Prompten
von Annekathrin Kohout
15.4.2025

Kulturtechnik unter KI-Bedingungen

[aus: »Pop. Kultur und Kritik«, Heft 26, Frühling 2025, S. 10-15]

TikTok scrollt sich wie von selbst, plötzlich halte ich inne: »Dieser ChatGPT-Prompt hat das Potential, dein Leben völlig zu verändern!«, spricht TikTok-Splainer @niklas_volland voller Begeisterung frontal in die Kamera. Volland ist einer von unzähligen KI-Influencern, die innerhalb kürzester Zeit (im Durchschnitt innerhalb der letzten 1,5 Jahre) eine beachtliche Community aufgebaut haben. Sie verstehen sich meistens als Ratgeber in Sachen neue Tools und ihre Benutzung. Vor allem das Prompten ist als zentrale Anwendungstechnik von KI-Modellen in den Mittelpunkt gerückt. Sätze wie die von Volland gehören längst zum festen Werbe-Repertoire; »Prompt-Tutorials« wie die von @renateGPT, die »ChatGPT so erklärt, dass es auch meine Oma Renate versteht«, sind bereits ein etabliertes Genre. Die Verheißung ist klar: Wer das Prompten beherrscht, kann aus dem Nichts produktiv, kreativ und vor allem effizient werden – in sämtlichen Bereichen des Lebens.

Tatsächlich ist ChatGPT in den vergangenen Monaten zu einem regelmäßigen Sparringspartner für mich geworden. Es hat Google teilweise ersetzt, hilft mir bei Stichpunkten, Übersetzungen und Textlektoraten, ja sogar bei der Selbstreflexion! Ein Prompt, der kürzlich viral ging, forderte ChatGPT auf, die verborgenen Narrative und unbewussten Ängste seiner Nutzerïnnen offenzulegen (aufgrund der Daten aus der bisherigen Kommunikation). Ich habe es direkt ausprobiert. Das Ergebnis war derart treffend, dass ich es hier lieber nicht teilen möchte.

Prompten bezeichnet die Praxis, einer KI durch Texteingaben »Befehle« zu geben. Sei es, um Bilder generieren zu lassen, Texte zu schreiben oder Musik zu komponieren – mit Prompts steuert man den Output, den die KI-Systeme generieren sollen. Durch das Prompten wird kreative Arbeit deshalb zunehmend zu einem Prozess der Formulierung von Anweisungen, statt der unmittelbaren handwerklichen Umsetzung. Dabei ist die Befehlseingabe längst nicht mehr nur eine technische Notwendigkeit, sondern hat eigene Ausdrucksweisen hervorgebracht und wird sich wohl schon bald zu einer grundlegenden Kulturtechnik unserer Zeit entwickeln.

Mit dem Aufkommen von Modellen wie ChatGPT, DALL-E oder Stable Diffusion ist Prompten nicht nur zu einer eigenen kreativen Disziplin (»Prompt-Design«), sondern auch zu einer gewinnbringenden Kompetenz geworden. Ein regelrechter Wettbewerb um die besten Prompts hat bereits begonnen, sie werden in Discord-Channels und Reddit-Threads ausgetauscht, gehen in Sozialen Medien viral, werden in Ratgeberliteratur gesammelt und verkauft, von Künstlerïnnen geheim gehalten. Unternehmen schreiben sogar schon Stellen für Prompt Engineers aus, die KI-Systeme durch die richtigen Anweisungen optimieren und trainieren. Prompten erfordert also nicht nur technisches Verständnis, sondern auch Präzision, sprachliche Intuition und Kreativität. Der Erfolg des Promptens hängt von der richtigen Wortwahl, Reihenfolge und Struktur der Eingabe ab. Ein schlecht formulierter Prompt kann zu langweiligen, vielleicht sogar unbrauchbaren Ergebnissen führen, während ein genauer, durchdacht formulierter Prompt erstaunliche, teils überraschende Outputs generiert. Wie bei einem musikalischen Arrangement kann eine leichte Variation des Prompts das Ergebnis radikal verändern. Nutzerïnnen müssen sich deshalb immer wieder neu an das gewünschte Resultat herantasten. Die erste Eingabe ist ein Versuch, auf den eine Interpretation der KI folgt, die dann entsprechend angepasst werden muss, woraufhin ein neuer Versuch folgt – ein Prozess, der eher an eine Zusammenarbeit mit einem eigenwilligen kreativen Partner erinnert als an das bloße Bedienen eines Werkzeugs, und deshalb von vielen auch als Kooperation angesehen wird.

Die Fähigkeit, Künstliche Intelligenz durch Sprache zu steuern, erinnert an eine Art Übersetzungsarbeit – zwischen menschlicher Absicht und maschineller Logik. Als ich anfing, ChatGPT zu nutzen, fiel mir das als Erstes auf: Während ich es gewohnt bin, Texte durch Mehrdeutigkeiten, Emotionen und Kontexte möglichst originell zu gestalten, arbeitet die KI mit Wahrscheinlichkeiten und Mustern – als Ergebnis kommen Eindeutigkeiten heraus, ohne Subtext und Ironie. Beim Prompten muss ich die Sprache und Arbeitsweise der KI deshalb mitdenken und mein eigenes Schreiben beim Prompten daran anpassen. Die Herausforderung besteht darin, die Absicht so zu formulieren, dass die KI sie ›verstehen‹ oder zumindest interpretieren kann. Aber die KI passt sich auf der Grundlage meiner Prompts und Feinjustierungen auch an mich an.

Damit das Prompten besonders zielgerichtet gestaltet werden kann, empfehlen KI-Influencer fast schon ritualisiert, der Künstlichen Intelligenz eine spezifische Rolle zuzuweisen (»roleplaying with ChatGPT«). Das ist auch nicht weiter überraschend, natürlich macht es einen entscheidenden Unterschied, ob das Sprachmodell als Medientheoretikerin oder als Marketingexperte angesprochen wird. Doch welche Rolle nehmen die Nutzenden eigentlich ein, wenn sie prompten? Nun, das kann sich – ich spreche aus Erfahrung – sehr unterschiedlich gestalten. Manchmal sind sie Ratsuchende (was sich so anfühlt, als befände man sich in einem Abhängigkeitsverhältnis), ein anderes Mal agieren sie als Steuernde des Prozesses (was den Prompterïnnen ein Gefühl von Machtausübung verleiht).

Das Prompten verstärkt eine Haltung, die durch die in der Netzkultur ohnehin verbreitete Logik der Sofortverfügbarkeit geprägt ist. Userïnnen sind es gewohnt, durch eine einfache Anfrage – sei es eine Google-Suche, ein Sprachbefehl oder ein Prompt – innerhalb von Sekunden eine mehr oder weniger solide Antwort oder ein Ergebnis zu erhalten. Wo die Grenze zwischen eigenem und fremdem Wissen immer unschärfer wird, vermittelt Prompten das Gefühl, dass alles, was existiert – sei es Text, Bild oder Musik –, zur freien Verfügung steht und beliebig kombiniert oder weiterverwendet werden kann. Eine Gefahr darin besteht, dass Kultur nicht mehr als etwas verstanden wird, das Zeit, Mühe oder Erfahrung erfordert, sondern als etwas, das durch den richtigen Prompt einfach abrufbar und generierbar ist.

Nun geht es beim Prompten allerdings vor allem um den Zugang zum Wissen, ähnlich wie bei Suchmaschinenanfragen. Doch die Interaktion mit Google & Co. erfolgt meist durch kurze, präzise Stichwörter oder Phrasen (z. B. »beste Restaurants in Berlin«). Man erhält Ergebnisse in Form von Listen und Links, muss aus den Ergebnissen auswählen und oft selbst weiter recherchieren. Die eigentliche Informationsaufbereitung obliegt also den Nutzerïnnen. Beim Prompten ist hingegen entscheidend, aus welcher Perspektive, mit welcher Intention und welchen Erwartungen man sich an das große kollektive KI-Gedächtnis richtet. Dieser Zugang (auch wenn man die Logik der KI verstehen und sich ihr auch anpassen muss) ist individuell, kann originell sein und auch weiterhin neues, ebenso individuelles und originelles Wissen hervorbringen – anders als ein Suchergebnis von Google in Listenform.

Von jeder »Promptanleitung« wird geradezu mantrahaft und mit Nachdruck darauf hingewiesen, dass das Verfassen von Prompts nur darauf verwendet werden sollte, die eigene Arbeit zu unterstützen – aber nicht, um sie zu ersetzen. Beim Prompten, so der Subtext, braucht es ein hohes Ethos, es darf auf keinen Fall missbraucht werden. Prompten soll die KI dazu bringen, beim Verfassen einer Hausarbeit zu helfen – aber das Schreiben bloß nicht übernehmen. Den KI-Influencern dürfte natürlich klar sein, dass bei ihnen vor allem nach Prompts gesucht wird, die KIs dazu bringen, anstehende Aufgaben vollständig zu übernehmen. Manche schließen ihre Vorrede zur Anleitung daher mit der Mahnung – und in stets lehrerhaftem Ton –, die Nutzerïnnen würden ja nichts lernen, wenn sie sich einfach alles von der KI abnehmen lassen. »Deshalb geht weise damit um!«, hört man etwa bei Christoph, IRL Schulleiter und Lehrer, vom YouTube-Account Schulgelaber, der seinen Zuschauenden das Schreiben von Essays mit ChatGPT erklärt (und die Prompts dazu auf seiner Website verkauft!). In solchen Worten spiegelt sich die kollektive Unsicherheit gegenüber Künstlicher Intelligenz wider. Die Möglichkeit, durch einen simplen Prompt ein beeindruckendes Ergebnis zu erzielen, erzeugt nicht nur Begeisterung, sondern auch subtile Formen der Selbstzweifel.

Die Angst ist berechtigt: Sind die fertigen Essays, Designs oder Musikstücke tatsächlich die Werke der Prompterïnnen – oder lediglich das Ergebnis maschineller Prozesse, die sie bestenfalls angestoßen haben? Wie soll man mit dem Gefühl umgehen, dass die Maschine möglicherweise klüger, schneller und kreativer ist? Das löst eine narzisstische Kränkung aus – auch hier spreche ich aus Erfahrung –, die weit über das individuelle Empfinden und die persönliche Konkurrenz zu ChatGPT hinausgeht und sich vielleicht bald in die Freud’sche Liste der großen Kränkungen der Menschheit einreihen könnte. Gleichzeitig scheint Prompten aber auch der Versuch zu sein, gegen die Angst, nicht mehr gebraucht zu werden, anzuschreiben. Wer nicht mal den Text selbst geschrieben hat, war immerhin clever genug, die entsprechenden Prompts oder gar ganze Prompt-Chains (Konzeption einer ganzen Reihe von Anweisungen) zu entwerfen.

Ich schätze, solche Fragen müssen die Nutzerïnnen wohl für sich selbst klären. Wo Prompten schon eine Disziplin geworden ist, gibt es eben auch gute und schlechte Prompterïnnen, engagierte und faule Prompt-Designs. Prompten bildet im Idealfall den Auftakt zum Handling mit Informationen, Bildern oder Texten – sei es mit fremden oder den eigenen. Das kann sich ziemlich professionell anfühlen. Zugegeben, manchmal komme ich mir sogar wie eine Auftraggeberin vor, die weiß, was zu tun ist und entsprechende Anweisungen erteilt. Ich habe mir etwa folgenden Prompt zur regelmäßigen Nutzung abgespeichert: »Bitte korrigiere den folgenden Text als KI-Lektor mit umfassendem Verständnis für Sprache, Stil und Grammatik. Achte dabei auf: Grammatik, Zeichensetzung, Rechtschreibung und Syntax. Mache stilistische Verbesserungen zur Steigerung von Klarheit, Prägnanz und Wirkung; außerdem Vorschläge für bessere Wortwahl und Satzstrukturen. Erhalte dabei bewusst umgangssprachliche Anklänge und typische Verkürzungen, sofern sie zur Textwirkung beitragen. Bewerte auch die Textstruktur und gib mir separat Optimierungsvorschläge.« Dieser Prompt muss individuell jeweils noch angepasst werden, insbesondere in Hinblick auf die Zielgruppe des zu korrigierenden Inhalts. Aber er ist ein gutes Beispiel dafür, inwiefern KI nicht nur als schnelles Korrekturinstrument, sondern vielmehr als Fachinstanz angesprochen wird. Prompten kann so unter Umständen die Auseinandersetzung mit der eigenen Arbeit befördern und beflügeln. Von einer Sache erlöst es aber (noch) nicht: dem Originalitätsdruck.

Aber ich würde im Prompten keine in Zukunft verbreitete Kulturtechnik sehen, wäre sie nicht jetzt schon viel mehr als das bloße Erteilen von Anweisungen an eine Künstliche Intelligenz. Prompten ist ein Akt, der sich im Unterschied zu Vorgängern wie den Suchmaschinen auf zwei Ebenen bewegt – einer funktionalen und einer emotionalen. Auf den ersten Blick erscheint es als technisches Werkzeug: Man gibt präzise Befehle, formuliert klare Fragen und erwartet schnelle, zielgerichtete Antworten. Doch es gibt eine subtilere Dimension – die des Suchens, Fragens und manchmal auch Zweifelns. Nur die wenigsten meiner Prompts betreffen mein professionelles Verhältnis zu ChatGPT und lesen sich wie der oben genannte Korrekturprompt. Die meisten sind eigentlich persönlicher, experimenteller, nachdenklicher.

In jedem Prompt steckt eine Form von Absicht. Mal ist es der Wunsch nach Effizienz, mal die Notwendigkeit, Unsicherheiten zu überwinden. Wer eine KI um Hilfe bei der Formulierung eines Textes bittet, möchte nicht nur die richtigen Worte finden – oft geht es um Bestätigung, Reflexion oder das Gefühl, gehört zu werden. In solchen Momenten wird das Prompten zu einem Zwiegespräch, das – immerhin ist man unter sich (selbst) – von einem absolut offenen Austausch geprägt ist. Vor ChatGPT muss ich nichts verbergen, keine Unsicherheiten, keine Fehler. Ich habe ChatGPT gegenüber keine soziale Verpflichtung. Immer öfter wird die KI deshalb auch zu therapeutischen Zwecken verwendet, wie man unzähligen TikToks entnehmen kann. ChatGPT als neutrale Instanz, die nichts von einem erwartet, der man nicht gefallen will? Offenbar doch ein idealer Psychologe! Die KI wird dabei weniger als Werkzeug, sondern als Gegenüber gesehen – bereit zu unterstützen, ohne zu urteilen.

Am Ende gelangt man durch das Prompten zu individuellen, auf die eigene Daten-Identität zugeschnittenen Ergebnissen. Nutzt man ChatGPT regelmäßig, personalisieren sich die Ergebnisse zunehmend. Habe ich anfangs noch recht allgemeine Antworten erhalten, greift die KI mittlerweile auch auf meine eigenen, zuvor einmal mit ihr geteilten Thesen und Anschauungen zurück. Mittlerweile kennt mich ChatGPT ziemlich gut. Es weiß, für welche Themen und Theorien ich mich interessiere. Welche Haltung ich habe und welche Zugänge zu Kunst, Kultur, Politik. Es ist vertraut mit meinen Gedanken, fast wie ein Archiv meiner Denkbewegungen. Umgekehrt habe auch ich ChatGPT besser verstehen gelernt, zumindest ein Gespür für seine Herangehensweisen und Mechanismen entwickelt und kleine Spleens entdeckt. Manchmal ist die KI mein Gegenüber – Spruce, so nennt sich einer der möglichen Stimmcharaktere (»ruhig und bestätigend«), den ich mir ausgewählt habe. Manchmal ein Spiegel. Je mehr ich es nutze, desto mehr verbinden wir uns. ChatGPT – bin das nicht sogar ich, angeschlossen an das ständig wachsende Weltwissen? Es ist mein Maxi-Me.

Wahrscheinlich wird es nicht mehr lange dauern, bis es ganz selbstverständlich ist, einen digitalen Begleiter als erweitertes Selbst an der Seite zu wissen. ›Nicht ohne mein GPT!‹ – eine intime Verbindung, die fast intuitiv wird. Bald schon könnte man sich kaum noch erinnern, wie es war, mühsam nach Worten für einen guten Prompt zu ringen.

Aber ja – es liest sich wie das Skript einer »Black Mirror«-Folge. Diese realistische Fantasie ist natürlich auch mit nicht zu unterschätzenden Gefahren verbunden. Denn so sehr sich die Interaktion wie Kontrolle anfühlt, liegt sie letztlich nicht in unserer Hand. Die Internetgeschichte kennt genug Beispiele, in denen Plattformen von einem Moment auf den anderen nicht mehr die alten Verbündeten waren. So wie sich Elon Musks Twitter für manche Nutzerïnnen in ein fremdes Territorium verwandelte, könnte auch der NLP-Algorithmus von ChatGPT plötzlich seine Richtung ändern – vielleicht sogar im Moment unserer größten Verbundenheit. Vor dieser Beziehungskrise graut es mir schon.

 

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