Biowaffen im Agentenfilm: Eine genrehistorische Notiz
Agenten
Der Agent: gebildet, reich, smart, sexy. Fast immer männlich. International vernetzt. Im Einsatz für das Gute. Ohne eigene ökonomische Interessen. Immer von schönen Frauen umgeben. Und meist mit der Lizenz zum Töten. Mobil. Der Agent war in den 1960ern und 1970ern prototypische Heldenfigur in einem kleinen Zyklus von Filmen, an der Spitze ihrer Popularität: die James-Bond Filme. James Bond: eine Figur im Scheinwerferlicht, selbstgewiss, mit den Allüren eines Mannes von Welt, reich, in Luxusumgebungen zu Hause, jeglichem Vergnügen aufgeschlossen, Frauenheld und Autonarr. Und ein Trinker, der den Trunk zelebriert.
Gerade die Bond-Figur war modellbildend, und aus ihr ging die Figur eines verallgemeinerten Agenten hervor, die sich schon bald zum Action-Helden weiterentwickelte. Zwar ist auch Bond in die weltumspannenden politischen Netze und Konflikte verstrickt, handelt auch er im Auftrag (ist genaugenommen sogar Beamter des britischen Geheimdienstes), doch agiert er frei wie ein Weltbürger, als gehöre er einer staatenlosen Gemeinschaft von Superreichen an, die sich aus den Niederungen der politischen Konflikte gelöst hat.
Die Rede ist vom Agenten, nicht vom Spion. Zwar werden Agenten- und Spionagefilme oft als ein einheitliches Genre angesehen, doch gibt es zwischen den beiden namengebenden Figuren deutliche Unterschiede: Ist der Spion jemand, der Vertraulichkeiten und Geheimnisse, verdeckte Pläne, internationale Intrigen oder Geheimwaffen eines politischen Gegners – meist eines Staates – im Verborgenen aufzuspüren sucht und der meist unter falscher Identität arbeitet, sich in gefälschter sozialer Normalität verbirgt, ist der Agent vom Schlage eines Bond ein offensichtlich Fremder in der Gesellschaft, in der er auftritt; er geht offensiv mit seinem Anderssein um, weil er den Auftrag hat, geheime Pläne zur Übernahme von Herrschaft, zum Sturz von Regimen, zur Erpressung oder sogar Vernichtung ganzer Gesellschaften zu verhindern und der darum auch aktiv in den Kampf mit den Verschwörern eingreift. Er ist unauffällig, gerade weil er ein so auffälliges Leben führt, das dem Genuss (und nicht der Spionage) gewidmet ist. Spione dagegen sind graue Gestalten, die im Dunkeln arbeiten. Manchmal Fanatiker, manchmal Idealisten, meist aber Kleinbürger, die sich selbst als Verräter wahrnehmen und Anstrengungen unternehmen müssen, um ihr Tun vor sich selbst zu legitimieren (und die vielleicht zu einer tragisch zerrissenen Figur werden wie in The Spy Who Came in from the Cold [1965, Martin Ritt], dem klügsten aller Spionfilme).
Der Spion führt ein Leben in Heimlichkeit, der Agent ist bereit zum Angriff auf den Gegner, nimmt den Kampf auf (einer der Gründe, warum die Action-Szenen zum Agentenfilm von Beginn an dazugehören). Aus der Figur des Spions, die der Realität der politischen Beziehungen zwischen Ländern und Machtblöcken so nahe ist, ist eine neue Figur geworden, die nur noch formal auf die politischen Konflikte der Realität rückverweist, die einem eigenen, rein fiktionalen Universum des Handelns zugehört.[1] Entsprechend treten auch die Verwaltungs-Strukturen geheimdienstlicher Arbeit, die Befehlsabhängigkeit des Handelns und die interne und die politische Kontrolle der Dienste zurück – anders als der Spion erhält der Agent einen speziellen Auftrag und ist damit gedeckt, als sei er freiberuflicher Auftragnehmer und kein (in der Regel beamtetes) Mitglied der politisch-militärischen Administration.
Wie schon gesagt, wissen wir als Zuschauer aus den Filmen: Agenten beschützen die, für die sie arbeiten, beugen Attentaten, Anschlägen, Putschversuchen vor Staaten (darin gehen sie über die Aufgaben der Spione hinaus). Spione spionieren, decken heimlich Geheimpläne auf, unterstützen vielleicht Widerstandsgruppen im Land der Feinde. Viel stärker noch als die Agenten sind sie auf die geopolitische Ordnung der Welt angewiesen, auf Länder oder Machtblöcke im latenten oder offenen Konflikt. Agenten sind dagegen freier, oft nicht einmal im Staatsdienst; es finden sich sogar Söldner, die Agententätigkeit übernehmen. Die Kette der James-Bond-Filme zeigt am deutlichsten, wie sich die Antagonisten von Vertretern gegnerischer Mächte während der Herausbildung der Konventionen des Agentenfilms zu reichen und durch Reichtum mächtigen Individuen wandeln, die oft nach der Weltherrschaft zu greifen versuchen.
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Wenn es um drohende Biowaffenangriffe geht, stehen die beiden Kleingenres historisch aber durchaus in deutlicher Nähe zueinander. In der englischen Produktion Counterblast (1948, Paul L. Stein) entkommt ein deutscher Nazi-Bakteriologe aus einem Kriegsgefangenenlager, ermordet einen englischen Professor und nimmt dessen Identität an, arbeitet an einem Serum, mit dem er die Deutschen gegen einen kommenden Biowaffenangriff der Alliierten immunisieren will. Es mag die Nähe des Weltkrieges und die reale Option eines Krieges mit Biowaffen gewesen sein, dass das Thema auch in dem US-Thriller The Whip Hand (1951, William Cameron Menzies) variiert wird. Hier geht es um eine Gruppe von zu Nazis konvertierten Kommunisten, die mit sowjetischer Unterstützung einen bakteriologischen Angriff auf die USA vorbereiten. Es ist ein Journalist, der den Plan entdeckt; und die Agenten sind hier nicht die Guten, sondern die Verschwörer, die sozusagen „im Feindesland“ agieren.
Es mag die Berechenbarkeit der Geschichten und die Unbeweglichkeit der politischen Blöcke gewesen sein, die zur Verulkung der nun erkennbaren formulae der Verschwörungs- und Spionagedramen einluden. Kurz nachdem die Figur des Agenten sich dem Arsenal der filmischen Figuren zugesellt hatte (der erste James-Bond-Film kam 1962 in die Kinos), entstand ein Film, der wie eine vorweggenommene Parodie des ganzen Genres wirkt: The Nasty Rabbit (1964) beginnt mit der Landung eines russischen U-Boots an der amerikanischen Küste und setzt den Agenten Mischa Lowzoff (Mischa Terr) aus, der ein Kaninchen bei sich führt, das Überträger eines tödlichen Virus werden soll, das innerhalb von sieben Stunden jeden in den USA töten kann. Der Spion ist kurioserweise als Cowboy verkleidet. Auf der Ranch, in die er eindringt, taucht bald der Agent Britt Hunter (Arch Hall Jr.) auf, der als „Agent Y“ für das FBI arbeitet. Er ist aber erst der erste, der auf der Ranch auftaucht – Spione aus England, Israel, Mexiko, Deutschland und Japan folgen. Alle wollen den schrecklichen Bakterienangriff stoppen. Es ist der Amerikaner, der mit einer Thermoskanne voller Trockeneis die Gefahr bannen kann. A Nasty Rabbit ist eine grobe Komödie, es wird sogar gesungen. So sehr die Geschichte auf die Ost-West-Konstellation der 1960er verweist, ist ihr jede Ernsthaftigkeit genommen. Über weite Strecken spielt der Film mit Stereotypen – die Deutschen tragen Monokel, die Japaner leiden unter Blähungen u.a.m.
Spionage- wie Agentenfilme bedürfen einer allgemeinen und umfassenden Bedrohung, in die die ganze Welt, die Staaten eines Machtblocks oder eine einzelne Nation geraten – das dramatische Spielfeld umspannt manchmal die ganze Welt. Oft ist sie aber nur als MacGuffin – als „blindes Motiv“ – benannt und greift auf das kollektive Wissen um die Wirkung totaler Vernichtungswaffen zurück, im Besonderen die Atomwaffen und zunehmend auch die Mittel biologischer Kriegsführung.[2] Dabei genügt der allgemeine Hinweis auf „tödliche Viren“, die im einzelnen gar nicht weiter benannt werden müssen. Dass manchmal auf die „Pest“ als Bedrohungsmittel verwiesen wird, ist selbst schon ein Spiel mit einem diffusen kollektiven Wissen. Der Bezug findet sich schon in The Nasty Rabbit (1964). Im gleichen Jahr entstand Banco à Bangkok pour OSS 117 (1964), in dem der CIA-Superagent OSS 117 (Kerwin Mathews) in Thailand eine asiatische Geheimorganisation von fanatischen Sektierern vernichtet, die durch einen Pestvirus, den sie Medikamenten beimischen, die Atommächte vernichten wollen; der Motor der Verschwörung ist der Arzt Dr. Guna Sinn (Robert Hossein), der beseitigt werden muss, bevor die Gefahr endgültig ausgeräumt ist.
Andere Filme maskieren die Erreger viel stärker, anonymisieren sie geradezu. In The Satan Bug (1965) muss der Geheimagent Lee Barrett (George Maharis) einen Behälter wiederbeschaffen, der aus dem Labor des Biochemikers Dr. Baxter stammt. Er hatte einen Virus-Kampfstoff entwickelt (die sogenannte „Zellenpest“), der ganze Städte binnen Sekunden entvölkern kann, mit dem Baxter das Gleichgewicht des Schreckens zugunsten der westlichen Welt verschieben wollte. Der Virenstamm war in die Hände des dubiosen Millionärs Dr. Hoffman (Richard Basehart) gefallen, der damit die amerikanische Regierung zu erpressen versucht. Die Aufgabe des Agenten ist klar: die brutale Bedrohung der US-Bevölkerung von ihr abzuwenden. Sogar James Bond (hier: George Lazenby) musste in On Her Majesty’s Secret Service (1969) einschreiten, als der Superbösewicht Ernst Stavro Blofeld zehn schöne junge Frauen dafür vorbereitet hatte, auf ein Funksignal hin auf der ganzen Welt tödliche Krankheitserreger zu verbreiten. Das Virus kann angeblich jede Reproduktionsfähigkeit von Menschen, Tieren und sogar Pflanzen zerstören, die Zerstörung allen Lebens auf der Erde wäre die Konsequenz.[3]
In allen diesen Beispielen ist Bioterror als drohende Katastrophe hintergründig präsent. Aber die Gefahr ist allein durch die Zugehörigkeit der Geschichten zum Agentengenre gebannt – weil in den Konventionen des Genres der Agent die Sicherheit seiner Gesellschaft garantiert. Außerdem handelt der Agentenfilm fast immer von einer Welt, die in mehr oder minder klar voneinander geschiedene politische Lager gespalten ist und die auf eine Konfrontation nationaler Interessen verweist.[4] Das ändert sich mit der zunehmenden Auflösung der Kalte-Kriegs-Konfrontation von Ost und West. Schon aus diesem Grunde wirkt Bullet to Beijing (1995) wie ein ironischer Wiederaufruf älterer Genre-Formeln: Der eigentlich längst in Rente befindliche Agent Harry Palmer (Michael Caine) reist für einen russischen Industriellen nach Nordkorea; er soll biologische Waffen zurückzuholen, die eine Seuche („The Red Death“) ausgelöst hatten. Neu an der dramatischen Verwicklung ist die Tatsache, dass hinter der vorgeblich humanitären Aufgabe Palmers skrupellose finanzielle Interessen seiner Auftraggeber stecken – es geht eigentlich um Kontrolle über den Heroinhandel. In den 1990ern ist die Privatisierung der Verschwörung zum Üblichen geworden: Deadly Outbreak (1995) etwa erzählt zwar von Terroristen, die eine Biogeheimwaffe in einem Labor zur Herstellung chemischer Waffen in Israel in die Hand zu bekommen – doch das eigentliche Ziel ist eine halbe Milliarde Dollar, die die US-Regierung zahlen soll.
Actionhelden
Schon Bullett to Beijing spielt in einer Welt, die über das Gegenüber der Machtblöcke hinausgeht und deren verschwörerische Akteure nicht mehr politisch, sondern primär ökonomisch motiviert sind. Die ironische Distanz, aus der heraus die älteren Filme erzählt sind, tritt zurück. Aus eher allgemeinen Polit-Bösewichtern werden Terroristen und Kriminelle. Zwar nennen sich die Akteure aus den 1980ern und 1990ern immer noch „Agenten“, doch es sind nicht mehr die coolen und smarten Typen nach dem James-Bond-Muster, sondern es sind zunehmend Action-Helden – Vertreter eines Nachbargenres, in dem die Zentralfiguren wiederum meist Männer sind, mit ausgestellten männlichen Charakteristiken, bereit zu körperlichem Einsatz. Die sexuelle Attraktivität, die in den Agentenfilmen meist auch thematisch angesprochen wird, bleibt ihnen erhalten, aber sie wird in ganz anderen Registern des Umgangs mit Frauen ausgelebt. Man kann Agenten- und Actionfilm nicht scharf voneinander abgrenzen. Aber die Verlagerung der Schauwerte ist deutlich spürbar. Die Handlung mündet immer wieder ein in spektakulär inszenierte Kampf- und Gewaltszenen (die Stunt-Szenen spielten auch in den James-Bond-Filmen eine zunehmend wichtige Rolle); die äußere Handlung trat in den Hintergrund, die Durchzeichnung der Figuren wurde sekundär. Stunts, Nahkampf-Szenen, Prügeleien, Schießereien, Explosionen und Verfolgungsjagden – die Bedeutung der Action gab dem Genre zu Recht seinen Namen. Erhalten blieb die Werteordnung der Welt, auch die Actionhelden verteidigen die normale Welt gegen feindliche Kräfte.
Spione und Agenten unterscheiden sich vor allem durch die Lizenz zum Töten (license to kill), die so eng mit der Bond-Figur assoziiert wird. Der Agent ist eigentlich eine Mörderfigur, deren Handeln durch eine politisch motivierte Auszeichnung legitimiert und legalisiert wird (so, wie ein Priester der Weihe bedarf, um manche Handlungen ausführen zu dürfen). Der Agent steht aber zumindest partiell außerhalb der Rechtsordnung seiner sozialen Welt. Er ist Straftäter „im Auftrag“ – und ein in rezeptionsethischer Hinsicht höchst interessanter Fall: weil die Figur sich der Sympathien des Zuschauers sicher sein kann, solange seine Taten der Erfüllung des Auftrags dienen. Er ist durch den Auftrag der „Guten“ schon im Vorfeld entschuldet – als Teil einer moralischen und juristischen Fiktionswelt, auf die sich offenbar auch der Zuschauer einlässt, der dadurch zu einem parteilichen Mitspieler an einem dramatischen Spiel wird, das in vielem der moralischen Konstruktion auch von Kriegsfilmen korrespondiert.
Viren und andere Kampfmittel der Biokriege und des Terrors spielen trotz der breiten Kollektiv-Kenntnis der so unberechenbaren Kampfmittel im Korpus der hier referierten Actionfilme wiederum eine nur marginale Rolle. Das Erbe der Agentenfilme bleibt immer erkennbar: Es muss sich um eine ernsthafte Bedrohung der politischen Weltordnung handeln. Das Spektrum der Actionhelden ist denkbar bunt. Wieder wirkt einer der ersten Filme dieser Variation des Agentenfilms wie eine Parodie: In The Doll Squad (1973) muss die Agentin Sabrina (Francine York) mit ihrer achtköpfigen ausschließlich aus Frauen bestehenden Sondereinheit (Spottname: „The Doll Squad“) einen ehemaligen CIA-Mitarbeiter zur Strecke zu bringen, der – um die Weltherrschaft zu übernehmen – mit Pesterregern infizierte Ratten auszusetzen vorhatte.[5]
Einige neuere Beispiele, die um die Jahrtausendwende entstanden, in chronologischer Folge:
– In Rapid Assault (1997) entführt eine Gruppe Terroristen, ehemalige Stasi- und KGB-Agenten, einen Biowissenschaftler und erpresst die amerikanische Regierung mit dessen Erfindung, einer todbringenden Seuche. Das CIA beauftragt einen jungen Elitesoldaten der Navy-Seals (James Decker / Tim Abell), das geheime Untersee-Labor zu zerstören und den Erpresser auszuschalten.
— Es ist z.B. die aus den Marvel-Comics entstammende Figur des superheldischen CIA-Agenten Nick Fury (David Haselhoff), der in Nick Fury: Agent of Shield (1998) die Welt vor einer mysteriösen faschistischen Geheimorganisation errettet, die droht, Manhattan mit einem neu entwickelten Killervirus auszulöschen. Das Virus entstammt Resten eines Virus, das von Dr. Arnim Zola für Hitlers Massenvernichtungswaffenprogramm entwickelt hatte.
— In The Patriot (1998) muss sich der Arzt und ehemalige CIA-Agent Wesley McClaren (Steven Seagal) gegen einen US-Fundamentalisten zur Wehr setzen, der mit der Freisetzung eines Virus deutlich machen will, dass jeder Amerikaner auf seinem Grund und Boden das tun kann, was er für richtig hält – und am Ende muss der Agent auch noch ein Gegenmittel entwickeln.
— Eigentlich hatten russische Agenten in Agent Red (2000) die Formel zur Herstellung von „Agent Red“, einem supertödlichen Virus, die die US-Army hatte entwickeln lassen, gestohlen; als sie zurückgegeben wird, wird sie auf einem U-Boot von Terroristen gestohlen, die Raketen mit dem Kampfstoff auf New York und Moskau richten wollen – nun ist Cpt. Matt Hendricks (Dolph Lundgren) gefordert, sie zur Strecke zu bringen.
– In Militia (2000) plant eine rechtsradikale Bruderschaft einen Raketenanschlag auf ein Treffen der NATO-Regierungen; dabei sollen große Mengen in der Firma „Cyberdyne Systems“ gestohlener Milzbrandsporen verwendet werden. Ethan Carter (Dean Cain), ein Geheimagent der Behörde „Bureau of Alcohol, Tobacco, Firearms and Explosives (ATF)“ ermittelt, wird gefangen, durch einen Überläufer befreit und kann die Rakete finden und entschärfen.
— Jacques Kristoff (Jean-Claude Van Damme) arbeitet als NATO-Geheimagent (in Derailed [2002]); er muss eine High-Tech-Diebin bewachen, die von Terroristen Phiolen mit dem biologischen Kampfstoff SP-43, der aus modifizierten Pockenviren gezüchtet wurde, gestohlen hat und die wiederum von den bestohlenen Terroristen verfolgt wird.
Für auf Actionrollen spezialisierte Darsteller wie Tom Cruise, David Hasselhoff, Dolph Lundgren, Steven Seagal oder Jean-Claude Van Damme bringen ihre ganze Körperlichkeit in die Rollen ein. Die Handlung macht klar, warum es nötig ist, sich so leidenschaftlich in die Konflikte einzulassen. Beziehungen zum Thema der Seuche bleiben rein hypothetisch, die Epidemie steht lediglich als (leere) Drohung im Hintergrund. Auch hier: Das Wissen um die Gefährlichkeit der Biowaffen ist seit den 1950ern im populären Wissen lebendig geblieben, Agenten- und Actionfilmen funktionalisieren es, nutzen sein dramatisches Potential. Aber sie dringen nicht in die Tiefe vor.
Perspektivisch sind die Geschichten ausnahmslos bei den Agenten verankert, sie sind die Guten (und sie garantieren dem Zuschauer auch das gute Ende, den Genreregeln folgend). Geschichten aus dem Blick der Attentäter findet man selten – und vor allem im Korpus der Seuchenfilme gar nicht. Die tödliche Waffe ist natürlich immer im Spiel, ihre Anwendung dagegen steht nur als Drohung zur Debatte. Eine der wenigen Ausnahmen ist die TV-Mini-Serie Covert One: The Hades Factor (2006), in der der Agent Jon Smith (Stephen Dorff) erkennen muss, dass sich afghanische Islamisten in den Besitz der – von der US-Armee entwickelten und in Afghanistan erprobten – Ebola-Variante „Hades“ bringen konnten und sich selbst infiziert hatten, um das Virus in die Vereinigten Staaten einzuführen.[6] Allerdings stellt sich auch hier heraus, dass der Chef der Pharma-Firma „Maisser Pharmaceutical“, der einen Wirkstoff gegen den Erreger auf den Markt produktionsreif entwickelt hatte, die Terroristen selbst angeheuert hatte, um auf diese Weise das Geschäft anzukurbeln.[7] Eine letztlich ökonomisch motivierte Intrige also, bei der sowohl die Krankheit wie die Motivation der Infekteure vollständig im Hintergrund bleibt.
Die kleine Übersicht über die Rolle von Biowaffen im Agentenfilm zeigt deutlich, dass die Seuche nur abstrakt als Auslöser von action-dominierten Geschichten verwendet wird, als im Grunde leeres Auslöse- und Wirkmoment der story. Sie verbleibt als Drohung im Raum der dramatischen Kräfte aktiv; von den Optionen des Bevölkerungsschutzes ist nicht die Rede. Die Übersicht zeigt aber auch, dass die drohende Seuche nicht mehr als Mittel militärischer Bedrohung eingesetzt wird, nicht mehr in Strategien der Sicherung politischer Macht eingebunden ist, sondern vielmehr in einen Kontext von Geltungssucht und vor allem Geldgier eintritt. Insofern mag man gerade Covert One auch lesen als Neukontextualisierung der Seuche im Horizont der kapitalistischen Weltordnung, auch wenn dieser Übergang in den Filmen des Figurenkreises schon lange vorher angelegt war.
Anmerkungen
[1] Natürlich sind die Bond-Filme mit jeweils aktuellen politischen Szenarien verknüpft; aber im Verlauf der Filmreihe treten immer mehr private Konzerne in die Funktion von Staaten ein, mit dem Ziel, die Machtverhältnisse zugunsten der Konzernmacht zu verändern. Man mag diese Verschiebungen in den diegetischen Machtverhältnissen mit der spätkapitalistischen Rolle von Groß-Konzernen und der Globalisierung der Kommerzwelt in Verbindung bringen, doch berührt die Überlegung die Rollencharakteristik des Agenten nur am Rande.
Natürlich muss man aber auch den Agentenfilm als Genre im historischen Wandel beschreiben. In den Anfängen ist der Agent noch als eine Art Ein-Mann-Einsatzkommando gefasst, das im Feindesland agiert. Anfangs der 1960er: Es ist die Hochphase des Kalten Krieges, die Welt ist geteilt in Ost und West, man bedroht einander, offene Konfrontationen vermeidend. Geschichten in einer geordneten Welt, an der Grenze zum Krieg. Der Spion als Filmfigur ist viel älterer Herkunft, die Geschichten seiner Arbeit als Vertreter der „guten Macht“ (und manchmal auch als Akteur, der den „bösen Mächten“ zugehört) werden seit Beginn der Filmgeschichte erzählt. Eine besondere Rolle spielt die englische Literaturgeschichte, in der sich bereits im 19. Jahrhundert die spy novel als eigene Gattung herauskristallisierte; vgl. dazu Burton, Alan: Looking-glass Wars. Spies on British Screens Since 1960. Wilmington, Del.: Vernon Press 2018 (Vernon Series in Cinema and Culture.) – eine Darstellung, die dem Agenten als Figur keine eigene Aufmerksamkeit widmet; vgl. aber die wenigen Bemerkungen zur Bond-Figur (S. XXIff).
Hinsichtlich der Ablösung des Agenten- aus dem Spionagefilm ist die Genregeschichtsschreibung uneinheitlich: Manchmal werden die beiden Typen gar nicht unterschieden (vgl. etwa Schäfer, Horst / Schwarzer, Wolfgang: Top Secret. Agenten- und Spionag3efilme – Personen, Affären, Skandale. Berlin: Henschel 1998, bes. 79ff, 127ff); manchmal wird der Agentenfilm dagegen als eigenständiger „Filmzyklus“ angesehen, als eine Gruppe formelhaft ähnlicher Filme, die aber nur für wenige Jahre bedient wird (vgl. etwa Klein, Amanda Ann: American Film Cycles. Reframing Genres, Screening Social Problems, & Defining Subcultures. Austin: University of Texas Press 2011, bes. S. 125-131).
Der Spionagethriller steht thematisch in der Nähe der beiden Subgenres Verschwörungs- und Terror-Thriller
[2] Vor allem in den 1950ern hatte die US-Regierung mit einer Unzahl von Aufklärungsfilmen auf die Möglichkeiten biologischer Angriffe auf die US-Bevölkerung hingewiesen – sicherlich einer der Gründe, dass die Angst vor Biowaffen ähnliche Verbreitung wie die vor Atomwaffen bekam; ein bis heute bekannter Film aus diesem Korpus ist der 8-Minüter What You Should Know About Biological Warfare (1952), der in Kooperation mit dem Federal Civil Defense Administration produziert wurde. Derartige Filme werden bis heute produziert; ein Beispiel ist Bioterror Alert (Bio-Terror-Alarm, Großbritannien/USA 2005, Dan Clifton).
[3] Die Verhinderung eines biotechnischen Anschlags auf die Welt ist noch im derzeit letzten Bond-Film (No Time to Die [Keine Zeit zu sterben, Großbritannien/USA 2021, Cary Joji Fukunaga]) Kern des Auftrags, den Bond erledigt. Allerdings geht es nicht mehr um Gifte, Bakterien oder Viren, sondern um eine Biowaffe aus einem Randbereich der Gentechnik – Nanobots, die sich wie ein tödliches Virus durch Kontakt von Mensch zu Mensch verbreiten. Sie sind auf den genetischen Code der am Ende Infizierten programmiert worden.
[4] Vgl. Schweitzer, Dahlia: The New Face of Fear: How Pandemics and Terrorism Reinvent Terror (and Heroes) in the Twenty-First Century. In: New Perspectives on the War Film. Ed. by Clémentine Tholas, Janis L. Goldie & Karen A. Ritzenhoff. Cham: Palgrave Macmillan 2019, S. 203-221.
[5] Zumindest der Anekdote nach entstand die TV-Serie Charlieʼs Angels (Drei Engel für Charlie, USA 1976-81) auf die Anregung des seinerzeit populären Films The Doll Squad (1974) – beides Beispiele für eine Entmännlichung der Agentenfigur. Schon im Bond-Zyklus waren weibliche Action-Figuren aufgetaucht (namentlich die „Pussy Galore“ [Honor Blackman] aus dem Film Goldfinger [1964]). Ein neueres Beispiel weiblicher Agenten ist die Figur der Alice Racine (Noomi Rapace), die in Unlocked (2017) einen islamistisch motivierten Plan, in London ein tödliches Virus auszusetzen, zum Scheitern bringen soll.
[6] Dramatisierungen der Figur eines „Selbstmordattentäters im Biokrieg“ fehlen bislang völlig. Die Frage nach dem Warum ist kaum zu beantworten – es mag die Heimtücke sein, die der Tat innewohnt, die Bereitschaft, eine vollkommen diffuse Schar von Opfern in Kauf zu nehmen, das Kalkül der (symbolischen) Unspezifik des Ziels und das Risiko der Unsichtbarkeit der Tat. Zum Selbstmordattentat gehört seine Spektakularität; neben seinen zerstörerischen Effekten ist das Selbstmordattentat auch eine kommunikative Tatsache, richtet sich an Adressaten und ist auf öffentliche Wahrnehmung ausgerichtet (vgl. dazu Graitl, Lorenz: Sterben als Spektakel. Zur kommunikativen Dimension des politisch motivierten Suizids. Wiebaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2012, v.a. 120ff.). In der im Angloamerikanischen verbreiteten Bezeichnung suicide bomber wird der Attentäter gar zur Waffe umdeklariert, also seiner menschlichen Qualitäten entkleidet, weshalb ein dramaturgisches Interesse an der Motivation, der Person, der Entscheidung, „Infekteur“ zu werden, schon im Vorfeld erlischt.
Der Infekteur gehört in den Horizont der „Biokriege“, in denen das militärische (und vielleicht moralische) Mittel des Kampfes die Verseuchung ist, nicht die Zerstörung. Die Akteure sind sich ihres Tuns zwar bewusst – insofern unterscheiden sie sich von den 0-Patienten, die nicht wissen, dass sie Träger einer tödlichen Krankheit sind –, doch stehen nicht sie selbst im Zentrum. Das narzisstische Erleben ist ihnen selbst vorbehalten, hat ein ausschließliches Selbstwertecho, weil der Biokrieger zwar einen selbst- oder fremdgestellten Auftrag erfüllt, darin dem Tun von militärischen „Sonderaufträgen“ verwandt, die ein konkretes Ziel haben. Die öffentliche Reaktion aber ist auf die Seuche gerichtet, nicht auf diejenigen, die sie verursacht haben.
[7] Der Film variiert eine Intrige, die schon in dem Blockbuster Mission Impossible II (2000) durchgespielt worden war, in dem der Agent Ethan Hunt (Tom Cruise) das Corona-Virus „Chimera“ und das dazugehörige Gegenmittel „Bellerophon“ sicherstellen sollte. Beide waren im Auftrag des Pharmakonzerns „Biocyte“ erfunden worden; der Plan war, das Virus auszusetzen, um mit dem Verkauf des Serums enorme Gewinne zu erzielen.
Filmographie
Agent Red (Agent Red – Ein tödlicher Auftrag, Kanada/USA 2000, Damian Lee [Jim Wynorski]).
Banco à Bangkok pour OSS 117 (Heiße Hölle Bangkok, Frankreich/Italien 1964, André Hunebelle).
Bullet to Beijing (Peking Express; aka: The Palmer Files – Der rote Tod, Kanada/Großbritannien/Russland 1995, George Mihalka).
Counterblast (Großbritannien 1948, Paul L. Stein).
Covert One: The Hades Factor (aka: Robert Ludlum‘s The Hades Factor; dt.: Der Hades-Faktor, USA 2006, Mick Jackson).
Deadly Outbreak (Deadly Takeover, USA 1995, Rick Avery).
Derailed (Derailed – Terror im Zug, Aruba/USA 2002, Bob Misiorowski).
The Doll Squad (Das Kommando der Frauen, USA 1973, Ted V. Mikels).
Militia (Militia, USA 2000, Jay Andrews [d.i. Jim Wynorski]).
Mission Impossible II (Mission: Impossible II, USA 2000, John Woo).
The Nasty Rabbit (aka: Spies-a-Go-Go, USA 1964, James Landis).
No Time to Die (Keine Zeit zu sterben, Großbritannien/USA 2021, Cary Joji Fukunaga).
Nick Fury: Agent of Shield (Agent Nick Fury – Einsatz in Berlin, USA 1998, Rod Hardy).
On Her Majesty’s Secret Service (James Bond 007 – Im Geheimdienst Ihrer Majestät, Großbritannien 1969, Peter R. Hunt).
The Patriot (Der Patriot; aka: The Patriot, USA 1998, Dean Semler).
Rapid Assault (Rapid Assault – Entscheidung im Atlantik, USA 1997, Sherman Scott [d.i. Fred Olen Ray]).
The Satan Bug (Geheimagent Barrett greift ein, USA 1965, John Sturges).
The Spy Who Came in from the Cold (Der Spion, der aus der Kälte kam, Großbritannien 1965, Martin Ritt).
Unlocked (Unlocked, Großbritannien 2017, Michael Apted).
The Whip Hand (1951, William Cameron Menzies).