Legitimation durch Heeresgerät
Christoph Engemann
19.7.2022

»Top Gun: Maverick«

Zu wem spricht heute eine Hollywoodgroßproduktion wie die Fortsetzung des 1980er-Jahre-Blockbusters „Top Gun“, die wegen der COVID19-Pandemie mehrfach verschoben werden musste? Wahrscheinlich nur zu wenigen der jüngeren Menschen aus der Generation der Millennials und der Gen Z, oder wie auch immer man die gegenwärtigen Kohorten bezeichnen möchte. Vielmehr sollen diejenigen angesprochen werden, die „Top Gun“ und die achtziger Jahre in irgendeiner Form bewusst erlebt haben und deren ästhetische Regime als Erfahrungen mit sich herum tragen. Es handelt sich um einen Film, der vielleicht in sich die generationelle Differenz von mit Film und nach dem Film Sozialisierten in sich trägt. Der das vor und nach dem Computer, das mit und gegen das Digitale als Frage verhandelt.

Darüber lässt sich sprechen und „Top Gun: Maverick“ macht ein Gesprächsangebot an ebenjene Milieus, die nur mit einem Bein oder vielleicht dem kleinen Zeh im Digitalen stehen. Neben dieser ergrauenden Generation ergeht aber auch eine Konversationsoption für diejenigen digital natives, die das aus dem 20. Jahrhundert stammende Institutionengefüge westlicher Gesellschaften unter Legitimationsstress sehen wollen.

In der einschlägigen Literatur wird der im Mai 1986 auf dem Höhepunkt der Reagan-Jahre erschienene Film „Top Gun“ als ein cineastischer Umschlagpunkt beschrieben (Wyatt 1994: 36f; Siegel 2016: 669f; Jones 2019: 106). Im Jahr fünf nach MTV wurde hier die Ästhetik von Werbefilmen und vor allem Musikvideos auf das Breitbildformat des Kinos erhoben. Filmwirtschaft, Fernsehen und Musikindustrie gingen eine vom Produzententeam Bruckheim und Simpson bereits an „Flashdance“ zwei Jahre vorher erprobte neuartige Synergie ein (Wyatt 1994: 45; Howell 2015: 94f), die später als „convergence“ beschrieben wurde (Jenkins 2006: 19; Holt 2011: 16f).

Der Film sei ein Musterbeispiel visueller Überhöhung bei inhaltlicher Entleerung, wie ein bis heute gängiger Vorwurf lautet (Siegel 2016: 666). Regisseur Tony Scott, der jüngere Bruder von Ridley Scott, hatte vor „Top Gun“ mit „The Hunger“ einen so erfolglosen wie vielbeachteten Film mit Catherine Deneuve und David Bowie gedreht, aber seinen Namen vor allem in der Werbebranche gemacht. Einer im Internet kolportierten Geschichte zufolge (vgl. Wyatt 1994: 26, Howell 2015: 97, Beyl 2017), ist es ein Werbevideo für die Firma Saab gewesen, dass ihn in den Augen des Produzenten Jerry Bruckenheimer für „Top Gun“ qualifiziert hatte. „Nothing on Earth comes close“, lautete der Werbeslogan, den Scott mit einer cleveren Parallelmontage eines Saab Düsenjägers und eines Saab Automobils visuell überhöhte.

Screenshot: Tony Scott: SAAB: „NOTHING ON EARTH COMES CLOSE“ COMMERCIAL (1984)

„Top Gun“ selbst wurde dann als „teenage tranceout“ (Hoberman 2019: 391) beschrieben, der zudem billige Werbung für das in der Finanzierung des Films involvierte US-Militär abgebe. Tatsächlich war der Film nicht nur ein massiver Hit, sondern hatte zu einer um 500 % angestiegenen Eintrittswelle bei der US Navy geführt, die innerhalb kürzester Zeit die Gelegenheit nutze und direkt vor den Kinos Rekrutierungssteams platzierte (Hoberman 2019: 384), bei denen das Publikum sich kurzentschlossen verpflichten durfte.

Dass diese Intellectual Property dem gegenwärtigen Nostalgieextraktivismus der Filmindustrie früher oder später zugeführt werden musste, ist nicht überraschend. Am Filmmarkt lassen sich schon länger kaum noch neue IPs etablieren, und die diesbezüglichen Versuche der letzten Jahre sind beim Publikum oft gefloppt. Filme sind längst finanzielle Vehikel, die in global aufgelegten Fondmodellen realisiert werden und als gewinnbringende Anlageform gelten (deWaard 2017: 165f; deWaard 2020: 28f). Die Filmkultur Hollywoods war wohl nie industrieller und internationaler aufgestellt, und es ist tatsächlich die Ähnlichkeitsgenerativität der jeweiligen IP, welche ausschlaggebend für finanzielle Zusagen ist. Was das Publikum wiedererkennt, hat eine höhere Chance, überhaupt in die Produktion und damit in das Kino zu kommen, und verspricht eine nachweisbar höhere Rendite (Ravid 1999: 467; Henning-Thurau/Houston 2019: 389). „Top Gun: Maverick“ hat diese Strategie bestätigt ,und die Film- und Medienwissenschaften täten gut daran, den Film als finanzielles Medium beobachtbar zu machen.

Steam is just brutal

Ein Flugzeugträger ist eine Dampfmaschine. Das wird sowohl im „Top Gun“-Film von 1986 als auch in der aktuellen Fortsetzung gleich zu Beginn ins Bild gesetzt. Beide Filme eröffnen mit beinahe identischen Kamerafahrten über das Flugdeck eines Flugzeugträgers und zeigen die Dampfkatapulte bei der Arbeit. In „Top Gun: Maverick“ rastet in den ersten Filmsekunden gut sichtbar ein Hebel in den Schlitten des Katapults ein, bevor dieser das Flugzeug auf die Startgeschwindigkeit beschleunigt. In beiden Filmen schwelgt die Kamera in den Dampfschwaden, die über das Flugdeck ziehen und die Flugzeuge und das Personal umhüllen, bevor die Flieger vom Dampfkatapult in die dünne Luft geschleudert werden. Der dabei anfallende Dampf bleibt im Gegenschuss über das Heck des startenden Flugzeugs hinweg sekundenlang im Bild.

Mindestens für den ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump bilden Dampf und das Digitale eine Opposition. In einer viel zitierten und oft belächelten Episode aus dem Jahr 2017 erläuterte Trump, dass Dampf dem Digitalen überlegen sei: „You going to goddamned steam, the digital costs hundreds of millions of dollars more money and it’s no good.“(Zeke 2017) Gegenstand dieser Äußerungen waren die elektromagnetischen Katapulte, die auf neueren Flugzeugträgern der Ford-Klasse zum Einsatz kommen. Deren Zuverlässigkeit war hinter denen der seit gut 70 Jahren genutzten Dampfkatapulte zurückgeblieben.

In dieser Gegenüberstellung von alt und neu, von analog und digital, mitsamt ihrer offenkundigen Verwechslung von Elektromechanik und Digitalität, thematisierte Trump Fragen der globalen Präsenz und Interventionsfähigkeit der USA. Dazu gehört notwendig rohe Gewalt und deren zuverlässige Anwendbarkeit: „You know the steam is just brutal. You see that sucker going and steam’s going all over the place, there’s planes thrown in the air“, paraphrasiert Trump die Aussage eines Navy Offiziers, um dann anzuschliessen: „Digital. They have digital. What is digital? And it’s very complicated, you have to be Albert Einstein to figure it out.“

Dass die Dampfkatapulte der Flugzeugträger aus dem Exzess ihrer Atomreaktoren gespeist werden, die es ohne Einstein kaum geben würde, muss Trump nicht interessieren. Was ihn umtreibt, ist die Frage der Sicherung des amerikanischen Exzeptionalismus und dessen globaler power-projection-Kapazitäten unter digitalen Bedingungen. Flugzeugträger und Marinefliegerei mobilisierten für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts die imperiale Flexibilität der USA, die in beiden „Top Gun“-Filmen mit ihren diegetischen Sprüngen auf die andere Seite des Globus thematisch wird.

Neben dieser machtpolitischen Dimension reicht die Überdeterminierung von Dampf aber noch weiter. Dampfmaschinen sind die repräsentativen analogen Maschinen, die aus einem newtonianischen Universum mechanischer Kausalitätskonzepte zu stammen scheinen. Der Beginn der Industrialisierung, die Beschleunigung des Seehandels und des Kolonialismus sind in das Sujet der Dampfkraft eingeschrieben. Es ist dieser Konnotationsraum, den Trump aufruft, wenn er von Dampf als „just brutal“ und „going all over the place“ spricht.

Zum Zeitpunkt dieser Äußerungen liefen die Planungen zu „Top Gun: Maverick“ bereits, und die Frage, ob die Kriegsmaschine im Jahr 2022 analog oder digital sei, ist für den Film handlungsleitend. Gleich zu Beginn des Films wird das Publikum daran erinnert, dass Drohnen und damit fliegende Computer die bemannte Militärluftfahrt und deren schon lange zweifelhaftes Heros-Inventar (Hankins 2021: 98) insgesamt in Frage stellen. Visuell wird dies mit der Ikonographie digitaler Zwillinge, mit deren Verdopplung von realen Maschinen und virtuellen Repräsentationen auf Bildschirmen unterstrichen (Grieves 2014: 3), die mit dem beständigen Mantra vom „the man makes the difference“ und Bildern von Händen und Füßen an Steuerelementen kontrastiert werden. Besonders evident ist dies in der Eingangsszene, in der Tom Cruise das wahrscheinlich fiktive SR-72 Darkstar-Hyperschallflugzeug auf einem Testflug steuert. Bei diesem Flugzeug gibt es anders als bei allen anderen im Film gezeigten Fluggeräten kein Glasscanopy, das den Piloten den Blick nach vorn erlaubt.

Screenshot: SR-72 Darkstar im Lady Gaga Musikvideo „Hold my Hand” zu Top Gun Maverick

Lediglich zwei augenartige Fenster geben den Blick nach links und rechts frei. In Flugrichtung beherrschen Displays das Bild, die die Betriebszustände der Systeme des Flugzeugs anzeigen und deren Ausgaben auf großen Bildschirmen in der Bodenstation in Echtzeit gedoppelt sind. Der Pilot wird hier offenkundig ein Astronaut, dessen Interaktion in einem Feedbackloop zwischen Computerdaten und Bodenstation stattfindet und der seine unmittelbare Umgebung – und schon gar nicht, was vor ihm liegt – sehen kann. Visuell wird dies nicht nur mit ständigen Überblendungen zwischen den Displays in der Station und im Flugzeug unterstrichen, sondern mit Spiegelungen der Anzeigen und Lichter im Helm von Tom Cruise.

Bild: Pete „Maverick“ Mitchell im Cockpit der SR 72 Darkstar

Schon der 1986er „Top Gun“-Film wird in der Literatur als Ausweis einer „agency panic“ diskutiert (Hantke 2019: 464). Die Frage, ob Mensch oder Maschine handeln und ob der Mensch unter Bedingungen des von Reagan ausgerufenen ‚Star Wars‘ überhaupt noch im digitalen Maschinenkrieg eine Rolle spielen würde, hatten Filme wie „War Games“ (1983) und „Terminator“ (1984) publikumswirksam inszeniert. „Top Gun“ machte hier ein Rückversicherungsangebot zur Relevanz von Menschen, genauer: Männern, und der Gültigkeit kriegerischer Heros-Optionen. Die Bedrohung von Männlichkeit und Dezisionismus durch Computer ist seit 1986 nicht geringer geworden. Das ein in Sachen Männerphantasien besonders sachkundiger Akteur wie Trump die versammelten Motive analoger Unmittelbarkeitsanmutung, Digitalskepsis, globaler Machtprojektion mit Flugzeugträgern und Marinefliegerei intuitiv zusammengebracht hat, muss da kaum verwundern.

Newton in der Luft

Die Maschine, an der diese Opposition in „Top Gun: Maverick“ inszeniert wird, ist der F-14-Düsenjäger, der von 1974 bis 2006 auf Flugzeugträgern im Einsatz war. Nicht zuletzt durch den „Top Gun“ von 1986 ist dieses Flugzeug zur Ikone geworden und wird in den einschlägigen Foren als ein Höhepunkt militärischen Flugzeugbaus gefeiert. Die breitschulterige Optik in der Frontalansicht, die dynamische Silhouette und die prominenten Triebwerksnazellen situieren die F-14 irgendwo zwischen muscle car und V8 Pickup-Truck und damit mitten in der Ikonographie der Petromoderne.

Wenn Tom Cruise aka Pete „Maverick“ Mitchell in der entscheidenden Sequenz von „Top Gun: Maverick“ die eigentlich obsolete F-14 reaktiviert, wird suggeriert, dass diese anders als die moderneren F-18-Jäger eben noch eine analoge Maschine sei. Medienhistorisch ist das natürlich falsch, aber das Reale stört das Imaginäre ja selten direkt. In „Top Gun: Maverick“ wird diese analoge Suggestion explizit ins Bild gesetzt. In einer kurzen Sequenz während der Flucht mit einer gekaperten F-14 wirft die Kamera einen Blick auf ein mechanisches Hebelwerk im Inneren der F-14 (bei 1:51:13), das den Steuereingaben von Tom Cruise präzise folgt und an die Ruder überträgt. Das newtonianische Glück mechanischer Unmittelbarkeit bot aber die F-14 bereits nicht mehr. Zwischen dem Steuerknüppel und Ruderpedalen vermittelte der Central Air Data Computer mit einem der ersten Microprozessoren überhaupt (Sorge/Holt 2017).

Schemadarstellung F-14 Central Air Data Computer (Quelle: Holt 1971: 3)

Tatsächlich ist die F-14 ein Übergangsobjekt zwischen analoger und digitaler Flugtechnik. Nachfolgende Flugzeuge, allen voran die 1978 in den Dienst gestellte F-16, die mit gut 4500 Exemplaren das weltweit meistgebaute moderne Kampflugzeug überhaupt ist, würden ohne permanente Eingriffe der Flugcomputer sofort abstürzen.

Seit der F-16 sind die Airframes von Kampfflugzeugen inhärent instabil, was eine höhere Manövrierfähigkeit ermöglicht, aber das Flugzeug muss durch ständige Korrekturen durch den Computer überhaupt erst in stabilen Fluglagen gehalten werden (Tomayko 2000: 57f; Piccirillo 2010: 664; Hankins 2021: 315f). Von den inhärent instabilen Airframes der 1970er Jahre führt der Weg zur Super Manoverability (Piccirillo 2010: 721) von Flugzeugen wie dem Eurofighter, dem Stealth Jäger F-22 und der in „Top Gun: Maverick“ gezeigten russischen SU-57. Hier wird das Flugzeug nicht nur durch den Computer in der Luft gehalten, sondern in Kombination mit extrem großen Kontrolloberflächen, inhärenter Instabilität und bei der F-22 und SU-57 mit Schubvektoring in die Lage versetzt, bislang unmögliche Manöver zu vollziehen.

Computer bringen in die relative Linearität und damit Vorhersagbarkeit der Bewegungen von Flugkörpern im Luftraum eine Virtualität möglicher Positionsänderungen des Flugzeugs ein. Wohin sich ein Flugzeug im Luftkampf bewegt, wird für die gegnerischen Piloten sehr viel schwerer vorhersehbar. So ist schon bei der F-14, und damit ganz anders als in „Top Gun: Maverick“ suggeriert, die Unterscheidung, ob der Mensch oder der Computer fliegt, unscharf. Aber wie die zum Film als Ratgeber hinzugezogenen Kampfpiloten mit Bezug auf einen durch den Regisseur Tony Scott bei den Dreharbeiten des Originalfilms geäußerten Satzes in Interviews gern betonten: „It’s Hollywood, not a documentary“ (Aiello 2022).

Der Fetischisierung des Mechanischen in Top Gun Maverick kennt neben den ständig im Bild gesetzten händisch bedienten Hebeln und Schaltern der Flugzeuge auch das ganze Arsenal mechanischer Fortbewegungsmittel des Fordismus vom Motorrad über einen Porsche 911 bis hin zum einem Mustang P-51-Propellerflugzeug mit dem der Film sowohl beginnt wie auch endet. Das mit der P-51 in „Top Gun: Maverick“ zudem eine historiographische Klammerung zwischen dem Pazifikfeldzug im zweiten Weltkrieg und der Gegenwart gezogen wird, bedürfte nicht nur wegen der Bedeutung des asiatischen Filmmarkts für Hollywood (McKenzie 2021: 13; Leung/Qi: 2021: 3) einer besonderen Betrachtung.

Donʼt think! Just do!

Donald Trump bestand gegenüber den von ihm verachteten Experten und dem politischen Establishment auf sein Bauchgefühl und hatte seine Ablehnung gegenüber etablierten Strukturen und Verfahren bekanntlich bis zur Inkaufnahme politischer Insubordination am 6. Januar 2020 getrieben. In „Top Gun: Maverick“ betont Tom Cruiseʼ Figur Pete „Maverick“ Mitchell fortwährend, dass Denken zu langsam und komplex für den Luftkampf sei: „Don’t think! Just do!“ Trump und Tom Cruise trennen 16 Jahre, aber sie sind beide in der Mitte des 20. Jahrhunderts geboren.

Institutionenskepsis ist ein handlungsleitendes Motiv des aktuellen „Top Gun“-Films. Der eben seines Postens als „Top Gun“-Ausbilder enthobene Maverick kapert unter Umgehung aller Amtswege unautorisiert einen Kampfjet und führt das „Don’t think, Just do“ handgreiflich vor, um den Admiralen und Experten ihre Legitimität strittig zu machen. Seine eigene Legitimität für den Triumph der Tat organisiert er mittels entwendendem Heeresgerät. Dass er damit durchkommt und den jungen Nachwuchspiloten zum Vorbild wird, spekuliert mindestens auf Resonanzen bei dem Teil der Zuschauerschaft, die nicht nur militärinteressiert ist, sondern tatkräftig an etablierten Institutionen rütteln möchte.

Das Gesprächsangebot von „Top Gun: Maverick“ verkreuzt die Digitalitätsskepsis und die Institutionsmüdigkeit der älteren, mit dem ersten Film sozialisierten Generationen mit den Institutionsentfremdungen jüngerer Alt-Right-Konsumenten. Über die generationellen Differenzen hinweg bildet imperiale Nostalgie den gemeinsamen Bezugspunkt. Strittig ist lediglich die Mischung aus Realität und Virtualität, aus analog und digital, aus Dampf und modernen Medien, und nicht zuletzt aus Institutionen und Verfahren, um Kontinuitätsoptionen des amerikanischen Imperiums im 21. Jahrhundert zu organisieren und zu legitimieren.

In den Dampfwolken von „Top Gun: Maverick“ scheint die imperiale Phantasmagorie der USA als globale Supermacht mit ihrem kulturellen Dominanzanspruch wieder auf. Der Erfolg des Films just in dem Moment, wo die russische Invasion der Ukraine eine neuerliche Imperienkonkurrenz spürbar werden lässt, zeigt, dass dieser kulturelle Leitanspruch vielleicht wieder Aufwind bekommt. In diesem Film kommen zudem die Krise des Films und die Krise des amerikanischen Exzeptionalismus zusammen. Hollywood hatte die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts globale Projektionsfähigkeit. Dort wurde die internationale Filmproduktion auf allen Ebenen mindestens beeinflusst, wenn nicht beherrscht.

Die Digitalisierung mit ihren neuen audiovisuellen Formaten von Netflix bis jüngst dem aus China stammenden TikTok hat den Film in seiner Rolle als kulturelles Leitmedium und finanzielles Instrument in Frage gestellt. Spätestens mit der COVID-19-Pandemie, die die Menschen endgültig aus Kinos und an andere bildgebende Instanzen delegierte, hat sich die Konkurrenz der Bildproduktionsweisen intensiviert: der Film als kapitalintensive und vergleichsweise zentralisierte Bildproduktion gegen die auf Instagram und vor allem TikTok stattfindende Bilderzirkulation. Die nach dem Zweiten Weltkrieg etablierte, auf flugzeugträgergestützte Land- und Seenahmen basierende globale Projektionsfähigkeit des amerikanischen Films wird durch Graphennahmen (Engemann 2014: 232; Seemann 2021: 145) herausgefordert. Graphen sind Datenstrukturen, die Objekte und deren Verbindungen (z.B. User einer Social Media-Plattform und die von ihnen mit Likes versehenen Objekte) speicher- und berechenbar machen.

YouTube, Instagram und TikTok verknüpfen Bilder, Videos und Nutzer als gigantische Graphen, die Milliarden von Interaktionen umfassen. Die Graphen der Bildgebung zu akquirieren und zu unterhalten, ist längst nicht nur ein Spiel von Silicon Valley versus Hollywood Hills, sondern solche Graphennahmen sind ökonomische und geopolitische Konkurrenzen, die dem Ringen um Einfluss auf Landgebiete und Seezonen nicht nachstehen. Mit dem aus China kommenden TikTok hat erstmals ein internationaler Akteur erfolgreich den Graphen einer globalen Bildgebung erobert.

Globale Projektionsfähigkeit

Es ist dieser in die politische Ökonomie des Films führende Aspekt, der wahrscheinlich viel wichtiger ist als die bloße Konkurrenz zwischen analog und digital, zwischen Dampfarbeitern und Digitalnerds. Die Funktion des US-Dollars als internationale Leitwährung fußt nicht zuletzt auf der globalen Interventionsfähigkeit des amerikanischen Militärs (Spiro 1999: 139, Thompson 2022: 36). Schulden können im Zweifelsfall eingetrieben werden, und diese militärische Fundierung durch Heeresgeräte fehlt Konkurrenzunternehmen wie dem Euro, Reminbi und Kryptowährungen weiterhin.

Zusätzlich hängen die Globalisierung und ihre Outsourcing- und just-in-time-Regimes an der freien Befahrbarkeit der Ozeane. In von Piraten oder auch staatlichen Akteuren bedrohten Gewässern wie der Straße von Malaka oder dem Horn von Afrika halten die um jeweils einen Flugzeugträger gruppierten Patrouillen der US-amerikanischen Marine die Seewege für den internationalen Fracht- und Energieverkehr relativ risikoarm schiffbar. Die globale Zirkulation von Gütern und nicht zuletzt den fossilen Energieträgern Öl und Gas ist zutiefst mit dieser global power projection verschränkt (Thompson 2022: 16f), die die Kulisse für die „Top Gun“-Filme bilden. Es gibt vielleicht keine treffendere Metapher für den Film nach seiner Finanzialisierung und die globalisierte Gestalt der Filmproduktion mit ihrer Verwiesenheit auf freie Kapitalflüsse als diese beiden Filme, die Flugzeugträger und Marineflieger so wirksam in Szene setzen.

 

Literatur

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