Gelb ist das Feld – Rosa ist die blaue Blume
Leonard Nadolny & Robert Schulz
5.7.2022

Eine frühromantische Lektüre des neuen Bilderbuch-Albums

Blütenstaub / In der Luft / All mein Leben lang / Süßer Duft/ […] Niemals hab ich geliebt zuvor / Wie ich dich liebe, wenn Du mich berührst (Bilderbuch 2022i)

Ich kann nicht mehr sagen, meine Liebe oder deine Liebe; […] Wir beide werden noch einst in Einem Geiste anschauen, daß wir Blüten Einer Pflanze oder Blätter Einer Blume sind (Schlegel 1996: 13f.)

„Wir fangen also an; wir beginnen mit etwas“ (KFSA 12: 3). In diesem Jahr ist das siebte Studioalbum der österreichischen Band Bilderbuch mit dem Titel Gelb ist das Feld erschienen. In den Besprechungen werden immer wieder – anders als bei den vorherigen Alben – die Begriffe ‚Romantik‘ oder ‚romantisch‘ bemüht: So wird das Album etwa als „Neoromantik“ klassifiziert (Huß 2022; vgl. sonst auch Maneke 2022, Rüth 2022, Gretschmann 2022) oder behauptet, es sei „eine Art Zurück-zur-Natur-Album“ (Fluch 2022). Zudem jährt sich in diesem Jahr Friedrich Schlegels 250. Geburtstag, der medial und im Wissenschaftsbetrieb etwas unterrepräsentiert erscheint.

Beide hier noch als disparat nebeneinanderstehende Momente werden durch das vorangestellte Mash-Up aus den Versen des Bilderbuch-Songs „Blütenstaub“ (2022) und den Zeilen aus Friedrich Schlegels „Lucinde“ (1799) vorerst scheinbar willkürlich in Verbindung gesetzt. Durch diese Verbindung ergibt sich zwar eine noch unzureichend belegte, aber nicht zu negierende sprachliche, motivische und ästhetische Ähnlichkeit zwischen den Lyrics der österreichischen Pop-Band und dem Roman, in dem Schlegel versucht hat, seinen frühromantischen Ideen literarisch Gestalt zu geben.

How to Handle the Mash-Up

Wir wollen die Verknüpfung beider Texte zum Anlass nehmen, um (früh-)romantische Kontinuitäten und Traditionen in den Textzeilen der Songs von „Gelb ist das Feld“ zu decouvrieren, um den Texten Bilderbuchs auf den Grund zu gehen. Dadurch soll der Versuch gewagt werden, das Album romantisch zu durchdringen und diesem nicht nur – wie in den Musikkritiken – bloß das Label der Romantik anzuheften.

Man kann damit beginnen, dass der Titel des Songs „Blütenstaub“ an Novalis‘ Fragmentsammlung „Blüthenstaub“ (1798) erinnert, die dieser in der von Friedrich und August Wilhelm Schlegel herausgegebenen und für die Frühromantik programmatischen Zeitschrift „Athenäum“ veröffentlichte. Das Fragmentarische bietet ebenfalls einen Faden, der konstruktiv aufgenommen werden kann: Das fragmentarische Schreiben charakterisiert die Frühromantik, der es um eine Abkehr von einem geschlossenen systemischen Denken ging und zugleich darum, eine Potenzierung ins Unendliche und eine Unabgeschlossenheit als solche performativ zu vollziehen. Das Fragment gilt als „die eigentliche Form der Universalphilosophie“ (KFSA 2a: 209,259), denn es sei – so geht es aus dem 77. Athenäums-Fragment hervor – „zugleich ganz subjektiv […] und ganz objektiv“ (KFSA 2a: 176,77). Es verbindet in sich also konträre Momente, was Schlegel durch die romantische Ironie einholt.

Die romantische Ironie wird im Lyceums-Fragment 108 zu fassen versucht: „Sie enthält und erregt ein Gefühl von dem unauflöslichen Widerstreit des Unbedingten und des Bedingten“ (KFSA 2c: 160,108). Diese Unabgeschlossenheit blitzt auch in den elliptischen, ja fragmentarischen Texten Bilderbuchs auf: „Daydrinking / Isolation für uns zwei / Alle Tage sind so washed out / Zeig mir deine Perle, ich tauche tief / Kein rush, keine hurry/  Nur intimacy / Daydrinking“ (Bilderbuch 2022e). Hier werden auch weitere wesentliche Momente der Frühromantik angerissen: 1) Intimität zweier beteiligter Menschen („Zeig mir deine Perle“, „Nur intimacy“) oder 2) Müßiggang („Kein rush, keine hurry“).

Es ließen sich noch viele weitere frühromantische Motive und Momente benennen, denn „Gelb ist das Feld“ ist mit Versatzstücken frühromantischer Ideen durchsetzt, die nicht nur in den Textzeilen, sondern auch auf dem Cover als eine rosa Rose – nicht mehr als „blaue Blume“ (Novalis 1982: 13) – verwendet werden. Die Trivialität der Blume („denn in der Welt, in der ich sonst lebte, wer hätte da sich um eine Blume gekümmert, und gar von einer so seltsamen Leidenschaft für eine Blume hab‘ ich damals nie gehört“ (ebd.)) ist hier von Relevanz, denn die blaue Blume hätte auch gut eine rosa Blume wie auf dem Cover sein können. Entscheidend ist die Idee der Romantisierung der Welt – so „läßt sich aus einer Nußschale machen, was sich aus Gott machen läßt“ (Novalis 1965: 287,657).

An den angeführten Beispielen wird zudem ersichtlich, dass eine frühromantische Perspektivierung auf zwei unterschiedlichen Ebenen funktioniert: Zum einen auf einer Inhaltsebene (wie das Mash-Up, das Cover-Artwork oder die Motiv-Analysen zeigen), zum anderen auf einer Formebene (wie aus dem Fragmentarischen hervorgeht). Diese zweifache Betrachtungsweise folgt damit auch der frühromantischen Idee einer Vereinigung der in der Philosophiegeschichte als gegensätzlich gedachten Momente von Inhalt und Form (Schwingers 2022). Schlegels Arabeske „Lucinde“ stellt den Versuch dar, Form und Inhalt zu harmonieren.

Die Beispiele sind nicht zufällig gewählt, sondern offenbaren eine Gemeinsamkeit, mit der wir uns den Lyrics Bilderbuchs frühromantisch nähern möchten, denn diese Gemeinsamkeit, vereint in sich neben inhaltlichen Aspekten auch strukturelle Eigentümlichkeiten der Frühromantik und ist somit ein guter Ausgangspunkt: das Ideal romantischer Liebe.

Frühromantische „Reflections wie in einem Wasserhahn“

Bei Schlegel – vor allem mit Referenz auf „Lucinde“ ist die romantische Liebe eine sinnlich erfahrbare Realisierung der Idee romantischer Ironie. Und das im doppelten Sinne: 1) In trivialer Weise rezipieren Leser:innen der „Lucinde“ diese Arabeske qua optischem Sinn und können sich in weniger trivialer Weise Liebe imaginieren; 2) ist die romantische Liebe ihrer Struktur nach eine Verschmelzung von Polaritäten, also strukturanalog zur romantischen Ironie. Der Akt der Verschmelzung ist wiederum zweifach potenziert: a) „Liebe ist die Kunst des Egoismus, nur durch Liebe wird man ein Individuum“ (Schlegel 1988: 242) bei gleichzeitiger Vereinigung zweier Sich-Liebender, also zweier Egos, die erst in Verbindung miteinander sich jeweils vervollkommnen; b) im Konkreten ist die Vereinigung von ‚Mann‘ und ‚Frau‘ gemeint, wodurch weiterhin eine Binarität (re-)produziert wird.

Diese geschlechtliche Differenz ist hier grundlegend, denn durch sie funktioniert erst die Idee der romantischen Liebe. Die Auflösung der Differenz, also die Vereinigung zweier Liebender geht in der Frühromantik vollends im Androgynie-Motiv auf. Das Androgynie-Motiv bedeutet eine Aufhebung der Geschlechter durch einen Zusammenfall von dezidiert Weiblichem und Männlichem. Neben dem Ideellen akzentuiert Schlegel auch eine sinnliche, erotisch-körperliche Dimension (Schlegel 1996: 80), wodurch sich die romantische Liebe wieder durch die Einheit zweier disparater Sphären auszeichnet. Den Vereinigungsgedanken entwickelt Schlegel in „Lucinde“ anhand der Idee einer reziproken Vervollkommnung durch gegenseitige Reflexion, so heißt es in den „Dithyrambischen Fantasie über die schönste Situation“:

Eine unter allen ist die witzigste und die schönste: wenn wir die Rollen vertauschen und mit kindischer Lust wetteifern, wer den andern täuschender nachäffen kann, ob dir die schonende Heftigkeit des Mannes besser gelingt, oder mir die anziehende Hingebung des Weibes. Aber weißt du wohl, daß dieses süße Spiel für mich noch ganz andre Reize hat als seine eigenen? Es ist auch nicht bloß die Wollust der Ermattung oder das Vorgefühl der Rache. Ich sehe hier eine wunderbare sinnreich bedeutende Allegorie auf die Vollendung des Männlichen und des Weiblichen zur vollen ganzen Menschheit (ebd.: 14f.).

Der Protagonist der „Lucinde“, Julius, der in der Forschung auch mit Friedrich Schlegel identifiziert wurde, weiß, dass er „nicht mehr sagen [kann], meine oder deine Liebe; beide sind sich gleich und vollkommen Eins, so viel Liebe als Gegenliebe“ (ebd.: 13). Hieran wird auch die Dynamik der Reziprozität deutlich: Ohne reziprokes Verhältnis keine romantische Liebe und somit keine Vervollkommnung. So kann Julius auch erst durch Lucinde zur Ganzheit seiner eigenen Personalität gelangen. Lucinde wird zu einer Erlöserinnenfigur stilisiert, bleibt aber aus einer androzentrischen Perspektive auch nur eine Erlöserin für den Mann:

Er fühlte daß er diese Einheit nie verlieren könne, das Rätsel seines Daseins war gelöst, er hatte das Wort gefunden, und alles schien ihm dazu vorbestimmt und von den frühsten Zeiten darauf angelegt, daß er es in der Liebe finden sollte (ebd.: 76).

Ausgehend von diesem frühromantischen Liebesideal lassen sich in den Lyrics Bilderbuchs einige interessante Passagen ausmachen: In den fünfzehn Liedern des Albums ist in dreizehn Songs das Verhältnis des lyrischen Ich und dem direkt angesprochenen Du konstitutiv. Dass sich die Ich/Du-Struktur aus einer sinnlichen Liebe ergibt, zeigt sich zum Beispiel an folgenden Textstellen: „Bitte gib mir, gib mir / Deine Liebe“ (Bilderbuch 2022k) oder „Niemals hab‘ ich geliebt zuvor / Wie ich dich liebe, wenn du mich berührst / Ich bin da, wo du mich willst / Wie eine Blume bin ich zart zu dir/ Niemals hab‘ ich geliebt zuvor“ (Bilderbuch 2022i).

Aus diesen durch die Ich/Du-Relation strukturierten Songs geht nicht notwendigerweise hervor, dass es sich um eine Reproduktion geschlechtlicher Binarität handelt. Für diesen Aspekt sind aus einer Gender-Perspektive die drei Songs aufschlussreich, in denen die Ich/Du-Struktur aufgebrochen ist: „Ich nehm‘ mir Zeit, nehm‘ mir Zeit für mein Baby / Und mein Baby nimmt sich natürlich Zeit für mich / Alles, was sie hat, ist Liebe for rent“ (Bilderbuch 2022b; Kursivierung LN/RS). Hier wird auch wieder das reziproke Verhältnis deutlich, beide nehmen sich „natürlich“ Zeit füreinander. „Unten am Ende der Straße / Lebt ein süßes Girl“ (Bilderbuch 2022c; Kursivierung LN/RS) oder „Papa sagte, „Sohn, Leben ist ein Rollercoaster!“ / Ab und auf / Jetzt sitzt sie auf meinem Schoß und meine Welt geht / Ab und auf, und ab und auf“ (Bilderbuch 2022m).

Die Übertragung der binären Geschlechtlichkeit auf die Songs lässt sich möglicherweise als bloße Unterstellung verstehen, jedoch erhärtet sich der Verdacht mit Hinzunahme des Songs „Klima“, der sowohl einer narrativen Struktur als auch einer Ich/Du-Relation folgt: „Am Land sagt eine Lady / Zu ihrem Boy: ‚Baby, Klima verändert sich / Zwischen uns Zwei’n / Aber ich weiß nicht / If I can breathe ohne dich?‘ / Am Land sagt ein Boy / Zu seiner Lady: / ‚Baby, Klima verändert sich / Zwischen uns Zwei’n / Aber ich weiß nicht/ Krieg ich noch Luft ohne dich?‘“ (Bilderbuch 2022g; Kursivierungen LN/RS).

Doch reicht der Befund geschlechtlicher Binarität dafür aus, um zu behaupten, dass Bilderbuch in ihren Lyrics das romantische Liebesideal tradiert? Bei weiteren Reflexionen der bereits angeführten Beispiele lassen sich weitere frühromantische Tendenzen identifizieren, wodurch sich die romantischen Kontinuitäten verdichten: Intimität („Daydrinking“), Sinnlichkeit ( „Blütenstaub“), Reziprozität (Etwa in parallelen Struktur der ersten zwei Verse von „Klima“) und Progression, Wandel bzw. Sich-im-Werden-befinden („Klima“).

Die Lebens-„Welt ist in a Change“

Ausgehend vom Liebesmotiv können bei Bilderbuch weitere, zutiefst romantische Figuren wie die der Widersprüchlichkeit festgestellt werden. Das Paradoxe folgt einer Logik der frühromantischen Fragmente, in denen Schlegel sich selbst produktiv widersprochen hat (KFSA 2a: 22,168f.): Die Liebe, die im Song „Gelb ist das Feld“ beschrieben wird, ist eine Auflösung der Liebenden bzw. eine Verschmelzung beider, in der das Ich in das angerufene Du „unendlich tief hinein [sinke]“ (Bilderbuch 2022o). Doch diese Unendlichkeitsfantasie wird an anderer Stelle konterkariert oder negiert, wenn es heißt, dass „diese Welt hier […] gar nicht unendlich [ist]/ Nichts ist unendlich, das weiß jeder“ (Bilderbuch 2022b).

Neben der künstlich erzeugten Widersprüchlichkeit muss hier auch die Unendlichkeit wenigstens anerkannt und thematisiert werden, die grundlegend für die Schlegelʼsche Transzendentalphilosophie ist: „Nein, wir müssen das konstituieren, was dem entgegengesetzt ist, von dem wir abstrahiren [sic!] sollen. Wir müssen also das Unendliche schlechthin setzen“ (KFSA 12: 5).

Diese paradoxe Grundstruktur führt sich fort und blitzt in unterschiedlichen Weisen auf: So wird 1) ein Bild entworfen, in dem „die Sonne die ganze Nacht [scheint]“ (Bilderbuch 2022j); 2) die erotische Zweisamkeit in der nächtlichen Natur wird sabotiert, denn es sind „[n]ur du und ich und der Rest der Welt“ (Bilderbuch 2022d); oder 3) der performative Widerspruch „Heute bin ich nicht aufgewacht“ (Bilderbuch 2022f), der nicht sinnvoll aufzulösen ist. Denn welche Entität spricht, wenn sie nicht erwacht ist? Weitere frühromantische Motive, die nur benannt, aber nicht weiter ausgeführt werden können, wären auch im Naturmotiv (Bilderbuch 2022d), der Fantasie (Bilderbuch 2022a, 2022h), den Träumen (Bilderbuch 2022c, 2022f), der Nacht (Bilderbuch 2022j, 2022k, 2022l) oder der Pflanzenmetaphorik (Bilderbuch 2022i) zu finden.

Aber kommen wir doch noch einmal auf das Liebesideal zurück: Ein entscheidender Turn des Albums besteht darin, dass die Songs eben nicht nur eine vollkommene Liebesbeziehung beschreiben, wie es in der „Lucinde“ der Fall ist, sondern verschiedene Beziehungen werden imaginiert, wodurch Bilderbuch das romantische Liebesideal neu vermessen – nämlich unter den Bedingungen unserer gegenwärtigen (digitalisierten) Lebenswelt. So kann aufgrund der Pluralität von Beziehungsverläufen einerseits eine mit der Natur gleichursprüngliche Liebe emphatisch gefeiert werden, wie in „Nahuel Huapi“ :„Du und ich nackt im Nahuel Huapi / Schon sehr kalt, Baby, I can tell / Sterne über uns machen uns so happy / Nur du und ich und der Rest der Welt“ (Bilderbuch 2022d).

Andererseits kann eine Liebe thematisiert werden, die nur in den Träumen idealisiert wurde, jedoch eher eine episodisches Glück war als eine Vollendung beider Beteiligten („Ihr Körper keeps me spinning / Ich bin ein nasty boy (so nasty boy)/ […] All I wanted was the woman of my dreams / I’ve got it in my hands, but I cannot see / Sie geht auf ein Date / Ich geh’ auf ein Date” (Bilderbuch 2022c)). Zudem wird auch eine sich der Liebe entziehendes Ich thematisiert („Ich tu‘ die Liebe in ein Paper Bag“ (Bilderbuch 2022b)), ebenso werden aber auch SM-Fantasien mal mehr, mal weniger offen angerissen („Sex mit dir Tag und Nacht, ich hab‘ die Fantasie / Atme die Luft aus dir, ich zieh‘ mir Leder an / Ich hab‘ so viel Ideen, Baby, dass du es weißt“ (Bilderbuch 2022h); oder „Gib mir Befehle / Ich geh‘ nieder / Gib mir Namen“ (Bilderbuch 2022k)). Es scheint, dass sich das „Klima verändert“ (Bilderbuch 2022g) zwischen den Liebenden, daher ist es nicht verwunderlich, dass konstatiert wird: „Meine Welt ist in a shake/ […] Diese Welt ist in a change“ (Bilderbuch 2022j).

Wandel ist natürlich auch wieder ein genuines Element der Frühromantik. „Die romantische Poesie ist eine progressive Universalpoesie“ und eben „noch im Werden; ja das ist ihr eigentliches Wesen, daß sie ewig nur werden, nie vollendet sein kann“ (KFSA 2a: 116,182f.). Auch Bilderbuchs Lyrik befindet sich im doppelten Sinne im Werden: 1) Mit Blick auf die zwei ersten Alben, die eine Kontrastfolie zu den darauffolgenden fünf Alben bilden, wird deutlich, dass die Sprache Bilderbuchs sich stets entwickelt. Das zeigt sich etwa an der Vermischung der deutschen Sprache mit österreichischer Intonation und englischen und auch spanischen Versatzstücken. 2) Aufgrund der neuen Technologien ergeben sich – wie an den Songtexten deutlich wird – auch neue Potenziale der Liebe, die romantisiert werden können. Diese Potenziale reichen vom Sich-der-Liebe-Versagens („Blockte deine Nummer seven days ago / Wohin ich will and what it’s all about (I don’t know)“ (Bilderbuch 2022l)) bis zum Aufrechterhalten einer Liebe auf Distanz: „Keine Distanz zwischen uns ist weit genug/ Flüster nur meinen Nam’n/ Durch dein Display/ Und ich bin da, wo immer du bist, bin ich da/ […] Unendlich weit zwischen deiner und meiner Welt“ (Bilderbuch 2022n).

Hier wird sogar die technologische Innovation – im Konkreten das Smartphone – zu einem Kulminationspunkt frühromantischer Motive: In ihm schlägt Distanz in Nähe um. Das Medium „Mobilephone“ wird leitmotivisch, es aktualisiert die romantische Liebe hinsichtlich neuer Möglichkeiten, die zu Schlegels oder Novalisʼ Zeiten undenkbar gewesen wären, eröffnet aber auch gleichzeitig die Einsicht, dass eine romantische Liebe unter den digitalen Voraussetzungen nicht mehr im Sinne der Frühromantik funktioniert: Durch die Digitalisierung und die damit einhergehende Verfügbarkeitslogik wartet man auf „Vibrations“, „die dich zurück zu mir bringen“ (Bilderbuch 2022f). Dabei „brennt ein Feuer tief“, das nicht mehr gefühlt werden kann, jedoch soll das lyrische Ich „dann an Liebe overdose“ sterben (ebd.).

Romantische Liebe „ist just Fiction“

Doch nicht nur in Bezug auf neue Medien transportieren Bilderbuch romantische Liebesmotive in das 21. Jahrhundert. Auch auf einer inhaltlichen Ebene schreibt sich die Band in diesen Diskurs mit ein und re-aktualisiert die romantischen Potenziale in einer radikal veränderten Lebenswelt. Denn die Band ist sich, so scheint es zumindest, bewusst, dass innerhalb einer durch fortschreitenden Verwissenschaftlichung entzauberten Welt nicht mehr so bedingungslos geliebt werden kann. Folglich singen Bilderbuch auch: „Liebe […] just fiction, nur Fantasie“ (Bilderbuch 2022a) und es wird zurecht gefragt: „War es Liebe oder sweet co-dependency?“ (Bilderbuch 2022f).

Folgt man der Soziologin Eva Illouz, so gilt auch für die Liebe, dass sie sich der alles umfassenden kapitalistischen Verwertungslogik anpasst. Sie wird zu einem Produkt auf dem Liebesmarkt, auf dem neben der Liebe selbst auch die Liebenden von Angebot und Nachfrage bestimmt sind. Und so ist sich der*die Liebende auf einmal unsicher, ob tatsächlich Liebe vorliegt oder nur eine produktive wechselseitige Abhängigkeit, die sich irgendwie „sweet“ anfühlt. Auch die Waren, die den Konsum zwischenmenschlicher Romantik möglich machen, werden von Bilderbuch zum Beispiel im Song „Nahuel Huapi“ angesprochen: „High-Waist-Jeans und exotic Restaurants/ Sind die Dinge, die dir wichtig sind“ (Bilderbuch 2022a).  In „Consuming the Romantic Utopia“ stellt Illouz ausführlich dar, inwiefern solche durch mediale Diskurse innerhalb der kapitalistischen Gesellschaftsordnung strukturierten Waren überhaupt erst die Kategorien oktroyieren, mithilfe derer man über die Liebe nachdenken kann.

In „Warum Liebe endet“ erklärt Illouz auch – mit ausdrücklichem Verweis auf Karl Marx – eine ihrer Hauptthesen: „Wenn wir lieben oder schmollen, dann tun wir dies, indem wir auf Ressourcen zurückgreifen und uns in Situationen befinden, die wir nicht selbst gemacht haben […]“ (Illouz 2019: 29). Und gleichzeitig scheint das Wissen über eben diese sozialen Verhältnisse heute fast ubiquitär. Denn das oben zitierte Lied geht dann auch weiter: „Offеne Wunden von toxic Relationships/ Wе can talk about everything“ (Bilderbuch 2022f). Alles wird antizipiert, erklärt, durchtherapiert. Aus einer frühromantischen Perspektive könnte hier noch konstruktiv auf das programmatische Gedicht „Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren“ von Novalis hingewiesen werden, das einer durch die Aufklärung rationalisierte Welt kritisch gegenüber steht, wenn es heißt: „Wenn die, so singen oder küssen, / Mehr als die Tiefgelehrten wissen/ […] Wenn dann sich wieder Licht und Schatten, / Zu ächter Klarheit werden gatten“ (Novalis 1977: 360).

Da alles, zumindest theoretisch, gewusst und erklärt werden kann, ist eben auch alles entzaubert. Die Folge ist nun keineswegs ein fatalistischer Zynismus, der die Liebe nicht ernst nimmt oder sich dieser verweigert. Vielmehr müssen die Schäden, die das Konzept der Liebe seit der Romantik erlitten hat, eben mitgedacht werden und eben doch alles versucht werden. Im letzten Lied des Albums heißt es: „Liеbe ist ein Tunnel / Wir geh’n durch / Und du gibst mir alles, was du kannst / Und ich geb‘ dir alles, was ich kann / Wer, wenn nicht wir? /Feststeht, wir sind zwei“ (Bilderbuch 2022o).

 

Literatur

Bilderbuch (2022a): Bergauf. https://genius.com/Bilderbuch-bergauf-lyrics [27.06.2022].

Bilderbuch (2022b): For Rent. https://genius.com/Bilderbuch-for-rent-lyrics [27.06.2022].

Bilderbuch (2022c): Dates. https://genius.com/Bilderbuch-dates-lyrics [27.06.2022].

Bilderbuch (2022d): Nahuel Huapi. https://genius.com/Bilderbuch-nahuel-huapi-lyrics [27.06.2022].

Bilderbuch (2022e): Daydrinking. https://genius.com/Bilderbuch-daydrinking-lyrics [27.06.2022].

Bilderbuch (2022f): Schwarzes Karma. https://genius.com/Bilderbuch-schwarzes-karma-lyrics [27.06.2022].

Bilderbuch (2022g): Klima. https://genius.com/Bilderbuch-klima-lyrics [27.06.2022].

Bilderbuch (2022h): Baby, dass du es weißt. https://genius.com/Bilderbuch-baby-dass-du-es-weit-lyrics [27.06.2022].

Bilderbuch (2022i): Blütenstaub. https://genius.com/Bilderbuch-blutenstaub-lyrics [27.06.2022].

Bilderbuch (2022j): I’m Not Gonna Lie. https://genius.com/Bilderbuch-im-not-gonna-lie-lyrics [27.06.2022].

Bilderbuch (2022k): Golden Retriever. https://genius.com/Bilderbuch-golden-retriever-lyrics [27.06.2022].

Bilderbuch (2022l): La Pampa. https://genius.com/Bilderbuch-la-pampa-lyrics [27.06.2022].

Bilderbuch (2022m): Ab und Auf. https://genius.com/Bilderbuch-ab-und-auf-lyrics [27.06.2022].

Bilderbuch (2022n): Zwischen deiner und meiner Welt. https://genius.com/Bilderbuch-zwischen-deiner-und-meiner-welt-lyrics [27.06.2022].

Bilderbuch (2022o): Gelb ist das Feld. https://genius.com/Bilderbuch-gelb-ist-das-feld-lyrics [27.06.2022].

Fluch, Karl (2022): Neues Bilderbuch-Album: Škoda statt Lamborghini. In: Der Standard v. 06. April. https://www.derstandard.de/story/2000134700603/neues-bilderbuch-albumskoda-statt-lamborghini [27.06.2022].

Gretschmann, Nina (2022): Bilderbuch – Gelb ist das Feld. In: schauinsblau. https://www.schauinsblau.de/bilderbuch-gelb-ist-das-feld/ [27.06.2022].

Huß, Hannes (2022): Softrock und Liebe statt Sex. Bilderbuch sind ganz bei sich. In: laut.de v. 08. April. https://www.laut.de/Bilderbuch/Alben/Gelb-Ist-Das-Feld-118158 [27.06.2022].

Illouz, Eva (2003): Der Konsum der Romantik. Liebe und die kulturellen Widersprüche des Kapitalismus [Consuming the romantic utopia (1997)]. Frankfurt a. M./New York.

Illouz, Eva (2019): Warum Liebe weh tut. Eine soziologische Erklärung [Why love hurts (2011)]. Berlin.

Jakob, Christian (2022): Ursprünge der Impfskepsis. Eine deutsche Besonderheit. In: taz v. 20. Dezember. https://taz.de/Urspruenge-der-Impfskepsis/!5818070/ [27.06.2022].

Maneke, David (2022): Bilderbuch – Gelb ist das Feld. In: Neolyd v. 11. April. https://www.neolyd.com/news-kritiken/bilderbuch-gelb-ist-das-feld/ [27.06.2022].

Novalis (1965): Fichte Studien. In: ders.: Schriften. Zweiterband. Das philosophische Werk I. Hg. von Richard Samuel. 2. Aufl. Darmstadt, S. 104–296.

Novalis (1982): Heinrich von Ofterdingen. Hg. v. Jochen Hörisch. Frankfurt/M.

Novalis (1977): Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren. In: ders.: Schriften. Erster Band. Das dichterische Werk. Hg. von Paul Kluckhohn und Richard Samuel. Stuttgart, S. 360.

Perlwitz, Ronald (2014): Die Musik im Spiegel frühromantischer Poesie. In: Études Germaniques 275/3, S. 387–403.

Rüth, Steffen (2022): Die Band Bilderbuch ist im Sog der Gefühle. In: Redaktionsnetzwerk Deutschland v. 24. April. https://www.rnd.de/kultur/gelb-ist-das-feld-von-bilderbuch-fuer-das-siebte-album-nach-patagonien-OSZYC62NLJFNJMF54A3UD7WMBY.html [27.06.2022].

Schlegel, Friedrich (1967): Athenäums-Fragmente. In: ders.: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 2. Charakteristiken und Kritiken I 1796–180. Hg. von Hans Eichner. München/Paderbon/Wien, S. 165–255. (=KFSA 2a)

Schlegel, Friedrich (1988): Aus den Heften zur Poesie und Literatur (1796–1801). In: ders.: Kritische Schriften und Fragmente in sechs Bänden. Studienausgabe. Hg. von Ernst Behler und Hans Eichner. Bd. 5. Paderborn/München/Wien/Zürich, S. 163–268.

Schlegel, Friedirch (1967):  Gespräch über die Poesie“. In: ders.: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 2. Charakteristiken und Kritiken I 1796–1801 Hg. von Hans Eichner. München/Paderbon/Wien, S. 284–351. (=KFSA 2b)

Schlegel, Friedrich (1996). Lucinde. Stuttgart.

Schlegel, Friedrich (1967): Lyceums-Fragmente. In: ders.: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 2. Charakteristiken und Kritiken I 1796–1801. Hg. von Hans Eichner. München/Paderbon/Wien.1967, S. 147–163. (=KFSA 2c)

Schlegel, Friedrich (1964): Transzendentalphilosophie. In: ders.: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 12. Philosophische Vorlesungen 1800-1807. Erster Teil. Hg. von Jean-Jacques Anstett. München/Paderbon/Wien, S. 1–105. (=KFSA 12)

Schwingers, Reinhold (2022): Form und Inhalt. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie online. [27.06.2022]. DOI: 10.24894/HWPh.108.

Weber, Max (2002/1919): Wissenschaft als Beruf (1919). In: ders.: Schriften 1894–1922. Ausgew. und hg. von Dirk Kaesler. Stuttgart, S. 474–513.

 

 

Schreibe einen Kommentar