Die Fragwürdigkeit des guten Designs
von Daniel Hornuff
31.5.2022

Unwesentliches

[aus: Pop. Kultur und Kritik, Heft 16, Frühling 2020, S. 35-40]

Über kaum etwas wird im Design intensiver spekuliert als über das ›gute Design‹. Man mag es für eine branchentypische Selbstverständlichkeit halten: Wer etwas tut, will das auch möglichst gut machen. Mit ›gutem Design‹ soll allerdings zumeist etwas benannt werden, das über ein vorgeblich gewöhnliches Verständnis des Designs hinausgeht. Das ›gute Design‹ soll ein wie auch immer überlegenes, umfassenderes oder tiefergehendes Design bezeichnen – nicht nur ein gut gemachtes, sondern ein im ›eigentlichen‹ Sinne verstandenes Design. Man könnte auch sagen: Das gute Design soll das tatsächliche Design vor Augen führen. Alles andere ist bloßes Design, gilt als Schein-Design, zumindest aber als unvollständiges oder irgendwie ungenügendes Design. Zu fragen ist darum: Welche Hoffnungen knüpfen sich an die Rede vom guten Design? Über welche historische Genese verfügt diese Rede? Und welche Fehlschlüsse sind mit ihr verbunden?

Zum Einstieg drei Beispiele aus der Designszene der letzten Jahre: 2012 bemängelte die Autorin und Illustratorin Nadine Roßa in einem Beitrag für das Wirtschaftsmagazin »t3n«, dass »für manche […] Design reines Dekor« sei. Ein solches Design »spielt sich an der Oberfläche ab und ist das Sahnehäubchen auf einem Projekt: toll, aber nicht zwingend notwendig.« Umso klarer müsse daran erinnert werden, dass es sich beim »Design [um] weit mehr als das« handele – sei es doch »elementarer Bestandteil des Projektprozesses«. »Gutes Design«, so die daraus resultierende Forderung, müsse »den Betrachter oder Benutzer in irgendeiner Form emotional berühren«. Ja, ein derart gutes Design »holt Menschen ab, weil es ein vordergründiges oder unterbewusstes Bedürfnis anspricht.« Demnach seien es vor allem »die weichen Faktoren […], die gute Gestaltung ausmachen.«

Das Gute am Design wird als Zugewinn an emotionaler Substanz bestimmt. Wo das bloße Design an der Oberfläche bleibe, dringe das gute Design in gleich doppelter Weise in tiefere Schichten vor: Indem das zu gestaltende Objekt einerseits umfassender als gewöhnlich ausgeformt werde, könne es andererseits auch stärker affizierend wirken und Gefühle herausfordern, die selbst den Inhabern dieser Gefühle – den Adressaten des guten Designs – bislang verschlossen sind. Ausgehend von einer negativen Wertung der Oberfläche imaginiert die Autorin eine Essenz, die durch ein herausragendes Design freigesetzt werden soll.

Ähnlich sieht das der schwäbische Bürostuhlhersteller interstuhl: Auf dessen Online-Auftritt ist fast wortgleich zu lesen, dass viele zwar »Design als netten Zusatz« einstuften, »es aber nicht für ausschlaggebend« hielten. Das »gute Design« biete demgegenüber mehr, denn es könne »uns dazu beweg[en], ein Produkt genauer zu betrachten und uns damit zu beschäftigen.« Werden damit dem Design ebenfalls auslösende Kräfte zugeschrieben, stehe dieses gute Design im »Gegensatz zu Trends und Modeerscheinungen«, die offenbar als generell weniger aktivierend beurteilt werden. »Gutes Design ist zeitlos«, so die nachfolgende Proklamation, verbunden mit dem Verweis, dass erst eine Design-Überzeitlichkeit Unternehmen ermögliche, »sich vom Wettbewerb abzusetzen und sich einen Wiedererkennungswert zu erarbeiten.«

Der Büromöbelhersteller setzt Qualität mit ewiger Gültigkeit gleich – und insinuiert, dass allein die Ablösung von zeittypischen Gewohnheiten das Durchschnittsdesign zum guten Design erhebe. Die Sehnsucht nach außergewöhnlicher Ergiebigkeit kommt also auch bei ihm zum Tragen. Wie sprudelnd die Anrufung derartiger Leistungskräfte ausfallen kann, beweist ein Beitrag auf der Gründer-Plattform Port41. Dort wird auch über die Potenz eines guten Designs informiert, allerdings mit nochmals deutlich aufgeblähterem Anspruch: Demnach »gießt« das gute Design »Ideen in Formen, vermittelt Botschaften, schafft Identität und kann noch vieles mehr.« Das beschworene Vielmehr offenbare sich immer dann, wenn das Gute im Design nicht nur als Gestaltungsmerkmal hervortrete, sondern zugleich als Gefühlszustand wahrzunehmen sei: »Durch gutes Design fühlen wir uns gut. Mit außergewöhnlichem Design fühlen wir uns außergewöhnlich. Schlechtes Design macht uns verrückt.« Das zum Außergewöhnlichen gesteigerte gute Design entfalte sich als »Corporate Design«, das ein »Wir-Gefühl« stifte und somit nicht nur »nach außen, sondern »sogar […] nach innen« wirke: »Es hat positive Wirkung auf Mitarbeiter und bietet Halt in schwierigen Zeiten, denn es schreibt Leitbilder und Werte fest.« Alles andere erzeuge ein pathologisches Desaster.

Weniger im Designbegriff selbst als in den Verben, mit denen der Begriff verlebendigt werden soll, verraten sich die Hoffnungen, die sich an ein solches Elite-Design koppeln: Es möge aufnehmen, was man in es hineinlege. Die Metapher des Hineingießens macht zudem deutlich, dass das Design eine materialisierende und aushärtende Funktion zu erfüllen habe. Das finale Objekt lässt sich als physischer Ertrag seiner eigenen Bedingungen – als geronnener Entwurf der vorausgehenden Ideen – bildlich fassen.

So mit Bedeutung aufgeladen, könne das Design seine Kraft auch wieder emergieren, könne seine Energie auf andere übertragen und Menschen zu Gemeinschaften formen. Der Ansatz mystifiziert das Design zum okkulten Faszinationsobjekt und animistischen Substanzphänomen – und überschlägt sich schließlich zur Designesoterik. Diese wiederum pflegt, wenig überraschend, ein recht ungeniertes Verhältnis zum autoritären Geist: Das gleichzeitige Festschreiben von Leitbildern und Werten kennt man eigentlich nur von autokratischen Systemen, was die nicht unerhebliche Frage aufwirft, welche politischen Aufgaben Gestaltungsobjekte eigentlich übernehmen sollen, wenn diese in ein derartiges Netz aus Ideologie, Form und Funktion eingespannt werden.

Auch wenn solche Auffassungen in ihrer grellen Pointierung gewiss keine direkten historischen Vorläufer besitzen, fallen sie nicht vom Himmel. In seinen seit Mitte der 1970er entwickelten und Anfang der 1990er Jahren erstmals vorgetragenen »Zehn Thesen für gutes Design« entwirft Dieter Rams ebenfalls die Forderung nach einem im besten Sinne quicklebendigen Design, das aus sich selbst heraus Welt und Wirklichkeit zum Besseren führe. So sei die »ästhetische Qualität eines Produktes […] integraler Aspekt seiner Brauchbarkeit.« Dies lässt zwar offen, was genau unter ästhetischer Qualität verstanden wird, macht aber immerhin deutlich, dass diese Qualität notwendige Bedingungen für die Praktikabilität des Produkts sei. Die täglich benutzten Geräte »prägen das persönliche Umfeld und beeinflussen das Wohlbefinden«, zeitigten also unmittelbare Folgen für die Menschen.

https://www.youtube.com/watch?v=HlcBh7kDrRk

Im Unterschied zu aktuellen Designbeschwörungen verweist Rams mehrfach auf die Objektnutzung. Erst im konkreten Umgang mit den gestalteten Dingen entfalte sich das spezifische Vermögen des Designs. Umso unverständlicher ist, dass sein Designbegriff letztlich doch darauf zielt, das Designobjekt als solches in den Rang eines eigenaktiven Subjekts zu heben: Das gute Design, so Rams weiter, »kann das Produkt zum Sprechen bringen. Im besten Fall erklärt es sich dann selbst.« Damit verbunden ist – schon damals – das Motiv der Überzeitlichkeit, sieht doch auch Rams das gute Design »im deutlichen Gegensatz zu kurzlebigem Mode-Design«: Es »überdauert […] in der heutigen Wegwerfgesellschaft lange Jahre.«

Unverkennbar artikuliert sich in kompakter Form der Wunsch nach einer gesinnungsethisch vertretbaren Form. Das gute Design wird zum moralischen Imperativ, zu einem Gebot des Gut-Seins. Ausgangspunkt dieser Verschränkung bildet – wie bereits mit den Eingangsbeispielen angedeutet – die Absage an ein Scheingebaren, an eine negative, weil falsche Bedürfnisse implementierende Wirkung. Stattdessen solle sich das Design durch Ehrlichkeit und folglich durch Verzicht auf angeblich vorspiegelnde Suggestionen empfehlen: »Es versucht nicht, den Verbraucher durch Versprechen zu manipulieren, die es dann nicht halten kann.« Die Authentizitätsromantik wird als industrialisierte Entschlackungsästhetik präsentiert: Ramsʼ Zurückweisung dekorativer Verführungen mündet in die unbedingte Befürwortung gestalterischer Reduktionen.

In der Folge wird diese Zurücknahme mit dem Signum der Unmittelbarkeit ausgestattet. Rams begründet diesen Vorzug erneut mit dem Fehlen eines verderblichen, weil die Funktion trügerisch einkleidenden Überhangs: »Weniger Design ist mehr, konzentriert es sich doch auf das Wesentliche, statt die Produkte mit Überflüssigem zu befrachten.« Somit verschränkt sich in seinem Credo »zurück zum Puren, zum Einfachen!« ein Gestaltungsbekenntnis mit einem Haltungsdesign. Das Design selbst, die Form der Objekte, soll Auskunft geben über das mit ihnen vertretende Menschen- und Gesellschaftsbild. Deshalb könne nur all das »schön sein […], was gut gemacht ist« – wobei das Gutgemachte stets auch für das Gutgemeinte stehen und insofern als Ausdruck der gestaltenden Intention lesbar sein soll.

Wäre es zu weit hergeholt, in diesen Designhoffnungen ein Nachleben frühromantischer bis avantgardistischer Selbstverständnisse zu erkennen? Speisen sich Vorstellungen zum guten Design nicht aus einer autonomieästhetischen Sehnsucht, die nach Dingen Ausschau hält, in denen sich einzigartige Botschaften (noch) unverstellt übermitteln? Auffällig ist, dass in all diesen Beispielen die Beziehung zwischen Designobjekt und Nutzerinnen oder Nutzern als quasi-religiöse Intimbeziehung geschildert wird, in der es im Grunde kein Außen gibt: keine Sozialisation, keine Kultur, keine ökonomischen oder politischen Bedingungen. Darin ähneln diese Designverständnisse einer Werkauffassung, die für große Teile der westlichen Wohlstandsmoderne auf künstlerischer Ebene prägend gewesen war. Im Grunde sinniert Rams über einen Originalitätskult in Zeiten der florierenden Massenproduktion, und auch die jüngeren Einlassungen treten – meist mit werbender Absicht – für ein singuläres Design ein, das überalltägliche, außergewöhnliche, besondere Erlebnisse bereiten möge.

Zugleich bilden die wiederholt vorgetragenen Designessentialismen den Nährboden für äußerst krude ethische Forderungskataloge. Immer wieder ist zu lesen, wie riesig die Verantwortung sei, die auf designenden Personen laste. In Lehrbüchern, die vor allem das Produktdesign in seinen konzeptionellen, entwurfspraktischen und technologischen Dimensionen vorstellen, und die sich damit in erster Linie an Studierende wenden, finden sich ausufernde Kapitel zur »Designethik«. Demnach haben »Designer die Verantwortung gegenüber und in der Gesellschaft.« Und mehr noch: »Der Designer muss sich darüber Gedanken machen, ob unsere Gesellschaft das geplante Produkt verträgt und braucht.« Wie könnte eine pseudo-avantgardistische Selbstherrlichkeit präziser auf den Punkt gebracht werden? Denn: Wer soll mit welcher Legitimation auch nur halbwegs ernsthaft darüber befinden können, was eine Gesellschaft (welche eigentlich?) verträgt und braucht?

Nicht zuletzt Designformen, die der Massen- oder Popkultur zugerechnet werden, sind wegen des Leitbilds der Form-Konzentration oftmals mit großer, diktatorischer Geste zurückgewiesen worden. 1955 etwa verurteilte Sir Nikolaus Pevsner das US-amerikanische Auto als »gross and flamboyant«, es sei typisch für die »noisy show«, die in Amerika nicht nur dem Geschmack der Neureichen, sondern dem breiter Bevölkerungsschichten entspreche. Reyner Banham aus Reihen der Independent Group griff zur Verteidigung dieser ›show‹ nicht zufällig zu einem antiplatonischen Argument: Positiv sieht Banham 1955 gerade, dass sowohl das Autodesign als auch der Rock ’n’ Roll und andere ›käufliche Träume‹ nicht »timeless abstract virtues« gehorchten.

Der VDID, ein Berufsverband von Industriedesignern, steht hingegen in der Gegenwart weiterhin auf der anderen Seite. Er entschloss sich kürzlich sogar dazu, seinen Kodex als »ethisches Manifest« vorzulegen: »Dieser Berufsstand und jedes seiner Mitglieder muss dafür Sorge tragen, dass positive Vielfalt nicht in destruktive Reizüberflutung umschlägt, die das Individuum überfordert, es in seiner Leistungsfähigkeit beeinträchtigt und damit die Entwicklung der Gesellschaft negativ beeinflusst.« Bezeichnenderweise bildet auch in diesem Fall ein gestalterischer Authentizitätsanspruch die Grundlage für das moralisch Angestrebte, indem die Produkte jenes »Qualitätsversprechen ein[zulösen haben], das ihr Design verspricht.«

Diese platonisierende Zusammenschau des Schönen, Guten und Nützlichen führt zu einer mindestens dreifachen Überforderung des Sprechens über Design: Erstens wird in Aussicht gestellt, dass das gute Design ein Eliteprojekt sei, zu dem nur vorab Begünstigte (ökonomisch Hochpotente) oder besonders Begabte (ästhetisch Hochgebildete) Zugang fänden. Zweitens suggeriert ein solches Sprechen die unabdingbare Verschränkung zwischen Form- und Moralleistungen – was schon deshalb ein Irrtum ist, weil den allermeisten Designprodukten erst durch persönlichen Gebrauch eine (subjektive) Bedeutung zugewiesen wird. Und drittens setzt die unterstellte Verkettung von Form und Moral angehende Designerinnen und Designer unter erheblichen Druck. Plötzlich sehen sie sich in die Rolle einer sozialen Avantgarde gedrängt, versehen mit der völlig nebulösen, aber umso selbstgewisser an sie herangetragenen Aufgabe, Gesellschaft durch Objektdesign zum Besseren zu bekehren.

Die unendliche Geschichte des ›guten Designs‹ sollte darum beendet werden. Es gilt stattdessen, konsequenter zwischen Form-, Funktions- und Moralkriterien zu unterscheiden. Dadurch wird es sicher nicht einfacher, Kriterien für gelungenes oder gar gutes Design zu entwickeln. Belohnt wird man aber mit einem stärker differenzierenden Blick und mit genauer abwägenden Urteilen.

 

 

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