Zur Renaissance der Sauce Hollandaise
[aus: »Pop. Kultur und Kritik«, Heft 16, Frühling 2020, S. 89-92]
Die Sauce Hollandaise hat mittlerweile einen schweren Stand in der gehobenen Küche. In Zeiten von Essenstrends, die sich entweder um Gesundheit und Nachhaltigkeit oder zumindest um Frische und Innovation drehen, kann die Sauce Hollandaise nur schwerlich punkten: Klebrig, unansehnlich, ungesund und irgendwie angestaubt, fristet die einstige »Königin der Saucen« (kochbar.de) mittlerweile ein Schattendasein und verlässt ihr Exil nur im einjährigen Turnus, wenn sie als Begleitung zur Spargelzeit antreten darf.
Dieser Bedeutungsverlust wäre soweit nicht sonderlich bemerkenswert, schließlich unterliegt die Popularität von nahezu jedem Lebensmittel trendbedingten Schwankungen. Die Sauce Hollandaise erfreut sich jedoch seit einiger Zeit als Begleiterin von Pizza und Döner neuer Beliebtheit an unerwarteter Stelle. Nahezu jeder Pizzalieferdienst bietet sie als Topping an, oftmals werden gleich komplette, extra auf die Soße abgestimmte Pizzakreationen beworben. Besonders beliebt scheinen hier die Sorten mit Hähnchen oder Schinken, die vegetarischen Varianten locken mit Brokkoli, Mais und – ganz klassisch – grünem Spargel. Aber auch Döner und Gyrospizza werden zunehmend mit der Soße veredelt. Gerade Pizzalieferanten zeigen sich, was innovative Zutatenzusammenstellungen angeht, ausgesprochen experimentierfreudig. Neben der Sauce Hollandaise landen auf den Teigfladen mittlerweile auch Hack, Hot Dogs und Spargel. Einen weiteren Popularitätsschub erfuhr die Soße als Begleitung zur Bolognese, von Profis liebevoll ›Hollo Bollo‹ genannt. Besondere Aufmerksamkeit erregte das Gericht in einer Folge der RTL Doku-Soap »Rach, der Restauranttester«, Gourmet Rach testete hier die Hollo Bollo in einem Lengericher Restaurant und zeigte sich (wenig überraschend) entsetzt. Auf seinen öffentlichen Ausfall folgten Solidaritätserklärungen für das Restaurant in den Sozialen Medien.
Bedingung für die erneute Popularisierung der Sauce Hollandaise an anderer Stelle ist, wie so oft, eine industrielle Standardisierung des Produkts. In Eigenregie hergestellt gilt die Hollandaise als anspruchsvolle Soße: Damit die Emulsion gelingt, müssen Eier und Butter wohltemperiert sein, liebevoll vermengt werden und dürfen auch nach der Fertigstellung nicht weiter erhitzt werden, weil die Eier sonst gerinnen und die glatte Soße so zu einem klumpigen Haufen verkommt. Diese Produktions- und Verwahrungsprobleme umgeht die industriell gefertigte Sauce Hollandaise und lädt so zum Experimentieren ein. Ikonisch für die Transformation der Hollandaise zur Massenware ist die Variante der Marke Thomy (1,39 Euro für 250 ml bei Edeka). Bereits 1930 verkaufte das Schweizer Unternehmen (mittlerweile Teil der Nestlé Gruppe) erstmalig Senf in Aluminiumtuben und brachte später eine Vielzahl verschiedener Soßen in Tuben- und Päckchenform auf den Markt. Die Sauce Hollandaise präsentiert sich heute noch im schlichten blauen Tetrapack, das Design wird vor allem vom großflächigen Markenemblem getragen. Darunter prangt stolz die Auszeichnung als Deutschlands »Nr. 1 Hollandaise«, auf der Rückseite findet man die obligatorische Gebrauchsanweisung (wahlweise rührend im Topf erwärmen oder bei 600 Watt in der Mikrowelle). Der Serviervorschlag zeigt eine Kelle, aus der eine gelblich-beige, leicht stockende Flüssigkeit auf den darunter drapierten Spargel rinnt. Anorganisch und glatt, unterstreicht das Design so den wohlig angestaubten Charakter der Hollandaise. Schenkt man den Erwähnungen auf Twitter Glauben, so hat sich die Thomy-Variante auch als Nr. 1 für die Veredelung von Pizza, Döner und Co durchgesetzt. Keine andere Marke wird bei den detaillierten Beschreibungen der ausgefeilten Kreationen derartig oft referenziert.
Zentrales Argument in der Bewerbung wie Bewertung der Hollandaise aus dem Päckchen ist ihre Fähigkeit des »Verfeinerns«: Sie kann nur schwerlich mit einem einheitlichen, klar identifizierbaren Eigengeschmack aufwarten, vielmehr rücken ihre materiellen Eigenschaften in den Vordergrund: Sie ist sämig, klebrig, pappig und umhüllt so die von ihr getragenen Speisen. Bei den Beschreibungen ihres eigentlichen Geschmacks werden zumeist die Noten der Zutaten, vor allem Eier und Butter, erwähnt, die wiederum selbst eher als Geschmacksträger denn als besonders aufregende eigenständige Aromen gelten. Somit fordert die Hollandaise auch ihre eigene Verfeinerung ein, in der Regel mit Kräutern, Gewürzen oder Parmesan. Das »Verfeinern« zeigt sich so als zentraler Imperativ im Umgang mit der Hollandaise und macht die Soße zu einem idealen wie vielseitigen kulinarischen Vehikel. Dass sie nun auch zum Verfeinern von Pizza oder Döner verwendet wird, mag dem distinguierten Esser anstößig erscheinen, ist aber angesichts der von ihr mitgebrachten Eigenschaften durchaus plausibel.
Dabei erinnern die neuen ausgefallenen Nahrungsverbindungen mitunter an die mittlerweile belächelten Schöpfungen der Wohlstandsküche der 1950er Jahre. Auch damals sorgten innovative Produktions- und Konservierungstechniken, gepaart mit einer Stärkung der Kaufkraft, für einen rasanten Anstieg der Diversität in den Supermarktregalen. Ergebnis dieser neuen massenhaften Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln war eine Vielzahl ausgefallener kulinarischer Kreationen. Insbesondere die Verbreitung nicht-heimischer Früchte durch die Konservendose leistete hier ihren Beitrag: Herzhafte wie süße Speisen wurden wild mit Mandarinen dekoriert, und die Dosenananas fand eine neue Heimat auf dem Toast Hawaii. Etwas weniger fruchtig, aber genauso ausladend wurden die Speisen mit Buttercremes und Mayonnaise aufgehübscht (hier mischte Thomy mit seinem Arsenal aus Tuben und Päckchen bereits ebenso mit). Galt die damalige Küche vor allem der Zelebrierung des Genusses nach den entbehrlichen Nachkriegsjahren und der Zuschaustellung von Wohlstand, so fügen sich heute Gerichte wie Hollo Bollo eher in die Kategorie des ›comfort food‹ ein. Hier kann die Sauce Hollandaise sowohl mit ihren Nährwerten als auch mit ihrer Ästhetik punkten: Auf Twitter werden die Vorzüge der sämigen Verbindungen von Sauce Hollandaise mit Pizza und Co besonders als Kateressen oder im Kontext von psychischen Leiden aller Art gelobt.
So erscheint die Sauce Hollandaise als ideelle Begleitung des tröstenden Essens nach einem Trinkgelage. Wenngleich es mittlerweile Kater-Treatments in Pillen- und Pulverform gibt, die auf eine eher medizinisch fundierte Instandsetzung des Körpers abzielen (Katerfly Brausetabletten, 4 Stück für 3,95 Euro, oder Hang&Over, 18 g Pulver ebenfalls für 3,95 Euro), ist das klassische Kateressen weiterhin die populärste Gegenmaßnahme nach einer exzessiven Nacht, die gleichsam zelebriert wird. Als eigene kulinarische Gattung werden ihm in verschiedensten Medien, von vice.com über essen-und-trinken.de bis zur Stiftung Warentest, Texte gewidmet, die kleinteilig aufschlüsseln, welche Nahrungsmittel bei welchen Leiden Abhilfe schaffen können. Die generelle Leitlinie ist hier: Fett, Mineralstoffe (vor allem Salz) und Kohlenhydrate, wobei die Auswahl der angepriesenen Speisen nicht einheitlich ist.
Die Treatments zielen nicht so sehr auf eine langfristige Optimierung des Körpers als auf die Behebung akuter Schäden wie Übelkeit, Kopfschmerzen und Kreislaufprobleme. Konfrontiert mit derartigen Leiden, werden dann plötzlich die Forderungen nach extra viel Bacon und »Käse, Käse, Käse« (stern.de) zu Leitsprüchen einer irgendwie der Genesung zuträglichen Nahrung. Inwiefern derartige kulinarische Kreationen wirklich helfen, den Körper zu kurieren, sei dahingestellt. Der Logik des ›comfort food‹ folgend, wird das Kateressen zum ganz eigenen Happening, bei dem die üblichen Wertungslogiken von Speisen anders besetzt werden, und gestattet so einen spielerischen Umgang mit ansonsten als ungesund verpönten Lebensmitteln.
Somit ist es letztlich nur konsequent, dass die Hollandaise ihre kulinarische Konservierung oder gar Renaissance im Kateressen findet. Die Nahrungsaufnahme nach dem Krieg gegen den eigenen Körper schwankt zumeist zwischen Behebung der angerichteten Schäden und Fortsetzung der Zerstörung. Angeschlagen von den Auswirkungen diverser berauschender Substanzen ist der Mix aus enormen Mengen Fett, Salz und Kohlenhydraten Balsam für den geschundenen Körper (oder zumindest für die Psyche), gleichzeitig wird der Exzess gewissermaßen mit anderen Mitteln fortgeführt, dieses Mal aber unter dem Banner der Regeneration. Für dieses Unterfangen ist die Sauce Hollandaise mit ihrer industriellen wie schmierigen Ästhetik und ihren verfeinernden Eigenschaften eine prädestinierte Begleiterin.
Man mag dazu verleitet sein, die Popularität der neuen Hollandaise-Speisen und ihre mitunter aggressive öffentliche Inszenierung vorrangig als Gegenentwurf zu einer auf Gesundheit, Sauberkeit und Schönheit fokussierten Küche zu lesen. Letztlich erinnert das Zelebrieren von vermeintlich ›unterschichtigem‹ Essen, gepaart mit den starken Bezügen zur Marke Thomy aber eher an das popkulturelle Recycling industrieller Marken. Vielleicht schafft es das Thomy-Logo dann auch in die nächste Vetements-Kollektion.