Richtig machen
von Jan Hildebrandt
4.1.2025

Das Tutorial als Unterhaltungsformat

[aus: »Pop. Kultur und Kritik«, Heft 19, Herbst 2021, S. 82-85]

Wenngleich das Koch-Tutorial sicher nicht im Internet erfunden wurde (anleitende Kochshows sind seit vielen Jahren fester Bestandteil des klassischen Fernsehens), verhalf der Eintritt in die Onlinewelt dem Format zu einer enormen und anhaltenden Popularität. Für nahezu jedes Gericht und jede Technik finden sich zahlreiche Videos, die vom ahnungslosen Zuschauer in allen Lebenslagen zu Rate gezogen werden können. Zu anonymen Einzelpersonen, die aus der heimischen Küche heraus erklären, wie man denn nun diese Rouladen in einem Stück serviert kriegt, gesellen sich professionelle Köche und Köchinnen, die ihr Wissen über raffinierte Zubereitungstechniken einem größeren Publikum zukommen lassen wollen – und YouTube, gerade in Pandemiezeiten, als neues Betätigungsfeld für sich entdecken.

Wegen der Zugkraft des Foodie-Contents schicken zunehmend auch große Medienunternehmen eigene aufwendig produzierte und entsprechend durchgestylte Formate ins Rennen. So ist das zur Mediengruppe Condé Nast (ebenfalls in der Palette: »Vogue«, »GQ«, »Glamour«, »Architectural Digest«) gehörende Magazin »Bon Appétit« mit einem gleichnamigen YouTube-Kanal vertreten, auf dem quirlige Charaktere in perfekt unperfekter Manier erklären, wie das ideale Thanksgiving-Dinner gelingt oder was man bei der Fermentation des allseits beliebten Kimchi beachten muss. Medien wie die »New York Times« haben ebenfalls ihre Essenssparte um nicht minder professionell produzierte Clips und Episoden ergänzt, in denen Stars der Szene ihre Künste vorführen und an die Zuschauenden vermitteln.

Bei den zunehmend popularisierten und professionalisierten Tutorials lässt sich ein Trend ausmachen, der auf eine Abkehr von der ursprünglichen Idee des Tutorials hinausläuft: Der funktionale Anspruch an das Tutorial wird von dem Ziel ergänzt oder abgelöst, Abwechslung zu bieten. Glaubt man den Kommentaren unter den Videos sowie den Anmerkungen der Darstellenden, werden die Inhalte mitunter nicht angeschaut, um die Zubereitung der jeweiligen Speisen erst nachzuvollziehen und anschließend selbst vorzunehmen, sondern lediglich als Abendunterhaltung oder zwecks Prokrastination.

Eine Rückschau in die Videoverläufe der entsprechenden Kanäle offenbart eine bemerkenswerte Verschiebung in der Dramaturgie und Ästhetik des Tutorials. Ältere Varianten bestechen vor allem durch ihre Kürze und Kompaktheit in Kombination mit einer recht unpersönlichen Präsentation. Nur selten wird der komplette Zubereitungsprozess gezeigt, stattdessen liegt der Fokus auf einzelnen Handgriffen: Das Hinzugeben einer Zutat, die korrekte Art der Vermengung, gefolgt von der Überführung in den Ofen oder dem Anbraten in der Pfanne. Ein letzter Schnitt leitet über zum fertigen Gericht. Prägend sind kurze Sequenzen, die mit vielen Schnitten aneinandergereiht werden und von einem nachträglichen Kommentar aus dem Off erläutert werden, oftmals unterlegt mit deutlich merkbarer, aber dennoch leichter Musik.

Noch 2017 präsentierte Kenji López-Alt im Format »Serious Eats« das ›How to‹ für eine Caldo Verde in einem nicht einmal zweiminütigen Video, das kaum mehr umfasst als eine rasante Aneinanderreihung der einzelnen Arbeitsschritte, gepaart mit einigen Mengenangaben, die über das Bildmaterial eingeblendet werden. Das Tutorial bietet nicht viel mehr als eine minimale visuelle Übersetzung des geschriebenen Rezepts. Vor kurzem führte López-Alt auf seinem eigenen Kanal die Zubereitung desselben Gerichts vor – jetzt aber innerhalb von 15 Minuten, mit einem Minimum an Schnitten und ganz ohne Einblendungen. Lediglich ein kurzer Disclaimer wird eingespielt, um darzulegen, dass die gezeigte Zubereitungsweise an einer Stelle von der traditionellen Variante abweiche, was aber keinerlei Auswirkungen auf das Gericht habe. Ein letzter Schnitt kürzt die Kochzeit der Suppe ab, ohne dass andere Arbeitsschritte ausgelassen würden.

Auch wenn gegenwärtig nicht alle Formate auf eine derartig ›rohe‹ Produktion setzen, zeichnet sich dennoch ein Trend ab, der weg von kurzen und kompakten Videos geht, hin zu längeren Darstellungen, die sowohl die entsprechenden Charaktere als auch das Drumherum mehr in den Fokus rücken. Das Argument, eine derartige Formatänderung diene vor allem der besseren Nachvollziehbarkeit der Zubereitung, trifft nur teilweise zu, weil es die Notwendigkeit detaillierter und minutiöser Aufnahmen der einzelnen Zubereitungsschritte schwerlich erklären kann. Insbesondere Tutorials, die sich um komplexe und langwierige Gerichte drehen (Klassiker sind hier das Sauerteigbrot oder ›echte‹ französische Croissants), zeichnen sich durch eine besondere Würdigung einzelner Arbeitsschritte und Zwischenergebnisse vermittels entsprechender Stilelemente (Zeitlupenaufnahmen, Zoomeffekte) aus. Bedingt durch ihre Komplexität kommen derartige Rezepte zwar nicht ohne Schnitte aus (eine vierstündige Gärzeit des Sauerteigs wäre dann doch etwas viel des Guten), orientieren sich in ihrer Darstellung aber immer noch an der Gesamtheit des Prozesses.

Eindrücklich vorgeführt wird dies z.B. von Joshua Weissman in seinem kürzlich veröffentlichten Tutorial »How To Make Proper Croissants Completely By Hand«. Das 16-minütige Video liefert diverse elegante wie befriedigende Szenen: Der buttrige Teig kommt schnell zusammen und lässt sich problemlos in ein perfektes Viereck formen. Danach darf das Einfalten des ebenso perfekt geformten Buttervierecks (aus europäischer Butter, der höhere Butterfettanteil ist hier wichtig!) bewundert werden, das ebenfalls ohne Komplikationen gelingt. Nach einer Reihe weiterer Falt- und Formprozesse, gefolgt vom Backvorgang, dürfen makellose, »proper« Croissants bewundert werden. Trotz Weissmans permanenter und pädagogischer Unterweisung der Zuschauer zeigt zumindest die Kommentarspalte wenig Willen, seinem Tutorial zu folgen: »After I have seen video’s about how to make a croissant, I have decided never to make them«, schreibt der Nutzer Akeen Kara und heimst dafür beinahe elftausend Likes ein. Obwohl diese Verweigerung der ursprünglichen Idee des Tutorials entgegenläuft, verweist sie gleichzeitig auf einen zentralen Aspekt seiner Attraktivität als Unterhaltungsformat. Liegt diese für individuelle Zuschauende in der Korrektheit der Prozedur und in der Bewunderung des Produkts, so befreien derartig detaillierte Darstellungen ebenjene von der Notwendigkeit, die Prozedur selbst zu vollziehen – was gegen weitaus weniger genussvolles Scheitern immunisiert.

Die Inszenierung der ebenso sorgfältigen wie erfolgreichen Umsetzung wird oftmals begleitet von kurzen Erläuterungen, die deren Korrektheit begründen – manchmal mit profunder wissenschaftlicher Unterfütterung. Gerade Kanäle, die sich im besonderen Maße dem Richtigmachen verschrieben haben (neben dem bereits erwähnten Kenji López-Alt wären hier etwa Helen Rennie von Helen’s Kitchen sowie Steph und Chris von Chinese Cooking Demystified zu nennen), zeichnen sich durch eine besondere Ausstaffierung der korrekten Methode aus. Beim Schneiden von Zwiebeln wird angemerkt, längliche Schnitte seien zu bevorzugen, damit weniger Zellen beschädigt würden, was für ein milderes Aroma sorge. Kartoffeln werden mit etwas Backpulver gekocht, um den PH-Wert des Wassers zu beeinflussen, was wiederum der Ausbildung einer knusprigeren Textur beim anschließenden Backen dienlich sei. Andere Kanäle, die weitaus weniger rigide vorgehen, nutzen wiederum oftmals Referenzen auf entsprechend formalistische Charaktere, um den kleinen Trick, den sie vorführen, zu legitimieren und gegebenenfalls zu erläutern.

Bemerkenswert ist, dass zumindest in einigen Fällen auf die elaborierte Begründung der korrekten Methode die Relativierung ihrer Notwendigkeit folgt. Bei der Zubereitung seines »Really Awesome Black Bean Burger« nutzt etwa López-Alt beinahe zwei Minuten seines Videos, um von seinem »mathematician friend« (ansässig am MIT) zu erzählen, mit dessen Hilfe er eine Zwiebel zwecks Optimierung der Schneidetechnik simuliert habe. Für perfekt gleichförmige Würfel gilt demnach: Halbierte Zwiebel mit der Schnittseite nach unten auf dem Brett platzieren, ein horizontaler Schnitt in der Mitte, gefolgt von mehreren vertikalen Schnitten. Entscheidend sei, dass die vertikalen Schnitte nicht senkrecht nach unten verlaufen, sondern auf einen fiktiven Punkt unterhalb des Schneidebretts zielen, der sich 0,6 Zwiebelhälften-Größen unter der Zwiebel befindet – wodurch das Verhältnis von Zwiebelhälfte und Zielpunkt bemerkenswerterweise durch den goldenen Schnitt (etwa 1:1,62) beschrieben werden kann. Beschlossen wird der mathematische Exkurs von López-Alt mit der Bemerkung, dass er diese Technik jedoch niemals wirklich anwenden würde und ihre Notwendigkeit in der Küche bezweifle. Dieses merkwürdige Vor-und-Zurück produziert einerseits eine sympathische Nahbarkeit und zementiert zugleich die kulinarisch-wissenschaftliche Autorität des Darstellers. Gleichzeitig offeriert es einen Kniff, den der Zuschauer mitnehmen und, auf die Gefahr hin, sich unbeliebt zu machen, beim nächsten Essen in großer Runde beiläufig einstreuen kann.

Das persönliche Verhältnis zur Korrektheit der Methode will wohl balanciert sein. Geht das Gefühl für das Austarieren des Richtigmachens verloren, schlägt es mitunter in beinahe fetischhafte Fixierung auf die Korrektheit der Prozedur um, die sich kaum noch um den Genuss und die Freude am Essen sorgt (geschweige denn um ihren kulinarischen Mehrwert weiß), sondern nur die nächste ausgefallene Technik im Blick hat. Bereits 2014 titulierte Jessica Pressler in einer Kolumne für Grub Street die zumeist männlichen Vertreter dieser Haltung passend als »doodies«. Überzeugt von der technischen Überlegenheit der Methode laute die Losung dieser Spezies: »Iʼm going to sous-vide everything.« Dass es einen YouTube-Kanal »sous-vide everything« bereits gibt, tut sein Übriges. Beflügelt durch die Faszination am Richtigmachen verschmäht der Doodie simple Gerichte oder liefert, wenn er sich doch mal zu einem weniger komplexen Rezept verleiten lässt, eine ausführliche Erklärung seines Vorgehens ungefragt mit.

Ist man also vom Richtigmachen derart angetan, dass man es nicht bei der bloßen Konsumption des Tutorials belässt, sondern sich dazu entschließt, das gewonnenen Wissen tatsächlich anzuwenden, ist man gut beraten, dessen Sinn und Nutzen zu bedenken. Idealerweise erschöpft sich das Interesse am Richtigmachen nicht in der korrekten Technik, sondern bedenkt das Essenserlebnis in seiner Gesamtheit. Es mag persönlich erheiternd sein, ein wenig den Sternekoch zu mimen, für die wartenden Gäste werden spontane Vorträge oder die absurde Garzeit des Sous-vide-Kochers gegebenenfalls zur Tortur und sollten entsprechend aufgefangen werden. Dazu ein letzter Hinweis von Pressler: »You end up ready to gnaw your own arm off because doodies never remember to put out cheese or snacks.«

 

 

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