Auf der Suche nach dem optimalen Roboterpartner
[aus: »Pop. Kultur und Kritik«, Heft 18, Frühling 2021, S. 54-59]
Eine Schlagzeile begleitet mich schon seit einigen Jahren: »Male sex robots with unstoppable bionic penises are coming this year« (metro.co.uk; 8.1.2018). Gleichbleibend verheißungsvoll rotiert sie von einer Clickbait-Plattform zur nächsten, und nicht zuletzt das Cookie-Tracking im Browser dürfte meine Hoffnung ein ums andere Mal befeuern: Dieses Jahr kommen sie wirklich, die männlichen Sexroboter mit unaufhaltbarem bionischem Penis. Ich klicke ihn an, den Artikel, und bin sofort enttäuscht. Keine Bilder von Robotergenitalien. Glauben wir der Prognose des Computerwissenschaftlers David Levy, die er 2007 im Buch »Love and Sex with Robots« festgehalten hat, dürften wir nicht vor dem Jahr 2050 mit erschwinglicher und flächendeckender Gesellschaftsrobotik rechnen. Dann aber, so Levy, werden wir die Roboter aufgrund ihrer vielen Talente und Fähigkeiten als soziale Begleitung akzeptieren und lieben lernen.
Von vielfältigen Special-Features ist auch im angeklickten Artikel die Rede, von konfigurierbaren Charakterzügen und endlosen Erektionen. Auf einem der raren Bilder ist der Roboter verlockend auf der Bettkante drapiert: oberkörperfrei, eine massive Wölbung zeichnet sich im enganliegenden Slip ab, die Gesichtszüge fein, fast zärtlich. Ohne Zweifel handelt es sich um ein lebloses Objekt, das der menschlichen Physiognomie nachempfunden ist. Selbst einen Bauchnabel hat die Puppe, Haare auf der Brust und ein geweitetes Arschloch, wenn ich das so will. Unter dem Bild steht: »Real men could soon be replaced in the bedroom by these frisky faux alternatives« – steckt in Sexrobotern mit Dauererektion tatsächlich das Potenzial, unsere zwischenmenschlichen Beziehungen zu ersetzen?
Das Start-up Realbotix ist davon überzeugt und liefert nicht nur die handgefertigte humanoide Sexpuppe mit variabler, auf die Käufer*innen abgestimmter Konfiguration, sondern programmiert auch die künstliche Intelligenz im Computergehirn – für den Deeptalk bei der Zigarette danach. Mit Hilfe der eigens dafür entwickelten App können die Charakterparameter des Roboters eingestellt und trainiert werden, auch außerhalb der Betriebszeiten. Eine Puppe aus weichem Silikonfleisch, mit biegsamem Skelett und samtiger Oberfläche. Mit Augen, die sich automatisch öffnen und schließen, mit einem Mund, der sich bewegt, sobald die Computerstimme ertönt. Einzig die Statik macht noch Probleme: Die Roboter können nicht stehen, nicht gehen, lediglich aufrecht sitzen und müssen für jede Bewegung arrangiert werden.
Eine nahezu bewegungslose Puppe mit Löchern und Auswüchsen, unendlich variabel, so lange wir uns in den eigenartigen Grenzen der menschlichen Morphologie bewegen, denn die Schöpfer*innen zeigen kein Interesse daran, außerhalb stereotyper Vorstellungen von Körpern, Sexualität und Begehren zu arbeiten. Als potenzielle Käufer*in muss ich eine grundlegende Entscheidung treffen: Ich muss wählen aus zwei Basiskonfigurationen. Über das Robotergeschlecht entscheidet einzig die Anzahl der Löcher, Wölbungen und phallischen Auswüchse. Ich habe die Wahl zwischen einer Puppe mit drei Onanielöchern und Wölbungen auf der Brust oder einer Puppe mit flacher Brust, dafür mit einem Auswuchs im Schritt und zwei Onanielöchern. Das ist sie also, die Zukunft der Sex-Technologie?
Die Sexroboterbranche hat die Corona-Pandemie und damit eine der besten Marketingstrategien zur populären Platzierung ihres Produkts für sich verpasst. Frei nach Rainer Maria Rilkes »Herbsttag«: »Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben«, blicken Alleinlebende und Menschen, die Poly- und Fernbeziehungen pflegen, hinsichtlich der Erfüllung ihres Sexlebens auf ein entbehrungsreiches Jahr zurück. Eingesperrt zwischen den eigenen vier Wänden, ohne die Möglichkeit regelmäßig Dates oder Sexwork in Anspruch zu nehmen, wäre die Gesellschaft eines gesprächigen Sexroboters eine erfrischende Abwechslung gewesen. Zwar ist die Sex-Tech-Branche im Aufschwung, auch die Chefetagen von Apple und Facebook halten »Augmented Reality« für das nächste große Ding, doch massentauglich sind die Teledildonics und Masturbatoren noch nicht. Von außen via App gesteuert, realisieren die Tools sexuelle Stimulation bei körperlicher Distanz. Weiter lassen sie sich mit einer Virtual-Reality-Brille synchronisieren und reagieren auf die Bewegungen, die in den VR-Filmen performt werden. Auffallend ist auch hier der Fokus auf stereotype Vorstellungen von Sexualität und Geschlecht. Die Produkte sind zuallererst an einem phalluszentrierten, penetrativen Begehren ausgerichtet.
Pandemiebedingt zurückgeworfen auf die sexuelle Selbsterfüllung, können wir uns dennoch glücklich schätzen: Die noch im Zuge der Aufklärung extrem verpönte Masturbation hat spätestens mit der sexuellen Revolution der 68er, aber vor allem durch die emanzipative Frauen- und Homosexuellenbewegung eine ideelle Aufwertung erfahren. Masturbationsfördernde Gegenstände und Technologien werden heute als Gesundheits- und Wellnessprodukte beworben. Multiple Orgasmen sind ein Must-have zur Entspannung vom stressigen Alltag. Wo in den populären Serien »Sex and the City« (1998-2004) und »How I Met Your Mother« (2005-2014) das Auspacken des geschenkten Dildos noch von schambehaftetem Gelächter und verlegenen Blicken begleitet wird, greift die Protagonistin der im Oktober 2020 erschienenen Netflix-Serie »Emily in Paris« nach einem ereignisreichen Tag ganz selbstverständlich zum Klitorismassagestab, dessen Elektronik jedoch den Stromkreislauf des gesamten Hauses lahmlegt. Die Scham wurde aus dem inneren Raum in den äußeren verlegt.
Der Sextoy-Markt boomt. Tendenz steigend. Im Jahr 2020 gaben laut Statistica 61 % der cis-Frauen und 47 % der cis-Männer im Alter zwischen 18-56 Jahren an, Sextoys zu nutzen. Das sind jeweils 4 Prozentpunkte mehr als im Vorjahr. In Deutschland treibt Amorelie mit prominent platzierter Plakatwerbung und raffinierten Social-Media-Kampagnen die Enttabuisierung voran. Der Online-Sexshop versteht sich nicht nur als Marketplace, sondern auch als Aufklärungsportal und bietet in zahlreichen YouTube-Tutorials umfangreiche Informationen zur Steigerung der Lust mit Hilfe ihrer Produkte. Die Zielgruppe wird zwar auch hier cis-heteronormativ und gender-binär angesprochen, die Lust der cis-Frauen steht aber unbestritten im Vordergrund. Unabhängig vom Alter, ob alleinlebend oder partnerschaftlich verbunden, ob kinky oder vanilla, die meisten Toys bieten ein breites Anwendungsspektrum. Betont lässig werden die knallbunten Dildos, Vibratoren, Butt-Plugs, Love-Rings, Liebeskugeln, Prostatastimulatoren, Masturbatoren, Flashlights und mehr in die Kamera gehalten und der schnelle Zugang zu gesteigerten und multiplen Orgasmen garantiert.
Auffallend ist, dass die Gegenstände immer ausgefallenere Formen annehmen. Wo der klassische Dildo in den 1970er Jahren noch stark dem Penis-Ideal nachempfunden war und folglich die penetrative Stimulation im Vordergrund stand, wirken die Masturbationstools der Jetztzeit wie die viskos-liquiden Wüchse in den Lavalampen unserer Jugendzimmer: Samtig glatte Oberflächen, angenehm runde, fließende Formen, die gut in der Hand, auf und in unseren Körpern liegen. Offenbar geht es bei diesen neuen Produkten weniger darum, das vermeintlich natürliche Geschlechtsorgan zu ersetzen, sondern um die Expansion der sexuellen Lust auf diese andersartigen, aber zur Stimulation tauglichen Gegenstände. Die Literaturwissenschaftlerin Sophie Wennerscheid sieht genau darin die besondere Qualität von Sextoys. In ihrer umfangreichen Analyse des Begehrens der Zukunft unter dem Titel »Sex Machina« aus dem Jahr 2019 schreibt sie in Bezug auf die zeitgenössischen Designs: »Sexuelle Lust wird so zu etwas, das nicht den Beschränkungen des ›natürlicherweise Gegebenen‹ unterliegt, sondern als gleichsam ergänzte, zweite, andere oder alternative Natur erlebbar wird.« In diesem Sinne könnten wir auch unsere eigenen Geschlechtsteile als ›Sextools‹ verstehen lernen, die sich sowohl miteinander als auch mit lustbringenden Gegenständen in unerschöpflicher Vielfalt kombinieren lassen.
Solch eine diverse Perspektive auf sexuelle Lust war im Eröffnungsfilm des Pornfilmfestivals 2020 in Berlin zu sehen. Die Regisseur*innen und Darsteller*innen Jo Pollux, Katy Bit, Finn Peaks, Candy Flip und Theo Meow verhandeln in »Urban Smut« in fünf sehr unterschiedlichen Kurzfilmen jeweils eine andere sexuelle Fantasie, die sich weder widersprechen noch ergänzen, die parallel verlaufen und ein weites Spektrum an Sexualitäten abdecken. So wird in »Blue Hour« das Berliner Hausdach zum Cruisingspot für zwei queere Performer*innen, die die an den Beinen und Armen angebrachten Sextools als Expansion der eigenen Körper begreifen. In »Passage« entführt eine dominante Herrin die unterwürfige Protagonistin im Keller des eigenen Wohnhauses auf eine Reise ungewissen Ausgangs. »Fluchtpunkt« stellt die Fantasie einer wunderschönen, romantisierten Sexszene zwischen einem klassischen Heteropaar als Sehnsucht des Protagonisten dar, der jedoch mit seinem Begehren allein bleibt, ganz wie die Zuschauer*innen des Films selbst.
Solch eine diverse Perspektive auf sexuelle Lust wird auch sichtbar, wenn wir uns die Webseite von Other Nature anschauen. Der Berliner Onlineshop für Sextoys unterteilt seine Produktpalette nicht, wie Amorelie, in ›männlich‹ und ›weiblich‹, sondern orientiert sich an den Grundfunktionen der verschiedenen Tools. Jene Parallelität, die zwischen den körpereigenen Tools und externen Tools bestehen kann, verhandelt ebenfalls der Film »Geh Vau« (2019) der österreichischen Regisseurin Marie Luise Lehner, der auch im Programm des Pornfilmfestivals zu sehen war. Die Mitbewohnerinnen und Freundinnen Thea und Paula reden unbeschwert über ihre jüngsten sexuellen Begegnungen und ihr Körpergefühl. Als Paulas neuer Lover die Wohnung betritt, erleben wir eine getreue Darstellung solcher ersten, noch unbeholfenen Begegnungen. Um das Geschehen zu beschleunigen, bittet Paula Thea um ein Kondom. Bevor jene an die Kondome kommt, muss eine beträchtliche Menge an Dildos, Vibratoren und anderen Tools aus dem Weg geräumt werden. Dabei blickt Thea Paula neckisch an und signalisiert: Schau mal, brauchst du den Schwanz überhaupt?
Auch wenn sich Sextools emanzipativ auf unsere Sexualität auswirken, dürfen wir dabei nicht vergessen, dass ihre Herstellung und Vermarktung wirtschaftlichen Interessen unterliegen. Seit Erfindung der Viagrapille versucht die Pharmaindustrie ein vergleichbares und gleichsam umsatzstarkes Produkt für cis-Frauen zu entwickeln. Die besondere Ironie dahinter: Nachdem die negativen Auswirkungen auf die Libido durch die Verhütungspille offenbar wurden, kamen die Pharmaunternehmen nicht etwa auf die Idee, das schon vorhandene Produkt dahingehend zu korrigieren, sondern sind auf der Suche nach einer weiteren Pille zur Reaktivierung der durch die Verhütungspille unterdrückten Lust. Anders die Sex-Toy-Branche: Mit Entdeckung der tatsächlichen Größe und Gestalt der Klitoris durch die Urologin Helen OʼConnell im Jahr 1998, seit also offenkundig ist, dass die Klitoris ein weit verzweigter, die Vagina komplett umschließender Muskel ist, dessen einzige Funktion darin besteht, sexuelle Lust zu verschaffen, tat sich hier eine bahnbrechende Marktlücke auf.
Mit dezidierter Konzentration auf die äußere und innere Stimulation der Klitoris, z.B. durch die Entwicklung von Druckwellenvibratoren und speziell geformten Klitorisdildos, lässt sich der Mythos der frigiden cis-Frau, die nur schwer zum Orgasmus kommt, kaum mehr aufrechterhalten. Stattdessen wird immer deutlicher, dass sich dieser Mythos aus einer beschränkten Perspektive auf Sexualität und Begehren speist, die sich auch in den gegenwärtig recht phalluszentrierten Technologien der VR-Sex- und Sexroboterentwicklung abzeichnet. Eine bionische Klitoris ist jedenfalls nicht in Arbeit, und ich bezweifle, dass der bionische Penis über mehr Fertigkeiten verfügt als stupides Penetrieren. Auch an einem »All-in-one«-Roboter arbeitet Realbotix bisher nicht, ein Roboter also, der Geschlechtlichkeit in all ihren Varianten, in ihrer Mannigfaltigkeit reproduziert, je nachdem, worauf ich gerade Lust habe. Ein Roboter, der sowohl innerhalb seiner charakterlichen Parameter als auch seiner körperlichen Beschaffenheit in alle Richtungen modifizierbar bleibt, der immer die Möglichkeit lässt, nach Belieben zwischen verschiedenen charakterlichen und körperlichen Einstellungen, vor allem aber unterschiedlichen Geschlechtsteilen hin und her zu switchen. Oder gar ein Roboter ohne Geschlecht? Ein Sexroboter, der diesen Namen wirklich verdient, müsste mir mehr bieten als eine Computerstimme und Dauererektion. Er müsste mein sexuelles Begehren jenseits der Geschlechtergrenzen befeuern, beispielsweise durch eine Vielzahl an responsiven Tentakeln, die nicht nur penetrieren können, sondern auch reiben, schlecken, drücken, würgen, schlagen, schlingen … je mehr Tentakel, desto besser. Was bringt mir ein weiterer, zudem unhandlicher Schwanz, dem ich zuallererst beibringen muss, wo der G-Punkt ist? Warum sollte ein Sexroboter überhaupt dem Menschen nachempfunden sein, wenn der Sex, den ich mit dem Roboter habe, nicht dem wechselseitigen Spiel aus Geben und Nehmen entspricht, sondern sich in erster Linie auf mich, also mein Nehmen zentriert?
Die Perspektive auf Sex von einer Penis- auf eine Klitoriszentriertheit zu drehen, wäre gleichermaßen beengend. Sexuelles Begehren und sexuelle Stimulation lassen sich nicht in diesem Maße vereinfachen oder verallgemeinern. Sexroboter sollen zwar möglichst nah am Menschen und einer verlässlichen Beziehung sein, verfehlen dabei aber, wie fluide die menschliche Identität ist, wie mannigfaltig die menschliche Sexualität und das menschliche Begehren sind. Das gewissenhafte Festhalten an cis-heteronormativer Geschlechtlichkeit, an der tradierten Vorstellung einer treuen Verbindung ist verstörend analog. Penibel monogam erscheint mir die Mensch-Roboter-Beziehung, bevor sie überhaupt zur massentauglichen Realität geronnen ist. Bisher ist die Anschaffung eines solchen Roboters recht kostspielig. Bis zu 20.000 Dollar veranschlagt Realbotix für eine mit künstlicher Intelligenz ausgestattete Sexpuppe. Einmal in Form gegossen, bietet die Puppe keine Möglichkeit zur weiteren körperlichen Transformation. Als potenzielle Käufer*in muss ich mir im Vorfeld ganz genau überlegen, nach welchen Details mein Sexroboter gestaltet ist, ob er Haare am Sack oder Pickel auf dem Rücken hat, ob sein erigierter Penis 12, 17 oder 30 cm lang ist. Bei solch aufwendiger Subjektwerdung ergibt sich die emotionale Bindung zu meinem personalisierten Produkt ganz von allein.
Dass wir uns immer noch schwertun, sexuelle Vielfalt anzuerkennen, wurde nicht zuletzt im Sommer 2020 deutlich, als die US-Rapperinnen Cardi B und Megan Thee Stallion mit ihrem Song »WAP« (Akronym: Wet Ass Pussy) die Charts stürmten. Die hyperexpliziten Beschreibungen dessen, was die Künstlerinnen sexuell anturnt und was sie von sexuellen Begegnungen erwarten – für das Musikgenre des Rap üblich –, sorgten in den USA und auch in Deutschland für rege Diskussionen. Worüber dürfen Personen mit Vulva und Klitoris sprechen und was ziemt sich nicht, das war der sexistische Inhalt dieses Diskurses. Die Hymne an eine selbstbestimmte Sexualität wurde u.a. von dem konservativen, politischen Kommentator Ben Shapiro abfällig als falsch verstandener Feminismus tituliert. Was aber ist falsch daran, das eigene sexuelle Bedürfnis in den Vordergrund zu stellen? Zeugt es nicht gerade von einem hohen Maß an Selbstbewusstsein, wenn das eigene sexuelle Begehren so explizit artikulierbar ist? Dieses Maß an Selbstbewusstsein wäre auch notwendig, um den optimalen Roboterpartner zu designen, auch und vor allem über die cis-heteronormativen Geschlechtergrenzen hinweg. Ohne dieses Maß an Selbstbewusstsein ist eine offene, lustbringende und genussvolle Sexualität kaum zu denken. Levy dürfte mit seiner Prognose Recht behalten: Im Jahr 2020 ist ein Sexroboter nichts anderes als ein Spielzeug zur erweiterten penetrativen Masturbation.