Chartsstürmer, Fan-Army, Militärparaden und Idol Pop
[aus: »Pop. Kultur und Kritik«, Heft 15, Herbst 2019, S. 24-33]
Wenn man hierzulande etwas über K-Pop liest, hat es häufig mit einem Popularitäts-Rekord zu tun. Kürzlich konnte die südkoreanische Girlgroup Blackpink auf YouTube einen landen: Das Video zu ihrer Single »Kill This Love« wurde in den ersten 24 Stunden 56,7 Millionen Mal angeklickt. Es ist kein Zufall, dass Blackpink, die mit dieser Bilanz Künstlerinnen wie Taylor Swift und Ariana Grande hinter sich ließen, im April 2019 ihrerseits von einer anderen K-Pop-Größe, der Boygroup BTS, überholt wurden. Mit »Boy With Luv«, der Leadsingle zu ihrem neuesten Album »Map of the Soul: Persona«, kamen BTS innerhalb eines Tages auf 74,6 Millionen Klicks.
Bemerkenswert ist aber nicht die schiere Zahl, die man mühelos mit ebenso astronomischen Werten auf anderen Social-Media-Plattformen, mit Spitzenplätzen auf diversen Listen und Rankings illustrieren könnte. Überraschend ist vielmehr der Umstand, dass diese weltweite Popularität einem nicht-englischsprachigen Genre gilt, das vor einigen Jahren noch weitgehend auf den ostasiatischen Raum beschränkt war; dass es koreanische Bands mit koreanischen Texten sind, die – erstmals im Fall des Albums »Love Yourself« von BTS – die Spitze der US-amerikanischen Billboard-Album-Charts anführen.
Solcher Erfolg mag vor allem deshalb erstaunen, weil es sich beim K-Pop um ein Genre handelt, das nicht nur populär ist, sondern poppig auf eine Weise, in der Pop-Prinzipien wie Künstlichkeit und Oberflächlichkeit in denkbar schriller Übersteigerung zu sich selbst kommen. Darin liegt die bannende, ja überwältigende Wirkung des K-Pop, welche neben einer wachsenden Fancommunity aber auch systematisch Befremden produziert – jedenfalls für das europäische Auge. Es ist ein Befremden, das direkt zu den historischen Ursprüngen des K-Pop in der Kriegs- und Kolonialgeschichte führt.
In den 1910er Jahren war es die japanische Besatzungsmacht, die mit dem Unterhaltungsformat der kostümierten, meist weiblichen Tanzgruppen ihre politische Steuerung Koreas auch kulturell zu festigen suchte. Während des darauffolgenden Korea-Kriegs lebte das Format fort und wurde nunmehr zur Unterhaltung amerikanischer Soldaten in den Militärbasen eingesetzt. Weil diese mit koreanischen Folklore-Elementen aber nicht zu begeistern waren, wurde der Schwerpunkt der Performances zunehmend auf aufwendige wie aufreizende Choreografien gelegt, die in Aufmachung und Stil den amerikanischen Seh- und Hörgewohnheiten entgegenkommen sollten. Nachdem diese Spielart der performancebasierten Tanzmusik durch den Militärputsch 1961 einen Rückschlag erhielt, weil sie als unpatriotisch und unsittlich galt, wurde sie ab den 1990er Jahren, nicht zuletzt durch die Finanzkrise 1997, als Wirtschaftsfaktor wiederentdeckt. Durch einen von der Regierung unterstützten »Strategic Plan for the Growth of the High-Tech Visual Arts Industry« sollte die koreanische Popkultur zu einem Verkaufs- und Exportschlager werden. Hier wurde nichts dem Zufall überlassen: Einige große Entertainmentfirmen sind fortan mit dem Fabrizieren von Boy- und Girlgroups befasst, was ihr Casting, ihre sorgfältige Ausbildung in Gesang und Tanz, aber auch ihr Training in Schauspielerei, Fremdsprachen und professionellem Medienauftritt umfasst. Kommt es zu einem Debüt in einer Gruppe, gibt das Unternehmen in der Regel Musik, Texte, Choreografien, Kostüme, Frisuren etc. bis ins Detail vor. Heraus kommt eine spezifische Spielart koreanischer Popmusik, die mit dem Label ›K-Pop‹ verschmolzen ist – der Idol Pop, ein bunter, süßer, überladener und überdrehter, oft betont heiterer Hyperpop, der sich musikalisch vor allem der Genres Dance Pop, EDM und Eurodance bedient, aber prinzipiell Versatzstücke nahezu aller Musikrichtungen einspeist, sei es Hip-Hop, RnB, Stadionrock, Reggae, ja sogar Jazz.
Vieles an dieser Fabrikation von ›Idolen‹ mag an die militärischen Ursprünge ihrer Entstehung erinnern, das uniformierte Auftreten in Einheiten von bis zu zehn Bandmitgliedern, die Disziplinierung der Körper und der Drill zur Exaktheit in den fehlerfrei einstudierten Choreografien, die häufig geforderte Preisgabe von Privatsphäre und Liebesleben bis hin zur Kontrolle der Ernährung. Auch wenn das Casting-Format Europa und den USA keineswegs fremd ist, widerspricht ein solches fließbandartiges Fabrikationsmodell von Pop entschieden dem westlichen Ideal des Pop-Künstlers als autonomer, authentischer Künstler-Persönlichkeit. Der westliche Betrachter kann nicht anders, als hypnotisiert auf die exakten Schrittfolgen zu starren, sich gleichzeitig aber besorgt vor der popsoldatischen Abrichtung zu gruseln.
BTS sind in dieser Konstellation ein ambivalenter Fall, der die Ästhetik des Militärischen dezidiert in ein ästhetisches Programm der Cuteness überführt. BTS steht wahlweise für ›Bangtan Boys‹ oder für ›Bulletproof Boy Scouts‹, also ›kugelsichere Pfadfinder‹. Die militärische Anspielung ist keine zufällige, sondern ein Kernelement der BTS-Performance. Die sieben männlichen Mitglieder werden in ihren Videos und Live-Auftritten für besonders virtuose, hochpräzise einstudierte Choreografien bewundert. Deren Synchronität wird unterstrichen durch einheitliche Outfits, Frisuren und Make-up, welche die Band zu einem ornamentalen Gesamtgebilde verschmelzen lassen. In den Musikvideos kommen immer wieder Uniform-Elemente zum Einsatz, so etwa beginnt das Video zu »Idol« mit einem Ensemble aus Bomber- und Militärjacken sowie -westen und Bandanas; in seinem Verlauf werden verschiedene Quasi-Uniform-Varianten wie dandyeske Safari-Anzüge oder Samurai-Gewänder durchgespielt. Klanglich bewegt sich der Song in einem Genremix aus Rap, EDM, RnB und Folklore und stellt eingängige, pompös stampfende Rhythmen und Choräle in den Vordergrund. Das Video endet mit einer großen Parade, bei der BTS vor einem synchronen Heer von Hintergrundtänzern mit Helmen und Gesichtsschutz auftreten, abgewechselt durch digital vervielfältigte, aufeinandergestapelte BTS-Avatare, deren Tanzbewegungen sich zu einem großen psychedelischen Linienornament verästeln.
Das Spiel mit dem Militärischen greift die umtriebige internationale Fanbase von BTS auf, die sich ARMY nennt. Die »Adorable Representative M.C. for Youth« hat auf Twitter fast vier Millionen Follower; dazu kommen die verschiedenen nationalen »Armys«, die Tweets übersetzen, Material über die Bandmitglieder sammeln und austauschen, Videos und Songs in hermeneutischer Kleinstarbeit entschlüsseln sowie mit Begeisterung Koreanisch lernen. Diese Fancommunity stellt sich offiziell als der Körperschutz von BTS vor, welche sie damit direkt als Militäreinheit adressieren: »ARMY is military in English, the body armor and military are always together, so it means that the fans will always be together with the Bangtan Boys.«
Zu dieser Selbstverpflichtung scheint es zu gehören, sich ganz in den Dienst der Zahl zu stellen: Die Kommentare unter den BTS-Videos auf YouTube befassen sich überraschenderweise kaum mit den Videos selbst; vielmehr sind die Spalten nicht selten ausschließlich mit variierenden Aufrufen der ARMY gefüllt, doch bitte mehr zu streamen, um die Klickzahlen weiter in die Höhe zu treiben, neue Rekorde zu produzieren, die Konkurrenz zu überbieten. Entsprechend empfindlich wird reagiert, wenn YouTube sog. Fake-Views von Bots löscht und damit begehrte Zahlen ›klaut‹. Hier entsteht eine Form von Teilhabe, die sich nicht auf wirkungslose subjektive Bewunderung der Idole reduzieren lassen will. Teil der ARMY zu sein bedeutet, sich uneingeschränkt mit der Größe von BTS – ausgedrückt in einer abstrakten neunstelligen Zahl – zu identifizieren, die der einzelne Fan mit seinem noch so bescheidenen Beitrag einiger Klicks selbst mitproduziert hat. Solches Verantwortungsbewusstsein wird belohnt: Twitter hat der treuen ARMY inzwischen ein eigenes Emoji gewidmet, das eine schusssichere Weste mit der Aufschrift »BTS« zeigt. Erklärtermaßen wird die Front, die verspricht, ihren Idolen nicht von der Seite zu weichen, gestellt von Teens und Twens, die als Repräsentantinnen der Jugend antreten.
Dass das Format der Boygroup eine ganz bestimmte, weiblich dominierte Fanbasis mit sich bringt, zeigte sich bereits in den 1960er Jahren und gelangte dann seit den 1990er Jahren mit Bands wie den Backstreet Boys, NSYNC oder One Direction zu neuen Höhepunkten. Die gelungene Zusammenstellung einer Boygroup verlangt eine Typologie, die bei aller notwendigen Ähnlichkeit der Mitglieder doch mit einem Repertoire verschiedener ›Charaktere‹ aufwarten muss, um möglichst viele Teen-Fantasien abzudecken. In dieser Weise kann man als weiblicher Fan zwar für die ganze Band schwärmen, dabei aber einen Liebling auserwählen, zu dem man eine besondere Bindung aufbaut. Wie wichtig diese Fan-Dynamik ist, weiß auch das Management von BTS und nährt sie entsprechend mit Steckbriefen, Porträtkarten und Mini-Interviews der einzelnen Mitglieder, mit individuellen Schnappschüssen und Fanbotschaften auf Instagram. Bei den lebhaften Diskussionen und Abstimmungen, wer denn nun das cuteste BTS-Mitglied ist, kommt es zu einer erstaunlich gleichmäßigen Verteilung, wobei es dennoch einen klaren Gewinner gibt: Jimin. Entfesselt wird so ein Begehren, das – so das gerne belächelte Szenario – im Kreischen, Weinen und Ohnmächtig-Werden seinen dramatischen Ausdruck findet. Von der Verachtung des als hysterisch geschmähten weiblichen Fans, dem jede musikalische Urteilsfähigkeit abgesprochen wird, künden gerade die Feuilletonberichte über BTS-Konzerte, die meist entweder aus der Perspektive besorgter Eltern oder naserümpfender männlicher ›Popkenner‹ geschrieben sind. Die Annahme einer rein heterosexuellen Begehrensstruktur wird von den BTS-Fans aber öffentlich wirksam durchkreuzt, nicht zuletzt wegen der Präsenz der LGBT-Community durch die gesamte ARMY hindurch.
In der aggressiven Reaktion vermischt sich die misogyne mit einer homophoben Abwertung der Fans und richtet sich zunehmend auch gegen die Boygroup selbst: Kaum ein popkulturelles Phänomen zieht so vorhersehbar leidenschaftlichen Hass auf sich. Ganz im Sinne eines feindlichen Heers gründete sich als Gegenbewegung zur ARMY eine selbsternannte Anti-BTS-Army. Gerade das umschwärmteste Bandmitglied Jimin erhält vor Konzerten regelmäßig Morddrohungen, in denen mit Waffenfotos auf seine »Nicht-Kugelsicherheit« hingewiesen wird; ein Konzert in New York musste deshalb schon abgebrochen werden. Die ARMY reagierte darauf wiederum mit dem Hashtag #ArmysWillProtectJimin. Wie so oft bei Boygroups, ist hier ein offen homophobes Moment im Spiel, das sich keineswegs nur anonym im Netz entlädt. So spottete der mexikanische Talkshow-Host Horacio Villalobos vergangenes Jahr, BTS erinnerten ihn an eine »LGBT group lost in Cancún,«, sie seien »like a group of my female friends who drive trucks.« (huffpost.com)
Dass sich Homophobie im Pop – scheinbar paradoxerweise – gegen Objekte heterosexuellen weiblichen Begehrens richtet, bekamen nahezu alle Boygroups der Geschichte von den Beatles bis zu Tokio Hotel zu spüren. Doch das Männlichkeitsbild, das BTS verkörpern, erweist sich auch deshalb als eine solche Provokation, weil es sich freimütig-naiv, d.h. ohne kritische Absicht dem Konzept des Kawaii bedient, welches die Ästhetik des K-Pop insgesamt stark prägt. Kawaii, das auf Japanisch so viel wie ›süß‹, ›liebenswert‹, ›niedlich‹, ›kindlich‹ bedeutet – dabei aber längst nicht mehr auf Japan beschränkt ist, sondern sich ausgehend vom ostasiatischen Raum zunehmend globalisiert –, steht für ein ästhetisches Prinzip, das Cuteness prämiert; Symbolfiguren sind etwa Maskottchen wie Pikachu oder Hello Kitty.
Ein bedeutsamer Zirkulationsraum dieses Cuteness-Konzepts ist die aus Japan stammende Fankultur des Otaku, in der Fans analog zur Nerdkultur mit großer Hingabe ihrem Spezialinteresse nachgehen, klassischerweise in den Bereichen Anime, Manga, Cosplay und Science Fiction. Die ARMY erscheint nicht nur wegen ihres leidenschaftlich betriebenen Hobbys BTS als Otaku-inspiriertes Phänomen, sondern ist es auch bis in die einzelnen stilistischen Einflüsse hinein, von den uniformbegeisterten Militär-Otakus bis zu den Idol-Otakus. Nicht zuletzt sind BTS selbst ein Produkt der Cuteness Culture, die sich durch nahezu alle Spielarten des Otaku zieht. BTS sind nicht cute, so wie die Backstreet Boys süß waren; sie sind cute im umfassenden, emphatischen Sinne des Kawaii. Im eingangs erwähnten Video zu »Boy With Luv« bekommt die Zuschauerin die üblichen Choreografien zu sehen, doch im Vergleich zum – für BTS-Verhältnisse – krawallig vorpreschenden »Idol«-Video steht hier eine Ästhetik im Vordergrund, die im Weichen, Zarten und Glatten schwelgt. Der Sound ist sanft und verträumt, der Gesang wird gehaucht und im Refrain durch Begleitung der Sängerin Halsey auf eine bisher ungeahnte Ebene der fröhlichen Zuckrigkeit gehoben. Das gesamte Video ist vor bonbonfarbenen Retrokulissen gedreht, Kostüme sind aus fließend-samtenen Stoffen in rosa, pink, babyblau und weiß geschneidert; Haarfarben und -frisuren, Schmuck und Make-up fügen sich in die pastellfarbene Traumlandschaft ein. BTS, die immer schon wie hyperreale Anime-Figuren wirken, steigern diese Anmutung noch durch den gezielten Einsatz dekorativer, effeminierter Oberflächen, seien es Close-ups der puppenhaften, makellos lächelnden Gesichter oder die kindlich-koketten Gesten. Um es in der ARMY-Sprache zu sagen: Cuteness Overload!
Es ist dieses Konzept von Kawaii, das eine solch selbstverständlich und unbekümmert wirkende Feier weiblicher Attribute bei einer rein männlichen Band ermöglicht, ja fast erzwingt. Der japanische Künstler Takashi Murakami, der die Kunstrichtung »Superflat« mitgeprägt hat, welche die zweidimensionale Formsprache der Otaku-Kultur kritisch verarbeitet, zieht eine direkte Verbindung zwischen der militärischen Vergangenheit Japans und Otaku. Der Kult der Cuteness, so Murakami, sei Symptom einer »kulturellen Impotenz«: Da die japanische Gesellschaft nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs und der Atombombe keine Gelegenheit gehabt habe, sich von innen heraus zu modernisieren, sei sie übergangslos in eine amerikanisierte, pornografisierte Postmoderne katapultiert worden. Heraus komme eine Kultur ohne Tiefe, deren bastardisiertes Produkt die schrillen Oberflächen der Popkultur seien. Es ist kein Zufall, dass Murakami sich des phallischen Topos verlorengegangener Potenz bedient. Hier trifft er sich mit dem befremdeten Europäer, der mit dem gleichen faszinierten Widerwillen auf ›superflache‹ Phänomene wie den K-Pop blickt. BTS aber haben schon lange das – nicht nur europäische – Begehren nach Tiefe in kunstvoller Überlistung inkorporiert; auch das mag der Grund für ihre durchschlagende Popularität sein. Sie können trotz ihres Vertrags bei Big Hit Entertainment eigene Songs zum Repertoire beisteuern und müssen das nicht arbeitsteilig professionellen Hitschreibern überlassen. Auch politische Aussagen sind ihnen nicht vom Management untersagt – sie treten mit ihrer kugelsicheren Cuteness an, um für Frieden, internationale Versöhnung und Verständigung zu sorgen. Eine Rede vor den Vereinten Nationen schließt der Bandleader RM mit den Worten: »Like most people, I made many mistakes in my life. I have many faults and I have many fears, but I am going to embrace myself as hard as I can, and I’m starting to love myself, little by little.«
Die inszenierte Bodenständigkeit führt überdeutlich vor, unter welchem Anforderungsdruck BTS stehen, zum einen bezüglich der Imagekonstruktion, aber vor allem auch mit Blick auf die Effizienz ihrer Veröffentlichungen. Seit ihrer Gründung 2013, also innerhalb von sechs Jahren, haben sie elf Alben, zwei Reissues und fünf EPs herausgebracht, daneben zahlreiche Tourneen und TV-Auftritte absolviert. BTS haben es eilig, und das hat einen ganz bestimmten Grund, der den Verschlingungen zwischen K-Pop, Kawaii und Kugelsicherheit eine ganz neue Dramatik hinzufügt. Weil sich Südkorea offiziell im Krieg gegen Nordkorea befindet, schreibt der Artikel 39 der südkoreanischen Verfassung allen männlichen Staatsbürgern vor, zwei Jahre lang dem Militär zu dienen und mit spätestens 28 anzutreten; ausgenommen sind Träger besonderer Verdienste im Spitzensport und in der klassischen Musik, nicht aber K-Pop-Stars. Für BTS bedeutet das, dass sie nächstes Jahr ihr ältestes Mitglied Jin ans Militär verlieren und seine Bandkollegen ihn nach und nach werden ablösen müssen – eine Aussicht, die viele K-Pop-Bands zur stillen Auflösung zwingt. Bei einer Straßenumfrage des Senders Asian Boss, ob BTS nicht vom Dienst befreit werden sollten, sind sich die Befragten uneinig: Während insbesondere die Ex-Soldaten betonen, dass der Militärdienst nicht nur nützlich, sondern auch charakterbildend sei, weshalb ihn gerade K-Pop-Stars durchlaufen sollten, sehen andere in BTS eine ›Soft Power‹, die zum derzeitigen ökonomisch-kulturellen Aufschwung Koreas beiträgt wie kaum ein anderer Zweig. Auch viele führende Politiker sind inzwischen der Ansicht, dass das Potenzial des K-Pop in seiner Durchschlagskraft dem ›harten‹ Dienst in nichts nachsteht und dort schlicht verschwendet wäre.
Doch möglicherweise haben wir es hier gar nicht mit einem Gegensatz, sondern vielmehr mit einer Kontinuität zu tun: Ebenso wie Militär-Elemente im K-Pop ihren festen Platz haben, durchdringt Kawaii den militärisch-industriellen Komplex Japans wie Südkoreas. »The Japanese Military Is Getting Offensively Cute«, titelte vice.com vor einigen Jahren und spielte damit auf eine bevölkerungsdidaktische Offensive Japans an, bei der ein eigens produzierter Animefilm das Militär erklärt und dessen niedliche Figuren auch einige Militärflugzeuge zieren. Ganz in diesem Sinne schließt die koreanische Popkultur Listen mit den demnächst einberufenen K-Pop-Stars, ihre ›Wiedervereinigung‹ in Militärparaden sowie Promotion-Videos ein, in denen etwa die nun buchstäblich soldatischen Mitglieder der K-Pop-Band BIGBANG zusammen mit anderen Soldaten ihren Song »Sunset Glow« performen. Vielleicht haben BTS deshalb keine Scheu, eingezogen zu werden, und wehren sich gegen die mediale Beleidigung, sie wollten sich vor dem Dienst drücken. Denn sie wissen: Auch wenn die Band kurzzeitig am Dienst zerbrechen sollte, der Übergang von der ›Soft Power‹ in die ›Hard Power‹ ist seinerseits ein weicher.