Doomscrolling
von Johannes Franzen
8.7.2025

[aus: »Pop. Kultur und Kritik«, Heft 21, Herbst 2022, S. 92-100]

Die Hoffnungen und Ängste, die in einer Kultur an Medien geknüpft werden, lassen sich an den Begriffen ablesen, die im Alltag verwendet werden, um einen bestimmten Medienkonsum zu beschreiben. Wenn etwa die Rede davon ist, dass ein Roman ›verschlungen‹ oder Fernsehen ›geglotzt‹ wird, dann transportieren diese Ausdrücke eine vage, aber wirkungsvolle Rezeptionstheorie. Das Verschlingen von Büchern schließt historisch an die Lesesucht-Debatte im ausgehenden 18. Jahrhundert an, eine kulturkritische Diskussion über die angeblich grassierende rauschhafte Lektüre von Romanen. Das Fernsehglotzen dagegen beschreibt eine Rezeptionsform, die mit der kulturkritischen Paranoia verknüpft wird, das Medium könne seine Nutzerïnnen zu passiven Verbrauchern machen. In der Gegenwart wiederum kursieren Begriffe wie ›Binge Watching‹, die schnelle Rezeption mehrerer Folgen einer Serie hintereinander. Auch diese Metapher bedient sich aus dem Bildfeld des ungesunden Konsums – ›binge‹ beschreibt im Englischen vor allem den unkontrollierten Genuss von Alkohol oder Essen.

Bezeichnungen wie ›Verschlingen‹, ›Glotzen‹ oder ›Bingen‹ dramatisieren mediengeschichtliche Umbrüche wie den Aufstieg des Romans, den Siegeszug des Fernsehens oder die Etablierung von Video-on-Demand. Das Bild, das die Alltagstheorien solcher Begriffe von den jeweiligen Medien zeichnen, wirkt zunächst vor allem bedrohlich, dient allerdings oft auch dazu, ihre Macht und Bedeutung aufzuwerten. In den Bedrohungsszenarien, die sich vor allem zu Beginn einer Innovationsgeschichte um das neue Medium anlagern, steckt bereits die Erzählung seiner ungeheuren Wirkung. Im Fall des Romans erscheint es heute fast wieder als Aspekt einer Verfallsgeschichte, dass Menschen nicht mehr so süchtig sind wie früher.

Ein Begriff, der sich in den letzten Jahren etabliert hat und der die Mediennutzerïnnen als suchtgefährdete Menschen beschreibt, die sich einem gefährlichen Verhalten hingeben, ist ›Doomscrolling‹, was so viel bedeutet wie die unmäßige digitale Rezeption schlechter Nachrichten. ›Doom‹ gibt die inhaltliche Ausrichtung der Tätigkeit vor: Es geht um ›Verderben‹, um den Eindruck, die Welt würde von Schreckensnachrichten bestimmt. Dagegen beschreibt ›Scrolling‹ die mediale Technik, mit der man dieses Verderben obsessiv aufsucht. Evoziert wird das Bild einer Rezipientïn, die mit den Fingern stumpfsinnig und ohne Pause über ein Display streicht, auf der Suche nach neuen Horrormeldungen. Dabei ist Scrolling eine Tätigkeit, die mit der Vorstellung potenzieller Unendlichkeit in Verbindung steht – sei es in den nicht enden wollenden Timelines von Plattformen wie Twitter und Facebook oder in der digitalen Medienlandschaft, wo man sich von Link zu Link hangeln kann.

Den Begriff ›Doomscrolling‹ gibt es zwar schon seit einiger Zeit, vielfach verwendet wird er aber erst seit der COVID-19-Pandemie. Das Gefühl einer andauernden Bedrohungssituation bildete den Kontext, in dem ein spezifisches Medienverhalten eskalieren konnte. Ein Kolumnist der »New York Times« beschreibt diese Art der Mediennutzung im März 2020 unter dem Titel »How to Stop Coronavirus ›Doomsurfing‹« folgendermaßen: »falling into deep, morbid rabbit holes filled with coronavirus content, agitating myself to the point of physical discomfort, erasing any hope of a good night’s sleep.« Diese Beschreibung ist repräsentativ für die Erfahrung, die mit dem Begriff ›Doomscrolling‹ assoziiert wird: die rauschhafte Rezeption schrecklicher Informationen, bis hin zur körperlichen Erschöpfung, oft auf Kosten von Schlaf und Konzentration.

Die Anlässe für ›Doomscrolling‹ haben sich seitdem multipliziert. Oft genannt werden neben der Pandemie auch der Klimawandel, die politischen Skandale im Umfeld Donald Trumps, die Polizeigewalt, die der Anlass der Black Lives Matter Bewegung wurde, und seit Februar 2022 der Angriff Russlands auf die Ukraine. Diesem ereignisgeschichtlichen Kontext steht die mediengeschichtliche Umwälzung der Digitalisierung gegenüber, die die Rezeption des Schreckens nicht nur vereinfacht hat, sondern unausweichlich erscheinen lässt.

Der Begriff ›Doomscrolling‹ entwickelt seine semantische Effektivität vor dem Hintergrund einer Medienkritik, die auf eine Krise der Verfügbarkeit abzielt. Der Zusammenbruch der Periodizität in der Berichterstattung führt dazu, dass Nachrichten 24 Stunden am Tag produziert und rezipiert werden können – und das auf Geräten, die im Wesentlichen Teil des Körpers geworden sind und einen ortsunabhängigen Konsum ermöglichen. Die Berichte über die Schlaflosigkeit etwa, die ›Doomscrolling‹ bei seinen Opfern auslöst, spielt auf die konkrete mediengeschichtliche Innovation an, dass Menschen ihre Mobiltelefone mit ins Bett nehmen können.

Die Klage über die Erschöpfung und die psychischen Folgen der Rezeptionspraktik belegt, wie stark ›Doomscrolling‹ einen therapeutischen Diskurs aufruft. Die Autorin Karen Ho begann im Frühling 2020 auf Twitter, ihre Followerïnnen regelmäßig daran zu erinnern, mit dem ›Doomscrolling‹ aufzuhören. Ihre Tweets waren im Ton einer freundlichen Mahnung gehalten, die das Gegenüber darin bestärken sollten, auf die eigene psychische Gesundheit zu achten. Die große Resonanz, die diese Warnungen erzeugten, deutete die Popularität des Begriffs an. Seit dem Mai 2021 betreibt Ho auch den Doomscrolling-Reminder-Bot, einen Account mit über 77.000 Followerïnnen, der täglich mehrfach daran erinnert, wie schädlich Doomscrolling sein kann.

Es ist kaum verwunderlich, dass der Begriff auf Twitter eine so große Rolle spielt. Das suchtartige Scrollen, das Bedürfnis danach, die Nachrichtenlage in Echtzeit verfolgen und kommentieren zu können, das Gefühl einer gewissen (selbstverschuldeten) medialen Überforderung – all das sind Aspekte der Selbstbeschreibung von sog. ›Vielusern‹ der Plattform. Der Begriff ›Doomscrolling‹ ging aus dieser Sphäre in den Diskurs etablierter Medien über und avancierte dort zu einem beliebten Thema. Man findet inzwischen zahlreiche Texte und Sendungen, die Titel tragen wie »Finger weg vom Doomscrolling!« (»Monopol«), »Die einzig richtigen Maßnahmen gegen Doomscrolling« (»Standard«), »Was hilft gegen Doomscrolling?« (ntv), »Schlechte Nachrichten ohne Ende« (»Psychologie Heute«), »Doomscrolling: Warum wir gerne negative Meldungen konsumieren« (Deutschlandfunk Nova), »Doomscrolling – Medienkonsum in Krisenzeiten« (NDR). In Neuseeland wurde der Begriff sogar zum Wort des Jahres 2020 gewählt.

Ein Grund für diese mediale Beliebtheit liegt darin, dass Themen, die ein breites Identifikationspotenzial bieten und kontroverse Inhalte mit Lifestyle-Tipps verbinden, viel Aufmerksamkeit hervorrufen können. Das Konzept ›Doomscrolling‹ gibt Medien die Möglichkeit, aktuelle Ereignisse aufzugreifen und eine Lesart anzubieten, in der es am Ende um die individuelle Leserïn und ihre Gefühle geht. So werden Weltereignisse im Modus des ›Das kennt jeder‹ verarbeitet, der die Rezipientïnnen am Leid, das diese Ereignisse ausgelöst haben, partizipieren lässt. Nicht nur die Opfer von Krankheit und Krieg haben Aufmerksamkeit verdient, sondern auch die Opfer der Berichterstattung über diese Schrecken.

Die lebenspraktischen Implikationen der Kulturtechnik beschäftigen inzwischen sogar Krankenversicherungen. Auf der Internetseite der Barmer Ersatzkasse findet sich ein Text mit dem Titel »Doomscrolling stoppen – wie man sich nicht in schlechten Nachrichten verliert«. Schlechte Nachrichten (der Ukraine-Krieg, die COVID-19-Pandemie, der Klimawandel), heißt es dort, dominierten Informationsportale und die Newsfeeds der Sozialen Netzwerke. Der übermäßige Konsum solcher Nachrichten könne psychische Probleme zur Folge haben. ›Doomscrolling‹ erscheint auch in diesem Text als Bedrohungsphänomen einer Medienlandschaft, deren hervorstechendes Merkmal die Allverfügbarkeit ist: »War früher die Tageszeitung irgendwann ausgelesen und musste eine Stunde verstreichen, bis die nächste Nachrichtensendung im Radio lief, sind die Informationskanäle heute unerschöpflich.« Diese mediale Umwälzung könne gravierende Folgen haben: Schlafstörungen, Angstsymptome bis hin zur Depression. Dagegen helfen, wie am Ende in einer Liste von Tipps für »Cyberhygiene« aufgeführt wird, u.a. festgelegte Limits, Achtsamkeit und das Gebot, Technik im Schlafzimmer zu vermeiden.

Die rasche Transformation von einem Thema medienkritischer Kolumnen zu einem etablierten Krankheitsbild ist ein Indikator für die große kulturelle Dringlichkeit, die den Problemen, die der Begriff ›Doomscrolling‹ aufruft, zugemessen wird. In der Diskussion des Begriffs wird oft sogar eine Anthropologie der Mediennutzung bemüht, die eine Antwort auf die Frage sucht, warum Menschen überhaupt süchtig nach schlechten Nachrichten seien. Ein Beispiel für diesen Diskurs ist ein Gespräch, das im »Spiegel«-Podcast »Smarter Leben« mit der Neurowissenschaftlerin Maren Urner geführt wurde. In diesem Gespräch (»Wie versinke ich nicht in den Nachrichten?«) führt Urner aus, Menschen interessierten sich besonders für negative Schlagzeilen, weil die hohe Aufmerksamkeit für das Bedrohliche ein evolutionärer Vorteil für unsere Vorfahren gewesen sei. Eine gewisse Aufmerksamkeit für die Gefahr wird hier als anthropologische Konstante etabliert. Demnach beruht die Vorliebe für schlechte Nachrichten, die Tatsache, dass Menschen regelrecht süchtig danach werden können, auf einem prähistorischen Überlebensinstinkt.

Urner ist die Autorin des Buches »Schluss mit dem täglichen Weltuntergang: Wie wir uns gegen die digitale Vermüllung unserer Gehirne wehren« (2019), wo sie ähnliche Gedanken ausführte. Auch hier erscheint die digitale Medienlandschaft als ein Ort der Überforderung, an dem Rezipientïnnen von einer ›Informationsflut‹ überrollt werden. Etablierte Medien werden dafür kritisiert, dass sie nach dem Motto »If it bleeds, it leads« funktionierten. Schlechte Nachrichten werden demzufolge bevorzugt, weil sie die Nachfrage befriedigen, die der ›Negativity Bias‹ herstellt, und weil sie den Habitus des kritischen Journalismus bestätigen.

Urner ist Mitbegründerin des Magazins »Perspective Daily«, das sich dem Programm eines »Konstruktiven Journalismus« verschrieben hat. Die Publikation wurde 2016 gegründet und versteht sich als eine Plattform, die den niederen Instinkten der Berichterstattung entgegenarbeiten möchte. Statt die Leserïnnen und ihren eingeschleiften ›Negativity Bias‹ mit schlechten Nachrichten zu überzuckern, sollen Probleme lösungsorientiert dargestellt werden, zielgerichtete Analyse statt Aufregung also. Auf der Internetseite des Magazins heißt es gleich zu Beginn: »Schluss mit dem endlosen Strom negativer Schlagzeilen! Unser Konstruktiver Journalismus gibt dir einen realistischeren Blick auf die Welt – damit du weißt, wie wir sie ändern können.«

Die Grundsätze des »Konstruktiven Journalismus« klingen wie eine Art Gegenprogramm zum ›Doomscrolling‹. Zwar bezeichnet der Begriff eine Rezeptionsform, jedoch erscheinen die Rezipientïnnen, die hier evoziert werden, oft als hilflose Opfer von Medien, die eine anthropologische und psychische Tendenz zur Sucht nach negativen Nachrichten ausnutzen. Medien werden in diesem Kontext als etwas dargestellt, was überfordert und krank machen kann. Dazu kommt der Vorwurf, dass die Konzentration auf das Schlechte ein verzerrtes Bild der Realität zeichnen würde. Der Überschuss an Horrormeldungen, denen Menschen täglich ausgesetzt sind, führt demnach dazu, dass die Rezipientïnnen ein falsches Weltbild aufbauen.

Die Medienkritik, die hier anklingt, erinnert an das Konzept des »Mean World Syndromes«, das auch in den Wortmeldungen zum Thema ›Doomscrolling‹ zuweilen herangezogen wird. Es handelt sich um ein Konzept, das der Kommunikationswissenschaftler George Gerbner in den späten 1960er Jahren entwickelt hatte, um den negativen Effekt von Gewaltdarstellungen im Fernsehen zu beschreiben. Dazu wurden im Rahmen des »Cultural Indicators Project« unzählige Sendungen ausgewertet. Im Mittelpunkt standen vor allem die Tausenden von Morden, die die durchschnittliche Zuschauerïn durch das Fernsehschauen zu sehen bekam. Diese Flut schrecklicher Bilder war, so die These, verantwortlich dafür, dass Menschen glaubten, die Welt sei viel schlechter, bedrohlicher und gewalttätiger, als das eigentlich der Fall ist.

Das »Mean World Syndrome« erscheint aus heutiger Perspektive als Beispiel einer Medienwissenschaft als Medienkritik, die vor allem aus der Angst vor einer Innovation – dem Aufstieg des Fernsehens – entstanden ist. Zugleich zeigt der Blick auf diesen historischen Vorläufer des ›Doomscrolling‹-Diskurses, dass die Vorstellung, Medien seien etwas, das überfordert, krank macht und die Realität verzerrt, einen festen Bestandteil ihrer Geschichte darstellt. Insbesondere der implizite Realismus, der annimmt, ein Überschuss an schlechten Nachrichten oder gewaltvollen Bildern vermittle eine zutiefst falsche Vorstellung davon, wie die Welt wirklich ist, gehört zu den wichtigsten medienkritischen Topoi.

Der ›Doomscrolling‹-Diskurs greift diese Topoi auf und überträgt sie in die digitale Gegenwart. Er dient dabei vor allem als ein diskursives Instrument, mit dem eine Kultur sich über die Ängste und Hoffnungen in Bezug auf einen als bedrohlich und unübersichtlich empfundenen Medienwandel austauscht. Die potenzielle Betroffenheit aller Rezipientïnnen erzeugt im Fall von ›Doomscrolling‹ ein Identifikationspotenzial, das es für diesen Aushandlungsprozess besonders anschlussfähig macht. Persönliches Erfahrungswissen und anekdotische Evidenz bilden eine scheinbare Empirie, die in einer möglichst barrierefreien Debatte darüber, was die neuen Medien mit den Menschen machen, schnell zur Verfügung steht. Das führt allerdings auch dazu, dass eine gewisse Wehleidigkeit, eine Tendenz, die eigenen Leiden, die eigene Betroffenheit in den Mittelpunkt des Nachdenkens über den Medienwandel zu stellen, sich in die Diskussion eingeschlichen hat. Diese Tendenz erzeugt einen Wellness-Diskurs, der strukturelles Nachdenken über die eigene Gegenwart eher verhindert als fördert.

Ein gutes Beispiel für den medientheoretischen Wellness-Diskurs ist das Buch »Die Kunst des digitalen Lebens. Wie Sie auf News verzichten und die Informationsflut meistern« des Bestseller-Autors Rolf Dobelli (2019). Dobelli ist damit bekannt geworden, aktuelle kognitionswissenschaftliche Forschung im Stil der Ratgeberliteratur populär aufzubereiten. In diesem Buch wird nun der Umgang mit Nachrichten in den Bereich der Lebenskunst verschoben. Wie man mit Nachrichten umgeht, wird in diesem Buch als eine Frage des individuellen Verhaltens ausgegeben, die sich stark der Bildwelt von Ernährungs- und Suchtratgebern angleicht. Dobelli empfiehlt wahlweise eine »Detox-Kur«, eine »News-Diät«, oder gleich eine »radikale News-Abstinenz«. Nachrichten werden verglichen mit Alkohol oder Zucker.

Dobellis Buch ist knapp vor dem Aufstieg des Begriffs ›Doomscrolling‹ erschienen, beruft sich aber auf ähnliche Argumentationsfiguren der Medienkritik wie etwa den ›Negativity Bias‹, der die Mediennutzerïnnen anfällig für die ungesunde Rezeption schlechter Nachrichten mache. Dieser Umstand wird auch in Dobellis Welt von den Medien, die durchweg als zynische Händler eines drogenartigen Produkts dargestellt werden, ausgenutzt: »Sie liefern uns einen Strom schockierender Geschichten, die perfekt auf unser sorgenvolles Hirn zugeschnitten sind.« Die Folge seien Stresssymptome wie Schlafstörungen, Stimmungsschwankungen, aggressives Verhalten oder PTSD – oder wie es in Dobellis selbst ziemlich stress-induzierenden Diktion heißt: »Nachrichtenkonsum reduziert Ihre Lebensqualität. Sie gehen gestresster durchs Leben, sind gereizter, anfälliger für Krankheiten, und Sie werden früher sterben.«

Auch in Dobellis Buch erscheint die Mediennutzerïn der Gegenwart in erster Linie als suchtgefährdeter Mensch. Der Autor habe das an sich selbst beobachten können. Das erste Kapitel greift die Karikatur des Jargons eines AA-Meetings auf, wie man es aus Filmen und Serien kennt: »Hallo, mein Name ist Rolf, und ich bin ein News-Junkie.« Was folgt, ist die im konfessionellen Ton gehaltene Lebenserzählung eines Menschen, der schon als Jugendlicher zeitungssüchtig gewesen sei und die Gefahr dieser Sucht erst in dem Moment erkannt habe, als im Netz alle Schleusen für eine unerträgliche Flut von News geöffnet worden seien. Diese anekdotische Evidenz schafft die Grundlage für hyperbolische Medienkritik: »Durch die Digitalisierung haben sich News von einem harmlosen Unterhaltungsmedium in eine Massenvernichtungswaffe gegen den gesunden Menschenverstand verwandelt.«

Diese Art der kulturkritischen Extravaganz deutet die fragwürdigen Aspekte des therapeutischen Mediendiskurses der Gegenwart an – eine Fragwürdigkeit, die auch den ›Doomscrolling‹-Diskurs betrifft. Denn solche Medienkritik muss sich den Vorwurf gefallen lassen, selbst mit den Ängsten der Menschen zu spielen. Die Warnung vor den Medien, die menschliche Ängste ausnutzen, kann eben auch nur dann erfolgreich sein, wenn sie an die Ängste vor diesen Medien anknüpft. Dazu kommt der irritierende Aspekt, dass der therapeutische Diskurs der Nachrichtenrezeption die Möglichkeit eröffnet, das eigene Leiden an der Weltlage auf eine Stufe mit dem tatsächlichen Leid in der Welt zu stellen. Es erscheint unmittelbar einleuchtend, dass ein intelligenter, bewusster Medienkonsum eine gute Idee ist – allerdings suggeriert die Vorstellung, negative Nachrichten bewirkten ein schreckliches Ausmaß an psychischen und physischen Schäden, eine seltsame Gleichwertigkeit von Leid und der Darstellung von Leid, von Gewalterfahrungen und den Bildern von Gewalt.

 

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