WM 2018 in Russland
[aus: »Pop. Kultur und Kritik«, Heft 13, Herbst 2018, S.10-17]
Vom 14. Juni bis 15. Juli 2018 fand in Russland die 21. Fußballweltmeisterschaft statt. Es gab 64 Spiele mit 169 Toren, eine ganze Reihe davon spektakulär schön, nur einmal trennten sich die Teams 0:0, grobe Fouls und rote Karten blieben die Ausnahmen, in den Stadien wurden mehr als drei Millionen Zuschauer gezählt, und am Ende siegte mit Frankreich diejenige Mannschaft, die Spielkontrolle und Angriffswucht am besten zu verbinden verstand, während im ›kleinen Finale‹ Belgien den verdienten Lohn für den ansehnlichsten Offensivfußball einfuhr.
Noch vor dem Endspiel hatte FIFA-Präsident Gianni Infantino den World Cup 2018 in kaum verhohlener Eigenwerbung zum besten aller Zeiten erklärt. In den Sport- und Feuilletonredaktionen grübelt man womöglich seither trotz der spöttischen Zurückweisung dieses Anspruchs, wie es passieren konnte, dass jener Ballbesitzfußball der spanischen und deutschen Nationalmannschaften, der das zurückliegende Jahrzehnt bis zum Überdruss dominiert hatte, auf einmal von kreativ angreifenden und dynamisch konternden Teams in die Schranken verwiesen sowie in Vladimir Putins Polizeistaat ein offensichtlich weitgehend ungestörtes Fanfestival gefeiert wurde.
Natürlich ist die Behauptung vom besten Turnier leicht zu durchschauen, und das nicht nur, weil zumindest die Turniere von 1970 und 1998 als Konkurrenten zu nennen wären. Diese Behauptung geht auf den Showbusiness-typischen Appell zurück, sich am Dargebotenen erfreuen zu sollen, ohne den kommerziellen, politischen oder medialen Hintergrund in den Blick zu nehmen. Ihm steht seitens des kritischen Publikums der Verdacht entgegen, die von einem Event gezeigten Bilder verstellten durch ihre glatt polierten Oberflächen die eigentliche Wahrheit – im Fall der WM in Russland also die gesellschaftlichen Missstände eines autokratisch regierten Staats, der Regimekritiker aufgrund von ›likes‹ auf unliebsamen Webseiten einsperrt und Fußballfans nach deren erkennungsdienstlicher Registrierung in eigens markierten Jubelzonen kaserniert.
Das Fernsehen begegnet diesem Verdacht wiederum, indem es sich bemüht, beides zu verbinden: Die Übertragung eines Spiels wird begleitet von Hintergrundberichten nicht nur zu Taktik und Personen, sondern auch zu Land und Leuten. Aber diese Hintergrundberichte bestehen ihrerseits nur aus Bildern, deren Wahrheitswert und Belegkraft keineswegs ausgemacht ist. So wurden aus Russland keinerlei Belege für staatliche Repressionen gesendet, sondern Eindrücke von den gemeinsamen Feiern russischer und ausländischer Fans, inklusive zarter Ansätze zu einer Liberalisierung des Umgangs der Polizei mit ihnen. Von den im Vorfeld gefürchteten Hooligans keine Spur – aber heißt das, dass das Turnier tatsächlich das völkerverbindende Paradies auf Putins Erde gewesen ist, oder bedeutet es lediglich, dass man als Fernsehzuschauer keine Informationen über die Repressalien gegenüber potentiellen Gefährdern erhält? In jedem Fall wird man dem Gesehenen mit Skepsis begegnen – denn die schönen Bildoberflächen von tollen Toren und friedlichen Fans ändern nicht nur nichts an den politischen Verhältnissen und rechtsstaatlichen Problemen in Russland, sondern werden von offizieller Stelle unmittelbar zu deren Relativierung genutzt.
Das alles ist nicht neu. Fußballweltmeisterschaften haben immer wieder in bedenklichen politischen und moralischen Gemengelagen stattgefunden – selbst die Vergabe des Turniers nach Deutschland 2006 ist ja inzwischen als Akt der Korruption an höchster Stelle entlarvt. Und auch vor vier Jahren wurden die Proteste gegen die WM in Brasilien im Fernsehen nicht gezeigt, um den Oberflächeneindruck einer genuin brasilianischen Begeisterung für das Turnier nicht zu irritieren. Unrühmliche Höhepunkte dieser Verstrickung von Fußball und Politik, die beide Seiten so beharrlich leugnen, sind die Endrunden im faschistischen Italien 1934 und während der argentinischen Militärdiktatur 1978, von der der damalige deutsche Mannschaftskapitän Berti Vogts zu berichten wusste, er habe keinen einzigen politischen Gefangenen gesehen, während César Luis Menottis langhaarige Argentinier vor den Augen von Juntachef Videla mit einem programmatisch ›linken‹ Fußball den Titel holten – die vermutlich größte Diskrepanz zwischen Bildoberfläche und politischem Hintergrund in der Geschichte der Weltmeisterschaften. Die Entscheidung, den FIFA World Cup 2018 nach Russland und 2022 nach Qatar zu vergeben (wo Franz Beckenbauer, in direktem Anschluss an Vogts’ argentinischen Blindflug, seinerseits keine Sklavenarbeiter ausmachen konnte), ist angesichts dieser Diskrepanz nicht weniger als folgerichtig. Oder anders formuliert: Wer das Spiel mag und auf höchstem sportlichen Niveau verfolgen möchte, der sollte keinen Graswurzelfantasien vom reinen Sport nachhängen, sondern anerkennen, dass die Bilder athletischer Perfektion, die man am Bildschirm konsumiert und genießt, mit Verstrickungen von Politik, Wirtschaft und Medizin einhergehen, die man im Fernsehen zwar nicht sieht, die aber dasjenige, was man sieht, ermöglichen und strukturieren.
Trotz dieser grundsätzlichen Einsicht wird das Turnier in Russland von vielen als Sündenfall der FIFA auf dem Weg zum vollständigen Ausverkauf in Gestalt des Weihnachtsturniers in Qatar angesehen. Die moralische Anschlussfrage zu dieser Ansicht lautet, ob es überhaupt vertretbar sei, die Spiele eines derart diskreditierten Wettbewerbs im Fernsehen zu verfolgen und auf diese Weise das Gebaren von Putin und Infantino als Konsument passiv zu legitimieren. Denn dass die zurückliegende WM auf organisatorisch überraschend reibungslose und sportlich unerwartet ansehnliche Weise – sowie ohne einen staatlich verordneten Sieg des Gastgebers – über die Bühne ging, ist gerade keine Widerlegung, sondern vielmehr umso stärkerer Anhaltspunkt für das Misstrauen gegenüber den gezeigten Bildern – mit Ausnahme derjenigen, die die unselige Allianz aus Sportfunktionären, wirtschaftlichen Verstrickungen und autokratischer Politik gewissermaßen in schamloser Direktheit zu sehen gaben, so etwa während des Eröffnungsspiels zwischen Russland und Saudi-Arabien durch wiederholte Schwenks auf die Ehrentribüne, auf der der FIFA-Präsident die Respektsbekundungen der Staatschefs beider Kontrahenten koordinierte.
Nicht minder eindeutig war die Einstellung, die den argentinischen Trainer Jorge Sampaoli in der Schlussphase der krachenden Vorrundenniederlage seines Teams gegen den späteren Finalisten Kroatien beim Ablegen seines eleganten Sakkos zeigte, das bislang seine komplett tätowierten Oberarme verborgen hatte. Sie lieferte dem skeptischen Konsumenten der WM-Berichterstattung die Lektüreanweisung für deren kritische Evaluation: Trau keiner Oberfläche. Mit dieser Haltung geht aber ein nicht unerheblicher Wandel des Status derjenigen Bilder einher, die einem Sportereignis von der Dimension einer Weltmeisterschaft überhaupt erst seinen Ort im kollektiven Gedächtnis verleihen und die Narrative über Turnierverlauf und Gastgeberland prägen – das deutsche Nachkriegswunder im Berner Nachmittagsregen, Pelés Jubelsprung nach seinem dritten Titel in Mexiko, Maradonas Hand und Fuß im Viertelfinale am selben Ort sechzehn Jahre darauf, der englische Elfmeterfluch von 1990 bis 2018, Sönke Wortmanns Sommermärchen 2006, Schweinsteigers Cuts im Finale von Rio usw. Auch die Weltmeisterschaft in Russland hat Bilder hervorgebracht, die zu einer solchen Ikonisierung taugen könnten. Dazu gehört etwa die Szene aus dem zweiten Achtelfinale, in der Portugals Kapitän Ronaldo den zweifachen uruguayischen Torschützen Cavani nach dessen Verletzung vom Feld begleitete. Eine sportliche Geste, der aber in Internetforen sogleich unterstellt wurde, der ehrgeizige CR7 habe damit nur einem möglichen Zeitschinden vorbeugen wollen und nicht so altruistisch gehandelt, wie es das Bild der beiden müden Männer in den ungleichen Trikots zu suggerieren schien.
Mit dieser Geste der Entlarvung ist ein zweites Verfahren benannt, das die letzte Weltmeisterschaft in einem weit größeren Ausmaß als bisher geprägt hat: Die Bilder, die das Turnier produzierte, wurden nicht als Dokumentation der dem Augenblick verhafteten Ereignisse auf dem Rasen und den Rängen behandelt und auch nicht als Sinnbilder für die sportlichen wie kulturellen Tendenzen, die das Turnier offenlegte. Stattdessen wurden Taktiken, Torschüsse und Jubelgesten in den Modus eines zweiten Verdachts gerückt: War das lauffreudige russische Team gedopt? Hingen die Fehlpässe im mexikanischen Mittelfeld mit der Einladung von ›Escort-Girls‹ zur Geburtstagsparty von Stürmer Chicharito zusammen? Und war die Leistung der deutschen Mannschaft nicht auf eine unzulängliche Vorbereitung zurückzuführen, sondern auf das Posieren der Auswahlspieler Özil und Gündogan mit dem türkischen Staatspräsidenten Erdogan kurz vor der Endrunde – nebst anschließendem PR-Desaster, in dessen Verlauf Manager Oliver Bierhoff zunächst vor dem Turnier das Ende der (noch gar nicht geführten) Debatte um das präsidiale Fotoshooting forderte, um nach dem Ausscheiden doch Özil als denjenigen Sündenbock zu identifizieren, den man vorab hätte aussortieren sollen.
Solche Lesarten des Verdachts unterscheiden sich von der Kritik, die Bilder der WM seien oberflächliche Vertuschungen der Missstände in Russland und bei der FIFA. Denn nun sind die Fernsehbilder ja gerade der Schlüssel zu einer hinter ihnen liegenden Wahrheit. Bildkritik schlägt hier in Bildvertrauen um, dem die Aufnahmen vom grünen Rasen zwar immer noch als bloße Oberflächen gelten, nun aber als Oberflächen, die selbst auf die dahinterliegende Wahrheit verweisen, wenn man sie nur genau genug liest: Hat Cristiano Ronaldo, als er sich nach seinem dritten Tor im Auftaktspiel gegen Spanien an einem imaginären Ziegenbärtchen kratzte, den Anspruch seines ewigen Weltfußballerkonkurrenten Lionel Messi veralbert, der »Greatest Of All Time« (GOAT) zu sein? Oder ist Messis müder Turnierauftritt darauf zurückzuführen, dass er sich nie vom Schatten und Anspruch seines unsterblichen Vorgängers mit der Rückennummer 10 hat lösen können, der in Russland auf der Tribüne Nachmittagsschlaf hielt? Ließen sich aus Neymars Weinkrämpfen und Bodenrollen Diagnosen zur psychischen Labilität des brasilianischen Wunderstürmers ableiten? Und sind die aus dem Kosovo stammenden Schweizer Spieler Xhaka und Shaqiri als Schützen zweier Traumtore gegen Serbien zu feiern oder wegen ihrer anschließenden Jubelgesten als nationalistische Provokateure zu überführen?
Die Aufmerksamkeit für die tiefere Botschaft der Bildoberflächen kann auch zu unfreiwilligen Entlarvungen führen, bei denen sich das Geschehen auf dem Rasen selbst als diejenige Wahrheit offenbart, die von anderen Bildern verstellt und verborgen werden soll – so zum Beispiel im Fall der Imagekampagne des Deutschen Fußball-Bundes für sein nicht mehr ganz im Saft stehendes Titelverteidigerteam. Der Turnierslogan »Best Never Rest«, der offensichtlich einen spezifisch deutschen Anspruch vermitteln sollte, den Erfolg auf dem Rasen aus einer durchgängigen Leistungsbereitschaft auch jenseits der Spiele abzuleiten, war nicht nur grammatikalisch bedenklich. Er stützte sich selbst auf die Wahrnehmungsumstellung von der Oberfläche der Spiele auf eine Tiefenstruktur, weil als sportlich Beste diejenigen gelten sollten, die auch außerhalb des Wettkampfes rastlos blieben. Dass es am Ende just die deutsche Mannschaft gewesen ist, die in ihren drei WM-Spielen diejenige Ruhephase einlegte, die sie sich gemäß ihres Slogans selbst jenseits des Rasens verboten hatte, gehört zur besonderen Ironie des Versuchs, die Bildbotschaften des Fußballs zu steuern und zu kontrollieren.
Vor allem aber schlägt die Kritik an den vom Fußball produzierten Bildern an dieser Stelle um in die Wahrnehmung, diese Bilder enthielten selbst die Wahrheit. Die Validität des Oberflächeneindrucks wird dabei weiter in Frage gestellt, seine Entlarvung aber durch ein umso präziseres Studium der Bilder betrieben, das deren »Punktum« (im Sinne Roland Barthes’) mitunter im Wortsinne offenlegt: Als der russische Stürmer Artjom Dsjuba eines seiner Tore mit nach oben gedrehtem Unterarm feierte und Fotoanalysten weltweit einen verräterischen Einstich an einer Vene identifizierten, musste dieser sogleich als Beleg für flächendeckendes Staatsdoping im russischen Team herhalten. Diese dritte Spielart der Bildkritik steht aber auch im Zusammenhang mit einer technischen Entwicklung, die der ZDF-Experte Oliver Kahn unmittelbar nach dem Finale angesichts angeblich mangelnder Neuerungen und Ideen auf taktischem Gebiet bezeichnenderweise als einzige wirkliche Innovation des Turniers benannt hat: der Einführung des Video-Beweises. Nach einer reichlich chaotischen Erprobungsphase in der zurückliegenden Bundesliga-Saison erhielt die nachträgliche Bewertung strittiger Szenen und die mit ihr einhergehende Möglichkeit einer Revision von Schiedsrichterentscheidungen in Russland fast durchweg gute Noten – auch wenn sich nicht nur Kroaten fragen mögen, warum im Finale Antoine Griezmanns kleiner Schwalbenflug vor dem Freistoß zum 1:0 nicht, Ivan Perisic’ kaum absichtliches Handspiel im Strafraum wenig später aber durchaus überprüft und geahndet wurde.
Es geht aber nicht um die Frage, ob der Videobeweis der Gerechtigkeit im Fußball dient oder – wie »FAZ«-Herausgeber Jürgen Kaube seit Monaten das ›ceterum censeo‹ zu seiner Wiederabschaffung begründet – die dem Sport inhärente Irrtumsanfälligkeit von Urteilen nur auf die nächsthöhere Ebene verschiebt. Bezeichnend ist, dass durch den Videobeweis derjenige Wahrnehmungswandel regel- wie medientechnisch implementiert wurde, der zur Abwertung des primären Eindrucks und zum Schüren des Verdachts führt, hinter ihm liege die eigentliche Wahrheit verborgen. Der Einsatz des Videobeweises teilt Spielern, Schiedsrichtern und Zuschauern mit, dass ihre ursprüngliche Wahrnehmung und Einschätzung des Geschehens zurückzutreten habe hinter das Ergebnis der Analyse von Bildaufzeichnungen dieses Geschehens. Damit wird eine der Eigenheiten von Sport – seine »Ästhetik der Präsenz«, um mit Hans Ulrich Gumbrecht zu sprechen – in zeitlicher und medialer Hinsicht verschoben und aufgehoben. Der Videobeweis verlagert die Wahrheit des Sports in sein »optisch Unbewußtes«, wie Walter Benjamin dies mit Blick auf die Kameraeffekte des frühen Films genannt hat, und macht den Zuschauer zum Zeugen eines Experiments auf die Zuverlässigkeit des ursprünglich Gesehenen.
Die WM in Russland lässt also drei Bezugsfelder der Umstellung von der Oberfläche der Aktionen auf dem Rasen auf die ihnen zugrundeliegende Tiefenstruktur erkennen: eine ökonomisch-politische Matrix, die vom Geschehen auf dem Rasen überlagert wird; Ursachen für dieses Spielgeschehen, die außerhalb des Platzes identifiziert werden; und Abläufe der physischen Realität, die sich dem bloßen Auge in Echtzeit nicht offenbaren. Womöglich haben diese Darstellungs-, Deutungs- und Wahrnehmungsmuster des Turniers auch Rückwirkungen auf die Spiele selbst. So könnte man z.B. fragen, ob die auffällige Zunahme von Toren nach Standardsituationen bei der zurückliegenden WM damit zusammenhängt, dass der Fußball in Zeiten des Videobeweises viel stärker als zuvor mit der Unterbrechung des Spielflusses zu kalkulieren und also von Toren aus diesem Spielfluss heraus auf segmentierte Aktionen umgestellt hat. Der hohe Anteil von Elfmetertoren der erfolgreichsten WM-Torschützen Harry Kane und Antoine Griezmann legt das ebenso nahe wie die Tatsache, dass Frankreich das Turnier mit einem Mittelstürmer gewinnen konnte, der ohne jeden Torerfolg geblieben ist.
Aber auch hinsichtlich der gesellschaftspolitischen Matrix lassen sich Rückkopplungseffekte beobachten, und einer davon hätte neben dem ikonischen Abgang von Ronaldo und Cavani durchaus das Zeug dazu gehabt, doch noch zu ›dem‹ Bild der Weltmeisterschaft in Russland zu werden – wenn nicht just dieses Bild von der offiziellen Bildregie ausgeblendet worden wäre: In der 52. Minute des WM-Finales stürzten vier Aktivist*innen des regimekritischen Punk-Projekts Pussy Riot, verkleidet als ›gute Polizisten‹, auf den Rasen, um auf einen Forderungskatalog an die russische Regierung zur Beendigung politischer Repressionen, Verfolgungen und Inhaftierungen aufmerksam zu machen. Diese ›Flitzer‹-Aktion unterbrach einen aussichtsreichen kroatischen Konter beim Stand von 1:2 und kann daher unter Umständen durchaus als Bestandteil der sportlichen Entscheidung des Finales zugunsten von Frankreich betrachtet werden. Vor allem aber gelang es einer der Aktivist*innen, an der Mittellinie den französischen Starstürmer Kylian Mbappé abzuklatschen, sodass für den Augenblick der Berührung dieser vier Hände Fußball und Politik tatsächlich auf einer Ebene zusammentrafen und nicht die eine mühsam aus der anderen abgeleitet bzw. der Zusammenhang zwischen ihnen krampfhaft geleugnet werden musste.
Die FIFA, in ihrer ostentativen Forderung, den Sport von der Politik freizuhalten, die ihre faktische Verstrickung mit politischen Abgründen allererst ermöglicht, weist ihre Kameraleute bei solchen Vorfällen an, Störenfrieden keine massenmediale Bühne zu bieten. Und auch viele Print- und Textmedien hielten sich in ihrer Finalberichterstattung erstaunlicherweise zunächst an dieses Bilderverbot – vielleicht weil das ›High Ten‹ zwischen Mbappé und Pussy Riot dasjenige Narrativ irritiert hätte, auf das sich die FIFA mit ihren Kritikern unfreiwillig und aus unterschiedlicher Motivation stillschweigend geeinigt hat: Jegliche Verbindung von Sport und Politik sei von Übel. Dass es aber die Fußballspiele selber sind, die ihre Verstrickung oder Unabhängigkeit auf dem Rasen ausagieren; dass man sie daher ansehen muss, um sich ein Urteil über diese Zusammenhänge bilden zu können; und dass die Verbindung zwischen Sport und Politik auf dem Platz mitunter für einen Augenblick sogar als Utopie aufzublitzen vermag – auch davon könnte die Weltmeisterschaft 2018 in Russland erzählen, wenn man zumindest einigen der Bilder, die sie hervorgebracht hat, zu trauen bereit wäre.