Erinnerungen an deutsche Rockmusik-Szenen
von Thomas Hecken
18.10.2021

Drei Bücher aus dem Jahr 2021

In diesem Jahr sind einige Bücher herausgekommen, die Erinnerungen an die linksalternative Zeit der BRD und einige ihrer Rockgruppen versammeln: ein Band mit Artikeln von Ingeborg Schober („Die Zukunft war gestern“), eine Interview-Collage mit Beteiligten der deutschen Rockmusikszene („Future Sounds“ von Christoph Dallach) sowie der ungewöhnlich gut gelungene autobiografische Text „Waren wir mal die Gegen-Kultur oder gegen Kultur?“ von Rainer Jogschies.

Mit Ingeborg Schober (* 1947 in Sonthofen, † 9. Juni 2010 in München) kommen wir vom Veröffentlichungstermin her am nächsten an die Ereignisse heran. Das Buch mit ausgewählten Artikeln der Musikjournalistin bietet u.a. Beiträge der Zeitschrift für ‚progressive‘ Pop- und Rockmusik, „Sounds“, aus den 1970er Jahren auf. Sie zeigen Schober als konventionelle Autorin, die zumeist Interviewpassagen mit Konzert- und Anreiseimpressionen und einigen Einschätzungen zur Musik abwechselt. Ihr Geschmack ist weit gestreut und unauffällig, Steve Miller, Queen, Gong, Genesis, allen kann sie etwas abgewinnen. Artikel zu Amon Düül (Heft 1, 1975), Guru Guru (Heft 11, 1975) und Kraftwerk (Heft 3, 1977) werden in der Anthologie ausgespart, sodass der erste ins Buch aufgenommene Artikel zu den bekannteren BRD-Gruppen – ein Düsseldorf-Porträt 1979 – bereits davon spricht, aus dem „allgemeinen Durcheinander der deutschen Szene“ Grundzüge „wohl erst heute rückblickend, fast historisch, rekonstruieren“ zu können. Schober stellt dabei Düsseldorf – „von Kraftwerk über Neu!, Cluster, Harmonia, Michael Rother“ – heraus und als „eigenen Stil, eine eigene Arbeitsweise“ neben die „Berliner Elektronik“.

Worin diese Gemeinsamkeit der „neuen Klänge“ bestand, wird aber nicht deutlich, die Hauptlast muss der Satz eines Kraftwerk-Mitglieds tragen: „Unser Background war ja ein bürgerlicher, klassischer mit Klavierstunden und Blockflöte. Darauf konnten und wollten wir nicht aufbauen. Und wir konnten uns auch nicht, wie ein Amerikaner etwa, von der Texas-Musik inspirieren lassen, bei uns war das ein Bruch der Tradition, wir standen vor dem Nichts. Das war ein riesiger Schock, aber auch eine große Chance. Die interessantere Musik, und auch unsere, kommt heute aus den Bewußtseinsebenen.“

Nachgefragt, wieso es unmöglich sein soll, sich von Musik, die nicht der Nationaltradition entstammt, „inspirieren“ zu lassen, wird nicht. Der moderne Vorrang des ‚Neuen‘, ‚Eigenständigen‘ verhindert jede Reflexion. Der Vorrang dieses künstlerischen Werts gestattet es Schober, die genannten, mit den Städten Düsseldorf und Berlin auf unterschiedliche Weise verbundenen Gruppen herauszustellen. Bemerkenswert ist das, weil Schober nicht nur die zu diesem Zeitpunkt auch in New-Wave-Kreisen einigermaßen angesehenen Kraftwerk lobt, sondern auch Harmonia und Michael Rother (sowie die „Berliner Elektronik“), die 1979 von den Verfechtern des ‚Neuen‘ weit überwiegend als ‚Hippies‘ abgelehnt wurden. Ähnlich wie bei anderen deutschen Gruppen – in erster Linie noch Can, seltener Faust – hätten um 1980 auch Neu! einen guten Ruf besitzen können, die waren aber schon wieder weitgehend in Vergessenheit geraten.

Mit ihrer Zusammenstellung und Wertung ist Schober zukunftsweisend. Mittlerweile ist die Hippie-Abneigung längst wieder Vergangenheit. Der deutsche Kanon, den Schober andeutet, ist unter Verfechtern des ‚Avant-Pop‘ bestens etabliert. Ein später Ausdruck dessen ist der Band „Future Sounds“, der Interviewpassagen mit u.a. Musikern der genannten Bands montiert. Bei den meisten Kapiteln ist der Ertrag dieser Methode gering, entweder sind sie redundant (bei den Themen-Kapiteln, etwa „Drogen“) oder bringen wenig Interessantes (vor allem bei den Kapiteln zu einzelnen Bands, ausgenommen dem zu Can); in vielen vorliegenden Monografien ist das viel besser aufbereitet. Unangenehm ist wiederum die oft zu lesende Betonung des Eigenständigen als Moment des ‚Deutschen‘, so als habe es in den USA, in England, in Frankreich etc. nicht auch vielfältigste Formen sog. ‚progressiver‘ und elektronischer Rockmusik gegeben. In der Summe penetrant ist auch die Betonung der massiven reaktionären Widerstände, kaum einer stellt sich die Frage, wieso denn dann ihre eigenen ‚progressiv-avantgardistischen‘ Projekte so rasch und mitunter auch über längere Zeit ins Laufen kommen konnten, wenn die gesellschaftliche Situation so misslich gewesen sein sollte. Umso heller erstrahlt mal wieder das eigene Wollen, die eigene Kreativität.

Den entgegengesetzten Weg wählt Rainer Jogschies (Website zum ersten Band aus der Reihe „Kleine Krautologie“ hier). Sein Erinnerungsbuch handelt davon, dass ihm die „progressive“ Popmusik, für die er sich Ende der 1960er Jahre und in den 1970er Jahren begeistert hatte, im Laufe der Jahrzehnte verloren geht. Um ihn herum wird es dunkel, zu einer Feier eines vergangenen kulturhistorischen Abschnitts kann er darum nicht ansetzen. Er macht dafür viele Gründe aus, die politischer und ökonomischer Natur sind. Nach den ersten der 320 Buchseiten kann man darum leicht den Eindruck gewinnen, ein ‚Alt-68er‘ erzähle eine kulturkritische Verfallsgeschichte: Aus King Crimsons Stück „21st Century Schizoid Man“ wird für Jogschies etwa eine bedeutungslose ‚Neu‘-Fassung in „abgeschliffenem Sound“ in einem modischen „grellen Werbe-Clip für Paco Rabanne“ 2020 – „völlig belanglos, mit stumpf dreinblickenden Models“.

Doch merkt man schnell, dass Jogschiesʼ Buch sich nicht darin erschöpft. Die Melancholie und der Widerwille, sich vereinnahmen zu lassen, lässt sich nicht vollständig durch die Kritik an den bestehenden Verhältnissen rationalisieren, sie liegt hier tiefer oder umfasst mehr, entstammt dem Temperament und auch dem Stilwillen des Autors, der eine eindrucksvolle Sprache findet für die Erinnerungen an seine Jugend und seine Jahrzehnte in Musikszenen und Journalismus, zuerst bei „Sounds“ und „Twen“, später bei auflagenstärkeren Magazinen, als Dozent und freier Autor („Seit wann hatte ich eigentlich das Lesen von ‚Fachblättern‘, von Illustrierten wie dem stern, des „Nachrichten-Magazins“ Der Spiegel aufgegeben? Seit einer wie ich dort schrieb? Ich sah das als böses Omen.“)

Dass nicht alles oder auch nur wenig glückt und das Älterwerden vom Sterben der Freunde und Bekannten gesäumt wird, nimmt Jogschies nicht als selbstverständlich hin. Darum wird sein Rückblick stark vom Wissen und Erschrecken, dass es so geschieht, geprägt. Für den Leser ergibt das, vielleicht gegen die Absicht des Autors, einen doppelten Reiz: die vielen kleinen, bereits für sich interessanten, hauptsächlich Hamburger Begebenheiten bekommen eine große Einheitlichkeit und Kraft, die aus dem Stil der Erinnerung erwächst. Dem Buch sind viele Leser zu wünschen.

 

Rainer Jogschies, „Waren wir mal die Gegen-Kultur oder gegen Kultur?“, Hamburg 2021.

Christoph Dallach, „Future Sounds. Wie ein paar Krautrocker die Popwelt revolutionierten“, Berlin 2021.

Ingeborg Schober, „Die Zukunft war gestern. Essays, Gespräche und Reportagen“, hg. v. Gabriele Werth, Meine 2021.

 

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