Über ASMR (Autonomous Sensory Meridian Response)
von Maren Lickhardt
10.8.2020

Wellness-Demokratisierung im Netz oder medialisierte Sinnlichkeits-Industrie

[aus: »Pop. Kultur und Kritik«, Heft 15, Herbst 2019, S. 144-151]

In der zweiten Staffel der in Kalifornien spielenden Serie »Santa Clarita Diet« (2018) droht Abby Hammond der Ausschluss aus der Schule, weil sie einem Mitschüler ein Serviertablett ins Gesicht geschlagen hat. Die Serie geht der Frage nach, was wäre, wenn alle mal ihren Neigungen und Wünschen folgten, sich also ›authentisch‹ verhielten. Nicht alle würden dadurch zu guten Menschen, aber für die Familie Hammond wirkt diese Vorgabe befreiend. Abby hat das Tablet im Sinne der Serie zu Recht eingesetzt, um Mitschüler*innen vor einem Mobber zu schützen: Ein gewisses Maß an Aggressivität verleiht dem Leben nicht nur ganz neuen Drive, sondern kann sogar die Welt verbessern. Natürlich soll der Konformitätsdruck – stets lächeln zu müssen – im sonnigen Kalifornien demontiert werden.

Interessant ist daran, welches alternative Lebensmodell die Schläger-Tochter ihrem Vater vorstellt: »Grace Finsler got expelled and now she is homeschooled and has 200.000 YouTube followers. And all she does is whispering ingredients from cereal boxes.« Der Vater schaut ratlos; er steht damit wahrscheinlich nicht ganz allein, sondern spiegelt das Informationsbedürfnis ahnungsloser Zuschauer*innen. Abby führt weiter aus – und dies klingt nicht weniger kryptisch-absurd: »She whispers ingredients into a camera. It is a non-sexual fetish. It pays her parents’ mortgage.« Der Vater konstatiert trocken: »If it pays her parents’ mortgage it is a sex thing.«

Dass Grace Finslers Geschäftsmodell so gar nicht zu der neu entdeckten gewaltintegrierenden Lebensweise der Hammonds passen will, ist vielleicht für einige – hunderttausend- bis millionenfach – Eingeweihte sofort einsichtig, die wissen, worum es geht, und sich deshalb nun nicht vorstellen können, wie Abby sanft lächelnd, betulich blickend, Worte in eine Webcam, also zu einem Publikum flüstert. Die Eingeweihten verstehen nämlich die Ironie, die darin liegt, dass Abbys gewaltsamer Einsatz eines Serviertabletts sehr weit von Grace Finslers Einsatz einer Cornflakes-Packung entfernt ist. Ich hingegen musste googeln, um eine Vorstellung zu erhalten, wovon die Rede ist, und habe herausgefunden: Abby spricht von ASMR – Autonomous Sensory Meridian Response.

Seriöse Quellen im Sinne medizinischer und psychologischer Forschung finden sich bloß einige neuere, die bislang kaum fachinterne Evaluation erfahren haben. Demnach handelt es sich bei ASMR – wie Emma L. Barratt und Nick J. Davis in ihrem Aufsatz »Autonomous Sensory Meridian Response (ASMR). A flow-like mental state« im März 2015 auf peerj.com schreiben – um ein »previously unstudied sensory phenomenon, in which individuals experience a tingling, static-like sensation across the scalp, back of the neck and at times further areas in response to specific triggering audio and visual stimuli. This sensation is widely reported to be accompanied by feelings of relaxation and well-being. The current study identifies several common triggers used to achieve ASMR, including whispering, personal attention, crisp sounds and slow movements«. Seit den 2000er Jahren wird das Phänomen diskutiert, wobei man sich erst zu Beginn der 2010er Jahre auf den Begriff ASMR einigen konnte. Einen amerikanischen Wikipedia-Artikel gibt es seit 2011; einen deutschen seit 2014. In den USA wurde der Artikel bis Januar 2019 etwa zehn Millionen Mal aufgerufen; in Deutschland etwa eine Million Mal.

Man hätte aber auch über Clemens Setz auf das Phänomen aufmerksam werden können, der bereits 2015 in seinem Artikel »High durch sich räuspernde Menschen« (»SZ«, 07.04.2015) neben einem wunderbaren Bezeichnungsvorschlag – »geräu« – eine ausgezeichnete Beschreibung lieferte: »Manchmal tat ich so, als würde ich etwas lesen, aber in Wirklichkeit saß ich einfach da und genoss die Geräuschkulisse. Das Umblättern, das leise Kratzen von Bleistiften, das vorsichtige Wühlen in einer Handtasche. Diese herrlichen Menschengeräusche versetzten mich in einen Zustand, der erst einige Jahre später einen offiziellen Namen erhalten sollte. Es lief immer gleich ab: Auf meiner Kopfhaut begann ein angenehmes Spannungsgefühl, das dann über den Nacken langsam hinunterwanderte, verbunden mit einem Bewusstsein gesteigerter Konzentration. Ich wurde ein wenig high. Der stärkste Trigger im Lesesaal war das Räuspern von Menschen, die wussten, dass ihr Räuspern durch die Akustik des Raums amplifiziert wurde und es deshalb so sanft wie möglich machten. Für gewöhnlich blieb ich so lange sitzen, bis sich das Gehirnkribbeln ausgebrannt hatte.« Achten Sie mal auf das »geräu« in einer Bibliothek und darauf, ob es ›Gehirnkribbeln‹ in Ihnen auslöst, ob der Reiz bei Ihnen also eine ASM-Response hervorruft!

Offenbar sind nicht alle Menschen empfänglich für bzw. fähig zu ASMR. Selbst unter den ASMR-Fähigen trifft man auf große Unterschiede: Für sie gibt es ein weites Spektrum möglicher Trigger, die zudem verschieden wirken. Nicht-Clemens-Setzlinge vertrauen weniger auf den dem »geräu« eigenen sanften Klang und seine abgeschwächte Ähnlichkeit zum Geräusch und ringen darum, das Phänomen zu verbalisieren. Oft wird ein Begriff bemüht, der Medien-, Literatur- und Kunstwissenschaftler*innen bekannt sein dürfte: die Synästhesie. Es geht um das Mit- und Zugleicherfahren verschiedener Wahrnehmungsmodalitäten. Ein sinnlicher Stimulus aus dem Bereich des Akustischen kann beispielsweise eine Farbwahrnehmung triggern. Sieht man einmal von einigen wenigen Synästhetiker*innen ab, die nicht selten pathologisiert werden, geht es aber im Kontext von künstlerischer Synästhesie nicht um das wirkliche Triggern von Empfindungen, sondern um ein verbindendes Benennen oder Zeigen, um ein Enthüllen verborgener ontischer Zusammenhänge oder eine Deautomatisierung der Wahrnehmung. ASMR ist hingegen ein Phänomen, bei dem bestimmte akustische und visuelle Zeichen sehr unmittelbare psycho-physische Reaktionen hervorrufen. Bei der Synästhesie handelt es sich um eine Encodierung, um eine Postulierung von Zusammenhängen, während ASMR als reaktives Phänomen einen Decodierungsprozess darstellt oder voraussetzt.

Dass das Konzept der Synästhesie bemüht wird, ist dennoch einsichtig. Ist von Synästhesie die Rede, ist die – literarische – Décadence nicht weit, die in Helmuth Kiesels »Geschichte der literarischen Moderne. Sprache, Ästhetik, Dichtung im zwanzigsten Jahrhundert« folgende Reihe eröffnet: »Décadence, Synästhesie, Dilettantismus, Neurotiker, Symbolismus, Renaissance, Impressionismus, Fin de siècle, Tod, Satanismus, Leben – und natürlich auch Moderne selbst.«. Ein paar dieser Aspekte ließen sich auch kulturdiagnostisch auf ASMR-Phänomene beziehen. Ich möchte die Reihe aber nun um den Begriff ›Nervenreiz‹ erweitern. Wir haben es bei ASMR mit einem Phänomen zu tun, in dessen Rahmen in einer zwar entspannten, aber doch konzentrierten und letztlich reflexiven Innenschau teilweise kleinste, subtilste, verfeinertste Reize gesucht werden, und es zu einer Ausdifferenzierung dieser Sinnesreize und der darauf folgenden Sinneswahrnehmungen kommt. Es lässt sich vermuten, dass die den ASM Responses beigegebene Reflexivität auch der Neuheit des Phänomens geschuldet und ihnen nicht notwendig zu eigen ist. Aber auch diese Reflexivität der Nervenerfahrung rückt ASMR in die Nähe von Décadence-Phänomenen. Wir haben es mit einem Dédoublement (der Selbstverdopplung in Akteur und distanzierten Beobachter) angesichts höchster oder tiefster Erfahrung – Schmelzen – sowie deren bewusster Induktion und Beobachtung zu tun.

Stimulus und Response

Dass nicht alle Menschen ASM-Responses zeigen, ist nicht besonders bemerkenswert, denn es sind auch nicht alle Menschen empfänglich für die potenziell wohltuende Wirkung von Massagen. Manche reagieren eben, andere nicht. Viel interessanter – und nun wird das Offensichtlichste und Wesentlichste ausgesprochen – ist die Tatsache, dass wir hier ausschließlich von Zeichen-basierten Reizen sprechen. Akustische oder visuelle Reize lösen Empfindungen aus, die nach landläufiger Auffassung eher auf taktile Trigger zurückgehen. Wir wundern uns nicht darüber, wenn jemandem schaudert, wird ihm oder ihr der Nacken sanft gestrichen, Ölgüsse über die Stirn getröpfelt, heiße Steine aufgelegt, Federn und Tücher über die Haut gerieben etc., aber es ist weniger bekannt und verbreitet, dass medialisierte Reize ähnliche Wirkungen erzeugen können. Ob es nun auch ASMR-Studios gibt, weiß ich nicht, aber wichtig für das Phänomen ist, dass dies nicht nötig ist. Es handelt sich um ein genuin semiotisches Phänomen, um ein Medien-Phänomen, weil es um leicht zu medialisierende akustische und visuelle Reize geht – olfaktorische und taktile wären etwas schwieriger zu vermitteln.

Nun muss an der Stelle die Frage gestellt werden, ob ASM-Reaktionen tatsächlich autonom sind. Zeichen-abhängig sind sie in jedem Fall, aber wer wird sich schon bei der Namensgebung mit dieser semiotischen Selbstverständlichkeit aufhalten wollen. Darüber hinaus basieren sie aber möglicherweise auf Konditionierungsprozessen, hängen also nicht nur von den Zeichen/Triggern ab, sondern auch ganz heteronom davon, dass diese zuvor im Zusammenspiel mit anderen Reizen encodiert worden sind. Es ist durchaus denkbar, dass ursprünglich an taktile Auslöser gekoppelte Reize sich bei ASMR-Phänomenen verselbstständigt haben, dass akustische und visuelle Zeichen, die zusammen mit Berührungen erfahren wurden, später autonom wirken, weil sie alleine immer noch das Gleiche evozieren können wie die ursprünglich damit assoziierten taktilen Trigger. 

In solch einem theoretisch-abstrakten Rahmen liegt wahrscheinlich die Vermutung nahe, als Medien-Phänomen finde ASMR in der experimentellen Musik oder in avantgardistischen (Video-)Installationen seinen bevorzugten Ort. Aber spätestens seit »Santa Clarita Diet« kann man mit Abby Hammond bzw. Grace Finsler wissen, dass dies nicht der Fall ist. Die zeitgenössische Moderne der nicht-tonalen Sensationen wird nun hauptsächlich von nicht künstlerisch gebildeten YouTubern ins Werk gesetzt.

Sehr dilettantisch, aber nicht despektierlich wage ich es, deren ASMR-Videos auf ein Windel-Szenario herunterzubrechen. Die beliebtesten Geräusche und Bewegungen sind tatsächlich allesamt solche, die beim Windeln eines Babys entstehen. Eine sanfte Stimme spricht, Deckel von Kosmetikbehältnissen aus Kunststoff oder Glas werden auf- und zugedreht, Plastikfolien knistern, Papier raschelt, Finger stoßen gegen und kratzen über Pappverpackungen, Schachteln und Schubladen werden auf- und zugeschoben, Klickverschlüsse klicken, Reiß- und Klettverschlüsse ratschen und raspeln, Glasflaschen klirren aufeinander, Wasser plätschert aus oder gluckert in Flaschen, Schalen und Tassen usw. usf. Zuschauer/hörer*innen erfahren die Personal Attention der YouTuber*innen.

Es gibt auch Videos, in denen nicht gesprochen wird, aber zumeist hören wir sanftes Sprechen, audible, semi- oder inaudible Whispering. Während das ›hörbare‹ Flüstern ziemlich zischelt, handelt es sich bei den beiden letzten Varianten um ein Flüstern, das mir am besten zu beschrieben sein scheint, wenn man es sich als Flüstern ohne Aspiration vorstellt, bei dem dann Frikativlaute in den Hintergrund und Plosivlaute in den Vordergrund treten. – Hoffentlich liest das nun kein*e Linguist*in. – Um es aber noch einmal anders zu beschreiben: Auch bei den speziellen Flüstervarianten handelt es sich um Laute, die an die Kindheit erinnern, wenn z.B. nach dem Zubettgehen heimlich von Ohr zu Ohr gesprochen wird. Erweitert wird das Ganze von einem Repertoire an Lauten, die aus dem Wellness- und Kosmetikbereich bekannt sind. Diese überschneiden sich mit den bereits genannten, aber hinzu kommt das Geräusch von Pinsel- und Bürstenstrichen auf dem Mikrofon, von Scherenschnitten und dem Schmatzen von Reinigungsschäumen auf der Haut. Und natürlich sieht man alle Handlungen, die die Geräusche evozieren.

Schaut man sich die Geräusch- und Handlungspalette an, wird einmal mehr deutlich, dass es sehr wahrscheinlich zuvor in kümmernden Situationen zu Konditionierungen gekommen ist, wenn ASMR-Trigger wirken. Emma L. Barratt und Nick J. Davis haben in ihrer bereits erwähnten empirischen Studie, die angesichts einer Fülle neuer ASMR-Videos und -Praktiken sicherlich schon als veraltet gelten kann, folgende Responsewahrscheinlichkeit bestimmten Triggern zugeordnet: Auf Whispering reagieren 75% der Befragten, auf Personal Attention 69%, auf Crisp Sounds (Metallic Foil, Tapping, Fingernails, etc.) 64%, auf Slow Movements 53%, Repetitive Movements 36%, Smiling 13%, Aeroplane Noise 3%, Vacuum Cleaner Noise 2%. Die Kategorien wirken insgesamt inkommensurabel und letzteres Ergebnis absurd, aber es handelt sich beim Staubsauger-Geheul und -Gebrumme immerhin um ein häufig wiederkehrendes Zuhause-Geräusch. Selbst ich als Flugängstliche kann mir vorstellen, was an Flugzeuggeräuschen beruhigend ist, nämlich gar nichts, aber sie erinnern an den betüttelnden Habitus von Flugbegleiter*innen.

Wo wir beim Setting wären – Geräusche und Handlungen werden teilweise ohne fiktiv-erzählerischen Rahmen vollzogen, indem die YouTuber*innen als XY, die sie sind, entweder so tun, als berührten sie die Kamera, also das Gesicht der Rezipient*innen, oder diese Handlungen an sich selbst vollziehen. Nicht selten wird beides kombiniert. Als Trockenübungen streichen sich die YouTuber*innen dann selbst über Gesichtspartien, um anschließend auf oder über die Kamera, also in das Gesichtsfeld der Zuschauer/hörer*innen, zu greifen. Es ist interessant, wie gut das funktioniert, wie zielsicher die YouTuber*innen in die Ecke des Bildschirms und darüber hinausgreifen, und wie wir uns diese Ecke als unser Ohr vorstellen können. Aber natürlich muss auch gesagt oder geflüstert werden, dass jetzt sanft das Ohr berührt wird. Teilweise findet ein sog. ›Role Play‹ statt, d.h. es gibt eine fiktiv-diegetische Rolle und Geschichte, in deren Rahmen die YouTuber*innen Kosmetiker*innen, Ärzt*innen, Heiler*innen, Maler*innen, besagte Flugbegleiter*innen etc. spielen, die sich an die Zuschauer/hörer*innen adressieren, als seien sie Kund*innen in den Salons, Praxen, Ateliers etc.

Besonders einfallsreich und gekünstelt wirkt die Gesichtsvermessung, während der immer wieder ein Maßband in das Bildfeld gehalten wird, das beim Ab- und Aufrollen ksssst und srrrrt, und mit einem Stift hörbar auf Papier unsere Gesichtsmaße, z.B. der Abstand zwischen den Augen, notiert werden. Es findet in den ›Role Plays‹ ein imaginierter Dialog statt, der ebenfalls gut abgemessen sein will. Unsere Antworten auf Fragen bleiben die Leerstellen, in denen es eigentlich so viele Variationsmöglichkeiten wie Rezipient*innen gibt, aber auf die Frage ›Wie geht es Ihnen‹ folgt eine Pause mit fragendem und abwartendem, interessiertem und liebem Blick in die Kamera, und dann entweder die Antwort: ›Verstehe, mir geht es auch nicht so gut‹ oder: ›Ja, das ist fein. Ich freue mich, dass es Ihnen gut geht‹.

Nun muss an den Hinweis Abby Hammonds erinnert werden, bei der ganzen Angelegenheit handele es sich um einen nicht-sexuellen Fetisch. Der Begriff ›Fetisch‹ erscheint mir nicht ganz passend, aber die Negation der sexuellen Komponente stellt selbige gerade in den Raum oder zumindest die gängigen Diskussionen darüber, ob es eine solche gibt. Im Allgemeinen wird dies geleugnet, aber das Wort ›Brain Orgasm‹ ist recht geläufig, wenn es darum geht, für ASMR ein Synonym zu prägen. Zumindest verhalten sich die ASMR-Trigger analog zu pornografischen. Noch gibt es meines Wissens keine oder kaum Extra-ASMR-Seiten, die wie pornografische Seiten funktionieren, aber die Kategorien haben sich bei den ASMR-Praktiken, wie bereits gesagt, ausdifferenziert. Es gibt z.B. Videos ohne Sprechen sowie mit leisem Sprechen bis hin zu den verschiedenen Flüsterarten, es gibt Tapping oder Flattering Sounds, Names und Words, Make-up- und Unboxing-Videos oder Mukbang – man youtube all dies –; und die Videos unterscheiden sich hinsichtlich der Szenografie, also der Hintergrundkulissen und der Raumanordnung, außerdem variiert die Inszenierung des Mikrofons von unsichtbar über sichtbar bis hin zu Ohrattrappen. Man könnte sich etwa dafür entscheiden, einen – männlichen – YouTuber zu sehen, der im Flüsterton bestimmte Triggerwörter vor einem Blue- oder Greenscreen, der einen Garten simuliert, in ein Ohrattrappenmikrofon spricht. Oder man wählt eine – weibliche – YouTuberin aus, die im sanften Sprechton im Setting eines Kosmetikstudios ohne sichtbares Mikrofon so tut, als schminkte sie einen, indem sie Schwämmchen und Lippenstift über und hinter das Bildfeld führt.

Wir haben es hier mit ziemlich ziselierten Nervenreizen zu tun, die an Künstlichkeit kaum zu übertreffen sind, auch wenn eine unmittelbare sinnliche Stimulation erfolgen soll. Reflexive Idylle, inszenierte Sinnlichkeit, gebrochene Authentizität sowohl aufseiten der Produzent*innen als auch der Rezipient*innen, was man daran ablesen kann, dass diese während des oder nach dem Schauen die Kommentarfunktion bedienen und sich über die Qualität der dargebotenen Trigger austauschen; nach dem Motto ›Mir läuft bei 2:40 ein Schauder über den Rücken, wenn sie die Glasflasche schüttelt‹. Noch muss man sich diese komponierten Reize allerdings auf YouTube zusammensuchen, und man kann sich nicht auf eigens dafür vorgesehenen Homepages durch die Kategorien klicken, um sie immer weiter ausdifferenzierend zu verbinden. Überwiegend scheinen die Rezipient*innen ohnehin bestimmte YouTuber*innen einfach zu mögen, die entsprechenden Channels zu abonnieren und sich anzuschauen, was jene abwechselnd zu bieten haben.

Einige ASMR-Videos

Die Auswahl der YouTuber*innen, die ich präsentieren möchte, verdankt sich weitgehend dem Zufall. Obwohl es sich dabei vermutlich um einen ursprünglich US-amerikanischen Trend handelt (und es außerdem einige männliche ASMR-YouTuber gibt), beschränke ich mich auf eine deutsche, eine österreichische, eine englische, eine chinesische und eine koreanische YouTuberin. Insgesamt ist mein Überblick über die ASMR-Szene darum begrenzt, d.h. Aussagen, die darauf zielen, dass jemand etwas häufiger oder seltener tut, beziehen sich auf das eher kleine Vergleichskorpus und lassen sich womöglich vor dem Hintergrund einer größeren Menge an Videos relativieren.

Man kann z.B. »Entspannt mit Sophia« abonnieren, was im Juli 2019 etwa 40.000 Personen getan haben. Einige ihrer Videos werden weit über 300.000 Mal aufgerufen. Die deutsche Sophia flüstert eher selten. Häufiger spricht sie in sanftem Ton und vermittelt die Erfahrung von Wellnessbehandlungen wie Hand-, Kopf- und Rückenmassagen. Sie scheint seltener ›Role Plays‹ anzubieten, dafür befinden sich aber öfter andere Personen in der Szene; wir können so beobachten, wie Sophia diese unsere Stellvertreter*innen behandelt. Sie selbst ist deshalb nicht immer im Vordergrund der Videos zu sehen, sondern nur ihre Hände, innerhalb eines realistischen Umfelds und nicht vor einem Blue- oder Greenscreen. Diese authentisierenden Mittel geben der Sache einen bodenständigen Anstrich. Für weitere Informationen, Angebote etc. gibt es die Seite sophiademar.de.

»Annawhispers ASMR« betreibt ihr Projekt von Österreich aus. Neben den Feedback-Funktionen auf YouTube selbst nutzt sie ihren Instagram-Account für Rundfragen, welche Art von Triggern sich ihre Zuschauer/hörer*innen wünschen. Über 100.000 Personen haben ihren Kanal abonniert, einige ihrer Videos erreichen über 600.000 Aufrufe. Mir scheint sie recht häufig Make-up- und Unboxing-Videos zu produzieren. Anna dreht selten auch vor Blue- oder Greenscreen, zumeist hängt sie aber den Bildraum mit Tüchern ab. Das verleiht der Szene eine aus dem Alltag herausgehobene Atmosphäre.

Die ASMR-Trigger werden in Annas Videos überwiegend in den Vordergrund gestellt, statt sie als Begleiterscheinung von Wellness-Programmen zu simulieren. ASMR wird dadurch als solche bewusst. Weitere Maßnahmen unterstützen das: Zum einen dreht Anna – wenn sie denn so heißen soll – Non-ASMR-Videos, in denen sie Zuschauer/hörer*innen z.B. auf einen Rundgang durch ihr Haus mitnimmt. Zum anderen weist sie hin und wieder auf die Produktion als solche hin, wenn sie z.B. anmerkt, dass es bei ihr draußen gewittert und man dies hoffentlich nicht allzu stark hört.

Der Inszenierungscharakter des Ganzen wird nicht verhüllt, obwohl es auch Anna explizit darum bestellt ist, ein authentisches Bild ihrer selbst zu vermitteln, was aber vielleicht gerade durch die reflexiven Brüche gelingt. Mir scheint es interessant, bei diesen deutschsprachigen Kanälen einmal darauf zu achten, wie die Sprachverwendung über den prosodischen Aspekt hinaus, also hinsichtlich Semantiken, Syntax etc., aussieht. Sie ist insbesondere bei Anna sehr eigen, und ich frage mich, ob das daran liegt, dass die bekennende Dialektsprecherin für die Videos Standardsprache spricht, oder ob es hier ASMR-typische Merkmale gibt, die bislang verborgen blieben. So oder so haben wir mit den ASMR-Videos ein Reiz-Reaktions-Korpus vorliegen, das im Vergleich zu Sexualität noch wenig erforscht ist und dessen Komponenten jugendfrei auch an anderen Stellen implementiert werden könnten.

»SophieMichelle ASMR« hat über 400.000 Abonnent*innen, einige Videos der Engländerin sind bislang über eine Million Mal aufgerufen worden. Bei ihr fällt die vielleicht etwas häufigere Verwendung von Flattering Sounds auf, vor allem aber ihre perfekte Selbstinszenierung. Hier spielt der Hintergrund überhaupt keine Rolle. Ob Raum, Blue- oder Greenscreen ist egal, denn Sophies Gesicht mit seinem dank der Wimpern intensiven Ausdruck füllt den Schirm, und sie ist stets entsprechend ihrer Rolle perfekt geschminkt, frisiert und gestylt, mit Sonnenbrille oder Haarband. Es passt, dass sie einen Eintrag auf IMDb.com hat, in dem sie als Produzentin und Schauspielerin geführt wird (mit Verweis auf die YouTube-Videos). Insgesamt bleibt Sophie vergleichsweise distanziert. Während Anna in den Flüstervideos persönliche Informationen enthüllt, flüstert Sophie z.B. 100 Fakten zum Ersten Weltkrieg. Ob das wirklich entspannend sein kann?

In der ASMR-Szene gibt es aber noch ganz andere Kaliber. »Tingting ASMR« etwa abonnieren über 700.000 Personen, einige der englischsprachigen Videos der Chinesin wurden bis zu 2,5 Millionen Mal aufgerufen. Tingting scheint Make-up-Videos vor Blue- oder Greenscreen zu bevorzugen. Neben folkloristischer chinesischer Kleidung ist sie zumeist eher klischeehaft weiblich aufgemacht und agiert vor Hintergründen, die eine Penthouse-Wohnung in Shanghai oder Hongkong simulieren. Man kann sich gut vorstellen, mit ihr einen Drink in einer Bar zu nehmen und ihr – durchaus sympathisches und Laune hebendes – mädchenhaftes Kichern zu hören.

Ganz anders funktioniert »Latte ASMR«. Die Koreanerin Latte – falls das der Name sein soll – ist wenig geschminkt, bodenständig, nett und einfach aufgemacht und steht vorwiegend in verschiedenen Räumen einer durchschnittlichen Wohnung, wo sie u.a. Make-up-Videos präsentiert. Damit konnte sie etwa 650.000 Abonnent*innen gewinnen, einige ihrer englischsprachigen Videos haben bis zu 3,5 Millionen Aufrufe vorzuweisen. 

Gerade bei den letztgenannten YouTuberinnen entsteht – zumindest bei mir – eine Brechung der Szenarien gerade aufgrund ihrer Perfektion. Sophie Michelle hat eine geradezu expressionistisch übertriebene, aber doch perfekt unter der Schmerz- und Albernheitsgrenze gehaltene Mimik. Fast zu intensiv und eindeutig, aber doch gerade noch glaubwürdig kann sie mitleidend, liebenswürdig, zuhörend, nachdenklich, zustimmend, besorgt etc. schauen. Bei Tingting wiederum ist das Setting so clean, die gezeigten Schminkutensilien so offenkundig ohne Gebrauchsspuren, ihr eigenes Make-up so rein und glatt, die Beleuchtung so perfekt, dass man sich ebenso gut vorstellen könnte, sie selbst und nicht nur die auf den Blue- oder Greenscreens projizierten Hintergründe seien computergeneriert. Den Gipfel der Perfektion erreicht aber Latte, von der man glauben kann, sie habe jede kleinste Augenbewegung, jedes Schnalzen und Schmatzen mit den Lippen, jede Zungenspitzenbewegung, jede Handbewegung, jedes Sound Pattern durchchoreografiert und hundert Mal einstudiert, bevor sie es aufgezeichnet hat.

Die schauspielerischen Leistungen der ASMR-YouTuber*innen sind oftmals eindrucksvoll, nicht nur gemessen an denen von Pornostars. Natürlichkeit stellt bei den ASMR-Akteuren kein Ideal dar, maßgeblich sind vielmehr Künstlichkeit und Hyperbolik. Obwohl die angeführten YouTuberinnen die Annahme bestätigen, dass ASMR kein sexuelles Phänomen ist, scheinen mir dennoch nicht alle ASMR-Videos vollkommen asexuell zu sein. Es gibt durchaus lasziv bis kaum gekleidete Frauen, die Leckgeräusche produzieren, indem sie vor der Kamera künstliche Ohren umzüngeln und dabei mit einem Schlafzimmerblick in die Kamera schauen. Meine Datenbasis ist schmal, also sei die Beobachtung auf keinen Fall als generalisierende mit Blick auf die Nationalitäten verstanden, aber Tingting und Latte evozieren durchaus das Bild von – weiblicher – Verfügbarkeit, erstere als junges urbanes Mädchen, das gerne mit den Rezipient*innen ausgehen würde, hat sie sie einmal gestylt, letztere als brave Hausfrau, die die Behandlungen ganz servil auch den Rezipient*innen angedeihen lassen würde. Dagegen vermitteln Sophia und Anna eher das Bild von Wellness-Expertinnen. 

Die YouTube-Rezipient*innen zeigen sich in den Kommentaren zu den Videos begeistert. Im Wesentlichen scheinen die Videos als Entspannungs- und Einschlafhilfe zu dienen; ein reger Austausch findet darüber statt, welche Trigger zu diesen und anderen Zwecken besser oder schlechter geeignet seien. Sehr selten wird – liebevoll – konstatiert, dass das Ganze schon ein bisschen albern sei, wenn man einmal aus sich selbst heraustritt und sich dabei beobachtet, dass man dahinschmilzt, weil jemand in einem Video sanft mit Fingernägeln über ein Stück Wellpappe kratzt. Die von mir schon erwähnten reflexiven Brüche und Selbst-Doppelungen kommen auch hier ins Spiel.

Den YouTuberinnen wird von Rezipient*innen aber insgesamt ganz ungebrochen sehr große verbale Zuneigung entgegengebracht, die man psychologisch als Übertragungsphänomen betrachten kann. Die positive Stimmung im virtuellen Kommunikationsraum wird reflexiv aufgegriffen. So heißt es unter Lattes »Relaxing Makeup Removing and Skin Care Service«-Video: »Everyone here is so kind and non-toxic. Its reassuring that thereʼs still lots of great people :)«. Offenbar dient der ASMR-Kommunikationsraum dazu, aus der als böse empfundenen, von Trollen bevölkerten (Online-)Welt in einen kuscheligen Chat zu flüchten. Mögen die Trolle diesen Raum nicht entdecken.

Nun komme ich aber nicht umhin, auch hinsichtlich der Zuneigungsbeziehung Parallelen zur Pornografie zu konstatieren, selbst wenn die in den ASMR-Videos gesuchten Erfahrungen und die stimulierten Reaktionen im engeren Sinne definitiv keine sexuellen sind. Es handelt sich aber letztlich doch um ein Phänomen, bei dem sinnliche Empfindungen medial vermittelt werden können, weil sich bestimmte visuelle und akustische Reize dazu eignen, ebenso bestimmte, nämlich ASM-Empfindungen hervorzurufen. Face-to-face-Interaktion ist nicht nötig, weil sich diese Zeichen in Videos übers Netz verbreiten lassen.

Damit stellt sich aus Sicht der Rezipient*innen eine grundsätzliche, zweifache Verfügbarkeit ein: eine gefühlte Verfügbarkeit der YouTuber*innen und eine tatsächliche Verfügbarkeit der sinnlichen Fremd-Stimulation mit je ausgesuchten Präferenzen. Man kann sich jederzeit ein ›Hallo, meine Lieben‹ von Sophia oder ein ›Hey, liebe Flüsterfreunde‹ von Anna abholen, wenn einer*m danach ist. Außerdem gibt es dutzende oder gar hunderte von ASMR-YouTuber*innen und weltweit viele Millionen Zuschauer/hörer*innen, aber ich habe noch niemals jemanden getroffen, der*die erzählt, er*sie habe gestern ein ASMR-Video geschaut oder gehört oder er*sie könne zur Entspannung ASMR-Videos empfehlen. Und ich habe tatsächlich auch noch nie jemanden getroffen, der*die so etwas ohne mit den Wimpern zu zucken von pornografischen Videos behaupten würde. Dieser Vergleich beweist dreierlei: 1. ASMR-Videos haben etwas Zwischenmenschliches anzubieten, das offenbar für viele einen armseligen Beigeschmack erhält, wenn man es fernmedialisiert erfährt. 2. Die Selbstpraktik richtet sich auf ein Phänomen, das eigentlich dual und dialogisch aufgebaut ist. 3. Die Depersonalisierung wird von Zärtlichkeiten vorangetrieben, die eigentlich Elternteil-Kind- oder Paar-Beziehungen zu eigen sind.

Man könnte die ASMR-Videos um Roboterbegleitung ergänzen, außerdem um Wärmflaschen, Massagegeräte und diese schweren Therapiedecken, die mir aus unerfindlichen Gründen seit neuestem immer auf Facebook angezeigt werden – liegt es vielleicht an der Recherche für diesen Artikel? Das wäre doch ein gutes multimediales, multi-KI-gesteuertes Wartezimmer-, Krankenhaus oder Altenheim-Paket, aber vermutlich – ich bin noch unentschieden – möchte ich – ausnahmsweise – die Post- und Pop-Modernisierung sowie die Verkünstlichung unserer Umwelt nicht weiter auf die Spitze treiben. So oder so bleibt aber festzuhalten: In den ASMR-Praktiken treffen sich Demokratisierungs- bzw. Egalisierungsprozesse. Das Netz liefert günstige Wellness für alle und darum zugleich neue Vermarktungsmöglichkeiten für Anbieter*innen.

Schluss

In der direkten Interaktion stellt sich bei Massagen und Kosmetik nicht selten ein Wohlgefühl ein, das über die Funktionalität hinausgeht. Im eigentlichen Sinn möchte oder mochte man ja mit gelösten Muskeln und gereinigter Haut aus den entsprechenden Salons hinausgehen. Tatsächlich gibt es sie immer noch: die bodenständigen, unstylishen Studios, die man durchgewalzt und ausgedrückt verlässt und nach deren Besuch Rücken- sowie Hautprobleme in einem eher medizinischen Sinn verschwunden sind. Wer jemals glaubte, traditionelle chinesische Medizin habe etwas mit Wohlfühlen zu tun, sollte sich einmal in China behandeln lassen. Da erfährt man dann, was Schmerzen sind und was hektisches Abarbeiten der Patient*innen mit routinierten Stichen und Griffen im Dienst der medizinischen Funktion bedeutet. Da gibt es eher keine Entspannungsmusik im Hintergrund.

Nun hat sich aber das Windel-Szenario in diesen Zweigen längst breit gemacht: die betuliche Stimme, das nette Lächeln, die ruhigen Klänge. Dafür zahlt man nicht eben wenig. Man zahlt sogar mehr, wenn man es mit dem Wellness-Szenario zu tun hat, als für die Handgriffe staatlich geprüfter Fachkräfte in den bodenständigen, unstylishen Instituten. Für den ASMR-Faktor zahlt man möglicherweise wesentlich mehr, als einem zu Beginn bewusst ist, sodass man schließlich auf die Idee kommen könnte, sich ASMR für weniger als so etwa 45 bis 260 Euro pro Behandlung zu gönnen. Nötig ist nun nur noch eine Internetverbindung, dann kann jede*r probieren, auf was es ihm*ihr ankommt: das Taktile oder das Mediale. Und wenn es das Mediale ist, das Visuelle und Akustische, kann man sich den Besuch der Salons sparen. ASMR-Videos könnten also eine Wellness-Demokratisierung bzw. -Egalisierung mit sich bringen.

Zudem bedeuten ASMR-Videos eine Zeitersparnis. Was nützt es einer*m, wenn man eine Stunde Entspannung bucht, sie terminlich umständlich koordinieren und dann noch Zeit für Hin- und Rückfahrt einplanen muss. Möglich, dass eine Busfahrt auf dem Heimweg das Erlebnis sofort wieder ruiniert. Gleichzeitig zur Geld- und Zeitersparnis der Rezipient*innen verdienen die Produzent*innen an ihrer Arbeit. Tingting und Latte lassen sich auf patreon.com oder Paypal Donation auf freiwilliger Basis bezahlen. Hier zählt die Crowd. Da viele Millionen gleichzeitig profitieren, reicht es ja fast, wenn jede*r Fünfte regelmäßig einen Euro gibt. Noch naheliegender ist es, Werbungen vor den Videos zu zeigen. Zudem ist ASMR geradezu dafür prädestiniert, Product-Placement zu betreiben, insbesondere von Make-up- und Wellness-Produkten. Die Flaschen, die klingen und gluckern, können oder müssen schließlich in die Kamera gehalten werden, und da ja permanent phatische Kommunikation vollzogen wird, bei der außer im ›Role Play‹ der Text fehlt oder unwichtig ist, kann natürlich auch Lobendes über die Produkte gesagt werden. Und erst im Kosmetik-›Role Play‹ … 

In den Kommentaren kann man hin und wieder Unmutsbekundungen über das leicht verdiente Geld der YouTuber*innen lesen. Viel häufiger jedoch wird der Wunsch oder die Hoffnung geäußert, dass die YouTuber*innen mit den Channels etwas Geld verdienen, weil sie es verdient hätten. Bei den Produzent*innen der ASMR-Videos wiederum handelt es sich noch um Unternehmer*innen, die nicht nur glaubhaft versichern, sie würden ihre Arbeit vor der Kamera lieben, sondern die auch das Preis-Leistungs-Verhältnis einigermaßen in der Hand haben. Das sieht im Moment nach einem fairen Deal zwischen allen Beteiligten aus, was die Sache letztlich doch grundlegend von der Pornoindustrie unterscheidet. 

Dank Abby Hammond aus »Santa Clarity Diet« wurde mir eine ganz neue, ganz eigene Welt eröffnet. ASMR scheint gerade noch eine Nische, aber sehr stark im Kommen zu sein. Persönliche Wirkung: Ich bin nicht so der Wellness-Typ, darum erst einmal nur dieser Text auf Basis aller distanzierenden Brechungen sowie distanzierten Beobachtungen und Reflexionen, die sich beim Schauen eingestellt haben. Aber zum einen möchte ich nun eine von Tingting verwendete Dior-Foundation ausprobieren, zum anderen bin ich nach der Recherche – hoffentlich nur vorübergehend – Sound-sensibel oder Sound-sensibilisiert. Mir kommt das Geklapper der Tasten auf dem Laptop jetzt sehr laut und akzentuiert vor. Der Bleistift produziert beim Notieren auf dem Papier nervtötendes Kratzen. Geräusche können bisweilen die Qualität und das Wirkspektrum von quietschender Kreide an der Tafel aufweisen, und auch die Reaktion auf dieses Geräusch spielt sich bekanntermaßen im Nacken ab.

Literatur

Emma Barratt, Nick Davis: Autonomous Sensory Meridian Response (ASMR): a flow-like mental state. In: PeerJ. Band 3, 2015, S. e851, doi:10.7717/peerj.851, PMC 4380153 (freier Volltext).

Clemens Setz: High durch sich räuspernde Menschen. In: https://www.sueddeutsche.de/kultur/gastbeitrag-das-namenlose-gefuehl-1.2423469

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