Zum neuen digitalen Urheberrecht
[aus: »Pop. Kultur und Kritik«, Heft 21, Herbst 2022, S. 80-87]
Im Frühjahr 2019 haben die Organe der Europäischen Union die »Richtlinie (EU) 2019/790 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. April 2019 über das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte im digitalen Binnenmarkt und zur Änderung der Richtlinien 96/9/EG und 2001/29/EG« (kurz: DSM-Richtlinie) verabschiedet. Das ist die wichtigste, weil umfassendste und weitreichendste gesetzgeberische Maßnahme auf Ebene der EU im Bereich des Urheberrechts seit der sog. »InfoSoc-Richtlinie 2001/29/EG« (kurz: InfoSoc-Richtlinie).
Die InfoSoc-Richtlinie trat vor mittlerweile einer Generation kurz nach der Jahrtausendwende in Kraft. Medial, kulturell und ökonomisch ist das auch für das Urheberrecht wie ein Blick in ein Land vor unserer Zeit. Damals dominierten andere Themen als heute die Debatte: Filesharing/Tauschbörsen und Digital Rights Management auf Datenträgern, insbesondere CDs und DVDs. Brandneue Verwertungswege, z.B. Musik als mp3 via Internet, begannen sich gerade erst abzuzeichnen. Im Gesetzgebungsprozess, der schon in den 1990er Jahren begann, standen noch illegale Raubpressungen und deren länderübergreifende Distribution im Vordergrund. Heute hingegen geht es um Soziale Medien und User Generated Content, um Streaming und Plattformregulation, um künstliche Intelligenz und Text und Data Mining. Dazwischen liegt ein ganzer Zyklus der Kreativwirtschaft. Man denke nur an wichtige Stichworte aus dem Jahr 2010 wie iTunes und iPod – und an die bald darauf verstaubten Daten und Geräte dazu in der eigenen Schublade.
Wegen der starken Veränderungen des digitalen Binnenmarkts im legalen wie im illegalen Raum war eine Änderung des Urheberrechts zweifellos geboten. Allerdings erweist sich das Urheberrecht aufgrund der heterogenen, vielschichtigen, immer wieder gegenläufigen, aber vielfach grundrechtlich gleichermaßen abgesicherten Interessenslagen, die es hier auszubalancieren gilt, als ausnehmend komplexer politischer Gegenstand. Genau solch eines Ausgleichs – mit klaren, auch für Nichtjuristïnnen nachvollziehbaren Bedingungen – bedarf es aber dringend: für möglichst freies Kulturschaffen, möglichst ertragreiche Kreativwirtschaft und zugleich möglichst breite soziale Teilhabe. Parteien, Regierungen und Parlamente nennen genau dies immer wieder als Ziele, die es im Verbund zu erreichen gelte.
Aber nicht nur ist das Thema hochgradig komplex. Es betrifft neben politischen Akteuren, Künstlerïnnen und Kreativwirtschaft auch Presseverleger, Internetkonzerne und Netzgemeinde, die vergleichsweise leicht große Öffentlichkeiten herstellen bzw. erreichen können. Da zudem die Technologien des User Generated Content oder des Streaming schlicht zum Alltag breiter Gesellschaftskreise gehören, handelt es sich bei Urheberrechtsreformen zum einen zwar nach wie vor um ein Spezialistenthema, dessen Gepflogenheiten und Konsequenzen selbst Aktiven in Kulturschaffen und Kreativwirtschaft oft nur unvollständig klar sind, zum anderen jedoch um einen Gegenstand, der inzwischen fast alle angeht und zu dem viele eine Meinung haben.
Der Gesetzgebungsprozess zur DSM-Richtlinie, dessen legislative Vorläufer bis ins Jahr 2010 zurückreichen, nahm deshalb wenig überraschend die ganze Legislatur des vergangenen EU-Parlaments in Anspruch und war stark umkämpft. Am Ende wäre er sogar fast gescheitert. Die DSM-Richtlinie passierte das EU-Parlament erst im zweiten Anlauf und dies auch nur knapp. Sie trat schließlich am 6.6.2019 in Kraft, mit der Verpflichtung, sie bis zum 7.6.2021 in nationales Recht zu überführen.
Die deutsche Bundesregierung, die einen entsprechenden Gesetzentwurf vorbereitet hat, und die sie tragende parlamentarische Mehrheit des gesetzgebenden Bundestags nahmen in der vergangenen Legislaturperiode freilich aus primär politischen Motiven (Stichwort: Bundestagswahl) für sich in Anspruch, über erheblichen Spielraum bei der Umsetzung der DSM-Richtlinie zu verfügen. Man kann auch von einem Sonderweg sprechen, der hier beschritten wurde. Deshalb ist bislang, gut ein Jahr nach Inkrafttreten des nationalen Gesetzes, immer noch an vielen Stellen unklar, ob dies unionsrechtskonform war und Bestand haben wird.
Um zwei dieser Stellen geht es hier: Uploadfilter und Pasticheschranke. Beide Aspekte sind von potenziell besonders großer Tragweite für das Verbundziel möglichst freien Kulturschaffens, möglichst ertragreicher Kreativwirtschaft und möglichst breiter sozialer Teilhabe.
Hinter dem Schlagwort ›Uploadfilter‹ steht im Kern die Frage nach der Haftung von Plattformen im Internet für rechtswidrig hochgeladene Inhalte. Es geht um Maß und Qualität der Obliegenheit, in seinem Machtbereich durch technische Maßnahmen bereits die Rechtsverletzung der öffentlichen Wiedergabe solchen Contents zu unterbinden.
Hinter dem Schlagwort ›Pasticheschranke‹ wiederum steht die Frage, wann wir es im Bereich ungefragter künstlerischer Aneignungen fremder künstlerischer Leistungen als Ausgangspunkt oder Gegenstand neuer kreativer Leistungen denn überhaupt mit einer Rechtswidrigkeit zu tun haben. Den alten, Jahrzehnte bestehenden Interessenausgleich an dieser Stelle, die rechtlich sog. freie Benutzung (§ 24 Abs. 1 UrhG a.F.), hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) 2019 im Rahmen des »Metall auf Metall«-Rechtsstreits (Kraftwerk vs. Moses Pelham, der ohne Einwilligung der Band eine zwei Sekunden lange Tonfolge gesampelt hatte) als unionsrechtswidrig verworfen, da unvereinbar mit besagter InfoSoc-Richtlinie.
Die Einführung der aus dieser Richtlinie stammenden Pasticheschranke im Zuge der Umsetzung der DSM-Richtlinie ist der Versuch des nationalen deutschen Gesetzgebers, hierauf zu reagieren. Aufgrund der unionsweiten Harmonisierung des Bearbeitungsrechts durch die InfoSoc-Richtlinie kann er dies – ohne eine derzeit nicht erreichbar scheinende Rechtsänderung auf EU-Ebene – aber nur innerhalb des Spielraums tun, der ihm dort gelassen wird.
Uploadfilter und Pasticheschranke gehörten folgerichtig zu den Hauptthemen in der politischen, gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Debatte um die DSM-Richtlinie sowie um ihre nationale Umsetzung, die im Sommer 2021 abgeschlossen wurde. Seitdem war es jenseits der Rechtswissenschaft zunächst auffallend ruhig. Das wird sich jetzt aber ändern, denn diese beiden zentralen, miteinander verknüpften Stellschrauben des neuen Urheberrechts, Uploadfilter und Pasticheschranke, haben nun fast gleichzeitig die nationalen Gerichte erreicht. Ihnen obliegt es, über den schmalen gesetzlichen Wortlaut hinaus im Abgleich mit der Lebenswirklichkeit der jeweiligen Streitgegenstände Sinn aus den neu eingeführten Rechtsinstituten zu ziehen.
Der Bundesgerichtshof (BGH) setzte am 2.6.2022 (Hauptgeschäftszeichen I ZR 140/15) in einer Reihe von miteinander verbundenen Urteilen zu den Plattformen YouTube und Uploaded EuGH-Entscheidungen zum inzwischen alten Recht um. Es geht um die Frage, ab wann Plattformen für hochgeladenen urheberrechtswidrigen Content haften: Unternimmt die jeweilige Plattform genug gegen Urheberrechtsverletzungen? Reagiert sie unverzüglich und hinreichend auf den Hinweis einer Urheberrechtsverletzung? Ist es gegebenenfalls sogar Teil des Geschäftsmodells, Urheberrechtsverletzungen eine Plattform zu bieten? Der BGH gab die Angelegenheiten an die jeweiligen deutschen Berufungsinstanzen zurück, verbunden mit dem Auftrag, zu klären, wann eine Plattform für eine Urheberrechtsverletzung nach dem neuen Recht verantwortlich gemacht werden kann, das seit dem 1.8.2021 mit dem Gesetz über die urheberrechtliche Verantwortlichkeit von Diensteanbietern für das Teilen von Online-Inhalten (kurz: UrhDaG) in Kraft ist – bzw. was der Plattformbetreiber tun muss, um für rechtswidrige Uploads seiner Nutzerïnnen nicht verantwortlich gemacht zu werden (Stichwort: Uploadfilter). Das UrhDaG ist der Sonderweg, den der nationale Gesetzgeber gewählt hat, um diesen Teilaspekt der DSM-Richtlinie (Art. 17) umzusetzen.
Den Rest der Aufträge der DSM-Richtlinie hatte der nationale Gesetzgeber bereits zum 7.6.2021 mit einer Novelle des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (kurz: UrhG) erledigt, seit seinem Inkrafttreten zum 1.1.1966 Hauptgesetz des Urheberrechts. Parallel zu vorgenannter BGH-Rechtsprechung zur Plattformhaftung haben nun die ersten beiden nationalen Instanzgerichte – Landgericht Berlin und Hanseatisches Oberlandesgericht (OLG) Hamburg – sich zum Anwendungsspielraum der neuen Pasticheschranke im Bearbeitungsrecht geäußert, die der nationale Gesetzgeber mit der jüngsten Novelle neu ins UrhG eingeführt hat, die aber auch an zentraler Stelle des UrhDaG bei der Frage nach Verantwortlichkeit und Uploadfiltern vorkommt (vgl. §§ 5, 11 UrhDaG). Das OLG Hamburg hat zum Geschäftszeichen 5 U 48/05 im besagten »Metall auf Metall«-Rechtsstreit am 28.4.2022 die Revision über die Frage zugelassen, was denn eigentlich ein Pastiche im Rechtssinne sei. Diese Frage wird dadurch jetzt zu BGH und EuGH gehen, wo sie als autonomes Unionsrecht letztlich zu entscheiden sein wird.
Diese aktuellen Urteile erzwingen in den anstehenden nächsten Verfahrensschritten, Konflikte zu entscheiden, die der nationale Gesetzgeber an zentralen Stellen nicht gelöst hat. Erst das wird Uploadfilter wie Pasticheschranke ein Gesicht geben, insbesondere einen klaren Anwendungsbereich, der in beiden Fällen bislang umstritten ist und unklar bleibt. Nach wie vor ist offen, was das neue Urheberrecht hier jeweils bedeutet. Darum kommen wir nun in die entscheidende Phase, in der gerichtlich geklärt wird, unter welchem urheberrechtlichen Regime wir auf absehbare Zeit im Internet zu operieren haben werden.
Denkbar sind verschiedene Konstellationen mit jeweils weitreichenden ökonomischen, sozialen und kulturellen Folgen. Grob gesagt laufen wir in Sachen Uploadfilter und Pasticheschranke auf zwei Szenarien zu, die beide gleichermaßen unbefriedigend sind: erstens eine Verstetigung der Aushöhlung des Urheberrechts und der damit verbundenen Leistungsschutzrechte insbesondere im Internet zugunsten von Plattformbetreibern; zweitens eine Aushöhlung der Kunstfreiheit, der künstlerisch artikulierten Meinungsfreiheit und der sozialen Teilhabe hieran in Social Media und anderen Internet-Foren.
In seinem Bemühen, alle aufgerufenen, gegenläufigen Interessen möglichst produktiv zu balancieren, hat das UrhDaG eine ganze Reihe von neuartigen Regelungen gebracht, deren Praxistauglichkeit sich erst erweisen muss. Sie reichen von der Vergütungspflicht nur für bestimmte, an sich privilegierte Plattformnutzungen – z.B. bei Parodien, nicht aber bei Zitaten – über Beschwerdeverfahren in Fällen sog. Overblockings – der rechtswidrigen technischen Unterdrückung rechtmäßiger Inhalte wie etwa Parodien oder Zitate – bis hin zur Erprobung von quantifizierten Freigaben bei nichtkommerzieller Nutzung urheberrechtlich geschützter Werkteile und leistungsschutzrechtlich geschützter Medien für alltägliche künstlerisch-kommunikative Praktiken im Internet, wie sie nun etwa für bis zu 15 Sekunden Musik oder bis zu 160 Zeichen Text vorgesehen sind. Verbunden ist dies mit einem komplizierten Zusammenspiel von Beschwerde- und Rechtsbehelfsverfahren, die mal den Rechteinhaber, mal die Plattform und mal den Uploadnutzer zu handeln zwingen, will man jeweils eine Blockade der öffentlichen Wiedergabe erreichen bzw. verhindern.
Im Zentrum dieses Geflechts an Balancierbewegungen – und damit der Leistungsfähigkeit des UrhDaG – stehen jedoch die Uploadfilter, ein Begriff, den weder das europäische noch das deutsche Recht verwendet, in dem sich aber bündelt, worum es geht. Vereinfacht gesagt besteht das Ziel darin, den großen Plattformen, die enorme Profite aus der Lage ziehen, eine stärkere Verantwortung für die rechtliche Qualität jener Inhalte aufzuerlegen, die Dritte über sie im Internet öffentlich wiedergeben. Nach altem Recht hafteten die Plattformen lange nur sehr eingeschränkt als sog. Störer. Der Aufwand der Rechteinhaber war groß, gegen die unberechtigte Nutzung ihrer Werke und deren mediale Manifestation via Plattformen vorzugehen, der Ertrag gering. Die Plattformen machten sich bestenfalls einen schlanken Fuß, schlechtestenfalls betrieben sie ein Geschäftsmodell mit Rechtsbruch. Eine unmittelbare Haftung der Plattformen – als hätten sie selbst diese strittigen Inhalte hochgeladen und angeboten – verändert die Verhandlungsposition der Rechteinhaber natürlich sofort.
In den vorgenannten jüngsten Urteilen des BGH um YouTube et al. hat sich dies bereits nach altem Recht in dieser Weise geändert. Das UrhDaG hat freilich die sehr langsame Entwicklung in der Judikative quasi überholt. Es legt in deutlich komplexerer Manier fest, in welchen Fällen die Plattformen bereits durch proaktive technische Maßnahmen Urheberrechtsverletzungen durch Uploads zu verhindern haben, um nicht bei Unterlassen als Täter der öffentlichen Wiedergabe behandelt zu werden. Damit treten Uploadfilter in den Fokus (§ 7 UrhDaG spricht von »qualifizierter Blockierung«). Der EuGH hat sie im April 2022 (zum Geschäftszeichen C-401/19) für grundsätzlich unionsrechtskonform erklärt. Sie dürfen kommen. Und sie werden kommen. Theoretisch könnte all dies auch händisch durch manuelle Freigabe eines jeden Uploads erfolgen, faktisch aber natürlich nicht. Unvermeidlich wird es auf technische Filtermaßnahmen hinauslaufen, sobald man an deren Fehlen Haftungsansprüche bindet.
Plattformen besitzen jedoch eine zentrale Bedeutung für gesellschaftliche Debatten, soziale Teilhabe und kulturelle Entwicklung. Jede Form von Überregulierung soll daher vermieden werden. Auch hierauf weist § 7 UrhDaG ausdrücklich hin. Kunst- wie Meinungsfreiheit sind Grundrechte. Umgekehrt ist die Eigentumsfreiheit der Rechteinhaber nicht absolut, sondern unterliegt einer Sozialbindung. Ein Ausgleich muss her.
An dem Punkt beginnt die Angelegenheit, kompliziert zu werden. Denn Überregulierung zu vermeiden ist ein hehrer Anspruch, leichter gesagt als getan – denn es gibt eine Vielzahl an Nutzungen, die nach dem Urheberrecht privilegiert und erlaubnisfrei zulässig sind. Für den Bereich der Künste wichtig sind insbesondere das Zitatrecht (§ 50 UrhG) sowie seit der Urheberrechtsnovelle die Schranke zugunsten von Karikaturen, Parodien und Pastiches (§ 51a UrhG n.F.). Unterliegt eine Aneignung einer solchen Schranke, ist sie erlaubnisfrei zulässig. In der Praxis hängt daher sehr viel an einer entsprechenden Einordnung.
Bei Zitat, Karikatur, Parodie und Pastiche handelt es sich allerdings um ästhetisch wie juristisch hochkomplexe Konzepte mit einer Vielzahl an Spielarten in der künstlerischen Theorie und Praxis. Ob etwas ein Zitat oder eine Parodie ist, darüber sind sogar Menschen aus demselben kulturellen Kontext mit demselben Wissen oft zweierlei Meinung. Der Stand der Technik erlaubt erst recht keine verlässliche maschinelle Einordnung und Entscheidung. Ob dies je erreicht werden kann, erscheint mit einem Blick auf die aktuelle Debatte um künstliche Intelligenz mehr als ungewiss.
Die heutige Technik kann sehr gut Inhalte an anderer Stelle wiedererkennen: Von Plagiatssoftware im Hochschulbereich über Gesichtserkennung im Sicherheitsbereich bis zu einem Nutzerservice wie Shazam ist viel dergleichen auch im Alltag schon bekannt und im Einsatz. Alle vier urheberrechtlichen Schranken – Zitat, Karikatur, Parodie und Pastiche – gestatten jedoch unter bestimmten Voraussetzungen erlaubnisfrei, wiedererkennbare geschützte Züge fremder Vorlagen zu verwenden. Das ist gerade der Witz der Sache. Nicht schutzfähige Werkteile (etwa Handwerkszeug, das man anhand fremder Arbeiten lernt und dann anwendet) darf man ebenso stets erlaubnisfrei benutzen wie geschützte Werkteile – sofern man diese geschützten Werkteile in der weiteren Verarbeitung derart transformiert, dass ihr Ursprung nicht mehr erkennbar ist. Für beides braucht es keine Schranken. Deren Sinn und Anwendungsbereich ist das weite Feld fremdreferenziellen künstlerischen Schaffens. Man muss zwar mit dem Übernommenen etwas machen und darf sich nicht bloß mit fremden Federn schmücken wollen – »Interaktion« nennt das Recht das –, aber Erkennbarkeit ergibt eben nicht automatisch Rechtswidrigkeit. Es kommt vielmehr auf den jeweiligen Verwendungskontext an. Die vom Bundesverfassungsgericht zwingend eingeforderte kunstspezifische Betrachtung der Spezifik jedes Einzelfalls gebietet, hier stets ästhetisch genau zu sein. Das können Uploadfilter (bislang) nicht.
Als wäre die Sache nicht schon kompliziert genug, kommt noch die Pasticheschranke ins Spiel. Während Zitat und Parodie (und Karikatur als ihr Unterfall) zwar ästhetisch wie juristisch komplexe Konzepte mit viel Raum für Streit im Einzelfall darstellen, sind sie zumindest seit langem in Gebrauch – auch im Recht. Eine durchaus nennenswerte höchstrichterliche Kasuistik bietet Orientierung. ›Pastiche‹ jedoch ist ein neuer Rechtsbegriff in Deutschland, ungeklärt im EU-Recht, in dem er seit der InfoSoc-Richtlinie 2011/29/EG ein Schattendasein fristet und aus dem er gemäß Art. 17 DSM-Richtlinie nun einzuführen war.
Die rechtswissenschaftliche Debatte hat sich in den vergangenen Jahren enorm ausdifferenziert. Sie lässt sich auf zwei Kernpositionen kondensieren. Die eine Seite, jene des nationalen Gesetzgebers, sucht die Pasticheschranke zu einem Auffangtatbestand von maximaler Weite und ohne klare Voraussetzungen und Ausschlusskriterien auszubauen. Die andere Seite erwartet, dass dies vor dem restriktiven EU-Recht keinen Bestand haben wird. Sie nimmt an, dass die Pasticheschranke viel enger auszulegen ist. Insoweit den dominierenden Traditionen im Sprachgebrauch in der künstlerischen Theorie und Praxis folgend, sind als Pastiche nur solche Fälle als erlaubnisfrei privilegiert, in denen es um die Machart eines Werks geht. Diese kann selbstständig geschützt sein, wenn hier die ästhetische Identität einer Vorlage liegt. Es gibt solche Fälle. »Blurred Lines« von Robin Thicke mit Pharrell Williams, das lange die amerikanischen Gerichte beschäftigte, ist ein Musterbeispiel hierfür. Das Stück imitiert die Machart von Marvin Gayes »Got To Give It Up«, ohne freilich unmittelbar Melodien oder dergleichen aus der Vorlage zu entnehmen. Hört man beide Werke im Vergleich, wird das Prinzip aber sofort klar. »Blurred Lines« ist im Stile von »Got To Give It Up« geschrieben und produziert. In Deutschland ist schon mal jemand für die ungefragte Übernahme einer solchen Machart eines fremden Liedes verurteilt worden. Diese lag in einer Kombination stilistischer Elemente aus zueinander maximal fernliegenden Genres (Gregorianischer Choral/Mönchschor, Eurotrash Dancefloor, Ethnosamples) von hohem Wiedererkennungswert. Nach dem engen Pastichebegriff wäre eine solche Anleihe nun rechtssicher zulässig. Hauptanwendungsfelder für solche Pastiches finden sich z.B. im populären Musiktheater und in der Werbung (Soundalikes).
Egal, wie man die Summe der vielfältigen rechtlichen Argumente der einen wie der anderen Position bewertet, leuchtet im Blick auf das UrhDaG sofort ein, dass das Konzept der Uploadfilter per se nicht funktionieren kann, wenn gar nicht geklärt ist, was gefiltert werden soll und was nicht. Zu der Frage, ob die Technik das dann überhaupt kann, kommt man gar nicht erst. Das ganze System, das hier an Verantwortlichkeiten aufgebaut wird, kann deshalb nicht verlässlich funktionieren.
Selbst wenn die Frage, was rechtlich ein Pastiche ist, nun absehbar geklärt wird, und sich obendrein eine technische Lösung finden lassen sollte, die dies in Uploadfiltern verlässlich umsetzt, ist keineswegs ein befriedigender Zustand erreicht. Zitat, Karikatur und Parodie sind recht spezifische ästhetische wie rechtliche Konzepte mit vergleichsweise überschaubaren Anwendungsbereichen, gerade in Kunstformen wie der Musik. Daher operierte das alte deutsche Recht in seinem Zentrum mit der sog. freien Benutzung, eine Generalklausel, die fragte, ob das aufnehmende Werk ästhetische Selbstständigkeit erreicht – eine jedenfalls dem Grunde nach kunstnahe, flexible Vorgehensweise. Wird die Pasticheschranke aber künftig (wie Zitat, Karikatur und Parodie jetzt schon) eng ausgelegt, wird das Gros der Nutzungsfälle von Aneignungen im Internet in Uploadfiltern landen – vorausgesetzt, diese funktionieren. Wird die Pasticheschranke hingegen weit verstanden, läuft die Pflicht zur Kontrolle der Uploads via Filtern leer. Bei beiden Szenarien fällt es schwer, sich vorzustellen, dass jene Balance zwischen Rechteinhabern, Plattformen und Uploadnutzern erreicht werden kann, die in der politischen Kommunikation als Anspruch über dem UrhDaG thront.
Wir treten darum in die entscheidende Phase ein. Die Hoffnung hinter dem neuen Recht scheint zu sein, dass Plattformen und Verwertungsgesellschaften künftig das Gros der Anwendungsfälle per Lizenzvereinbarung erledigen, ein Teil des ökonomischen Kuchens im Internet darüber von den Plattformen an Kulturschaffende sowie alte Kreativwirtschaft zurückverteilt wird und die vorgenannten vielschichtigen Probleme auf diesem Weg keine quantitativ große Relevanz entfalten. Das allerdings ist ein Spiel mit ungewissem Ausgang, denn die Macht der Plattformen ist enorm, und für sie stecken kaum Mehrwerte und Vorteile in der neuen Ordnung. Die Aussichten sind deshalb eher trübe. Mehr denn je ist es an der Zeit, alternative Modelle für den Interessenausgleich zu entwickeln und für sie zu streiten.