Das Schwarze Quadrat auf Instagram – #blackouttuesday
von Annekathrin Kohout
21.9.2023

Black Lives Matter als Social-Media-Phänomen

[aus: »Pop. Kultur und Kritik«, Heft 17, Herbst 2020, S. 66-71]

Am 2. Juni 2020 entfaltete sich auf den Feeds weltweit eine der größten Bild-Aktionen, die es in den Sozialen Medien bislang gegeben hat. Statt der sonst üblichen bunten, fröhlichen Lifestyle-Bilder und lustigen Meme erschienen viele Schwarze Quadrate – bei der einen mehr, bei dem anderen weniger. Durch die Nutzung entsprechender Hashtags wie #blackouttuesday, #blacklivematters, #theshowmustbepaused oder #Justice4George ließ sich schnell erahnen, dass es sich bei den schwarzen Bildern keinesfalls um einen Ladefehler handeln konnte, sondern um eine gezielte kollektive Aktion im Zusammenhang mit der »Black Lives Matter«-Bewegung und in Reaktion auf die Morde an George Floyd, Ahmaud Arbery und Breonna Taylor in diesem Jahr.

Am 25. Mai 2020 postete die 17-jährige Darnella Frazier auf Facebook ein Video, das sie kurz zuvor mit ihrem Smartphone in der Chicago Avenue in Minneapolis aufgenommen hatte. Vom Bürgersteig aus filmte sie – wie auch weitere Passanten –, während der Afroamerikaner George Floyd von mehreren Polizeibeamten erst gewaltsam zu Boden gedrückt und schließlich getötet wurde. Auf dem Video ist zu sehen, wie einer der Polizisten sein Knie auf Floyds Hals drückt, der immer wieder sagt: »I canʼt breath«. Bis er es nicht mehr sagen kann.

In den folgenden Tagen wurden viele Clips der Szene aus unterschiedlichen Perspektiven online veröffentlicht, einige von ihnen gingen viral. Bei der Tötung eines Menschen zuzusehen, löst unweigerlich Verstörung, Bedrückung, Wut, bei den Betroffenen auch Angst aus, es bewegt und affiziert einzelne Menschen und mobilisiert ganze Gemeinschaften. Das Video der Ermordung George Floyds ist nicht das erste seiner Art. Internationales Aufsehen erregte zuvor etwa »Neda« (Neda Agha-Soltan), die 2009 vor mehreren laufenden Smartphonekameras mutmaßlich von einem Mitglied einer iranischen Miliz erschossen wurde, oder das »Blue Bra Girl«, das 2011 während der Ägyptischen Revolution gefilmt wurde, als mehrere Militärs auf ihren leblos wirkenden Körper immer wieder einschlugen; da bei der Misshandlung ihr Oberkörper entblößt wird, gerät ihr blauer BH ins Blickfeld, was dem Video schließlich den Namen gab.

»I canʼt breath«, das erinnerte aber auch an einen anderen Fall von Polizeigewalt gegen einen Afroamerikaner in den USA: 2014 wurde Eric Garner ebenfalls von Polizisten zu Boden gedrückt, mit einem Würgegriff, der schließlich zum Tod führte. Kurz vor seinem Ableben flehte auch Garner »I canʼt breath«. Erst Ende letzten Jahres wurde dieser Vorfall in der Dokumentation »American Trial: The Eric Garner Story« erneut thematisiert. Schon der Fall Garner brachte eine Reihe von Bildern hervor, die den Fall von Floyd, und neben ihm viele weitere, darunter in diesem Jahr Ahmaud Arbery und Breonna Taylor, wie ein Déjà-vu erscheinen lassen: unscharfe, hektische Videos von der Tötung, Bilder von friedlichen Demonstrationen, Schilder mit den Slogans »No Justice, No Peace« oder »I canʼt breath«, Bilder von Unruhen, brennenden Autos, Plünderungen und Polizisten, die gegen Journalisten vorgehen. All diese Bilder haben auf drastische Weise etwas sichtbar gemacht, das man sonst gerne im Verborgenen weiß: den strukturellen Rassismus, der in allen Lebensbereichen zu finden ist.

All diese Fälle wurden nicht zuletzt durch die Sozialen Medien verbreitet und erlangten nur deshalb Sichtbarkeit und danach weitere massenmediale Aufmerksamkeit. Mit dem Handy gefilmte Amateurvideos, die Gewalt – insbesondere Polizeigewalt – bezeugen, sind Produkte einer Bildpraktik des »Citizen Camera-Witnessing« (so die Medienwissenschaftlerin Kari Andén-Papadopoulos). Da sie nicht nur die Situation, sondern auch die Emotion der Filmenden dokumentieren, wirken diese Aufnahmen derart affizierend, dass sie im Netz schnell viral gehen können. Das Erstaunen, Entsetzen und Mitgefühl ergänzen die Macher*innen durch verschiedene Paratexte selbst, was die unzähligen derer, die sie teilen und kommentieren, fortführen. Dabei entstehen wiederum oft eigene Narrative oder ganze Subdiskurse, die sich verselbständigen.

Im Zusammenhang mit den aktuellen Demonstrationen, Protesten und Unruhen, die durch die Ermordung Floyds an Dynamik gewannen, hat eine ähnliche Entwicklung stattgefunden. Mit den neuen Videos gingen auch neue Erzählungen einher, eine davon ist gewiss mit der Déjà-vu-Erfahrung verbunden. Sehr oft konnte man hören oder lesen, dass sich die Wiederholung der Fälle wie eine Never-Ending-Story anfühle. Überall geteilt wurden Protestschilder, auf denen steht: »Can’t believe I’m still protesting that shit!«.

Das bringt nicht nur eine Kritik und einen Appell an alle auf den Punkt, die zur Verbesserung der Lage beitragen sollen, sondern beinhaltet in gewisser Weise auch eine Reflexion über die Nachhaltigkeit der Sichtbarmachung von strukturellem Rassismus durch derartige Demonstrationen und »Citizen Camera-Witnessing«-Videos: Oder wie gut erinnern Sie sich an die genannten Fälle? Allesamt Fälle, die zu ihrer Zeit massenmedial enorm verbreitet waren. Tatsächlich gehört das Protestschild mit dem Slogan »Can’t believe I’m still protesting that shit!« zum festen Repertoire verschiedenster Demonstrationen, nicht nur gegen Rassismus, sondern auch gegen Sexismus, Transsexuellen-Feindlichkeit oder die Klimapolitik – und zwar seit vielen Jahren.

Spezifischer für die aktuellen Proteste im Zusammenhang mit der »Black Lives Matter«-Bewegung mag hingegen die durchaus optimistische Einschätzung sein, dass es diesmal anders ist, dass die Unruhen diesmal stärker ausfallen und auf einen größeren Resonanzraum stoßen. Dafür wurden verschiedene Gründe genannt: Allen voran der zeitliche Zusammenfall mit der Corona-Pandemie und ihren gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen, von denen besonders in den USA People of Color sehr viel schwerwiegender betroffen sind. Aber auch die Unruhen selbst erschienen heftiger, die unzählige – und dank neuerer Smartphones noch bessere, schärfere, weniger verwackelte – Bilder und Videos hinterließen, die brennende Straßenzüge sowie Plünderungen von Luxus- wie Supermärkten zeigten und im Zusammenhang mit den Corona-bedingten Dystopie-Erfahrungen noch angsteinflößender anmuteten. All das führte zu einer enormen Sichtbarkeit der Bewegung, wahrscheinlich eine größere als je zuvor. Da nicht nur Bilder friedlicher Demonstranten, sondern auch vielfach Aufnahmen von Randale-Szenen kursierten, lag allerdings die Vorstellung nahe, dass sie Kritik und Feindlichkeit von anderer Seite eher bestätigen würden, als diese vom Gegenteil zu überzeugen. Am Ende blieb deshalb, wie so oft, der Eindruck eines unheilvollen Konflikts zurück, mit dem man lieber nicht so viel zu tun haben will.

Vom 26. Mai bis 1. Juni dominierten die Bilder der Unruhen das Social Web, bis am 2. Juni für viele ganz plötzlich nicht mehr viel zu sehen war – bis auf Schwarze Quadrate. Eine kollektive Aktion enormen Ausmaßes, die ein Soziales Netzwerk selbst, nämlich Instagram, als Medium benutzt hat. Und eine Aktion, die vielfach und teilweise zu Recht kritisiert wurde, aber am Ende zu mehr Aufmerksamkeit für die Mordfälle, die Black Lives Matter-Bewegung und für Informationen zu strukturellem Rassismus im Allgemeinen geführt hat, als es die Bilder der Unruhen vermochten.

Hervor ging der sog. Blackout Tuesday aus einer Initiative der beiden Afroamerikanerinnen Brianna Agyemang and Jamila Thomas, die als Marketingdirektorinnen für das Musiklabel Atlantic Records arbeiten, einem der größten Independent-Labels der USA, das auf Jazz, Rhythm- and Blues- und Soul-Aufnahmen spezialisiert ist. Auf einer eigens angelegten Website unter dem zugleich Hashtag-gebenden Titel »The Show Must be Paused« gab es eine Ankündigung sowie eine ausführliche Erklärung. Ihr Ziel bestand darin, für einen Tag die Arbeit zu unterbrechen, um an diesem Tag eine »ehrliche, reflexive und produktive Konversation darüber zu führen, was wir als Gesellschaft und als einzelne tun können, um die Schwarze Community zu unterstützen«, wie es auf der Seite heißt. Darum wurde der Blackout Tuesday auch als Schweigeminute interpretiert: 24 Stunden lang sollte man der Opfer gedenken, sich selbst zurücknehmen und darüber nachdenken, welchen Anteil man zur Verbesserung beitragen kann. Verschiedenste Unternehmen beteiligten sich an dem Aktionstag, Spotify baute Schweigeminuten von 8:46 Minuten in ausgewählte Playlists ein – so lange hat es gedauert, bis George Floyd bewusstlos wurde –, und Apple Music entfernte all seine Kategorien (»Durchsuchen«, »Für Sie«, »Radio« etc.), um ausschließlich Schwarze Musik anzeigen zu können.

Nun ist Instagram ein visuelles Medium und kein akustisches, deshalb musste für das Schweigen und die Reflexion ein bildliches Pendant gefunden werden. Es ist nicht zu rekonstruieren, wer als erste*r die Idee hatte, ein Schwarzes Quadrat zu posten – sie ist freilich naheliegend. Durch unzählige Prominente wie Kylie Jenner, Justin Bieber, Katy Perry und durch Instagram selbst, das sein eigenes Logo schwarz einfärbte, verbreitete sich die Aktion ungemein schnell. Dabei zeigte sich, dass das simple Schwarze Quadrat weitaus vielfältiger gedeutet werden konnte als ursprünglich gedacht. Diese Interpretation fand bei den meisten wahrscheinlich in Minutenschnelle statt. Viele wurden erst auf die Aktion aufmerksam, als sich ihre Timeline zunehmend schwarz einfärbte und auch immer mehr eigene Freunde und Bekannte begannen, daran zu partizipieren. In ihrem Affekt fassten manche das Bild als Protest oder Streik auf, andere als Schweigen, wieder andere als Solidaritätsbekundung, und nicht wenige auch als schlichtes Bekenntnis – eine Geste, wie sie seit einigen Jahren in den Sozialen Medien Konjunktur hat, und die natürlich auch recht umstandslos zu tätigen ist. Zu denken ist da etwa an den Regenbogen, den sich Nutzer*innen 2015 bei Facebook über das Profilbild legen konnten, um das Supreme-Court-Urteil zur Ehe für alle zu befürworten.

Die unzähligen schwarzen Bilder irritierten auf eine Weise, wie schon einmal ein Schwarzes Quadrat irritiert hat, wenn auch zu einer ganz anderen Zeit und in einem ganz anderen Kontext: nämlich das »Schwarze Quadrat auf weißem Grund« von Kasimir Malevich, das manche kunstversierte Instagram-Nutzer*innen nun statt einer schwarzen Fläche posteten, wohl auch, um sich originell zu geben.

Malevichs »Schwarzes Quadrat« wurde 1915 in Sankt Petersburg erstmals gezeigt. Umgeben von anderen Bildern war es ganz oben in einer Ecke des Raums installiert, wobei die Bildfläche leicht nach vorne kippte – so, wie in einem traditionellen russischen Haus die religiöse Ikone angebracht wird. Das »Schwarze Quadrat« machte zunächst die grundlegendste Funktion von Bildern – etwas zu zeigen – gerade dadurch erfahrbar, dass auf ihm selbst vermeintlich nichts zu sehen ist. Auch konnte deutlich werden, wie das Gezeigte rezipiert wird: dass es unsere Wahrnehmung und Kultur prägt und sogar verehrt werden kann.

In diesem Sinne deuteten manche auch das Schwarze Quadrat auf Instagram als Repräsentation von Schwarzen Personen. Für sie war das Quadrat ein Hinweis darauf, dass People of Color unterrepräsentiert sind – in den Medien und damit einhergehend auch in wichtigen kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Positionen. Diese Lesart wurde nicht zuletzt dadurch bestätigt, dass von nun an Aktivisten neurechter Bewegungen Weiße Quadrate posteten.

Als immer mehr Menschen das Schwarze Quadrat bereits gepostet und sich nun entweder zurückgezogen hatten oder Beiträge von betroffenen Personen teilten und deren Geschichten damit über den Tag hinweg zu mehr Verbreitung verhalfen, ging die ursprüngliche Intention zunehmend auf. Persönliche Erfahrungen, Informationen zu Rassismus und Polizeigewalt, aber auch Hinweise auf gemeinnützige Organisationen und die Möglichkeit, für sie etwas zu spenden, dominierten zunächst die Timeline.

Gerade diese Art von Social-Media-Erfolg löste aber eine kritische Wendung gegen den Blackout Tuesday aus. Da so viele das Hashtag #blacklivesmatter verwendeten, machten sie die eigentliche Bewegung und das, was diese zu sagen und unter dem entsprechenden Hashtag zu zeigen hatte, unsichtbar. Was auf den individuellen Feeds als Ausstellungsfläche diente, besaß im Feed des Hashtags den Effekt einer schwarzen Übermalung, die alles auslöschte, was dort an wichtigen Inhalten zusammengetragen wurde.

Hinzu kam: Was von vielen als eine gutgemeinte Geste der Solidarität und des Mitgefühls gedacht war, wurde nun, zum Teil auch von den Betroffenen, als zu wohlfeil abgewertet oder gar als Selbstinszenierung verurteilt. Deshalb führte die Kritik an dem Schwarzen Quadrat noch am selben Tag reihenweise zu seiner Tilgung. Viele entfernten jetzt das Bild wieder aus ihrem Profil, galt es doch nunmehr mindestens als unsensible Geste oder sogar mehr noch ikonoklastischer Akt. Dass es, wie bei Malevich, anfänglich gerade darum ging, durch Unsichtbarmachung und Rückzug anderes erst sichtbar und damit laut werden zu lassen, geriet zunehmend in den Hintergrund. Natürlich blieb all das nicht unkommentiert, und so überlagerten nun die Begründungen für die Löschung des Quadrats die möglicherweise hilfreichen, relevanten, nützlichen Informationen zum Protest, zum Rassismus und zur Polizeigewalt.

Mit der Tilgung des Schwarzen Quadrats offenbarte sich das hässliche Gesicht der Postings, bei denen es am Ende doch bloß darum ging, sich als eine Person zu zeigen, die etwas ›richtig‹ und nicht ›falsch‹ macht. Jetzt stand plötzlich dieses Thema überall im Zentrum: Schwarzes Quadrat, ja oder nein, handle ich richtig, ja oder nein – eine Kehrseite der Debattendynamik im Netz. Dieser Verlauf – zuerst die massenhafte Verbreitung des Schwarzen Quadrats, sodann seine kollektive Entfernung – ist ein weiteres Beispiel für das sog. ›social swarming‹, das aktuelle Protestbewegungen im Netz konstituiert. Die Handlungen einer Menge an Social-Media-User*innen, denen es gelingt, in Reaktion aufeinander wertvolle Informationen und Ansichten zu einem Thema zu verbreiten, können jederzeit Bewegungsabläufe ausbilden, die so instabil sind, dass daraus keine politischen Energien mehr entstehen – was auch bei #blackouttuesday vorübergehend geschah.

Im Rückblick betrachtet, handelte es sich beim Blackout Tuesday aber nicht nur um eine der größten kollektiven Aktionen im Social Web, sondern auch um eine der wirkungsvollsten. Durch ihn bildete sich ein eigenständiges Erzählmuster heraus (‚weiße Menschen wissen zu wenig über strukturellen Rassismus, diesen Zustand müssen sie unbedingt überwinden, Empathie zeigen, zuhören‘), das sich erfolgreich kommunizieren und verbreiten ließ. Darum ist es auch kein Widerspruch gewesen, wenn man das, was man spontan für richtig hielt, rasch wieder revidierte.

 

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