Neo-Mythen zwischen Faktualität und Fiktionalität
[English version below]
Dass von der Netflix-Serie Atiye – Die Gabe (2019-2021) Fantasy zu erwarten ist, ergibt sich nicht nur aus der entsprechenden Genre-Zuordnung, sondern auch aus der Vorinformation, dass sie sich in irgendeiner Form um Göbekli Tepe rankt. Die südanatolische neolithische Steinanlage, die vermutlich als Kultstätte fungiert hatte, wurde erst vor nicht allzu langer Zeit archäologisch erschlossen und ist sensationell alt, älter als die ägyptischen Pyramiden und Stonehenge, was sie interessant für populärkulturelle Verhandlungen macht.
Anhängerïnnen der Prä-Astronautik glauben, dass Göbekli Tepe von oder unter Anleitung von Außerirdischen gebaut wurde. Anhängerïnnen der Ancient-Apocalypse-These glauben, dass Göbekli Tepe von einer untergegangenen und vergessenen Hochkultur erschaffen worden war. Beide Narrative dieser populären Simulationen von Wissenschaft, auch Pseudo-Wissenschaften genannt,[1] eint, dass sie es als Mysterium ausweisen, dass eine Leistung wie der Bau von Göbekli Tepe quasi aus dem Nichts kommt, wo doch zu dieser Zeit in dieser Gegend angeblich nur unzivilisierte Nomadïnnen unterwegs waren. Narrative zum Ursprung der Menschheit oder – in dem Fall – der Zivilisation stimulieren und besänftigen die Phantasie zugleich, wo Erklärungen banal oder nicht vorhanden sind. Sie haben eine mythische, identitätsstiftende, kontingenzreduzierende Funktion.
Die Serie Atiye bezieht sich nicht direkt auf besagte Pseudo-Diskurse. Es gibt Gründe zu vermuten, dass sie den entsprechenden Erwartungshorizont kennt und mit diesem spielt. Bis fast zuletzt wird vage suggeriert, Außerirdische könnten am Werk gewesen und eines Rätsels Lösung sein, weil bestimmte Figuren mit Geheimnissen Botschaften über den Fernseher empfangen, die wie Amplituden aussehen, und sie außerdem über diesen Weg in einer fremden Sprache mit ominösen, unsichtbaren Kommunikationspartnerïnnen sprechen.
Explizit adressiert die Serie ein anderes Feld: Atiye ist nicht einfach Fantasy, sondern konstituiert sich aus realweltlichen Fiktionen aus dem Bereich der Esoterik, und zwar sowohl in einem allgemeinen Sinn als auch in der Hinsicht, dass in manchen esoterischen Strömungen davon ausgegangen wird, dass Orte magisch sein könnten, dass sie energetisch seien und das menschliche Schicksal bestimmten. (Eine Variante ist z.B. das gewissermaßen europäische Feng Shui: die Geomantie oder Geomantik, die sich – auch im Nationalsozialismus – u.a. mit den so genannten Ley-Linien befasst.) Natürlich ist die Serie ganz klar als Fiktion markiert und eröffnet ein Fantasy-Szenario, aber sie führt zunächst ein ‚realweltliches Fantasy-Element‘ ein und setzt in der ersten Staffel realweltliche Regeln voraus, indem Atiye mit ihrer speziellen Gabe und Verbindung zu Göbekli Tepe von anderen Figuren pathologisiert wird. Wir befinden uns also zunächst nicht in einer Fantasy-Welt.
Um die Figur, die im Sinne der Serie Recht behalten wird, macht sich die Familie zu Beginn große Sorgen. Ihre Visionen/Gabe werden als Halluzinationen/Krankheit aufgefasst (s1e2). Während Atiye spürt, dass etwas Besonderes in ihr vorgeht, verweist ihre Familie sorgenvoll darauf, dass es in der Familie psychische Erkrankungen gegeben habe. Der Ruf der Familie nach ärztlicher Behandlung klingt wie eine Drohung ebenso wie der Therapievorschlag der konsultierten Ärztin: „Bitte haben Sie Vertrauen in die Medizin und nehmen Sie die verordneten Pillen regelmäßig.“ (s1e3, 18:50).
Der Begriff ‚Vertrauen‘ triggert realweltliche Vertrauensverluste in Schulmedizin und Pharmazie. Atiyes Seelenverwandtem Erhan war in seiner Kindheit ähnliches widerfahren. Sein Vater beschreibt eine Situation in Erhans Kindheit, als er eine Weile unterirdisch in Göbekli Tepe verschwunden war. „Deine Mutter wollte dich zum Arzt bringen. Doch ich war sicher, du hattest ein Wunder erlebt.“ (s2e6, 32:01) Bereits der Titel der Serie bezieht im Sinne von Michel Foucaults psychiatriekritischen Ausführen Position. Die Familie befindet sich mit ihrer Sorge um Atiyes geistiges Wohl im Unrecht und möchte sie mit Pathologisierungs-, Marginalisierungs-, Stigmatisierungsstrategien unerbittlich auf die Linie eines rationalistischen Diskurses bringen, der sich im Sinne der Serie als falsch erweist.
Zunächst einmal entfaltet die Serie, wie bereits gesagt, kein Fantasy-Narrativ, sondern eine realistische Anlage, vor deren Hintergrund sie esoterische Auffassungen integriert. Dann wird der Ausnahmezustand zum Normalfall, greift die eindeutig als Fiktion markierte Fantasy-Anlage der Serie. Aber im Grunde normalisiert sich dadurch problematischerweise vor allem der esoterische Diskurs im Rahmen einer realistischen Auffassung.
Zur Handlung: In Atiye erweist sich Göbekli Tepe als magischer Ort, an dem mit Hilfe eines Zeit- bzw. Dimensionenportals Vergangenheit, Zukunft und Parallelwelten geöffnet werden können. Göbekli Tepe ist quasi der geographische Ursprung und das Ende des Lebens, insofern als die eine Realität die andere auslöschen oder ersetzen kann, wobei sich die Serie nicht die Mühe gibt, den Verbleib der anderen Dimensionen zu klären. Das logische, diskursive Denken kann im Rahmen der Diegese nicht nur die Mysterien von Göbekli Tepe nicht erfassen, sondern die Serie will dieses auch explizit nicht bei den Rezipientïnnen ansprechen, weshalb sie tatsächlich nicht zu dem pseudo-wissenschaftlichen, sondern dem neo-mythischen populären Rezeptionszweig der Archäologie gehört.
Wenn etwa Zeichnungen aufeinandergelegt werden, um Grundrisse und Sternenkonstellationen zu vergleichen – eine Operation, die in pseudo-wissenschaftlichen Analogisierungen oftmals vollzogen wird und die durch den Einsatz von Diagrammen etc. möglichst kompliziert und ‚wissenschaftlich‘ erscheinen soll[2] –, geht die Serie nicht ins Detail (z.B. s1e3, 27:00), weil sie sich nicht an wissenschaftsaffine Nerds richtet. So löst z.B. auch der Wissenschaftler Erhan ein Zahlenrätsel nicht, indem er mehr oder weniger nachvollziehbar in- und deduziert, wie wir es aus zahlreichen Verschwörungsfilmen kennen, sondern eine Biene fliegt ganz einfach auf die Zahlen auf einer Grabinschrift, und da Erhan bereit ist, der Natur zuzuhören, versteht er, was diese ihm sagen will (s1e8).
Natürlich bedient sich die Serie auch eines wissenschaftlichen Jargons. Wir erfahren aus der wissenschaftlichen Publikation eines Professors: „Meines Erachtens nach ist Göbekli Tepe das Zentrum, von dem aus die Energiekanäle die Erde umkreisen. Ich kann beweisen, dass die hier vergrabenen Steine eine Energie mit hoher Frequenz ausstrahlen und dass die in ihnen verborgenen 21 Elemente einmalig auf dieser Welt sind und auf jedes Lebewesen einen Effekt haben.“
Insgesamt entfaltet sich in weiten Teilen ein Familien-, Liebes- und Identitätskrise-Narrativ. Atiye steht mitten im urbanen Leben. Sie lebt als Malerin in Istanbul, feiert eine Vernissage und ist im Begriff, ihren Freund zu heiraten, als sie feststellt, dass das schneckenartige Unendlichkeitszeichen, um das sich ihre gesamte malerische Kreativität rankt, als Steinzeichnung in Göbekli Tepe gefunden wurde. Sie möchte dieser Koinzidenz, die natürlich sogleich als Zusammenhang verstanden wird, nachgehen. Im Laufe von drei Staffeln stellt sie fest, dass sie aus einer matrilinearen Linie auserwählter Frauen stammt, die einen besonderen Zugang zu einem Portal in Göbekli Tepe haben, dass es immer schon einen Krieg zwischen Wächterinnen und Usurpatorinnen des Portals gegeben hat, dass sie in der Steinzeit eine Erbsünde begangen und ihre Tochter Arden geopfert hat, um die Welt vor einer Apokalypse zu retten, dass sich alle verbundenen ‚Seelen‘ in allen Leben und Dimensionen immer wieder treffen und dass alle alten Traumata sich nicht einfach nur wiederholen, sondern explizit von Generation zu Generation weitergegeben werden und immer wieder zur Disposition stehen (u.a. s3e5, 11,00).
Als sich am Ende der Serie das Portal in Göbekli Tepe öffnet und sich die Dimensionen oder Vergangenheit und Zukunft ineinander schieben, wird sie vor die Aufgabe gestellt, sich erneut zu entscheiden, ob sie ihre Tochter opfern wird. Sie beschließt, dass sie dies für nichts in der Welt, auch nicht für deren Erhalt, tun wird. Mit diesem Akt der bedingungslosen und absoluten Liebe, der einer Selbstfindung von Atiye als Mutter gleichkommt, rettet sie die Welt und – weil wir am Ende der Serie sind – durchbricht sie vermutlich den ewigen Kreislauf traumatischer Wiederholungen.
Man muss die Narration nicht in Gänze verstehen, denn die Serie übernimmt eine überexplizite Kommentierung durch Figurenkommentare innerhalb der Diegese oder – sehr überhöht – als deren Voice-over. Die Serie, die in vielfältiger Hinsicht von Repetition lebt, ist durchzogen von lyrisch-mystischen aphoristischen Sprüchen. Diese erfordern lediglich, dass Figuren wie Rezipientïnnen sinnlich angesprochen werden oder dass sie einfach vertrauen und glauben, und sie schließen an realweltliche esoterische Diskurse an, wie z.B. an den homöopathischen Glauben, dass Wasser Informationen speichern könne.
„Kannst du hören, wie die Erde spricht? Die Erde hat ihr ganz eigenes Gedächtnis. Und sie hat ihre ganz eigene Sprache. Wenn du diese Sprache beherrschst, dann hat sie dir wirklich sehr viel zu erzählen.“ (s1e4, 17:20)
„Um das zu verstehen, musst du an den Anfang zurückkehren, Atiye. Zu dem Moment, als ihr euch das erste Mal begegnet seid. […] Ich spreche noch von viel früheren Zeiten. Dringe ein in die verschlossenen Räume deiner Erinnerung. Dann wirst du sehen, dass da noch viel mehr ist. Du hast dieses Wissen. Jetzt musst du lernen, es zu benutzen. […] Das Wasser hat ein Gedächtnis. Berühre es.“ (s2e5, 16:25)
„Du bist die Mutter des gesamten Universums. Du bist die Natur selbst. […] Du bist die Summe der göttlichen Kräfte, die aus den Vorzeiten kommen. […] Sie nennen dich Venus. Oder Isis. Man findet dich in allen Welten.“ (s2e6, 35:00)
„Als wir unsere Herzen in die Dunkelheit einschlossen, hat sich die Erde gegen uns gewandt. Unsere Gedanken haben uns eingenommen und wir ließen unsere Herzen verstummen. […]. Wir haben vergessen, wer wir sind. Wir haben vergessen, dass wir eins sind.“ (s2e8, 21:30)
„Die Zeit mag uns einige Kräfte genommen haben. Aber […]. Sie hat wie wir nicht nur das rationale Wissen, sondern auch das Wissen der Seele.“ (s3e2, 9:35)
„Sie hat eine Gabe. In ihr schlummert wahrscheinlich jahrtausendealtes Wissen. Die ganzen Erfahrungen aller Mütter und Frauen, von denen du und deine Tochter abstammen, zurück bis Göbekli Tepe.“ (s3e4, 27:24)
„In dem Moment, in dem wir uns getrennt haben und uns gegenseitig vergessen haben, wandte sich der Boden von uns ab. Und unser Verstand übernahm die Überhand und wir ließen unsere Herzen verstummen. Dann starben die Früchte. Wir vergaßen, wer wir waren. Wir vergaßen, dass wir eins sind.“ (s3e6, 3:08)
Insbesondere gegen Ende werden repetitiv Lehrformeln beschworen: Zeit fließt, man muss sich dem Fluss des Lebens ergeben, Liebe soll Angst überwinden, die wahre Seele möge zum Vorschein kommen, am besten ist man eins mit sich und dem Universum (s3e8, 28:20). Insgesamt bildet eine archaisch und mystisch fundierte Gemeinschaft das Ideal, die vor dem Einsetzen des principium individuationis jedem Menschen die wahre Identität und den richtigen Platz garantierte.
Es handelt sich um eine anti-rationale Erzählung um den initialen Sündenfall und die reflexive Bewusstwerdung des Menschen in Analogie zu jüdisch-christlich-islamischen Ursprungsnarrativen und Heilslehren. Allerdings tritt die Erzählung der Serie nicht nur gegen die Wissenschaft, sondern auch diese durchaus rationalen Mythen an, die schließlich diskursiv verfasst sind, die über Schrift bewahrt werden und im Akt des Lesens intellektuell zugänglich sind. Dagegen geht es in Atyie nicht nur um das Spüren der Natur, sondern auch um das Verstehen einer Schrift, deren Buchstaben ‚die Dimensionen meinen‘ und die man in einem sinnlich-spirituellen Akt versteht – zumindest wenn man auserwählt ist –, indem man die Hände über sie kreisen lässt. Dass der vielmals beschworene Kreislauf des Lebens in nicht unerheblichem Ausmaß in der Serie mit Blutsverwandtschaft einhergeht – nicht umsonst rankt sich der Plot auch um das ‚Problem‘ der Stiefgeschwisterschaft und Wahlfamilie –, wird einmal mehr im Kontext dieser Schrift angeführt, indem ausgerechnet der Wissenschaftler Erhan das Lektüreverfahren erklärt: „Es ist in unserem kollektiven Bewusstsein. Es ist in unseren Genen codiert.“ (s3e7. 25:50)
Die Serie führt dabei in ein kurdisches Szenario. Die Großmutter der Protagonistin hat eine vorislamische Deq-Tätowierung und weist Atiye in einen archaischen Weiblichkeitskult ein, der als Alternative zu patriarchalischen Thora-Bibel-Koran-Erzählungen angeboten wird, auch wenn der Koran im Laufe der Serie durchaus hilfreiche Weisheiten und Hinweise liefert. Es wird ein Zusammenhang des Weiblichen postuliert. „Wir sind alle Teil eines göttlichen Plans. Wir sind die Fortsetzung der anderen.“ (s2e1, 50:48) Diese Fortsetzung wird konkret als Fortpflanzung verstanden. Gebären und Muttersein sind die wichtigsten Aufgaben der Menschheit überhaupt bzw. natürlich von Frauen. „Weißt du, warum das Muttersein heilig ist?“ (s2e4, 17:47) „Unfruchtbarkeit“ ist eine der Schreckensvokabeln der Serie, mit der die drohende Apokalypse beschrieben wird. In der zweiten Staffel sterben ominöserweise alle Frauen an ihren Schwangerschaften. Die modernen Ärztïnnen wissen zumindest fürs Erste Abhilfe, indem sie Schwangerschaftsabbrüche anbieten und auf Schwangerschaftsprävention setzen. Die schwangere Atiye verweigert einen Abbruch und begibt sich in Lebensgefahr, um ihr Kind zu retten, was im Rahmen des Plots Teil des Erlösungsplans ist. Konkrete Geburten und allgemeiner menschlicher Fortbestand, Onto- und Phylogenese werden in der Serie insgesamt eins gesetzt (s3e7).
Archaismen wie diese implizieren nicht selten ein zyklisches Geschichtsdenken, und so wird in der Serie, wie in einigen esoterischen Diskursen, eine zyklische Wiederkehr beschworen, und zwar die der Öffnung des Portals und der Erlösung der Menschheit, die aber am Ende der Serie vielleicht auch endgültig ist? Gemäß dem in der Serie u.a. zitierten Simurgh-Mythos vollzieht sich eine Erneuerung alle 1.700 Jahre. Genau dann stünden auch alle Planeten zwischen der Erde und Sirius. Für die Erlösung muss, wie bereits gesagt, das Prinzip der Mutterliebe siegen.
Der Mensch hat sich als Katastrophe für die Erde erweisen und gehört gemäß der ominösen Bösen ausgelöscht oder irgendwie kosmisch transzendiert. Am Ende erweist sich die Figur Melek als Vollstreckerin des Bösen, die einst, wie einige andere Figuren auch, ein ungeliebtes Stiefkind war und sagt: „Ich habe nie zugelassen, dass die Liebe mich schwach macht.“ (s3e8, 22, 14) Atiyes Tochter Arden muss sich am Ende entscheiden, ob sie die Welt oder diese Dimension auslöschen will, und ist geneigt, selbiges zu tun, nachdem sie im Fernsehen über die Verbrechen der Menschheit informiert wurde. Sie hatte darin u.a. eine Ansammlung fanatischer Menschen gesehen, die für mich wie NS-Anhängerïnnen aussehen (s3e6, 30:49). Moderne Medien haben hier eine negative aufklärerische Funktion. Atiye wiederum muss sich entscheiden, ob sie ihre Tochter – abermals – tötet, um sie aufzuhalten, tut dies aber nicht und vertraut ihrer Tochter, die daraufhin die Apokalypse abbricht.
Der zivilisationskritische Gestus der Serie wandelt sich am Ende insofern, als es nun die ‚bösen‘ Figuren sind, die sich aufgrund der Sünden der Zivilisation gegen die Menschheit stellen, während die spirituellen Figuren zu ihrer Rettung und damit wohl auch zur Rettung der Zivilisation beitragen, wobei letzteres in der Serie nicht angesprochen wird und keine Rolle spielt, wie überhaupt alle logischen Probleme, die sie aufwirft. Bezeichnend ist aber, dass Atiye und Erhan im Zuge ihres Selbstfindungsprozesse in der dritten Staffel plötzlich nicht mehr in Istanbul leben, sondern in einem idyllischen Häuschen auf dem Land. Während das Lokale und Archaische sowie teilweise vorislamische kurdische Traditionen positiv besetzt sind, lässt die Serie die moderne Großstadt Istanbul schnell links liegen. Naturverbundenheit und Weiblichkeit werden gleichgesetzt, und dabei ist es nur auf den ersten Blick feministisch, dass Frauen die Hauptrollen spielen und auch in der Diegese zentral gesetzt werden. Was wie weibliche Selbstermächtigung aussieht, beinhaltet nicht nur allgemeine zivilisationsferne Regressionsphantasien, sondern reduziert Frauen einmal mehr beträchtlich auf einen einzigen biologischen Aspekt.
Dass sich Atiye zur Erlöserinnenfigur entwickeln konnte, verdankt sie paranormalen Erfahrungen, die einen Prozess in Gang setzen, der sich als Mischung aus esoterischen Heilverfahren, wie z.B. Rückführungstherapie, und Psychoanalyse gestaltet (s1e5). Die Serie arbeitet in großem Maß mit Flashbacks, was ein filmästhetisches Standardverfahren zur Inszenierung von Traumata darstellt. Atiye sieht aber nicht lediglich ihre Vergangenheit in diesem Leben, sondern in vielen weiteren. D.h. die Erinnerungen an die Vergangenheit sowie die Aufarbeitung der Vergangenheit beinhalten diverse Leben, vergangene Welten, andere Dimensionen.
Stets geht es bei dem Durcharbeiten der Flashbacks darum, etwas zu sehen, was ohnehin immer schon gewusst war und was nur verdrängt wurde. Göbekli Tepe wird ganz materiell analog dazu behandelt. An einer Stelle heißt es, dass die Tempelanlage einst zugeschüttet wurde (s2e5, 33:10). Altes Wissen muss sowohl in Erinnerungsarbeit zu Tage gefördert als auch archäologisch ausgegraben werden. Um zu wissen, wer man ist, reicht es nicht, seine eigene Vergangenheit zu kennen, sondern die all seiner Leben, seiner Blutlinie und seiner Kultur. Die hat klar identitätspolitische, kulturessentialistische Implikationen.
Dass da der stets relativierende wissenschaftliche Diskurs nicht passt, ist naheliegend, und so wird der Archäologe Erhan von Beginn an wenig als Hüter der Wissenschaft, sondern vielmehr als offen für Esoterik und Mystik konstruiert. Obwohl er ohnehin das rationale Denken kaum verteidigt, muss Atiye ihn als Mehr- und Tiefer-Wissende hin und wieder belehren. „Vergiss mal kurz alles, was du weißt. Versuch nicht ständig, für alles eine logische Erklärung zu finden. Sieh dir einfach das Symbol an.“ (s2e3, 21:52) „Du glaubst an gar nichts, was du dir nicht logisch erklären kannst. Du bist so arrogant. […] Kann es nicht noch andere Realitätsebenen geben außer der hier. Nimm nur die Quantenphysik. […] Das ist bewiesen.“ (s2e5, 5:48) Es folgen keine Ausführungen zur Quantenphysik. Die Serie ist nur deshalb nicht sehr anti-wissenschaftlich, weil sie den wissenschaftlichen Diskurs auch ex negativo nicht einbringt und sich gar nicht erst auf ihn einlässt, vermutlich um die größere Komplexität zu vermeiden; und wo er eingebracht wird, erweist er sich vor allem über die Figur Erhan als anfällig für esoterische Narrative, man könnte natürlich auch sagen: als offen.
Des Rätsels Lösung sind am Ende Selbstfindung und Liebe, nachdem man einen schmerzhaften Prozess der phylo- wie ontogenetischen Vergangenheitsbewältigung durchlaufen hat. Statt Aliens wartet also der esoterisch motivierte Durchbruch zum ‚Kernselbst‘.
Vor allem durchziehen sich Beziehungen durch alle Dimensionen in ewigen Verbindungen jenseits der Form des Lebens und des rationalen Bewusstseins. Man muss dies vermutlich nicht im Detail verstehen, solange Begriffe wie ‚Lebensbaum‘ und ‚Kreislauf von Leben und Tod‘ ihre Suggestivkraft entfalten. Die Struktur der Serie ist nicht linear. Die Figuren werden durch mehrere Dimensionen durch ein Kaleidoskop gedreht und immer wieder neu angeordnet. In der zweiten Staffel befinden wir uns in einer alternativen Realität, in der die Familien- und Figurenkonstellation einfach anders angeordnet wird. Die dritte Staffel ist durchaus eine Fortführung der zweiten, aber einige Relationen lassen sich weder aus der ersten noch aus der zweiten Staffel herleiten.
Die Serie soll ostentativ nicht erzählerisch stringent verlaufen, aber dies führt nicht zu einem Komplexitätsgewinn oder einer gesteigerten Anforderung an die Rezipientïnnen, aktiv die Anschlüsse zu suchen. Vielmehr setzt damit der rationale Diskurs auch auf der strukturellen Ebene aus, indem es kein lineares Narrativ gibt, das Anschlüsse ermöglichte. Am Ende ist es irgendwie egal, wer zu wem gehört und was warum tut – z.B. warum die in der ersten Staffel, also Zeitlinie/Dimension tatsächlich tote Melek am Ende lebt und die Böse ist –, zumal die einzige Spannung, die am Ende noch besteht, die ist, woher diese ominösen Frequenzen aus dem Fernseher kommen.
Man kann dies als Meta-Kommentar zu Serien verstehen, die sich oftmals in ewigen Rekombinationen ergehen, alle Elemente in einem Kreislauf wiederholen und variieren und die zyklisch Staffel für Staffel wiederkehren, bis ihnen – oft recht kontingent – ein Ende gesetzt wird, das Rezipientïnnen selten befriedigt, z.B. in Game of Thrones bewusst herbeigeführt[3] oder weil sie abgesetzt werden. Nun gestalten sich nicht wenige aktuelle Serien narrativ-progressiv, aber das serielle Paradigma beinhaltet eben auch immer noch Zyklik und Wiederkehr. Atiye treibt dies in der Narration auf die Spitze, indem sie zerstückelt wird und alle Elemente durch die Dimensionen in willkürlichen Kombinationen wieder auftauchen, während gleichzeitig das esoterische Narrativ der 1.700-Jahre-Zyklik dies thematisiert.
Passend zur Zersplitterung der Narration bedient sich die Fantasy-Serie außerdem zahlreicher Elemente der Familienserie. Es geht um Liebe und Familie, Verletzung und Feindschaft, Gemeinschaft, Vertrauen und Verzeihen. Diese Anlage als Familienserie lädt weniger zu linear-progressivem als zu zyklischem Erzählen ein. Mit dem Familiennarrativ wird zudem ein Szenario geboten, das realistisch und vertraut erscheint. Dadurch wird die esoterische Aufladung normalisiert, statt sie im Kontext einer Fantasy-Welt zu verfremden.
Im Rahmen dieser Struktur wird auch das Rätsel um die Geheimverbindung nicht wirklich gelöst. Zunächst Serdat, dann Ozan und Melek kommunizieren letztlich mit dem Fernseher, und dabei bleibt es. D.h. es wird nicht klar, mit wem sie über den Fernseher kommunizieren. Dass Atiye am Ende das Portal finden und öffnen muss, um irgendwie die Welt zu retten, ist aber schon recht früh klar, sodass dieser Akt am Ende auch keine Spannung auflöst. Die anfängliche Suspense der Serie läuft gänzlich ins Leere, was zum Narrativ passt. Es gibt keine Linearität oder Progression, sondern wir Rezipientïnnen schauen beim Realisieren dessen zu, was wir schon ab der ersten Staffel in etwa gewusst haben. Dabei erfährt die einzige insofern interessante Figur, als sie eine gewisse Spannung trägt, nämlich Serdat, eine Läuterung. Auch ihm gelingt das Durchbrechen eines Kindheitstraumas, sodass wir auch durch ihn nicht an die Hintermänner und -frauen gelangen, die regelmäßig mit „sie“ oder „die“ benannt, aber bis zum Ende nicht präsentiert werden.
Es ist bezeichnend und problematisch, dass der zunächst gewissenlose Serdat als kosmopolitischer Geschäftsmann bzw. Strippenzieher inszeniert wird, von dem wir erst später erfahren, dass er eine Marionette der Hintermänner und -frauen ist. Als Untergebener gehört er einem Geheimbund an, der an Freimaurer erinnert, indem z.B. eine Einweisung in eine Geheimsprache in verschiedenen Stufen erfolgt (s3e1).
In dem Maß, in dem die Serie im Verlauf von drei Staffeln zunehmend eine Fantasy-Welt etabliert, in der alle am großen Geheimnis um das Portal partizipieren, sind auch alle Figuren Esoterikerïnnen. D.h. auch die Bösen haben das abnehmend geheim erscheinende Wissen um das Portal, das sie bedienen wollen. Gläubige sind nicht nur die Guten. Aber es ist bezeichnend, dass die bösen Figuren nicht nur die Welt oder die bekannte Dimension auslöschen wollen. Vielmehr enthüllt Melek: „Sie wollen, dass ich Teil der neuen Weltordnung werde.“ (s3e8, 20:22)
Wer auch immer sie sind, sie planen eine neue Weltordnung. Sie sind netzartig über unsichtbare Frequenzen organisiert. Sie haben Zugang zu Medien, die globale Szenarien verhandeln. Sie verfügen offensichtlich um unendliche finanzielle Ressourcen. Sie zersetzen die lokale Gemeinschaft. Wer da nicht an Antisemitismus denkt. Zwar geht es in der Serie in keiner Weise um Juden, aber zahlreiche antisemitische Klischees werden ohne Bezug auf Juden aktualisiert und einmal mehr mit negativen Konnotationen versehen, um Moderne- und Zivilisationskritik zu entfalten.
Das vorliegende Thema wirft insofern besondere Probleme auf, als ich kein Türkisch spreche und mich in der türkischen Kulturgeschichte schlecht auskenne. Ich konnte die Serie Atiye nicht in der Originalfassung sehen und außerdem weder die türkischsprachige Romanvorlage Dünyanın Uyanışı von Şengül Boybaş lesen noch die türkischsprachige Rezeption verfolgen. Vor allem aber ist mir beim Schauen der Serie hin und wieder aufgefallen, dass ich eine Aussage oder Anspielung nicht ganz ein- oder zuordnen kann, auch wenn ich verstanden habe, dass es etwas ein- oder zuzuordnen gibt.
Diese interkulturelle Interferenz ist ungewöhnlich für ein Netflix-Produkt. Netflix-Produkte werden für den globalen Markt produziert und sind vor dem Hintergrund einer globalen Populärkultur in aller Regel international leicht anschlussfähig. Ich hatte bei Atiye Irritationsmomente, die ich beispielsweise bei der südafrikanischen Serie Blood & Water oder der nigerianischen Serie Far from Home nicht hatte, und da frage ich mich: Ist mir bei diesen Serien entgangen, was ich alles nicht verstanden habe, oder habe ich alles verstanden? Ich möchte die Leserïnnen nicht mit bekannten Problemen der interkulturellen Hermeneutik langweilen, aber doch darauf hinweisen, dass Netflix-Artefakte solche Überlegungen in der Regel kaum aufwerfen, obwohl sie alle Hybride zwischen internationaler Populärkultur und nationalen Produktionen darstellen, dass Atiye aber bei mir aber das Gefühl hinterlassen hat, dass mir Aspekte entgangen sind oder dass die Lesart mit größerer Kenntnis der türkischen Geschichte, Kulturgeschichte und laufender Diskurse anders, komplexer oder präziser ausfallen würden als meine.
Ich habe die Serie vor dem Hintergrund globaler populärkultureller, esoterischer und zivilisationskritischer Narrative aufgefasst. Assoziationen an konservative Debatten um den Klimawandel konnte ich außerdem nicht ausblenden. Ich frage mich aber, auf welche konkreten Massaker in der Geschichte konkret angespielt wird (s3e5, 13:40), wie sich Lokalismus und Globalismus vor dem türkischen Hintergrund lesen, wie man im türkischen Kontext das kurdische Szenario einzuordnen hat – oder aber wie man all dies wahrnehmen würde, wenn man – und das ist bei mir auch nicht der Fall – überhaupt kein Wissen über die Türkei hätte.
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Neo-myths between factuality and fictionality in the Netflix series »Atiye – The Gift« (2019-2021)[4]
The fact that the Netflix series Atiye – The Gift belongs to the fantasy genre can be expected not only from the corresponding genre assignment, but also from the preliminary information that it deals in some form with Göbekli Tepe. The South Anatolian Neolithic stone complex, which is believed to have functioned as a place of worship, has been archaeologically examined for only a short time and is sensationally old, older than the Egyptian pyramids and Stonehenge, which makes it interesting for popular cultural negotiations. Adherents of pre-astronautics believe that Göbekli Tepe was built by or under the guidance of aliens. Adherents of the Ancient Apocalypse-thesis believe that Göbekli Tepe was created by a lost and forgotten advanced civilisation. Both narratives of these popular simulations of science, also known as pseudo-sciences,[5] have in common that they identify it as a mystery that a feat like the construction of Göbekli Tepe comes out of nowhere, when at that time only uncivilized nomads were supposedly traveling in this area. Narratives about the origin of humanity or, in this case, civilisation stimulate and soothe the imagination at the same time, where explanations are banal or non-existent. They have a mythical, identity-forming, contingency-reducing function.
Atiye does not directly refer to the aforesaid pseudo-scientific discourses. There are reasons to suspect that it knows that horizon of expectations and plays with it. Until almost the very end, it is vaguely suggested that aliens could have been at work and be the solution to a riddle, because certain characters with secrets receive messages on the television that look like amplitudes, and they also talk about this channel in a foreign language with ominous, invisible communication partners. The series explicitly addresses a different field: Atiye is not simply fantasy, but is constituted from real-world fictions from the field of esotericism, both in a general sense and in the sense that in some esoteric discourses it is assumed that places could be magical, that they are energetic and determine human destiny. (One variant is, for example, the European Feng Shui, so to speak: geomancy, which – also under National Socialism – deals with the so-called Ley lines, among other things.) Of course, the series is clearly marked as fiction, but it introduces a ‚real-world fantasy element‘ and presupposes real-world rules in the first season by pathologizing Atiye with her special gift and connection to Göbekli Tepe. We are not in a fantasy scenario at the beginning.
At the beginning, the family is worried about the character, who will turn out to have been right in the sense of the series at the end. Her visions/gifts are perceived as hallucinations/illness (s1e2). While Atiye senses that something special is going on inside her, her family points out that there have been mental illnesses in the family. The family’s call for medical treatment sounds like a threat, as does the therapy suggestion of the doctor consulted: „Please have confidence in the medicine and take the prescribed pills regularly.“ (S1E3, 18:50). The term ‚trust‘ triggers real-world losses of trust in conventional medicine and pharmacy. Something similar had happened to Atiye’s soulmate Erhan in his childhood. His father describes a situation in Erhan’s childhood when he disappeared underground in Göbekli Tepe for a while. „Your mother wanted to take you to the doctor. But I was sure you had experienced a miracle.“ (S2E6, 32:01) With its the title the series judges in the sense of Michel Foucault’s psychiatry-critical argumentations. The family is wrong with its concern for Atiye’s mental well-being and wants to discipline her by pathologisation, marginalisation, stigmatisation strategies, which simply turns out to be wrong in the sense of the series. First of all, as already mentioned, the series does not unfold a fantasy narrative, but a realistic structure against the background of which it integrates esoteric views. Then the paranormal state becomes the norm, the fantasy structure of the series, which is clearly marked as fiction, dominates. But basically and problematically, this normalises the esoteric discourse within the framework of a realistic view.
About the plot: In Atiye, Göbekli Tepe proves to be a magical place where the past, future and parallel worlds can be opened with the help of a time or dimension portal. Göbekli Tepe is, so to speak, the geographical origin and the end of life, insofar as one reality can erase or replace the other, although the series does not bother to clarify the whereabouts of the other dimensions. In the sense of diegesis, logical, discursive thinking not only cannot grasp the mysteries of Göbekli Tepe, but the series also explicitly does not want to address the recipients’ rational perception, which is why it actually does not belong to the pseudo-scientific, but to the neo-mythical popular reception of archaeology. If, for example, drawings are superimposed on top of each other in order to compare floor plans and star constellations – an operation that is often carried out in pseudo-scientific analogisations and which can be achieved through the use of diagrams etc. to appear as complicated and ’scientific‘ as possible[6] – the series does not go into detail (e.g. s1e3, 27:00), because it is not aimed at science-savvy nerds. For example, the scientist Erhan does not solve a number puzzle by inducing and deducing more or less comprehensibly, as we know it from numerous conspiracy films, but a bee simply flies at the numbers on a grave inscription, and since Erhan is willing to listen to nature, he understands what it wants to tell him (s1e8). Of course, the series also uses scientific jargon. We learn from a professor’s scientific publication: „In my opinion, Göbekli Tepe is the centre from which the energy channels orbit the Earth. I can prove that the stones buried here radiate an energy with a high frequency and that the 21 elements hidden in them are unique in this world and have an effect on every living being.“
All in all, a family, love and identity crisis narrative unfolds in large parts. Atiye is in the middle of urban life. She lives as a painter in Istanbul, celebrates a vernissage and is about to marry her boyfriend when she discovers that the snail-like infinity sign around which all her painterly creativity is entwined has been found as a stone drawing in Göbekli Tepe. She would like to investigate this coincidence, which is of course immediately understood as a connection. Over the course of three seasons, she discovers that she derives from a matrilineal line of chosen women who have special access to the portal in Göbekli Tepe, that there has always been a war between guardians and usurpers of the portal, that she committed the original sin in the Stone Age and sacrificed her daughter Arden to save the world from an apocalypse, that all connected ’souls‘ in all lives and dimensions meet again and again and that all old traumas are not simply repeated, but are explicitly passed on from generation to generation and are always up for discussion (e.g. s3e5, 11,00). When, at the end of the series, the portal in Göbekli Tepe opens and the dimensions or past and future intertwine, she is faced with the task of deciding again whether she will sacrifice her daughter. She decides that she will not do this for anything in the world, not even for its preservation. With this act of unconditional and absolute love, which is tantamount to Atiye’s self-discovery as a mother, she saves the world and – because we are at the end of the series – she probably breaks the eternal cycle of traumatic repetitions.
You don’t have to understand the narration entirely, because the series deploys an over-explicit commentary through character comments within the diegesis or – very exaggerated – as voice over. The series, which thrives on repetition in many respects, is permeated by lyrical-mystical aphoristic sayings. These only require that figures and recipients are sensually addressed or that they simply trust and believe, and they connect to real-world esoteric discourses, such as the homeopathic belief that water can store information.
„Can you hear the earth talking. The earth has its own memory. And it has its very own language. If you know this language, then it really has a lot to tell you.“ (S1E4, 5:20pm)
„To understand this, you have to go back to the beginning, Atiye. At the moment when you met for the first time. […] I’m talking about much earlier times. Penetrate into the locked rooms of your memory. Then you will see that there is much more. You have that knowledge. Now you need to learn how to use it. […] Water has a memory. Touch it.“ (S2E5, 4:25pm)
„You are the mother of the entire universe. You are nature itself. […] You are the sum of the divine powers that come from ancient times. […] They call you Venus. Or Isis. You can be found in all worlds.“ (S2E6, 35:00)
„When we locked our hearts in darkness, the earth turned against us. Our thoughts took hold of us and we silenced our hearts. […]. We have forgotten who we are. We have forgotten that we are one.“ (S2E8, 9:30pm)
„Time may have taken some of our strength. But […]. Like us, it has not only rational knowledge, but also the knowledge of the soul.“ (S3E2, 9:35am)
„She has a gift. It probably contains thousands of years of knowledge. All the experiences of all the mothers and women from whom you and your daughter are descended, back to Göbekli Tepe.“ (S3E4, 27:24)
„The moment we broke up and forgot about each other, the ground turned away from us. And our minds took over and we silenced our hearts. Then the fruits died. We forgot who we were. We forgot that we were one.“ (S3E6, 3:08)
Especially towards the end, repetitive doctrinal formulas are invoked: time flows, one must surrender to the flow of life, love should overcome fear, the true soul may come to light, it is best to be one with oneself and the universe (s3e8, 28:20). All in all, the ideal is an archaic and mystically based community, which guaranteed everyone the true identity and the right place before the onset of the principium individuationis. It is an anti-rational narrative about the initial fall of man and the reflexive awareness of man in analogy to Judeo-Christian-Islamic narratives of origin and doctrines of salvation. However, the narrative of the series not only competes against science, but also against these thoroughly rational myths, which are ultimately written discursively, preserved through books and intellectually accessible in the act of reading. Atyie is not only about feeling nature, but also about understanding a script whose letters ‘mean the dimensions’ and which one understands in a sensual-spiritual act – at least if one is chosen – by circling one’s hands over it. The fact that the oft-invoked cycle of life goes hand in hand with consanguinity to a not inconsiderable extent in the series – it is not for nothing that the plot also revolves around the ‚problem‘ of step-siblingness and patchwork family – is once again cited in the context of this writing, in that the scientist Erhan explains the reading process: „It is in our collective consciousness. It’s encoded in our genes.“ (S3E7. 25:50)
The series leads into a Kurdish scenario. The protagonist’s grandmother has a pre-Islamic Deq tattoo and instructs Atiye in an archaic cult of femininity, which is offered as an alternative to patriarchal Torah-Bible-Koran narratives, even though the Koran provides helpful wisdom and clues over the course of the series. A connection of the feminine is postulated. „We are all part of a divine plan. We are the continuation of the others.“ (S2E1, 50:48) This continuation is concretely understood as reproduction. Giving birth and motherhood are the most important tasks of humanity and of women respectively. „Do you know why motherhood is sacred?“ (s2e4, 17:47) ‚Infertility‘ is one of the horror words of the series, which is used to describe the impending apocalypse. In the second season, ominously, all women die from their pregnancies. Modern doctors know how to remedy the situation, at least for the time being, by offering abortions and focusing on pregnancy prevention. The pregnant Atiye refuses to have an abortion and puts herself in mortal danger to save her child, which is part of the plan of salvation. Concrete births and general human survival, onto- and phylogenesis are set one in the series (s3e7).
Archaisms such as these often imply a cyclical thinking of history, and so, as in some esoteric discourses, a cyclical recurrence is invoked, namely that of the opening of the portal and the redemption of humanity, but which is perhaps also final at the end of the series? According to the Simurgh myth cited in the series, among other things, a renewal takes place every 1,700 years. That’s exactly when all the planets would be between Earth and Sirius. For salvation, as has already been said, the principle of motherly love must prevail. Man has proven to be a catastrophe for the earth and deserves to be wiped out or somehow cosmically transcended according to the ominous evil. In the end, the character Melek turns out to be the executor of evil, who, like some other characters, was once an unloved stepchild and says: „I have never allowed love to make me weak.“ (S3E8, 22, 14) In the end, Atiye’s daughter Arden has to decide whether she wants to wipe out the world or this dimension, and is inclined to do so after being informed on television about the sins of humanity. Among other things, she had seen them as a assembly of fanatical people who look like Nazi supporters to me (s3e6, 30:49). Modern media have a negative informational effect. Atiye, on the other hand, has to decide whether to kill her daughter – again – in order to stop her, but does not do so and trusts her daughter, who then breaks off the apocalypse.
The civilisation-critical gesture of the series changes in the end to the extent that it is now the ‚evil‘ characters who stand up to humanity because of the sins of civilisation, while the spiritual figures contribute to salvation, and thus probably also to the salvation of civilisation, whereby the latter is not addressed in the series and does not play a role, as well as all the logical problems it raises. It is significant, however, that in the course of their process of self-discovery in the third season, Atiye and Erhan suddenly no longer live in Istanbul, but in an idyllic cottage at the countryside. While the local and the archaic, as well as partly pre-Islamic Kurdish traditions, have a positive connotation, the series quickly ignores the modern city of Istanbul. Closeness to nature and femininity are equated, and it is only at first glance feminist that women play the leading roles and are also placed centrally in diegesis. What looks like female self-empowerment not only contains general regression fantasies far removed from civilisation, but once again reduces women considerably to a single biological aspect.
The fact that Atiye was able to develop into a saviour figure is due to paranormal experiences that set in motion a process that is a mixture of esoteric healing methods, such as regression therapy and psychoanalysis (s1e5). The series works to a large extent with flashbacks, which is a standard film aesthetic procedure for staging traumas. Atiye sees not only the past in this life, but in many more. This means that the memories of the past as well as the reappraisal of the past includes various lives, past worlds, other dimensions. Working through the flashbacks is always about seeing something that was always known anyway and that was only repressed. Göbekli Tepe is treated quite materially analogously. At one point it is said that the temple complex was once filled in (s2e5, 33:10). Ancient knowledge must be brought to light in spiritual remembrance work as well as in archaeological excavation. To know who you are, it is not enough to know your own past, but that of all your lives, your bloodline and your culture. This clearly has identity-political, cultural essentialist implications.
It is obvious that the scientific discourse, which is always relativising, does not fit, and so the archaeologist Erhan is constructed from the outset not so much as a guardian of science, but rather as open to esotericism and mysticism. Although Erhan does not defend the rational discourse, Atiye has to instruct him from time to time as a more and deeper knower. „Forget everything you know for a moment. Don’t constantly try to find a logical explanation for everything. Just look at the icon.“ (S2E3, 9:52pm) „You don’t believe in anything that you can’t explain logically. You are so arrogant. […] Can’t there be other levels of reality besides this one? Just take quantum physics. […] It’s been proven.“ (S2E5, 5:48) This is not followed by any explanations of quantum physics. The only reason why the series is not very anti-scientific is that it does not thematise the scientific discourse in an ex negative way, presumably to avoid the greater complexity, and where it is introduced, it proves to be susceptible to esoteric narratives, one could of course also say: to be open.
In the end, the solution to the riddle is self-discovery and love, after having gone through a painful process of phylo- and ontogenetic coming to terms with the past. Instead of aliens, the esoteric breakthrough to the ‚core self‘ awaits. Above all, relationships permeate all dimensions in eternal connections beyond the form of life and rational consciousness. There is probably no need to understand this in detail, as long as terms such as ‚tree of life‘ and ‚cycle of life and death‘ unfold their suggestive power. Above all, the structure of the series is not linear. The figures are rotated through several dimensions through a kaleidoscope and rearranged again and again. In the second season, we find ourselves in an alternate reality where the family and character constellation is simply arranged differently. The third season is certainly a continuation of the second, but some relations cannot be derived from either the first or the second season. The series is supposed to be ostentatiously narratively non-stringent, but this does not lead to an increase in complexity or an increased demand on the recipients to actively seek connections. Rather, rational discourse is also suspended at the structural level, in that there is no linear narrative that would make connections possible. In the end, it somehow doesn’t matter who belongs to whom and who does what why – e.g. why Melek, who is actually dead in the first season, i.e. timeline/dimension, lives at the end and is the bad one – especially since the only tension that still exists at the end is where these ominous frequencies from the TV come from.
This can be understood as a meta-commentary on series, which often indulge in eternal recombinations, repeat and vary all elements in a cycle and which return cyclically season after season until they are put to an end – often quite contingent – that rarely satisfies recipients, e.g. deliberately brought about in Game of Thrones[7] or because they are discontinued. Now, quite a few current series are narrative-progressive, but the serial paradigm still includes cyclicality and recurrence, and the Atiye series reflects structural serial elements on the level of narration with the esoteric narrative of eternal cyclical recurrence and the reunion of what is already known. In addition to the fragmentation of the narrative, the fantasy series makes use of numerous elements of the family series. It’s about love and family, hurt and enmity, community, trust and forgiveness. The narration is fragmented anyway and allows all elements to reappear in arbitrary combinations through the dimensions. However, it is not only the 1,700-year cyclical of redemption that is subject to it as a narrative, but also to the genre of the family series, which invites less linear-progressive than cyclical storytelling. The family narrative also offers a scenario that seems realistic and familiar. This normalises the esoteric charge instead of alienating it in the context of a fantasy world.
Within the framework of this structure, the mystery of the secret connection is not really solved. First Serdat, then Ozan and Melek ultimately communicate with the television, and that’s how it stays. This means that it is not clear with whom they are communicating via the TV. However, it is clear quite early on that Atiye has to find and open the portal in the end in order to somehow save the world, so that this act does not dissolve any suspense at the end. The initial suspense of the series goes completely nowhere, which fits the narrative. There is no linearity or progression, but we recipients watch as we realize what we already knew from the first season. In the process, the only interesting character in that it carries a certain suspense, namely Serdat, is purified. He, too, succeeds in breaking through a childhood trauma, so that we don’t get to the men and women behind him, who are regularly named „they“ or „them“ but are not presented in the whole series. It is significant and problematic that the initially unscrupulous Serdat is staged as a cosmopolitan businessman or puppet master, of whom we only later learn that he is a puppet of the backers. As a subordinate, he belongs to a secret society that is reminiscent of Freemasons, e.g. by being introduced to a secret language in different stages (s3e1). To the extent that the series increasingly establishes a fantasy world over the course of three seasons in which everyone participates in the great mystery surrounding the portal, all the characters are also esoteric. I.e. even the bad guys have the decreasing secret knowledge of the portal they want to use. Believers are not just the good guys. But it is significant that the evil figures do not only want to wipe out the world or the known dimension. Rather, Melek reveals, „They want me to be part of the new world order.“ (S3E8, 8:22pm) Whoever they are, they are planning a new world order. They are organised in a network-like manner via invisible frequencies. They have access to media that negotiate global scenarios. They obviously have infinite financial resources at their disposal. They decompose the local community. Anyone who doesn’t smell latent anti-Semitism? Although the series is in no way about Jews, numerous anti-Semitic clichés are updated and once again given negative connotations in order to unfold criticism of modernity and civilisation. All this seems quite strange at first and experiences a normalisation in the course of the series.
This topic raises particular problems in that I do not speak Turkish and have little knowledge of Turkish cultural history. I was not able to see the Atiye series in its original version, nor was I able to read the novel Dünyanın Uyanışı by Şengül Boybaş, nor did I follow the reception in Turkish. Above all, however, while watching the series, I noticed from time to time that I can’t quite classify or assign a statement or allusion, even if I understood that there is something to classify or assign. This cross-cultural interference is unusual for a Netflix product. Netflix products are produced for the global market and, against the backdrop of a global popular culture, are generally easy to connect with internationally. I had moments of irritation with Atiye that I didn’t have with the South African series Blood & Water or the Nigerian series Far from Home, for example, and I ask myself: Did I miss out on all the things I didn’t understand in these series, or did I understand everything? I don’t want to bore readers with well-known problems of intercultural hermeneutics, but I do want to point out that Netflix artifacts usually hardly raise such considerations, although they are all hybrids between international popular culture and national productions, but that Atiye left me with the feeling that I missed aspects or that the readings with greater knowledge of Turkish history, cultural history and ongoing discourses would turn out to be different, more complex or more precise than mine. I conceived the series against the backdrop of global narratives of popular culture, esotericism and criticism of civilisation. I also couldn’t ignore associations with conservative debates about climate change. But I wonder what specific massacres in history are specifically alluded to (s3e5, 13:40), how localism and globalism can be read against the Turkish background, how one has to classify the Kurdish scenario in the Turkish context or how one would perceive all this if one had – and this is not the case with me either – no knowledge about Turkey at all.
Anmerkungen
[1] Michael Gordin: Am Rande. Wo Wissenschaft auf Pseudowissenschaft trifft. Göttingen 2022. Michael Gordin beschreibt eine bestimmte Form von Pseudo-Wissenschaften als Nachbildungen von Wissenschaften, die offenbar vorausgesetzt oder begehrt werden, auch wenn ein alternativer Pfad eingeschlagen wird.
[2] Christoph Ernst: Diagramme zwischen Metapher und Explikation. Studien zur Medien- und Filmästhetik der Diagrammatik. Bielefeld 2021, Kap. 6.2 u. 6.3.
[3] Tobias Unterhuber: „If you think that has a happy ending, you haven’t been paying attention.” Der Widerspruch von Serialität und Finalität bei Game of Thrones. In: Anna Gamper, Thomas Müller (Hrsg.): „Beyond the Wall“. Game of Thrones aus interdisziplinärer Perspektive. Wiesbaden 2022, S. 125–141.
[4] Disclaimer: This text has been translated by AI. A quick review removed some gross errors – and showed the limitations of artificial intelligence. However, due to a lack of time, the review did not include careful post-processing. The English version is intended as a first basis for discussion to enable international connection among potentially interested persons.
[5] Michael Gordin: Am Rande. Wo Wissenschaft auf Pseudowissenschaft trifft. Göttingen 2022. Michael Gordin describes, among others, a certain form of pseudo-science as replicas of sciences that are apparently assumed or coveted, even if an alternative path is taken.
[6] Christoph Ernst: Diagramme zwischen Metapher und Explikation. Studien zur Medien- und Filmästhetik der Diagrammatik. Bielefeld 2021, Kap. 6.2 u. 6.3.
[7] Tobias Unterhuber: „If you think that has a happy ending, you haven’t been paying attention.” Der Widerspruch von Serialität und Finalität bei Game of Thrones. In: Anna Gamper, Thomas Müller (Hrsg.): „Beyond the Wall“. Game of Thrones aus interdisziplinärer Perspektive. Wiesbaden 2022, S. 125–141.