Animal-Print
von Maren Lickhardt
23.8.2021

Das endlose Spiel der Verweise

[aus: »Pop. Kultur und Kritik«, Heft 15, Herbst 2019, S. 34-43]

Da sich Haute Couture meist mit ein wenig Verzögerung und ein paar Änderungen auf die Konfektionsware und somit das Straßenbild auswirkt, konnte man schon vor geraumer Zeit erwarten, dass viel Florales, Gepunktetes, Gestreiftes und Kariertes auf uns zukommen würde. Et voilà. Wir hatten Blümchen, Punkte, Streifen und Quadrate spätestens im Frühjahr und Sommer 2019 u.a. bei Mango, Zara, H&M. Dieser Trend wird nicht schnell vergehen: 2019 zeigten fast alle Fashion Shows der großen Modehäuser – von Giorgio Armani über Balmain, Chanel, Dior, Dolce & Gabbana, Fendi, Jean Paul Gaultier, Marc Jacobs, Alexander McQueen, Prada, Oscar de la Renta bis hin zu Versace – zahlreiche teils übertriebene Blumenarrangements sowie die entschieden unnatürlichen Formen der Punkte, Streifen und Karos.

Wahrscheinlich werden sich gedecktere Karos aller Art durchsetzen, zumindest sind sie in den Kollektionen für die kommende Herbst-Winter-Saison besonders häufig zu sehen. Was ihre Straßentauglichkeit angeht, sind sie tatsächlich über jeden Zweifel erhaben. Die Blumen, Punkte, Streifen und Quadrate kommen neuerdings in den Geschäften und auf der Straße zunächst einmal einfach zum Animal-Print hinzu, der in den letzten Jahren alles dominiert. Wer hätte gedacht, dass Frauen diesen Look einmal vollkommen frei von Ironie im Alltag auf der Straße werden tragen können – sogar dann, wenn sie sich nicht hauptberuflich auf der Straße bewegen? Und wer hätte je geahnt, dass man Leopardenmuster einmal mit weißen Turnschuhen kombinieren könnte?

Die subtilste Kritik und gleichzeitig das größte Lob, das man bis vor wenigen Jahren für Animal-Print einheimste, war ein mit hochgezogenen Augenbrauen kombiniertes ›Wie mutig‹. Damit war die Grenze des guten Geschmacks abgesteckt. Derjenigen, die mit dem ›mutig‹ versehen wurde, blieb nur noch, sich ihrer Verwegenheit zu erfreuen, denn Stilgefühl konnte sie nun nicht mehr für sich reklamieren. Schlimmer noch wäre die Bemerkung ›Wie amerikanisch‹. Aber auf die Idee, die Zuschreibung einer Nationalität zum Mittel einer Beleidigung zu degradieren, insbesondere wenn es um Stilfragen geht, käme ich natürlich nie, wenn ich nicht den wunderbaren Film »A Fish Called Wanda« von 1988 vor Augen hätte, in dem Kevin Kline und Jamie Lee Curtis Karikaturen von Amerikaner*innen spielen: Er mit Achselschweiß, Schusswaffe und Pludersporthose; sie mit tiefem Dekolleté und Animal-Print, Animal-Print, Animal-Print. 

Pharaon*innen hatten es schon immer mit Raubtierfellen – als Insignien ihrer persönlichen Kraft und institutionellen Macht, wobei sich in absoluten Monarchien Person und Institution überschneiden, vermeintlich organisch und natürlich in dieser Einheit einfach da sind, aber wegen ihrer rhetorischen und rituellen Inszenierungen naturalisiert werden mussten. Das echte Tierfell und die natürliche Berechtigung zur Herrschaft verweisen im weitesten Sinn aufeinander. Im engeren Sinn wird die Kraft der Raubtiere mustermagisch auf die Herrscher*innen übertragen. Aber tatsächlich besteht der Zusammenhang zwischen Macht und Pelz in mehr als einer symbolischen Relation; er ist wirklich indexikalisch, weil eine ursächliche Verbindung zwischen der grenzenlosen Verfügungsgewalt über Leben und Tod anderer Lebewesen und dem Tragen von Tierfellen besteht.

Im 20. Jahrhundert sind es die Stars, die sich mit Raubtierfellen schmücken, z.B. Jackie Kennedy. Der Pelz ist hier nicht mehr Indiz von Macht, sondern deren läppisches Symbol – und passt damit zu einer Frau, der bei allem Stilgefühl letztlich alles entglitten ist. Es ist lächerlich, in Zeiten allseitiger Verfügbarkeit und rationalisierter Tötungsapparate auf echte Tierfelle zu setzen. Es übertragen sich allenfalls Verfügbarkeit und Tod auf die Träger*innen, während die Echtheit oder Ursprünglichkeit von Pelzen zu Mode nicht so recht passen will.

Mode besitzt in der modernen, funktional differenzierten, also nicht mehr ständisch geordneten Gesellschaft eine besondere Aufgabe. Man kann Mode mit guten Gründen als Kunst bezeichnen; vor allem aber kann man nicht leugnen, dass ihr etwas Künstliches anhaftet. Dadurch spiegelt sie die Notwendigkeit und Möglichkeit der freien – allerdings an finanzielle Ressourcen gebundenen – Selbstverortung in einer Gesellschaft, die einem die soziale Position nicht mehr durch Geburt zuweist. Wenn Kontingenz und Künstlichkeit so greifbar sind, mag der Griff zum Animal-Print als Re-Naturalisierung erscheinen, als Ausdruck einer Sehnsucht nach Natürlichkeit. Diese Annahme ist jedoch falsch. Es gibt im Gegenteil kaum etwas Künstlicheres und damit der Mode Angemesseneres als die Print-Reproduktion eines Tierfellmusters, weshalb sich das Phänomen vielleicht so hartnäckig hält.

Zumeist ist von Raubkatzen die Rede, besonders vom Leo-Print, obwohl sich mancher so bezeichnete Leopard bei genauerem Hinsehen als Ozelot, Jaguar oder Gepard erweist. Mehr noch: So manchen Animal-Print ordnen wir als solchen ein, obwohl kein einzelnes Tier existiert, das dafür Pate gestanden haben könnte: Animal-Print als Simulacrum. In der Popkultur nimmt der Look seinen Ausgang im Exotismus der 1920er Jahre, später kommen Bettie Page und Rockabilly sowie Tommy Lee und Glam Rock hinzu. Der ikonischen Bilder gibt es unendliche. Im Bereich der High Fashion fallen einem Christian Dior und Roberto Cavalli ein, die den Leo-Print vom verruchten und wilden, ja animalischen Image nur ein wenig weg führten hin zum elegant Divenhaften. So oder so werden Katzen und – zumeist – Frauen aufeinander projiziert. Wie künstlich, reflektiert und kalkuliert es auch sein mag, Leopardenmuster in Stoff zu weben oder letztlich auf Stoff zu drucken, es also der materiellen Verfassung zu berauben, um lediglich noch das Zeichen zu erhalten – die unregelmäßigen Punkte, Kreise und Halbkreise bleiben zunächst einmal stets triebhaft konnotiert, lässt sich die sexuelle Komponente kaum tilgen.

Seit den 1960er und 1970er Jahren verbreitet sich der Leo-Look zwar deutlich, avanciert aber nicht wirklich zur Streetwear. In den 1980er, 1990er und 2000er Jahren hat es wie in jedem Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts einige Prominente gegeben, die ihren Celebrity-Status mit einem Tier-Druck unterstrichen. In jedem anderen Tragekontext kam einem aber wohl eher der Begriff ›Puffmutter‹ in den Sinn, wenn man an den Leoparden-Look dachte. Allerdings kann ich mich erinnern, dass Dolce & Gabbana es Mitte der 90er Jahre wagte, Hosen im Animal Style, allerdings nicht als Stoff-Print, sondern als Fell-Imitat vorzustellen. Es gab einen kleinen Hype. Ich selbst besaß ein bezahlbares Derivat, eine Hose mit grau-schwarz-weißem Ozelotmuster, die ich mich allerdings nie zu tragen getraut habe. 

Vom Verdacht des schlechten Geschmacks konnte sich der Animal-Print lange nicht befreien, obwohl er in verschiedenen Milieus, Popkulturen, Berufszweigen und auf dem roten Teppich stets präsent war. Ab den 2010er Jahren häufen sich aber die Tiersichtungen, die sich selbstverständlich nicht auf Leoparden oder andere Raubkatzen wie Tiger beschränken; es kommen auch Zebras und Schlangen hinzu. Zwar stellt »Google Trends« ein stumpfes Instrument dar, will man im Sumpf der Big Data fischen, aber es passt zu den Kollektionen bekannter Designer*innen, dass der Begriff ›Animal-Print‹ einen Peak von 2011 bis 2013 zu verzeichnen hat – insgesamt und im Bereich Shopping sowie Schönheit und Fitness –, ›Leo Print‹ hingegen in allen Bereichen um 2018/19. In den letzten Jahren haben wir Naomi Campbell, Lady Gaga, Paris Hilton, Madonna, Kate Moss, Michelle Obama, Kanye West im Raubtier-Druck gesehen. Man fragt sich, wen eigentlich nicht. Eine gewisse Penetranz entfaltete dabei wie üblich Heidi Klum. 

Bei den nun auch sehr hippen Zebras und Schlangen – wir werden uns noch fragen müssen, wo die Giraffen geblieben sind – denkt man im Vergleich zu den modischen Raubkatzen vielleicht ein bisschen weniger an Hollywood und mehr an Afrika. Das aber nur, wenn man überhaupt über den Print bewusst nachzudenken beginnt, denn sämtliche Animal-Prints haben sich mittlerweile massenhaft ein- und abgeschliffen. Jetzt kann man Shoppen wirklich mit Jagen gleichsetzen, vor allem als Pauschalreisen-Safari. Obwohl sich der Animal-Print durch H&M, Mango und Zara in ein egalisiertes und egalisierendes – man kann auch sagen: gleich-förmiges – Konsumerlebnis verwandelt hat, zeigen ihn die Haute-Couture-Schauen zahlreicher Designer*innen im Frühjahr- und Herbst 2019 noch immer.

Man kann darum nicht länger behaupten, Mode lasse einem keine Zeit, sich an einen Anblick zu gewöhnen. Leopard, Tiger, Zebra und Schlange sind nach wie vor präsent – allerdings mit abnehmender Tendenz und in interessanten Übertreibungen, Variationen und Metareflexionen. Bei Prada sieht man Animal-Print schon im Frühjahr 2018 und bei Gucci im Herbst 2019 in Patchworks eingearbeitet bzw. zu Patchworks verarbeitet. Er wird also mit deutlich kontrastierten, weiter denaturalisierenden Schnitten und Nähten collagiert und damit zitiert. Der Referenzcharakter des Patchworks, das Zitat des Zitats des Zitats des Tiers, sein Verweis auf das Nähen, also die eigene Gemachtheit, sowie der Umstand, dass der Tierkörper den Frauenkörper nicht überlagert und sich die Frau nicht in das Tier verwandelt, sondern es trägt, macht diese eigentlich zu unruhige Ästhetik letztlich doch interessant. Ähnliches hing allerdings zuvor bereits in allen möglichen Geschäften.

›High Fashion‹ scheint keine besondere Neigung mehr zu haben, sich vom Populären abzugrenzen, auch wo sie unermüdlich aus ihrem eigenen Formarsenal schöpft. ›High‹ und ›low‹ werden im Animal-Print ununterscheidbar, obwohl gerade das Tiermuster einst für ›the highest‹ und ›the lowest‹ bzw. das Teuerste und das Billigste stand. Roberto Cavalli kann und darf den Animal-Print natürlich nicht lassen. Aber die Muster und Farben verwischen, das Spendertier ist deshalb nicht mehr identifizierbar – wenn es überhaupt noch ein Tier ist. Nicht das jeweilige Animal, sondern das Prinzip des Prints als solches zählt und wird serialisiert. Es reichen am Ende vage Züge, um den Animal-Print in Erinnerung zu rufen, selbst wenn er sich längst von Zebras und Tigern in Baumranken, Blüten und Tarnfarben verwandelt hat.

Wenn man mit der Linienführung des Animal-Print ein wenig spielt, sie ein bisschen verkleinert, vergrößert oder verzieht, die Ränder fransiger oder schärfer gestaltet, die Muster gleichmäßiger oder unregelmäßiger anordnet, kommt man tatsächlich zu Tarnfarben – die Tiere haben schließlich auch Tarnfelle – und sogar zu Blumen, Punkten und Streifen. Bei Versace und Gaultier kann man z.B. sehen, dass Leopardenprint und Blumen sowie Plastikstreifen und Zebras optisch nicht weit voneinander entfernt sind. 

Nur Karos stellen sich dabei zunächst einmal nicht ein. Bei H&M, Mango und Zara handelt es sich vielleicht nicht um eine schiere Addition, wenn sich Florales, Gepunktetes und Gestreiftes zu Animalischem gesellt, sondern man kann die Muster und Farben imaginär in- und auseinander morphen. Man kann das mit Tigern, Zebras, Baumverästelungen und Streifen durchführen oder mit Schlangenmustern und Blätteranordnungen. Wenn die Elemente scharf abgegrenzt sind und das Muster regelmäßig angeordnet, handelt es sich um Punkte. Unschärfer umrissen und ungleichmäßiger verteilt, liegt eine Gepardenzeichnung vor. Öffnet sich der Punkt zu einem Kreis, haben wir es mit einem Leoparden zu tun. Öffnet sich der Kreis zu einem Bogen, tendiert die Form ganz andeutungsweise Richtung Tiger. Bei Jaguaren finden sich kleine Punkte im Kreis, das ähnelt letztlich einer Blume mit Stempel und Blättern.

Das Morphen funktioniert besonders gut, wenn man durch die Geschäfte geht und die Muster aus verschiedenen Distanzen und Richtungen sieht, vermeintliches Morphen also eigentlich ein Zoomen und Perspektivieren darstellt. Florale Ornamente, Punkte und Streifen scheinen auf den ersten Blick wirklich nichts mit Animal-Print zu tun zu haben, und doch wirken sie durch Strukturähnlichkeiten wie ein Zitat des Tierdrucks, zumindest wie ein Zitat des Zitats. Selbst die Konjunktur der Karos gibt keine Rätsel mehr auf, wenn man sie aus einer imaginären Netzgiraffe morpht. Ganz so abwesend und von mir frei erfunden ist die Giraffe aber gar nicht. Aufmerksame Beobachter*innen konnten sie in den letzten Jahren vereinzelt sichten, z.B. bei Michael Kors, den ich aber nur ungern erwähne, weil ich seine Taschen so nichtssagend finde. 

Im Bereich der Kleidermode sind es immer wieder Moschino oder Dolce & Gabbana, die sich opfern, um die Grenzen des guten Geschmacks auszuloten. Seit ich in Asien war, weiß ich aber, dass das gar nicht so gewagt ist, wie es mir stets erschien, sondern dass sich die Kollektionen einfach auf einen anderen kulturellen Geschmack eingestimmt haben. Dolce & Gabbana erstaunt bei dem gewohnten grenzgängerischen, bisweilen grenzüberschreitenden Unterfangen dieses Jahr durch recht witzige Plakativität, aber es kann auch sein, dass ich die Katze gerade gegen den Strich lese. Das Modehaus zeigt Animal-Print als Ganzkörperkonzept in Form eines bruchlos durchgemusterten Kleides kombiniert mit Animal-Print auf der Strumpfhose – als ironischen Kulminationspunkt. Letzteres behaupte ich einfach mal so.

Als Zitat funktionieren auch die Bilder ganzer Tiere, dabei stoßen wir auch auf eine der selteneren Giraffen. Oder ist es ein langhalsiges Zebra mit Dalmatiner-Punkten? Es handelt sich insofern um Animal-Print, als das ganze Animal auf den Stoff gedruckt oder genäht ist – als Collage eines Tierbildes, als ganze Tier-Form statt als Tier-Muster. Die Grenzen der Figur bzw. der Abbildung, also die Abbildhaftigkeit des Tieres, wird sichtbar und außerdem die groteske Verzerrung, dass eine – sagen wir – ganze Giraffe nicht armlängenklein ist und eine – sagen wir – ganze Giraffe nicht auf einen Menschen passt, während beim Animal-Print die Proportionen in Bezug zum Tier und zum Menschen halbwegs stimmen. Das Tier wird nicht simuliert, sondern es ist als Fotografie auf der Mode aufgebracht.

Die Entfernung von der Natur garantiert der Animal-Print auf vielen Ebenen: Nicht das Tier wird geschossen, sondern das Foto vom Tier – von der Jagd- zur Fotosafari lässt sich ein deutlicher Zivilisierungsschub verzeichnen. Unabhängig vom Schießen gilt: Die Frau ist nicht das Tier oder dessen Abbild, sondern sie trägt das Tier oder sein Abbild. Es geht selbstverständlich noch zitathafter, etwa wenn die Abbildung einer Frau auf einem Oberteil mit barockem Blumenmuster zu sehen ist, die ihrerseits vielleicht etwas Blumiges, vielleicht aber auch etwas Animalisches trägt.

Moschino-Verfremdungen des Zebra-Looks?

Animal-Print oder Streifen und Punkte?

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