Castingshows: Die Instagrammisierung von »Germany’s Next Topmodel«
von Annekathrin Kohout
24.5.2021

Geläuterte Influencerin

Wie ein Mahnmal weilt das ehemalige Instagram-Profil @lifeofromi der aktuellen „Germany’s Next Topmodel“-Finalistin Romina Palm auf Instagram. Ein Influencerinnen-Bilderbuch, mit Fotos von ‚Healthy Food‘, Reisen an touristische Hotspots, der Fitness-Routine, sexy Posen am Strand oder gestylt im Alltag – dazu die etablierten Hashtags #fashioninspo, #outfitoftheday, #fashionblogger usw. Bleiben die Motive von 2017 bis zum letzten und das Profil abschließenden Beitrag im Dezember 2020 weitgehend gleich, kann man dem äußeren Erscheinungsbild von Romina eine Entwicklung entnehmen, die dann während der Castingshow zum Alleinstellungsmerkmal der GNTM-Kandidatin wurde: wie sie den Schattenseiten des Sozialen Netzwerks durch Überanpassung an vorherrschende Konventionen und mittels diverser Schönheitseingriffe (aufgespritzte Lippen, vergrößerte Brüste, voluminöser Hintern) erst zum Opfer fiel, sich dann davon emanzipierte und schließlich während und – dank – GNTM wie ein Phönix aus der Asche aus dieser Geschichte hervorging. Dieser Phönix ist Protagonistin des zweiten Kapitels von Rominas Instagram-Leben, das nicht mehr auf dem Profil @lifeofromi, sondern auf @romina.gntm.2021.official stattfindet und durch die im Umstyling erworbenen roten Haar signalhaft erkennbar ist.

Dass Instagram und Influencer-Marketing die Modewelt verändert haben, weiß Heidi Klum bereits seit mehreren Staffeln regelmäßig zu bekräftigen, aber in keiner zeigten sich die Folgen dieser Entwicklung so umfassend wie in der aktuellen. Das aus den Sozialen Medien vertraute Zauberwort „Diversity“, einst bei GNTM durch den Juror Michael Michalsky eingeführt, der sich stets damit rühmte, das „Team Diversity“ anzuführen, wurde nun zum Motto der gesamten Staffel. Mit sehr viel Nachdruck haben nicht nur Heidi Klum und ProSieben, sondern auch die Kandidatinnen hervorgehoben, dass der formulierte Anspruch in diesem Jahr auch wirklich eingelöst würde, getragen von Frauen, die nicht nur ‚einzigartig‘ sind, sondern sich auch wohl damit fühlen.

Schon in früheren Jahren gab es Transfrauen und Plus-Size-Models, aber sie wurden immer hadernd gezeigt, haben sich selbst als defizitär angesehen und das auch nicht verbergen können. Jetzt hat sich die Rhetorik hingegen geändert: Neben dem Schlagwort „Diversity“ hat sich auch die Strategie des Empowerments aus den Online-Netzwerken hinaus in die Welt der TV-Castingshows ausgeweitet. Das zeigte sich besonders in den 1,5-minütigen Reden, die die Kandidatinnen im Halbfinale vorzutragen hatten: Selbstbewusst und stolz wurden Selbstbewusstsein und Stolz verkündet. Niederlagen im Leben und bei GNTM wurden als gemeistert, hinter sich gelassen und daraus gestärkt hervorgegangen gewürdigt. Doch diese Würdigung, das ist den teilweise schlauen Kandidatinnen bewusst, dürfen sie keinesfalls nur sich selbst zukommen lassen, sondern vor allem ‚denen da draußen‘, den Zuseher:innen vor den Geräten. Und zwar insbesondere denjenigen, die einer der „Randgruppen“, als deren Repräsentantinnen sich die Kandidatinnen bei der Anschlussendung „RED“ am 20.5. selbst bezeichnet haben, angehören und entsprechend mit ähnlichen Problemen konfrontiert sind. Diese Models, so lernen wir Zuschauer:innen, sind nicht nur „Mädels mit Personality“, sondern Botschafterinnen.

GNTM wurde bislang nicht gerade mit High Fashion assoziiert, das zeigte sich einmal mehr an den diesjährig ausbleibenden Kooperationen. Erstaunlich wenig Designer und Labels aus Berlin – wo die Staffel Corona-bedingt stattgefunden hat – trauten sich, mit GNTM in Verbindung gebracht zu werden (mit Ausnahmen wie Kilian Kerner, bei dem passierte, was wohl einige seiner Kolleg:innen fürchteten, nämlich dass er fortan zwar einem breiten Publikum bekannt – und überraschenderweise beliebt –, aber für immer mit GNTM assoziiert sein wird). Besonders den Models prognostizierte man keine Karrieren auf den Laufstegen von High Fashion Labels, wie auch Heidi Klum immer schon die popkulturelle Seite der Modewelt verkörperte, die doch eigentlich weniger Model als vielmehr Entertainerin und Unternehmerin sei. 

Doch dann kamen die Sozialen Medien und haben eine Position geschaffen, die die Model-Entertainerin in der kulturellen Hierarchie aufsteigen ließ: die Influencerin. Dank Rominas Geschichte lernt man viel über die Influencerin, eine der „wichtigsten Sozialfiguren des digitalen Zeitalters“ wie jüngst Ole Nymoen und Wolfgang M. Schmitt in ihrem kulturkritischen Buch „Influencer: Die Ideologie der Werbekörper“ feststellten.[1] Doch nicht nur in der zynisch-misogynen Suhrkamp-Publikation[2] wird deutlich, dass Influencerinnen trotz der zum Teil erstaunlichen Popularität, verifiziert durch schwindelerregende Followerzahlen und Kooperationen – ja, man kann auch sagen: der Anzahl an „Jobs“ –, keine Anerkennung seitens der High Fashion oder der Hochkultur insgesamt erhalten. Denn Influencer, so Nymoen und Schmitt hätten nicht nur eine ökonomische Macht, sondern auch eine ideologische, die „zu einer bedenklichen kulturellen wie politischen Beeinflussung ihrer Follower-Scharen eingesetzt wird.“[3] Dabei seien sie aber gar nicht authentisch, sondern trügen ja nur eine „Authentizitätsmaske“[4] – eine Erkenntnis, die seit Jahren von den Influencerinnen selbst reflektiert und kritisiert wird. 

Für eine solche Selbstreflexion ihrer eigenen Rolle als Influencerin steht jedenfalls Romina. Während in dieser Staffel jede Kandidatin Protagonistin eines eigenen Entwicklungsroman ist, Soulin eine Flucht aus Syrien überstehen musste, Alex Mariah ihre Geschlechtsangleichung, Dascha das Mobbing durch Mitschüler:innen wegen ihres Gewichts, handelt Rominas Geschichte vom Aufstieg, Fall und der Ermächtigung einer Influencerin (was ein wenig an Amalia Ulmans Performance „Excellences and Perfections“ von 2014 erinnert). In ihrer Rede im Halbfinale stilisiert sie sich schließlich als jener Phönix, dem es dank der neuen roten Haare gelang, elegant aus der Asche emporzusteigen. Das Umstyling wird zum dramaturgischen Wendepunkt in Rominas-GNTM-Geschichte erklärt, das sie zunächst in eine Krise stürzt, aus der sie aber schließlich gestärkt hervorgeht. 

An Romina lässt sich besonders gut beobachten, wie gegenwärtige TV-Castingshows längst nicht mehr nur die Sendung selbst skripten, sondern wie auch die Auftritte in den Sozialen Medien zum Teil der in der Sendung entwickelten Erzählstränge werden. Das ist nicht zuletzt der multiplen Rezeption von aktuellen TV-Sendungen geschuldet, deren Zuschauer:innen nie nur die Sendung sehen, sondern sich darüber auch gleichzeitig in den Sozialen Medien austauschen und/oder – zumindest bei einer konsumorientierten Sendung wie GNTM – dabei noch online shoppen (als Banner oder in den Werbepausen wird darauf hingewiesen, dass ein Einkaufsgutschein für den Partner „About You“ nur während der Sendung gültig ist).

Wie wichtig die Sozialen Medien für die einzelnen Erzählstränge der Castingshow sind, kann an Romina ebenfalls gut gezeigt werden. Beginnend bei einem gezielt gesetzten Instagram-Kommentar, das vom Profil Heidi Klums am 21. Juli 2018 unter einem Posting der zukünftigen Kandidatin hinterlassen wurde: „….Du hast schöne Fotos …. mach doch bitte mal ein Video für mich.☺️❤️“ Dieser Kommentar wurde dort sicher nicht nur als Anwerbung von Romina hinterlassen, die auch privat hätte angeschrieben werden können und das vielleicht ja auch wurde, sondern für die zukünftigen Fans von Romina und in dem Wissen, diese würden bei Ausstrahlung der Sendung im Jahr 2021 ihr Profil durchforsten. 

Auch interessant ist, dass der Kommentar gesendet wurde, als Romina noch keine Lippen- und Brustvergrößerung durchführen ließ, was im radikalsten Fall bedeuten könnte, dass auch ihre Leidensgeschichte zumindest teilweise geskriptet ist: Jedenfalls waren die Brüste im Sommer 2020 und noch kurz vor Beginn der neuen Staffel wieder verschwunden, was es ihr ermöglichte, als geläuterte Influencerin in den Unterhaltungsmodel-Himmel aufzusteigen.

Egal was geskriptet wurde und was nicht: Angekommen in der Welt der Models können Romina und mit ihr die Zuschauer:innen retrospektiv auf die Licht- und Schattenseiten des Influencer-Marketings blicken. Mitreißend berichtet sie vom Druck, dazugehören zu wollen, sich an die ästhetischen Konventionen nicht nur der Plattform, sondern vor allem an die Schönheitsideale derer, die darauf vertreten sind, anzupassen. In den die Castingshow dauerhaft begleitenden Interviews mit den Kandidatinnen stellt Romina diesen Prozess mit einer gewissen Unsicherheit und daher sehr glaubhaft sowie unter Rückgriff auf das übliche Sprechen über Influencertum als Entfremdung oder mehr noch als Verleugnung der ‚echten‘ Person dar. So sei sie doch eigentlich eher schmächtig und zurückhaltend – und damit das Gegenteil einer Instagram-Persönlichkeit.

Doch auch die positiven Seiten des Influencer-Daseins werden in der aktuellen Staffel sichtbar: Erfahrung und Professionalität. Nicht nur thematisch (Diversity, Aktivismus), sondern auch praktisch zeigen sich die Auswirkungen der Sozialen Medien auf die Erwartungen an Castingshow-Teilnehmer:innen. Längst nicht mehr ist die Rede davon, dass Models den Anweisungen von Fotograf:innen und Redakteur:innen zu folgen haben – nein, sie müssen ihnen etwas „anbieten“! Romina konnte dank ihrer Erfahrungen als Influencerin dann oft auch sehr viele gute Posen anbieten und wurde dafür eigens gelobt. Seit einigen Staffeln nehmen zudem Challenges zu, in denen sich die Kandidatinnen selbst stylen, schminken und sich dabei als kreativ und originell erweisen müssen. 

Dass die Kandidatinnen diesbezüglich auch viel Kompetenz besitzen, ist nicht nur den Performances von Romina zu entnehmen, sondern mehr noch der Selbstgestaltung Soulins, die nicht nur durch ihre exzentrisch-artifiziellen Posen auffällig geworden ist, sondern auch beim Stylen ihrer Haare beim Casting für das Haargummi-Unternehmen „Invisibobble“ oder beim selbst entworfenen Make-up für das sogenannte „Nackt-Shooting“. Während die aus Syrien stammende Kandidatin ihr Gesicht natürlich schminkte, zeichnete sie eine feuerrote, man kann durchaus sagen ‚Line of Beauty and Grace‘ über ihre linke Körperhälfte. Damit wollte sie wiederum auszudrücken, dass sie durch dieses Shooting in einen Konflikt mit ihrer Herkunft gerät, da die eingeforderte Freizügigkeit von Frauen von der syrischen Gesellschaft wenig bis gar nicht akzeptiert wird. Dass ihr Statement wiederum unter den Kandidatinnen zu Diskussionen über die negative Darstellung von arabischen Ländern in der westlichen Welt führte, zeigt, dass vom Stereotyp des dümmlichen, interesselosen, aber schönen Models nicht mehr viel übrig ist. Von Puppen, als solche sich die Kandidatinnen noch im „Dolls Walk“ im Finale der Jubiläumsstaffel 2015 selbst inszenieren mussten, kann hier jedenfalls keine Rede mehr sein.

Anmerkungen

[1] Ole Nymoen, Wolfgang M. Schmitt (2021): Influencer. Die Ideologie der Werbekörper. Berlin: Suhrkamp, S. 7.
[2] Claas Mark (2021): Verachtungsanalyse – Herablassung gegenüber Influencern als intellektuelle Pose, in: 54 Books  (https://www.54books.de/verachtungsanalyse/#more-12529)
[3] Nymoen, Schmitt S. 8.
[4] Ebd. S. 9.

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