Rammsteins »Radio«
von Rüdiger Meik
23.10.2023

Reminiszenzen an den Hörfunk unter unfreien Bedingungen

Die Band „Rammstein“ hat auf ihrem siebten Studioalbum, das keinen Titel trägt, am 17. Mai 2019 den Song „Radio“ veröffentlicht. Als Urheber sind die Bandmitglieder Till Lindemann/Olli Riedel/Paul Landers/Richard Kruspe-Bernstein/Christian „Flake“ Lorenz/Christoph „Doom“ Schneider angegeben, ohne dass deren Anteile an der Gestaltung des Textes nachvollziehbar ist. Auch wenn hier nicht mit Sicherheit belegt werden kann, dass der Sänger Till Lindemann, der mehrere Gedichtbände veröffentlicht hat, der alleinige Textautor ist, wird im Weiteren davon ausgegangen (vgl. dazu Wicke, 52019: 8; allgemein zu den editorischen Problemen vgl. Rehberg 2019: 101).

Die Form dieses Liedes bietet keine großen Überraschungen: Die zwei Strophen und der Chorus umfassen je sechs Verse, die Bridge besteht aus acht Versen. Es überwiegen Paarreime; rhythmisch sind vierhebige Jamben anzutreffen. Der hypnotisch-eindringliche Sprechgesang passt zu der mit brachialem Sound vorgegebenen musikalischen Begleitung, einem hämmernden Marschrhythmus, wie man ihn in zahlreichen Rammstein-Songs findet. Eine Ausnahme bilden die Worte „Radio, mein Radio“, die im Chorus den Titel aufgreifen und die im Ausklang der Silbe „o“ etwas länger gehalten werden, sodass es hier eher nach Gesang klingt.

In der sprachlichen Gestaltung fallen Wendungen auf, die in Varianten den Gedanken einer durch die empfangene Radiomusik ermöglichten Flucht verbildlichen: „Bin ich dieser Welt entschwunden“, „Ich lass’ mich in den Äther saugen“ und „Jede Nacht und wieder flieg/Ich einfach fort mit der Musik“. Das Radio als rein auditives Medium entfaltet eine synästhetische Wirkung: „Meine Ohren werden Augen/So höre ich, was ich nicht seh’“. Lindemann knüpft mit seinen Texten an den Sprachgestus der deutschen Romantik an, aber die Phänomene des Deutschtums werden durch eine groteske Überbetonung ironisch gebrochen (vgl. Balzer 2022: 17).

Thematisch geht es in dem Lied „Radio“ um die Nutzung des Hörfunks unter den Bedingungen einer Diktatur. Formal gibt es zwar ein lyrisches Ich, unter anderem heißt es im Chorus: „Ich lass mich in den Äther saugen“ und in der Bridge „Jede Nacht ich heimlich stieg“, aber die beiden Strophen werden aus der Perspektive eines Kollektivs geschildert: „Wir durften nicht dazugehören“. Als Repräsentant einer Gruppe macht der Vortragende den Hörerinnen bzw. Hörern ein Identifikationsangebot, das in der Popmusik eine gewisse Tradition hat: „Das Ich im Rocksong verbindet, anders als das lyrische Ich des Gedichts, nicht die beiden Pole Individuum und Mensch an sich, sondern spricht als exemplarisches Mitglied einer bestimmten Gruppe, von dem ebenso in der ersten Person Plural gesprochen werden kann – ‚Talking `bout my Generation‘.“ (Rehfeldt 2019: 98) Der letztgenannte Titel der britischen Band „The Who“ war im Jahre 1965 erschienen.

Für welche Peergroup das lyrische Ich als Repräsentant auftritt, lässt der Rammstein-Text offen. Auch die Frage, wer für die Restriktion des Radioempfangs verantwortlich ist bzw. auf welche historische Situation sich die Beschränkungen der Radionutzung bezieht, ist rein textimmanent nicht eindeutig zu entschlüsseln. Rammstein bezieht sich in vielen Songs und mit ihren Bühnenshows immer wieder auf Elemente der deutschen Geschichte: „Das Berlin der 1920er Jahre mit seinen aufregenden Burlesken, den Tabubrüchen und den Exzessen wird Teil des Gesamtkunstwerks Rammstein.“ (Prescher 2018: 141) Legt man der Interpretation des Songs „Radio“ zunächst einen biographischen Ansatz zugrunde, kommt man dazu, dass es hier um die Parteidiktatur der SED gehen könnte, denn die Mitglieder „Rammsteins“ sind in der DDR aufgewachsen. In diese Richtung bewegen sich die Rezensionen von Dominik Schmidt (Schmidt 2019) und Felix Heinecker (Heinecker 2019).

Die Geschichte der DDR und der Schlingerkurs ihrer Rundfunkpolitik soll hier nur schlaglichtartig beschrieben werden, soweit es der Deutung des Rammstein-Songs dient. Der Rundfunk stand in der sowjetischen Besatzungszone in den ersten Jahren nach Kriegsende unter der Kontrolle der sowjetischen Besatzer und nach der Gründung der DDR der von ihr eingesetzten staatstragenden Partei, der SED. Anfänglich noch föderalistisch strukturiert, wurde der Rundfunk zum Zweck der besseren Kontrolle zentralisiert: „Mehr und mehr wurde der Staatsrundfunk zu einem Parteirundfunk umgeformt.“ (Dussel 42022: 153) Große Publikumserfolge waren der ideologischen Instrumentalisierung des Rundfunks (Ulbrichts „Erziehungsdiktatur“) aber nicht beschieden: „Die große Zentralisierung des Rundfunks als Meinungs- und Indoktrinationsmaschinerie war jedoch nach gut einem Jahr gescheitert.“ (Koch/Glaser, 2005: 306) Auch die „Anordnung über die Programmgestaltung bei Tanz- und Unterhaltungsmusik“ des Ministeriums für Kultur der DDR vom 2. Januar 1958, durch die den Sendern und anderen Veranstaltern eine Quotelung von 60 % landeseigener bzw. aus befreundeten sozialistischen Staaten stammender Musik und 40 % anderer (westlicher) Produktionen festlegte, ist Zeugnis einer gewissen Hilflosigkeit der DDR-Bürokratie, denn ideologisch geprüfte und abgesegnete Musiktitel standen gar nicht in ausreichendem Umfang zur Verfügung.

Einer politisch einseitigen Beeinflussung stand weiterhin entgegen, dass in weiten Teilen der DDR ohnehin westlicher Hörfunk zu empfangen war; eine Ausnahme stellten die spöttisch „Tal der Ahnungslosen“ beschriebenen Gebiete der DDR dar, in denen der Westfunk nur schlecht oder gar nicht rezipiert werden konnte (u. a. das Elbtal bzw. Teile des Bezirkes Dresden). Die Führung der DDR wollte aber nicht nur auf die eigene Bevölkerung, sondern darüber hinaus auf die Bundesrepublik, speziell auf die Soldaten der Bundeswehr ideologisch einwirken. Um diese Hörerschaft zu ködern, gestaltete man das etwa vierstündige Programm des „Deutschen Soldatensenders 935“ ähnlich dem im Westen beliebten und kommerziell erfolgreichen „Radio Luxemburg“. Damit hatte das Zentralkomitee ein Eigentor geschossen: „Für die DDR-Führung ergab sich daraus schnell die peinliche Situation, den falschen Hörerkreis, nämlich die eigene Jugend, zu erreichen. Den Soldaten der Nationalen Volksarmee musste förmlich verboten werden, den Deutschen Soldatensender abzuhören.“ (Dussel 42022: 163)

Im Lauf der Zeit gab die politische Führung den Unterhaltungsbedürfnissen des DDR-Hörpublikums schrittweise nach. Der „Berliner Rundfunk“ orientierte sich dazu an den Westsendern: „An den Abenden des Wochenendes wurde internationale Tanzmusik, freitags am späten Abend sogar Jazz gesendet; und das ungeachtet der von der SED bis Mitte der sechziger Jahre geführten Kampagne gegen diese Musik westlicher Dekadenz‘.“ (Koch/Glaser 2005: 312) Für die junge Hörerschaft wurde ab 1964 das Sonderprogramm „Jugendstudio DT 64“ angeboten, das wegen der Ausstrahlung auch von westlichen Best- und Popsongs gern angenommen wurde. Somit ist festzustellen: Trotz der Restriktionen war es in der DDR möglich, Musik aus der westlichen Welt zu hören. Der Song „Radio“ macht sich insofern über die inkonsequente Umsetzung der sozialistischen Ideen lustig. Es gab zwar offiziell keine Zensur, aber eine permanente bürokratische Kontrolle der bei öffentlichen Veranstaltungen und über den Hörfunk verbreiteten Musik. (Wickert 2013) Ebenso gab es auch Musikerinnen und Musiker, die gelernt hatten, ihre Kreativität in den Lücken und Nischen klandestin zu entfalten. Offene Systemkritik war gefährlich und wurde streng verfolgt. Bekannte Beispiele sind das 1965 gegenüber Wolf Biermann verhängte Auftritts-, Veröffentlichungs- und Ausreiseverbot (Wickert 2013) und der Entzug der Spielerlaubnis und die Auflösung der „Klaus Renft Combo“ 1975 (Martin 2020: 120-121).

Die in der Studiofassung theatralisch vorgetragenen Verse Lindemanns „Wir durften nicht dazugehören / nichts sehen, reden oder hören“ in der ersten Strophe ebenso wie „Jenes Liedgut war verboten / So gefährlich fremde Noten“ in der zweiten Strophe klingen vor dem Hintergrund des realen Scheiterns sozialistischer Rundfunkpolitik trotz aller Pathetik nicht überzeugend nach der Verzweiflung eines unterdrückten Menschen, sondern wirken eher wie die hyperbolische  Ausformung einer kultivierten Wehleidigkeit. Die Band Rammstein verpackt ihre Botschaften in Selbstironie. Die Repressionen, denen die Menschen in der DDR unterlagen, sollen damit nicht verharmlost werden. Aber auch wenn man berücksichtigt, dass der Bau der Mauer 1953 objektiv wesentliche Freiheitsbeschränkungen für die Bürgerinnen und Bürger der DDR bedeutet hatte und dass Menschen auf der Flucht erschossen wurden, trägt das Leiden am Eingesperrtsein, so wie Lindemann seine Fluchtphantasien in der Bridge anstimmt, schwärmerisch-larmoyante Züge: „Jede Nacht ich heimlich stieg/  Auf den Rücken der Musik / Leg die Ohren an die Schwingen / Leise in die Hände singen / Jede Nacht uns wieder flieg’ / Ich einfach fort mit der Musik / schwebe so durch alle Räume / Keine Grenzen, keine Zäune“.

Das ist keine offene Opposition oder gar Subversion, eher die Taktik des trojanischen Pferdes, das Fliegen unter dem Radar. Über die im sozialistischen Staat geförderten Bands urteilt Stefan Richter, der seit 2006 unter dem Künstlernamen Trettmann auftritt: „Man darf nicht vergessen, alles, was man im Radio hörte, war von der Regierung abgesegnet, als ob die Künstler mit all dem, was in Ost-Berlin beschlossen wurde, konform gingen. Die hatten zwar versteckte Botschaften in ihren Texten, waren aber totaler Mainstream, und das war nicht mein Feld.“ Trettmann 2020: 44) Diese Kunst der gepflegten Verstellung war und ist unverzichtbarer Teil der Poetologie Rammsteins, die in der DDR als Punkmusiker gelebt haben: „Widerstand gegen jeglichen Anpassungszwang und die Kunst der Uneindeutigkeit, die Camouflage im scheinbaren Nonsens, das Verbergen von Abgründen im Skurrilen haben die sechs Rammsteine aus der untergegangenen DDR mitgenommen und zur Grundlage eines Musikprojekts gemacht, das von weltweitem Erfolg gekrönt werden sollte.“ (Wicke 52019: 15)

Um zu einem weiteren Deutungsansatz zu kommen, sollte das Wagnis eingegangen werden, die „Verweishölle des Pop“ (Baßler 2019: 134) zu betreten. Das offizielle Video des Regisseurs Joern Heitmann zu Rammsteins „Radio“ ist reich an Anspielungen und Verweise, z. B. auf den Titel „Radioactivity/Radioaktivität“ der Band „Kraftwerk“ aus dem Jahr 1975 oder in der Gestalt der Femen-Aktivistin, die auf die Barrikaden steigt, in dem an Pornographie erinnernden Bild des als Sexspielzeug missbrauchten Kofferradios oder der Szene, in der eine Frau ein Radiogerät an ihre entblßste Brust anlegt, als wollte sie es stillen. Wie bei vielen anderen Musikvideos prasseln die Allusionen und Referenzen in kurzer Schnittfolge auf den Betrachter ein und erschweren eine verstehende Aufnahme des Werkes: „Die Botschaften sind undeutlich, behutsame Erzählformen stehen nur im Weg. Es geht um das Medium selbst. Um Sog, Kraft, Intensität, Erregung.“ (Müller 2021: 99; zur Clipästhetik vgl. auch Keazor/Wübbena 2017: 175)

Diese umfangreichen, sich nicht unmittelbar aus dem Songtext ergebenden bildlichen Bezüge des Videos sollen hier nicht vollständig behandelt werden. Das Video kann als filmische Interpretation des Rocksongs und insofern als eigenes Werk betrachtet werden. Für die Deutung des Textes erscheint es aber ergiebig, den zahlreichen Verweisen auf die Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft nachzugehen, denn Rammstein hat dieses Sujet immer wieder in provokativer Weise bearbeitet: „Das Spiel mit der Naziästhetik gehört zum symbolischen Grundkapital des Punk, aus dem die Band kommt. Punk ist die Haltung des absoluten Dagegenseins.“ (Liebert 2019) Till Lindemann erstellt im Song „Radio“ Referenzen zur Rundfunkpolitik der NSDAP. Die nationalsozialistische Politik war aus ideologischen Gründen darauf gerichtet, die eigene Propaganda massenhaft zu verbreiten und gleichzeitig die Wahrnehmung anderer Sichtweisen zu unterdrücken. Der Reichspropagandaminister Joseph Goebbels hatte im Rundfunk ein wichtiges Medium erkannt: „Ich halte den Rundfunk für das allermodernste und für das allerwichtigste Massenbeeinflussungsinstrument, das es überhaupt gibt“. (Goebbels, Heinrich, zitiert nach: Koch/Glaser 2005: 85) Neben der Verbreitung der eigenen Propaganda ging es den Nationalsozialisten um die Abkopplung von Informationen und kritischen Kommentaren aus dem Ausland. Ab 1934 wurde das Abhören ausländischer Sender strafrechtlich verfolgt, wobei sich die Gerichte auf das „Heimtückegesetz“ stützten. (Koch/Glaser 2005:  124)

Zum Beginn des Zweiten Weltkriegs 1939 wurde durch die „Verordnung über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen“ verboten, ausländische Sender abzuhören (Koch/Glaser 2005: 123 f.). Ab 1942 wurden die Radiogeräte mit einem Warnzettel versehen: „Das Abhören ausländischer Sender ist ein Verbrechen gegen die nationale Sicherheit unseres Volkes. Es wird auf Befehl des Führers mit schweren Zuchthausstrafen geahndet.“ (Abbildung bei Schäfers 2022: 121) Während das lyrische Ich des Songs „Radio“ sich eines Empfangsgerätes mit großer Reichweite bedient („Mein Ohr ganz nah am Weltempfänger“), war das als „Volksempfänger VE 301“ massenhaft verkaufte Radiogerät eher auf den Empfang der staatlich kontrollierten zwölf Reichssender ausgelegt.

Die technische Leistungsfähigkeit des Volksempfängers wird unterschiedlich eingeschätzt: „Der Volksempfänger war empfangsstark genug, um die Propagandareden der Führung zu übertragen (‚Goebbels-Schnauze‘), aber zu schwach, um ausländische ‚Feindsender‘ zu empfangen. (Kleinsteuber 2012: 89). Eine andere Ansicht stellt fest, „(…), dass man mit mindestens der Hälfte der vorhandenen Radioapparate in Deutschland diverse Auslandsprogramme empfangen konnte. Selbst mit dem technisch einfachen ‚Volksempfänger‘ war dies abends möglich, umso mehr mit Luxusgeräten.“ (Zimmermann 2022: 58) Ein Funkexperte behauptet: „Das häufig zitierte Gerücht, die Empfänger seien so konstruiert gewesen, daß man nur deutsche Sender hören konnte, entbehrt – weil technisch unmöglich – jeder Grundlage.“ (Steyer 1997: 157)

Weder technische Schwierigkeiten noch Strafandrohungen konnten vollständig verhindern, dass der ausländische Sender gehört wurden. Auch für das Problem, dass die Lautstärke des Volksempfängers nicht gut zu regeln war und das Gerät keinen Kopfhöreranschluss hatte, fand sich eine Lösung: „Es war verbreitet, sich an einen Tisch zu setzen und seinen Kopf sowie das Radiogerät unter eine dickere Decke zu stecken. Im Volksmund hieß das ‚englisch inhalieren‘ und verwies auf die im Krieg oft gehörten britischen Sender.“ (Schäfers 2022: 121)

Es sei noch darauf hingewiesen, dass nicht nur die Wortbeiträge ausländischer Sender unterdrückt werden sollten, sondern auch die als fremd empfundene Musik anderer Kulturen. Als Ausfluss der Rassenlehre war afroamerikanische Musik verpönt: „Swing und Jazz wurden bereits seit der Weimarer Zeit in radikal-völkischen Kreisen und auch im älteren Radiopublikum als unkontrollierbar, ‚undeutsch‘, kommerziell oder gar als dekadente ‚Negermusik’ diffamiert. Der afroamerikanische Ursprung dieser Musik, ihre treibende Rhythmik, ihre zwar auch auf erotischen Traditionen basierende, aber durch Dissonanzen und ‚Blue Notes‘ geprägte Harmonik boten aus völkischer Sicht etliche Angriffspunkte“ (Zimmermann 2022: 61 f.) Deshalb wurde die Verbreitung afroamerikanischer Musik im Rundfunk ab 1935 untersagt. (Faulstich 2012: 189) Der Songtext spielt auf diesen Aspekt der staatlichen Zensur an: „Jenes Liedgut war verboten, so gefährlich fremde Noten“.

Der Song „Radio“ lässt sich vordergründig durchaus als Kritik an diktatorisch motivierten Beschränkungen bzw. als Plädoyer für Informations- und Rundfunkfreiheit verstehen. Das würde aber dem künstlerischen Konzept Rammsteins nicht gerecht werden. Dieser Titel ist kein leicht dechiffrierbares Protestlied, sondern, wie andere Songs dieser Band, „eine kunstvolle Collage von Versatzstücken aus dem kulturellen Erbe Deutschlands“. (Wicke 52019: 94) Die Manipulationsversuche der Diktatoren können lächerlich gemacht werden, denn sie sind nicht immer von Erfolg gekrönt. Ebenso wird hier das Abhören ausländischer, wahrscheinlich speziell westlicher Sender nicht als politisch motivierte Aktion, nicht als Ausdruck einer oppositionellen Haltung dargestellt, sondern wirkt eher wie ein eskapistisches Ritual, genüsslich zelebriert und gleichzeitig selbstkritisch dargeboten. Die mächtigen Unterdrücker müssen scheitern, die unterdrückten Oppositionellen sind keine Helden, sondern gestehen ihre politische Ohnmacht. Das entspricht dem Tonfall, den Rammstein auch in ihrem Song „Armee der Tristen“ intonieren: „Depressiv, betrübt, zerschlagеn / Sollten wir zusammen verzagеn / Deprimiert und melancholisch / Pessimistisch, diabolisch / Gründen auf verblühten Rosen / Die Partei der Hoffnungslosen / Werde Mitglied, trete ein“.

 

Literatur

Baacke, Dieter (31972): Beat – die sprachlose Opposition. München

Balzer, Jens (2022): Schmalz und Rebellion. Der deutsche Pop und seine Sprache. Berlin

Baßler, Moritz (2019): Lyrics im Medienverbund Pop. Am Beispiel von Elvis Costello und Linda Kronstadts Alison. In: von Ammon, Frieder/von Petersdorff, Dirk (Hg.): Lyrik/Lyrics. Songtexte als Gegenstand der Literaturwissenschaft. Göttingen, S. 131-146

Dussel, Konrad (42022): Deutsche Rundfunkgeschichte. Köln

Faulstich, Werner  (2012): Die Mediengeschichte des 20. Jahrhunderts. München

Flender, Reinhard/Rauhe, Hermann (1989): Popmusik. Aspekte ihrer Geschichte, Funktionen, Wirkung und Ästhetik. Darmstadt

Heinecker, Felix (2019): Es ist schön, keine Tabus zu haben. Plattentests.de, 17.05.2019, https://www.plattentests.de/rezi.php?show=15999 [10.04.2023]

Keazor, Henry/Wübbena, Thorsten (2017): Musikvideo. In: Hecken, Thomas/Kleiner, Markus S. (Hg.): Handbuch Popkultur. Stuttgart, S. 173-177

Kleinsteuber, Hans J. (2012): Radio. Eine Einführung. Wiesbaden

Koch, Hans Jürgen/Glaser, Hermann (2005): Ganz Ohr. Eine Kulturgeschichte des Radios in Deutschland. Köln – Weimar – Berlin

Liebert, Juliane (2019): Neues Album. Rammstein stiften radikale Verwirrung. Süddeutsche Zeitung, 14. Mai 2019, https://www.sueddeutsche.de/kultur/rammstein-album-rezension-1.4445701 [10.04.2023]

Martin, Wolfgang (2020): Wie die Westmusik ins Ostradio kam. Radiogeschichten von DT 64 bis ‚Beatkiste‘. Berlin

Müller, Tobi (2021): Play/Pause/Repeat. Was Pop und seine Geräte über uns erzählen. Berlin

Peters, Christian (2005): Halbstark mit Musik: Der Rock ’n’ Roll erobert Deutschland. In: Schäfer, Hermann/Krüger, Thomas Krüger (Hg.): Rock! Jugend und Musik in Deutschland. Begleitbuch zur Ausstellung, Berlin, S. 34-41

Prescher, Manfred (2018): Es geht voran. Die Geschichte der deutschsprachigen Popmusik. Darmstadt

Rauhut, Michael (2019): Schalmei und Lederjacke. Udo Lindenberg, BAP, Underground: Rock und Politik in den achtziger Jahren. Berlin

Rehfeldt, Martin (2019): Zwischen Booklet und historisch-kritischer Ausgabe. Zur Edition von Liedtexten. In: von Ammon, Frieder/von Petersdorff, Dirk: Lyrik/Lyrics. Songtexte als Gegenstand der Literaturwissenschaft. Göttingen, S. 93-130

Rüther, Tobias: Brian Eno (2018): Music for airports. Pop-Anthologie FAZ, 28. September 2018, https://blogs.faz.net/pop-anthologie/page/3/ [13. Juni 2020]

Schmidt, Dominik (2019): „Radio Rammstein“ spielt nostalgische Satire (und ist doch subversiv). Rolling Stone, 30.04.2019, https://www.rollingstone.de/radio-rammstein-lyrics-ddr-1697043 [10.04.2023]

Schäfers, Anja (2022): „Mit dem Radio gehört Dir die Welt“. Das Publikum für internationale Programme. In: Roether, Diemut/Sarkowicz, Hans/Zimmermann, Clemens (Hg.): 100 Jahre Radio in Deutschland. Bonn, S. 119-129

Steyer, Martin (1997): Die deutschen Gemeinschaftsempfänger. In: FUNKAMATEUR Nr. 2/1997, S. 156-158

Theweleit, Klaus (2018): ‚The Times They Are A-Changin’. Über die Entwicklung der Popkultur. In: Groß, Horst Peter/Prisching, Manfred/Theweleit, Klaus: Pop-Kultur. Historische und aktuelle Perspektiven einer kulturellen Revolution. Klagenfurt, S. 17-55

Trettmann (Stefan Richter) (2020): Wie chillig ist Deutschland, Trettmann? In: Georg, Oliver/Benninghoff, Martin: Soundtrack Deutschland. Wie Musik made in Germany unser Land prägt. Interviews. Igling

Wicke, Peter (22017): Rock und Pop. Von Elvis Presley bis Lady Gaga. München

Wicke, Peter (52019): Rammstein. 100 Seiten. Stuttgart

Wickert, Christian (2013): Musik unter staatlicher Kontrolle – Musikzensur in der DDR. https://criminologia.de/2013/07/musik-unter-staatlicher-kontrolle-musikzensur-in-der-ddr/#google_vignette [23.04.2023]

Zimmermann, Clemens (2022): Propaganda, Information und Unterhaltung. Radio im Nationalsozialismus. In: Roether, Diemut/Sarkowicz, Hans/Zimmermann, Clemens (Hg.) (2022): 100 Jahre Radio in Deutschland, S. 54-67

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