereign’s Orb is handed over. The Wedding Ring of England is handed over. The Armills are handed over. The linen glove is handed over. At the end, Elizabeth is holding the Sceptre with the Dove and the Sceptre with the Cross and with that the world’s largest cut diamond, the Cullinan I, in her hands. Then St. Edward’s Crown is put on.

Of course, all of the regalia have a specific function. However, there is one thing that connects all of them: They transform a person into a sculpture. The physical human being disappears behind all these symbols and she turns into a symbol herself. Everything about her refers to God, to the power of the state and to the united people ruled by the Queen. While other functions disappeared over the course of history, the symbol as an end in itself has remained as the most essential function.

Already walking to Westminster Abbey covered by an overlong cape looks difficult. It does not seem to get any easier after the crown is added. How long is it possible for a person to maintain an impassive face, which must be an empty projection screen just like the body, but which cannot be fitted or decorated, thus covered, when the whole world, cameras and many gazes are directed onto it for several minutes?

It is not without reason that some parts of Edward Elgar’s Pomp and Circumstance are played during the coronation. Of course, this can be understood as glamour and glory. The glamour matches the sparkle which must be emitted by a symbol requiring sensuous qualities in order to be effective. However, it is also about a shield or an armour, about the thing surrounding the person, about what the person is encapsulated in—quod eam circumdat.  Except for the small part of the face which must be controlled, there is nothing left to see for us from this person. Something that also fits to the circumstance is the contingent fact which shall not be forgotten, namely that somebody was born as a human being in order to become a symbol. Without creating a surface this is not possible.

Many years after the coronation, the Queen commented on the ceremony. How heavy the crown was. She said this several times using different words. Her thoughts about the pearls are a lot more remarkable: „Most pearls like to be sort of living creatures so they’ve just been out, hanging out here for years, so they’re all sad. The trouble is that pearls are sort of living things and they need warming.“ It would be an inadmissible psychological approach if this statement was connected to the Queen’s feelings, which we neither can guess nor are allowed to know about. But, in a way, the framed, untouchable pearls do represent her role.

The whole world was watching the described ceremony. It is supposed to have been one of the largest media events of TV history. The huge public interest in the coverage is not surprising if you consider that Elizabeth II was from now on the sovereign over numerous countries—more countries than a normal person would ever visit. Produced by the BBC, this coronation was surprisingly the first live European transnational broadcast ever. Elizabeth did not want this. The media had obtained it by force. Only the anointing was considered to be so holy that it was carried out under a baldachin and could not be seen.

Mass media makes a public person even more public. This way, she reappears on the boulevard following the tradition of former monarchs who would travel around back in time to present themselves to the people on streets. The lifetime achievements of the Queen are trivialized when one mentions the fact that she was the patroness of around 600 charity organizations, that she liked corgis, and that she was considered to be funny. It is appropriate to point out that her unmistakable look can be seen on hundreds of thousands of porcelain cups; that—by now—her face refers to her portrait rather than her portrait to her face!

The media has transmitted the symbol more effectively to the whole world. Although the circumstances may be changing, the cultural function is not. Therefore, it is no surprise that the Queen did not cry when her former daughter-in-law died. In the public eye, she is the sculpture she became through the coronation. That is her function. It is more than just a role you must stick to. After the anointing and coronation, she was crossed out as a human being.

Through mass media, the Queen became pop, not only because her popularity increased in a general sense, but because the aesthetic form was made accessible and because her image was further shaped through the media. It is important that through the instant global and cross-class accessibility of the images of the Queen thanks to modern media, a spectaculum is presented which is directly accessible no matter how one may appraise it in later processes.

The fact that the Queen had to remain silent regarding political matters and that she herself was not allowed to vote etc. is an expression of her symbolism. First and foremost, she had to be there, had to be recognizable, had to remain the same in order to be seen. Her just being there and referring to herself was an aesthetic, a sensuous and a visual happening, because everyone knew that they were looking into the same direction when they were looking at the Queen. In the end, the focal point of the common attention of a cultural scene found its way to the nature of life, became a physical human body again. And although the role remains and can be filled by other people time and time again, no one will be able to surpass Queen Elizabeth II for a long time when it comes to composure.

 

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