Handys und die Dramaturgie
von Maren Lickhardt
15.3.2022

Überlegungen zur letzten Staffel von »Queen of the South«

Verbreitungs- und Vermittlungsmedien haben seit jeher eine Agency in der Literatur. Damit ist nicht gemeint, dass sie Erwähnung finden, um den Zeitgeist zu thematisieren, oder in intermedialen Stilcollagen simuliert werden, um die Ästhetik eines anderen Mediums zu integrieren. Vielmehr können Medien als Figuren handeln.

Man denke an die Presse in Musils Der Mann ohne Eigenschaften, und wie sie als Katalysator fungiert, um aus Nichts Etwas zu machen und die Geschichte im doppelten Wortsinn Gestalt annehmen zu lassen, ohne dass diese hinreichend begründet wäre. Oder an das Telefon in Kafkas Das Schloß, das Movens und Störfigur zugleich für die ‚Bewegung‘ des Protagonisten bildet. Ist man bei Musil und Kafka, muss sogleich auffallen, wie sehr auch Bürokratie mit all ihren Formularen ebenfalls aktiv in die Handlung eingreift, wobei hier vielleicht besser vom Begriff des Dispositivs als des Mediums auszugehen ist. Insgesamt ist der Komplex sehr gut untersucht, z.B. in jüngerer Zeit von Peter Plener (http://cenex.net/akt-fakt/).

Drogenkartellgeschichten kann ich mir persönlich überhaupt nicht ohne das Zuhandensein von Handys vorstellen. Wie man ein Drogenkartell führt, weiß ich nicht, aber vermutlich sind dabei effektive Kommunikationswege und deren Kontrolle und Verschleierung nicht unwichtig. Wie man Drogenkartellfiktionen konstruiert, weiß ich ziemlich gut, und da liegt es auf der Hand, dass fast unvorstellbar geworden ist, wie man hierbei je ohne (Wegwerf-)Handys auskommen konnte. Innerhalb der Diegese bzw. auf der Ebene der Geschichte wird vieles über das Handy arrangiert. Aber auch die Dramaturgie bzw. die Erzählweise wird maßgeblich beeinflusst. Am ehesten mögen einem dabei die Handynutzung von Walter White und Saul Goodman und die damit verbundene Handlungskonstruktion in Breaking Bad und Better call Saul in den Sinn kommen.

Queen of the South ist ganz ähnlich gestrickt. Von Wegwerfhandys ist weniger die Rede, und da Smartphones verwendet werden, bleibt das obligatorische Durchbrechen der Apparate wie in Breaking Bad und Better call Saul aus. Allerdings gibt es der Handys ganz schön viele. Jede:r hat nicht nur ein Handy, sondern teilweise eins pro bestimmtem Kontakt. So gibt die Protagonistin und Kartellchefin Teresa Mendoza dem Judge Lafayette, als sie etwas gegen ihn in der Hand hat, um ihn zu erpressen, ein eigenes Handy spezifisch für deren Kommunikation. (s05e02). Das hat praktischen Nutzen, aber die Übergabe ist leicht – nur ganz leicht – überinszeniert: Indem Teresa ihm das Handy übergibt und indem er dieses Handy entgegen nimmt, entsteht ein Herr-Knecht-Verhältnis, legt sie ihn – zumindest für den nächsten Spielzug – an die Leine. „You work for me now. When I call you answer on the second ring.” (min. 39:00)

Interessant ist eine kleine, für den Plot – nicht aber für die Darstellung von Teresas Charakterentwicklung – nebensächliche Handlungssequenz (s05e06), in der Teresa zwei Immobilien-Verbrecher umbringen lässt, die zwar eigentlich im Sinne der Serie als zu schonende ‚Zivilisten‘ gelten, die aber eben nicht nicht kriminell sind, wodurch Teresa es rechtfertigen kann, sie zu töten. Zum Ablauf der Szenen: Der eine ist bereits erschossen; der andere hat aus Angst vor dem Tod einen Vertrag unterschrieben, um den es Teresa hier geht (min. 34:00ff). Dann wird verdeutlicht, dass etwas Zeit vergeht, indem im Breaking Bad-Zeitraffer-Stil eine Autobahn und fahrende Autos eingeblendet werden. In der nächsten Sequenz steht Teresa vor einem luxuriösen Auto. James berichtet ihr, dass es sich um ein Geschenk des überlebenden Immobilienspekulanten handele. In dem Moment klingelt ihr Handy. Schnitt. Es ist der Spekulant am anderen Ende der Stadt, der ihr aus seinem Auto steigend erklärt, dass er ihr das Geschenk als Zeichen der Anerkennung ihrer Dominanz und somit als Friedensangebot schenkt. „It’s just a token. You never hear from me again.” Schnitt: Wir sehen Teresa, wie sie mit “I know” antwortet und auflegt. Schnitt. Der Immobilienspekulant ist zu Recht verunsichert, und auch wir wissen nun, dass sie ihn umbringen lassen wird. Für diese Überlegung haben er und wir aber keine zehn Sekunden Zeit, bevor Pote im Bild erscheint, seine Waffe auf ihn richtet und ihm in den Kopf schießt. Schnitt: Der neben Teresa stehende James weiß genau, was am anderen Ende der Stadt/Leitung los ist. Er schaut kritisch und nachdenklich, wodurch Teresas zunehmende moralische Delinquenz markiert wird. Schnitt: Der tote Makler liegt mit einer Schusswunde in der Stirn am Boden eines Autoparkplatzes. Das Handy ist ihm aus der Hand gefallen und liegt neben ihm.

Die Szene ist sehr dicht. Wir haben auf beiden Seiten der Leitung Autos, auf beiden Seiten Teresas Gefährten: der eine tut, was sie anordnet, der andere gerät ins Nachdenken. Aber auf alle Implikationen der kleinen Szene sei gar nicht eingegangen. Sie ist vor allem deshalb interessant, weil hier nicht nur zwei Handlungsorte durch Schnitte eine Rolle spielen, sondern diese durch die Telefonleitung verbunden sind. Alles wirkt realistisch. Wir haben uns längst daran gewöhnt, dass Handys dramaturgisch verdichten können. Und gerade das ist interessant. Es fällt gar nicht weiter auf, wie überkonstruiert es ist, dass der Immobilienspekulant von seinem Parkplatz aus auf dem Weg aus seinem Auto Teresa in genau dem Moment anruft, in dem Teresa vor seinem Auto-Geschenk steht, und dann wiederum in dem Moment Pote auftritt, um den Makler exakt dann zu erschießen, als Teresa ihm seinen Tod mehr oder weniger subtil ankündigt. Dabei hat das Handy neben den Kameras und der Schnitttechnik eine fast unsichtbare Funktion der narrativen Informationsvergabe für uns. Ohne das Handy wäre die Szene, wäre vielleicht die ganze Serie weniger dynamisch, weil nicht so viele kommunikative Ebenen ineinander verschränkt werden könnten.

Unrealistisch ist auch, dass James ganz genau weiß, was am anderen Ende der Leitung/Stadt gerade geschieht – die Betonung liegt auf gerade just in diesem Moment, denn dass er prinzipiell eingeweiht ist, ist klar. Zwar sieht Teresa ihn bedeutungsvoll an, als das Handy klingelt, was kommuniziert, dass am anderen Ende derjenige dran ist, über den gerade gesprochen wird, aber dann hört James nur das „I know“, und ihm ist sofort alles klar, obwohl er nicht hört, was Teresa durch das Handy hört, und er nicht sieht, was wir durch die Schnitte sehen. Es stört nicht, dass es eher unwahrscheinlich ist, dass ihm wirklich alles sofort gänzlich klar wird. Und es stört nicht, es bricht und verfremdet nicht und müsste doch eigentlich auffallen, dass und wie mit dem Handy innerhalb der Diegese und als narrative Instanz für uns ein kleines Medium zusätzlich zur Kamera waltet.

Die zumindest als solche geplante letzte Staffel von Queen of the South überrascht gegen Ende damit, dass es den ominösen Mafiaboss, Paten und Phantom im Hintergrund Kostya, einen Mit- und Gegenspieler Teresas wirklich gibt. Man hatte sich über einige Folgen daran gewöhnt, dass er nie auftritt, und vermutet, dass Oksana, die stets als sein Sprachrohr und seine Vermittlerin fungiert, diese Figur nur erfunden hat, um nicht preiszugeben, dass sie selbst der Boss dieses Kartells ist. Sie ist aber letztlich tatsächlich nur das ‚Medium‘, als das sie sich ausgibt. Sie wandert zwischen Teresa und ihm hin und her, um Botschaften und Entscheidungen zu überbringen, und hin und wieder gelangt sie dadurch zur Agency, dass sie sich Kostya widersetzt und ein kleines Eigenleben entfaltet. Als Teresa an einem Punkt darauf insistiert, dass sie nun wirklich nur in Kostyas Anwesenheit verhandelt werde, und damit natürlich gemeint ist, dass er physisch, leiblich anwesend sein soll, erscheint Oksana erneut allein (s05e02). „Teresa: ‚Where is Kostya?‘ Oksana: ‚Are you kidding me with this, Teresa?’” Sie hält ein Handy hoch. “This is not how he does business. But he will be with us.” (min. 30:20ff.) Oksana legt das Handy auf einen Billardtisch und lässt Kostya zuhören, während nur die materiell Anwesenden diskutieren. Oksana empfängt schließlich eine SMS und liest vor: „He agrees to the deal.“ Zu diesem Zeitpunkt müssen wir noch vermuten, dass die Medien, also Oksana und das Handy, selbst die Botschaft sind bzw. darüber hinaus: Sender und Referenzobjekt, die aber gleichzeitig Medium bleiben, weil wir vermuten, dass es Kostya gar nicht gibt.

Und man bemerkt: Könnte man sich nur wirklich dieserart in ein Medium verwandeln: Verbrechen wären so leicht. Dass Verbrechen aber eben nicht leicht sind oder folgenlos bleiben, verdeutlicht die Serie dadurch, dass die delinquenten Figuren direkt oder indirekt über Stellvertreter im Sopranos– oder Breaking Bad-Schema – und ich gehe davon aus, dass Kim Wexler in der letzten Staffel von Better call Saul auch umgebracht werden wird – mit dem Tod bestraft werden. In dem Maß, in dem Teresa nicht nur dealt und mordet, sondern diese Handlungen auch nicht mehr im gleichen Maß verständlich motiviert werden wie zu Beginn, geht es ihr zunehmend an den Kragen, und stellvertretend für sie stirbt der entzückende King George, ganz abgesehen davon, dass die alte Teresa schon längst tot ist, wie sie selbst am Ende konstatiert. – Der weiße Blazer und die Variationen schwarz-weißer Kleidung spielen zwar plakativ, aber doch gekonnt mit dieser Anlage. – Und diese Bestrafung geht im Fall der Nebenfiguren Oksana und Kostya damit einher, dass sich die Medien in Materien zurückverwandeln, weil sie nur im nicht-medialen Zustand dem Tod zugeführt werden können. In etwa in dem Moment, in dem wir doch vermuten können bzw. dann letztlich wissen, dass es Kostya wirklich gibt, sterben sowohl Oksana als auch er innerhalb der letzten beiden Folgen.

Im Plot selbst würde in Queen of the South vieles ohne Handy nicht funktionieren, aber vor allem könnte vieles nicht so dicht und dynamisch erzählt werden. Das Handy sorgt dafür, dass Abwesendes, das für uns seit jeher durch Schnitte sichtbar werden konnte, nun auch in der Diegese selbst präsent sein und in die Handlung eingreifen kann, wodurch sich die Dynamik von Geschichte und Erzählung wechselseitig bedingen.

 

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