Zur symbolischen Repräsentation von Ungleichheit durch monetäre Topoi im deutschen Gangstarap
1. Einleitung
„Der Stolz eines Rappers, der im Gangsta-Style lebt, ist sein Geld“, heißt es in einer Titelgeschichte des Nachrichtenmagazins DER SPIEGEL (5/2020, S. 10). Gangstarapper würden Geld als Zeichen des Reichtums zur Schau stellen, etwa indem die Protagonisten Interviews in eigens gecharterten Flugzeugen geben oder teure Besitztümer in Musikvideos und Social-Media-Postings zeigen. Vor allem verweist der Leitartikel aber auf die lyrischen Stellungnamen der Rapmusiker. Durch eine Auszählung der Häufigkeit monetärer Vokabeln in den Songtexten des Genres „Deutschrap“ können die Autoren die quantitative Relevanz monetärer Topoi für diese popkulturelle Darstellungsform aufzeigen. Die Datenbasis setzt sich aus den Texten der einhundert meistverkaufen (oder gestreamten) Titel des Genres zusammen, in denen sie die Häufigkeit der Vokabel ‚Geld‘ und ihrer Synonyme (etwa Cash, Scheine, Patte, Para u.v.m.) ausgezählt haben. Diese erweisen sich als die am häufigsten verwendeten Vokabeln (S. 14), gefolgt von „Bruder“ (und „Bro“), „Nacht“, „Dicker“ („Digga“, „Diggi“) und einem unflätigen Wort für Geschlechtsverkehr.
Die Dominanz monetärer Topoi im deutschsprachigen Gangstarap dürfte kaum überraschen. Dennoch finden vor allem andere inhaltliche Themen in der feuilletonistischen und wissenschaftlichen Analyse dieses erfolgreichsten Musikgenres der Gegenwart Beachtung, etwa Geschlecht (aufgrund der notorischen Abwertung von Frauen, Gewalt oder Antisemitismus). Das ist verständlich, betreffen diese Topoi doch eindeutig gesellschaftliche Disparitäten, die ihren meist jugendlichen Hörer*innen von den Rappern in problematischer und herabwürdigender Weise vermittelt werden. Das Thema Geld mag dabei auch deswegen kaum näher betrachtet worden sein, weil es – im Sinne der Interpretation des Spiegels – wie triviale Angeberei wirkt.
Süß (2019) identifiziert in dieser Linie das „exzessive und überaus unverblümte Streben nach finanziellem Reichtum im Rap“ mit „(Markt-)Systemkonformität“ und fragt, wie diese Affirmation mit dem kritischen Impetus der „einst widerständigen Subkultur“ in Einklang zu bringen sei (Süß 2019: 30). Sie argumentiert, mit monetären Topoi würde eine „arglose Affirmation neoliberaler Werte um Materialismus, Konkurrenzaffinität oder Leistungsgerechtigkeit“ (ebd.: 32) transportiert, die letztendlich als Verteidigungsmanöver einer bedrohten Maskulinität gelesen werden müssten.
Dieser gendertheoretischen Interpretation der Verwendung monetärer Topoi im Deutschrap wollen wir nicht widersprechen. Unter Rückgriff auf die soziologische Geldtheorie können wir allerdings zeigen, dass die „neoliberale“ Gleichsetzung zu kurz greift. Mit dem Topos des Monetären ist keineswegs allein ein Indikator für Reichtum aufgerufen, den Rapper im Modus der Aufschneiderei heranziehen, um auf den eigenen Markterfolg zu verweisen (und sich damit ihrer Maskulinität zu versichern). Darum geht es natürlich auch; aber der Topos des Monetären ist gleichsam ein Medium der Darstellung ökonomischer Zusammenhänge und Disparitäten, denen sich die Rapper in ihrem Milieu – nicht nur in ökonomischer Hinsicht von ihnen gemeinhin als „Ghetto“ bezeichnet – ausgesetzt sehen. Ein genaueres Verständnis der durch die monetären Vokabeln im Rap aufgerufenen Sinngehalte kann deswegen, so unsere Ausgangsthese, auch an Untersuchungen ökonomischer Ungleichheiten anschließen. Die Erzählung wirtschaftlicher Strukturbedingungen nennen wir dabei die „Ghettoökonomie“.
Wie in den letzten Jahren in einer Reihe kritischer Beiträge betont worden ist, folgen liberal-kapitalistische Gesellschaften einem Entwicklungstrend hin zu mehr sozialer Ungleichheit. In den vorliegenden Studien wird diese Ungleichheit – vom Blickpunkt der (politischen) Ökonomie (Piketty 2013; Milanovic 2016) – unter Bezug auf Einkommen und Vermögen gemessen und ist daher klar quantifizierbar. Das hieraus folgende Argument lautet: Diskrepanzen in der Verteilung gefährden die Demokratie, weil sie innerhalb desselben Anspruchsgefüges auftreten und eben dort nicht länger legitimierbar sind. Oder, um es mit dem Berliner Rapper Bushido zu sagen: „Dein dickes Haus steht nur drei Bezirke weiter, aber trotzdem bist du Spast gleich um‘s Zwanzigfache reicher“ (103).[1]
Aus der Neuen Wirtschaftssoziologie wissen wir aber, dass Geld ein soziokulturell situiertes und dadurch diverses soziales Phänomen ist (Zelizer 1994; zur Übersicht: Degens/Sahr 2019). Es ist keineswegs ein rein numerisches Mittel und somit universelles Signal für ökonomischen Markterfolg, sondern Ausdruck spezifischer kultureller Deutungs- und Verhaltensmuster und Bewertungen, aber auch struktureller Eigentums- und Transaktionsbedingungen. Diese Ebene ist für die materialistische politische Ökonomie sozialer Ungleichheit nur schwer (oder gar nicht) zugänglich. Gleichzeitig zeigen sich hier diejenigen ungleichheitsrelevanten Facetten der Institution Geld, die rein numerisch nicht abzubilden sind. Erst die Einbeziehung soziokultureller Situiertheit macht verständlich, wie sich Quantitäten monetärer Assets auf der Ebene konkreter Akteure in monetäre Handlungsfähigkeit – Zahlungsfähigkeit – übersetzen. Mit dieser Übersetzung der quantitativen Realitäten ungleich verteilter monetärer Ressourcen in soziokulturell situierte qualitative Realitäten von Zahlungsfähigkeit beschäftigt sich dieser Beitrag.
Die situative Konstitution von Zahlungsfähigkeit ist methodologisch sowohl in der gesellschaftlichen Praxis als auch in ihren symbolischen Repräsentationen zugänglich. Unter Bezug auf Elemente aus den Bereichen der Neuen Wirtschaftssoziologie sowie der Cultural Studies untersuchen wir im vorliegenden Artikel deswegen Texte aus dem Feld des deutschen Gangstarap als einem der wichtigsten Genres der deutschen Populärkultur. Für die Analyse der Repräsentation sozialer Ungleichheiten ist dieses Genre vor allem deswegen von Interesse, weil die Auseinandersetzung mit Verteilungs- und Statusdiskrepanzen sowie hieraus resultierender Konflikte im Zentrum der (Selbst-)Inszenierungen seiner Protagonisten steht.
Indem wir die Bedeutung des Geldes als Ausdruck und Determinante sozialer Disparitäten um eine semantische Komponente erweitern, leisten wir einen Beitrag zum Verständnis der wachsenden monetären Ungleichheit liberal-kapitalistischer Gesellschaften. Nicht, weil wir ihre Entstehung aus Strukturen ökonomischer Benachteiligung (neu) erklären, sondern weil wir eine kulturelle Form der Darstellung von Ungleichheitserfahrungen präsentieren können, die Verteilungsdifferenzen als komplexe Exklusionserfahrung aus geldwirtschaftlichen Funktionsmechanismen und Inklusionsversprechen darstellen und kritisieren. Damit können wir herausarbeiten, auf welche Weise die Inklusionsnarrative kapitalistischer Gesellschaft hier versagen, weil die materielle Ungleichheit nicht mehr durch ein glaubhaftes Teilhabeversprechen legitimiert werden kann. Der konkrete Forschungsbeitrag ist hierbei ein doppelter:
Als wichtigstes Genre der populärsten Jugendkultur stellt Gangstarap ein zentrales Element der politischen Öffentlichkeit dar, in dem gesellschaftliche Probleme wie Marginalisierung und soziale Ungleichheit thematisiert werden. Den Nachweis hierüber erbringen wir anhand der analysierten Texte, die neben der materiellen Dimension monetärer Ungleichheit ebenfalls ihre symbolische Bedeutung für die gesellschaftlichen Anerkennungsverhältnisse transportieren. Unter Rückgriff auf die kultursoziologische Geldforschung können wir also exemplarisch zeigen, inwiefern die Identifikation monetärer Topoi mit unpolitischen Tropen des Reichtums kurzsichtig ist.
Ferner zeigen wir in der Textanalyse, dass die stilisierten Darstellungen dennoch tiefenscharfe Stellungnahmen zu monetären Strukturbedingungen in der „Ghettoökonomie“ transportieren. Hinter vordergründigen Ankündigungen individueller Aufstiegsbiografien durch musikalischen Markterfolg lassen sich zwei Thesen über die Reproduktion monetärer Ungleichheit identifizieren, die über das Beklagen rein quantitativer Divergenzen hinausweisen. Ein Präsentismus im eigenen Milieu und eine soziokulturelle Schließung der Zahlungskreisläufe verhindern die Entfaltung von Geld als universellem Funktionselement moderner Geldwirtschaften.
Diese fehlende Entfaltung lässt sich als politische Stellungnahme lesen. Die Zirkularität des Wirtschaftslebens im Präsentismus des Milieus verweist hier auf gesellschaftliche Deprivationserscheinungen, die im Gegensatz zum Inklusionsversprechen liberal-kapitalistischer „Geldgesellschaften“ (Paul 2017) als normativem und politischen Ordnungsrahmens stehen. Das im Präsentismus erstickte Freiheitsversprechen der Geldausgabe korreliert hier mit einer durch Schließungsprozesse verhinderte systematische Adressierung der Geldeinnahme. Damit erweist sich die bloß vermeintlich flache Prahlerei mit monetärem Vokabular als Stellungnahme zu scheiternden Integrationsverspechen kapitalistischer Ökonomien, die, wie zuletzt Piketty (2020) herausgearbeitet hat, auf eine Legitimation ökonomischer Ungleichheit durch glaubhafte Teilhabeversprechen angewiesen bleiben. Genau an diesem Wachstum aber können die Ghettoökonomien nicht partizipieren, wodurch der Topos des Monetären zu einem Medium der Einklage von Teilhabenversprechen wird.
Für unsere Analyse haben wir insgesamt 824 Songs aus 51 Alben der Rapper Bushido, Massiv, Haftbefehl und Xatar sowie der Rapperin Schwesta Ewa ausgewertet.[2] Die Auswahl beansprucht keine quantitative Repräsentativität, umfasst aber prägende Beiträge zur Erfolgsgeschichte des deutschsprachigen Gangstaraps. Die Songtexte wurden über das Portal www.genius.com abgerufen, wo sie von nicht professionellen Nutzer*innen eingepflegt wurden. Die Auswertung der Texte erfolge im Sinne der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (2015) in drei Schritten. In einer ersten Sichtungsrunde haben wir alle impliziten (das heißt narrativ umschriebenen) oder expliziten, beziehungsweise synonymen Verweise auf Geld im Text markiert. In einer zweiten Runde haben wir diese im Kontext interpretiert und verschiedene Typen der Bezugnahme identifiziert. In einer dritten Runde interpretierten wir diese schließlich im Kontext der Theorie (vgl. Abschnitt 2).
Im Folgenden wird zunächst (2.1) das Phänomen des Gangstaraps als Ausdruck sozialer Spannungen und Kämpfe um gesellschaftlich-politische Anerkennung dargestellt. Anschließend (2.2) zeigen wir, inwiefern der Topos des Monetären als potenzieller Teil solcher symbolischen Anerkennungskämpfe gelten kann. Durch eine Sichtung der soziologischen Geldforschung verdeutlichen wir, dass Geld entgegen ökonomischer Theorien und auch entgegen der einleitend vorgestellten Gleichsetzung monetärer Topoi mit Indikatoren für Reichtum für die Markierungen gesellschaftlicher Anerkennungsfragen geradezu prädestiniert ist, weil Geld selbst, soziologisch betrachtet, als soziokulturell situierte Anerkennungspraxis gelesen werden kann. Abschnitt drei stellt die empirischen Befunde unserer Textanalyse unter den theoretischen Leitaspekten dar. Ein abschließendes Fazit fasst die Befunde mit Blick auf weitere Forschungsfragen zusammen.
2. Forschungsstand und theoretischer Rahmen
2.1 Gangstarap zwischen Affirmation und Empowerment
Dieser Abschnitt dient der Beschreibung des Phänomens ‚Gangstarap‘ im Kontext der Populärkultur als Ort symbolischer Kämpfe um Anerkennung. Die spezifische Forschungsperspektive formulieren wir vom Blickpunkt der Cultural Studies unter besonderer Berücksichtigung auf die Dimensionen von Klasse und Ethnizität (Hall 2004). Die in historischer Abgrenzung zum ökonomistisch-autoritären (Partei-)Marxismus der 1950er Jahre etablierten Cultural Studies übernehmen aus dem marxistischen Denken eine konflikttheoretische Prämisse, die ihr genuines Interesse am symbolischen Gehalt (pop-)kultureller Repräsentationen ergänzt. Auf dem Feld der Kultur, so die Grundannahme, erzählt sich die Gesellschaft, wer sie (nicht) ist und wer sie (nicht) sein will. Soziale Identitäten werden hier dargestellt und von den Rezipienten (in mal mehr und mal weniger spielerischer Form) adaptiert (Willis 2013). Den Begriff der Kultur konzipieren Vertreter der Cultural Studies hierbei folglich konsequent unter politischen Aspekten:
„Popular Culture is always a culture of conflict, it always involves the struggle to make social meanings that are in the interest of the subordinate and that are not those preferred by the dominant ideology. The victories, however fleeting or limited, in this struggle produce popular pleasure, for popular is always social and political” (Fiske 1989: 3).
Angesichts dieser Konfliktorientierung und einem starken Fokus auf minoritäre Sichten stellt das Genre des Gangstarap für die Cultural Studies einen besonders interessanten Gegenstand dar (Seeliger 2013). Mit ihren Wurzeln in der New Yorker Bronx der späten 1960er und 1970er Jahre fungiert Rapmusik traditionell als Ausdrucksform der gesellschaftlichen Subalternen. Als Subgenre von HipHop ist Gangstarap gegenwärtig die wohl unter verkaufs- als auch aufmerksamkeitsökonomischen Aspekten erfolgreichste Variante dieser Kultursparte. Von hier aus durchläuft das Genre eine Entwicklung und Ausdifferenzierung – unter Bezug auf den US-amerikanischen Ursprungsmythos (Friedrich/Klein 2003) adaptieren lokale Akteure Rap und tragen so zu seiner weiteren Ausdifferenzierung bei. Während Rapsongs hierbei einerseits als Partymusik rezipiert werden, transportieren sie gleichzeitig jedoch häufig auch die prekären Lebenserfahrungen Jugendlicher und junger Erwachsener aus marginalisierten Stadtteilen.
Die stereotype Figur des (deutschen) Gangstarappers verkörpert in diesem Zusammenhang ein junger Mann mit (häufig türkischen oder arabischen) Migrations- und ohne Bildungshintergrund, der seinen Unterhalt mit kriminellen Handlungen wie dem Erpressen von Schutzgeld, Raub oder einem Engagement in Schwarzmärkten verdient. Die Bewältigung der alltäglichen Probleme beim Ausüben ebensolcher Tätigkeiten werden hier genauso thematisiert wie der Umgang mit dem verdienten Geld oder die als ablehnend erlebte Resonanz von Seiten der Mehrheitsgesellschaft.
Die Bedeutung von der Klassenzugehörigkeit ergibt sich einerseits durch ihre Verbindung „mit dem materiellen Leben und durch die Ökonomie selbst“ (Hall 1994: 69f). Innerhalb des gesellschaftlichen Systems der Leistungserstellung und Güterverteilung hat diese nicht nur unmittelbaren Einfluss auf den Zugang zu gesellschaftlichen Ressourcen, sondern prägt außerdem das Selbstverständnis von Personen – ob jemand arm oder reich ist, bezeichnet in der Regel nicht nur, ob er bestimmte Dinge besitzt, sondern auch, ob er bedient oder in Anspruch nimmt, Ansehen genießt oder sich unterordnen muss. Vor diesem Hintergrund lassen sich Gangstarapimages aus Sicht einer politischen Soziologie sozialer Ungleichheit auch als Images klassenpolitischer Auseinandersetzung betrachten: Es geht hier um Arme, die sich mit der (aus ihrer Sicht ungerechten) materiellen Privilegierung der Reichen nicht abfinden möchten.
Um die deutschsprachige HipHop-Kultur im Allgemeinen und Gangstarap als kulturellen „Ausdruck für gesellschaftliche Machtverhältnisse und rassistische Ausgrenzung“ (Schiffauer 2008: 125) verstehen zu können, ist es unerlässlich, die (west-)deutsche Ökonomie aus einer migrations- und klassenpolitischen Perspektive zu fokussieren. Die Restauration der bundesdeutschen Wirtschaft erfolgte nach dem zweiten Weltkrieg unter Beteiligung zahlreicher ausländischer Lohnabhängiger, deren Großteil zwischen 1955 und 1973 im Rahmen verschiedener Anwerbeabkommen ins Land geholt wurden. Ebenfalls stark repräsentiert unter den Genrevertretern sind die Nachkommen libanesisch-palästinensischer Flüchtlinge aus dem 1975 im Libanon ausgebrochenen Bürgerkrieg, im Zuge dessen zwischen ein- und zweihunderttausend Mhallamiye-Kurden (häufig über Ost- nach Westberlin) in die Bundesrepublik gelangten.[3] Selektiver Zugang zum Bildungssystem, ein prekärer Arbeitsmarktzugang sowie ein Mangel an politischer Repräsentation durch die etablierten Interessenorganisationen des deutschen Korporatismus (Bojadzijev 2008) bedingten eine Marginalisierung von Migrantinnen und Migranten über Generationen hinweg sowohl in ökonomischer wie auch sozialer Hinsicht.
Hieraus resultierende Exklusionserfahrungen manifestieren sich im deutschen Gangstarap bis heute sowohl ökonomisch als auch in Form subjektiver Anerkennungsdefizite (Seeliger 2017). An zentraler Stelle thematisiert werden in den Bildwelten des Genres die Verwehrung kultureller Teilhabechancen auf Grund rassistischer Ausschlüsse. Ein arabischer oder türkischer Migrationshintergrund aus dem islamischen Kulturkreis bringt die Protagonisten hier häufig in die Situation, sich mit entsprechenden Stereotypen auseinandersetzen zu müssen. Neben den Ausschlusserfahrungen ermöglichen es diese den Protagonisten jedoch gleichzeitig, an diejenigen Krisendiskurse anzuschließen, die junge Männer mit Migrationshintergrund häufig als Gewalttäter und Kriminelle stigmatisieren.
Wenn deutsche Leitmedien wie der Spiegel mit seiner Titelstory (1/2008) eine „Migration der Gewalt“ oder in der Ausgabe (13/2007) eine „stille Islamisierung Deutschlands“ beschwören, transportieren sie zur gleichen Zeit die symbolisch-kulturellen Rohmaterialien, die Rezipienten zur Konstruktion stereotyper Vorstellungen benötigen. Gleichzeitig, und so komplementiert die affirmative Dimension dieses Krisendiskurses auch ein Moment des Empowerments, dient den Gangstarappern (und womöglich auch einer Reihe von Rezipienten) die Profilierung über Rap (oder die dort inszenierten Tätigkeiten) als Ausweg aus dem Defizit an materiellen Gütern und Anerkennung (Seeliger 2013).
Dass eine für die Bildwelten des Genres typische Erzählung vor diesem Hintergrund vom sozialen Aufstieg gegen Widerstände handelt, ergibt sich unter Bezug auf eine, von Neckel (2008: 9) konstatierte, „Pflicht zum Erfolg“, die im neoliberalen Kapitalismus in dreifacher Weise erscheint: Eine „Ausweitung des sozialen Wettbewerbs“ (ebd.: 9) befördert erstens die Unterscheidung von Gewinnern und Verlierern zur Leitdifferenz sozialer Ordnungsbildung. Die „Individualisierung gesellschaftlicher Selbstzuschreibungen“ (ebd.: 10) erhöht zweitens die Verantwortung einzelner Akteure für ihr persönliches Schicksal. Die „Ausbreitung instrumentalistischer Verhaltensweisen und Einstellungen in zahlreichen Lebensbereichen“ (ebd.: 15) unterminiert die Eigenlogiken traditionell, affektueller, bürokratisch oder anderweitig strukturierter Wertsphären. Maßstab der Nützlichkeit des Handelns für die eigenen Interessen ist in der neoliberalen Subjektkultur der individuelle Erfolg.
Vor diesem Hintergrund dient Rap gegenwärtig als breit rezipiertes popkulturelles Medium, in dem unsichere Lebenslagen, die (kritische) Auseinandersetzung mit hegemonialen gesellschaftlichen Normen und Erwartungen sowie Stigmatisierungs- und Ausgrenzungserfahrungen aus Sicht sozial marginalisierter verarbeitet werden. Verstanden als popkulturelles Repräsentations- und Identifikationsangebot, so scheint es, passen Rap und hier insbesondere Gangstarap, damit auch ideal zu einem neoliberalen Modus von Gesellschaftlichkeit, der auf Konkurrenz, Durchsetzungsvermögen und der Selbstinszenierung des Subjekts als in seinen Zielen kohärent, überlegen und souverän beruht. Stellte HipHop-Kultur in ihrer Frühphase – mit Scharenberg (2001: 247) – noch einen „symbolische[n] Angriff auf die dominanzkulturelle Hegemonie“ der sozialkapitalistischen Gesellschaften des späten 20. Jahrhunderts dar, erkennen wir im zeitgenössischen Gangstarap eine Subjektkultur zwischen Affirmation und Empowerment.
2.2 Monetäre Topoi als politische Markierungen
Versteht man unter Rapmusik also im aufgerufenen Sinne ein Medium der Artikulation von Zugehörigkeiten, Zugehörigkeitsansprüchen, Abgrenzungen, Affirmationen oder Kritiken mehrheitsgesellschaftlicher Normen, lassen sich die Texte auf spezifische Sinneinheiten hin untersuchen, die ganz bestimmte Probleme adressieren und Positionen einnehmen. Vor diesem Hintergrund beschäftigt uns im Folgenden die Verhandlung monetärer Topoi in der deutschsprachigen Gangstarapmusik.
Dabei liegt es nahe, monetäre Topoi ganz im Sinne neoliberaler Hegemonie als Anzeigen individueller Markterfolge unter Bedingungen verschärfter Konkurrenz zu lesen (Süß 2019). Schon Simmel verwies darauf, dass die Sprache erheblichere Geldmittel als ‚Vermögen‘ – d.h. als das Können, das Imstandesein schlechthin – bezeichnet. […]. Die reine Potentialität, die das Geld darstellt, insofern es bloß Mittel ist, verdichtet sich zu einer einheitlichen Macht- und Bedeutungsvorstellung“ (Simmel 1989: 276).
Als Zuschaustellung von Reichtum verstanden wäre die Dominanz monetärer Vokabeln lediglich Teil einer Inszenierung des Subjekts als ökonomisch erfolgreiches Marktsubjekt, das sich durch sein Geschick und sein Durchsetzungsvermögen als potent erwiesen und damit auch, wie Süß (2019) argumentiert, „als Mann“ etabliert hat.
Für die Zentralität des monetären Topos in der Lyrik des deutschen Gangstarap spricht aus soziologischer Sicht allerdings noch mehr. Verweise auf Geld affirmieren nicht nur die neoliberale Erfolgskultur, die Markterfolge als Mittel zum persönlichen Empowerment propagiert. Der Topos Geld ruft weiterhin die Kategorie sozialer Anerkennung und damit die Differenz von Mehrheits- und Minderheitsgesellschaft, respektive Klassen- oder Gruppenidentitäten auf. Die Bedeutung von Geld im Kontext sozialer Anerkennungskonflikte geht damit über die Funktion von Geld als symbolischem Indikator für Reichtum (und damit, abgeleitet, sozialen Erfolg und Status) hinaus.
Einsichten aus der Geldsoziologie legen also die These nahe, dass es bei den Verweisen auf Geld nicht bloß um die Darstellung von Reichtum geht. Geld eignet sich aufgrund seiner sozio-kulturellen Konstitution für symbolische Anerkennungskämpfe, weil mit ihm selbst in drei Dimensionen die Kategorie der Anerkennung aufgerufen wird.
Erstens bedeutet Geld zu haben, zahlungsfähig zu sein und damit die Rolle einer Träger*in gesellschaftlicher Ansprüche einzunehmen. Volkswirtschaftlich wird Zahlungsfähigkeit als Liquidität verstanden, d.h. als bloßer Besitz von reinen Tauschwerten (Assets), mit denen Verbindlichkeiten ohne Wertverlust und Zwischenschritt abgegolten werden können. Die Soziologie hingegen stellt die soziale Dimensionalität von Geld als „unspezifizierte[r] Kaufkraft“ (Paul 2017: 225) heraus. Geld bedeutet schließlich nicht nur Zugriffsrechte auf eine bestimmte Sache, die für die Befriedigung konkreter Bedürfnisse genutzt werden kann, sondern stellt ein abstraktes Zugriffsrecht auf alle mit einem Preis versehenen und auf dem Markt feilgebotenen Waren dar. Geld verweist anders als der direkte Tausch von Waren gegen andere Waren deswegen nicht auf ein duales soziales Verhältnis zwischen Käuferin und Verkäufer, sondern auf ein genuin gesellschaftliches Verhältnis.
Geld, so bereits Simmel, sei deswegen selbst kein Wert, sondern eine „bloße Anweisung auf andere, definitive Werte […] eine Anweisung, deren Realisierung von der Gesamtheit des Wirtschaftskreises […] abhängt“ (Simmel 1989: 213). Der indirekte Tausch über Geld involviert „eine dritte Instanz: die soziale Gesamtheit, die für das Geld einen entsprechenden Realwert zur Verfügung stellt“ (Simmel 1989: 213). Wer zahlungsfähig ist, dem schuldet die Gesellschaft etwas, wer zahlungsfähig ist, der gehört also zur sozialen Gemeinschaft.
Als „ein intersubjektiv übertragbares individuelles Eigentumsrecht auf unbestimmte Güter zu einer unbestimmten Zeit“ (Deutschmann 2007: 162) stellt Geld eine „Beteiligungsmöglichkeit am Sozialprodukt“ (Heinemann 1987: 329) bereit, anerkannte Zahlungsfähigkeit ist „ein Symbol für Leistungsversprechen beziehungsweise für einen Leistungsanspruch“ (Kellermann 2017: 373) gegenüber der Gesellschaft, in der man zahlungsfähig ist. In diesem Sinne kommuniziert der Verweis auf das Ausmaß der eigenen Liquidität nicht nur Reichtum im Sinne von sozialem Status, sondern artikuliert auch einen Anspruch an abstrakte Dritte; den Anspruch, legitimer Empfänger von Leistungen zu sein, die man im Akt der Zahlung entgegennehmen kann.
Zahlungsfähigkeit ist zweitens ein Modus potenzieller Anerkennung anderer Vorleistungen als (innerhalb einer Bezugsgruppe) legitime Leistungsangebote. Geldbesitz bezeichnet demnach nicht nur eine ökonomische, sondern eben auch eine sozio-kulturelle Machtressource, die zur Ankerkennung anderer Ansprüche genutzt werden kann. Mit Preisen versehene Güter und Dienstleistungen (kurz: Waren) sind in einer marktbasierten Geldwirtschaft so lange potenziell mit einem Marktwert versehen, bis dieses Wertzeichen durch den Kauf mit Geld legitimiert wird. “In the act of payment”, schreibt Aglietta (2018: 33), “the collectivity […] gives back to each of its members what it judges it has received from that member through her activity”. Wer zahlungsfähig ist, wird zum Agenten des Kollektivs und kann (mit-)entscheiden, wessen Leistungsangebote am Markte kaufwürdig und damit ökonomisch wertvoll sind.
Verfügungsgewalt über Geld bedeutet somit nicht nur, selbst Anspruchshalter*in zu sein, sondern auch, andere Ansprüche – Marktpreise – anerkennen zu können. Wer eine Ware oder Dienstleistung verkaufen kann, wird als legitimer Gläubiger der sozialen Gruppe anerkannt, und die Schuld gilt sofort als beglichen. Zahlungen sind in diesem Sinne ein vergesellschafteter “mode of recognition” (Aglietta 2018: 39), wer zahlungsfähig ist, kann andere als legitime Anspruchshalter anerkennen. Als Käufer*in agiert ein zahlungsfähiger Akteur als Stellvertreter der Gesellschaft und legitimiert durch die Kaufentscheidung das Angebot der Verkäuferin. Zahlungsfähig zu sein, bedeutet demnach sowohl, Anerkennungsempfänger*in wie Anerkennungssender*in zu sein.
Drittens identifiziert die kultursoziologische Kritik an den „universalistischen“ Geldtheorien einen Zusammenhang zwischen Geld und der Artikulation von Anerkennungsansprüchen. Universalistische Geldtheorien fokussieren Geld etwa als „unspezifizierte Kaufkraft“ oder als ein „symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium“ (Luhmann 1994) oder schlicht als ein allgemein begehrtes „absolutes Mittel“ (Simmel 1989). In solchen Perspektiven taucht Geld nämlich als etwas auf, das zunächst einmal von sozialen Kategorien oder kulturellen Bedeutungsdifferenzen verschont zu bleiben scheint; „unspezifizierte Kaufkraft“ können alle Akteure einer Gesellschaft begehren und besitzen, sofern sie Rechtssubjekt sind, „unspezifizierte Kaufkraft“ ist für alle das Gleiche.
Die soziologische und kulturwissenschaftliche Forschung hat allerdings immer wieder darauf hingewiesen, dass Zahlungsfähigkeit in ihrer kontextabhängigen Konstitution durch kulturelle Praktiken und Routinen insbesondere für die Affirmation oder die Infragestellung von (Gruppen-)Identitäten verwendet wird. Den Vorgang, in dem vermeintlich eigenschaftsloses und universelles (das heißt für alle Akteure gleich funktionierendes) Guthaben durch kulturelle Muster und soziale Routinen mit Bewertungen versehen wird, die ein und derselben Summe an Geld ganz unterschiedliche Wertigkeiten, Einsatzmöglichkeiten, Zwecke oder Bedeutungen zuweisen, hat Zelizer (1994) als „earmarking“ bezeichnet. Sie verweist auf die kulturelle Konstitution von Zahlungsfähigkeit; diese zerfällt je nach Bezugs- und Verwendungskontext in der Praxis in ganz unterschiedliche Phänomene. Ebenso wird das vermeintlich „eigenschaftslose“ Geld, manchmal abhängig, manchmal unabhängig von der Bezugsweise, unterschiedlichen Praktiken der Weiterverwendung zugewiesen. Gewonnenes Geld kann beispielsweise gegenüber verdientem unterschiedlich wahrgenommen, eingeordnet und eingesetzt werden.
Bestimmte Gemeinschaften, Gruppen oder Milieus können dabei ganz verschiedene, aber jeweils in sich stabile Routinen der Bedeutungszuweisung etablieren, die Gruppenidentitäten oder milieuspezifische Zugehörigkeiten ebenso stärken, wie sie Abgrenzungsprozesse nach Außen unterstützen (Wilkis 2018). In diesem Sinne muss also Zahlungsfähigkeit selbst auch innerhalb einer Gemeinschaft durch Unterscheidungen und Markierungen sozio-kulturell konstituiert werden und kann erst dann etwaige spezifische oder unspezifische Funktionen erfüllen. Es wäre zu vermuten, dass in dieser Abhängigkeit des vermeintlich universellen Tauschmittels Geld von kulturellen Bedeutungszuschreibungen und -einbettungen auch ein symbolischer Kampf um Anerkennung artikuliert werden kann und es deswegen ein so geeigneter Topos für Raptexte ist, die sich zwischen Affirmation und Empowerment in sozialen Kämpfen positionieren.
3. Teufelskreise und Pokerspiele. Zur (scheiternden) Konstitution von Zahlungsfähigkeit
Geldwirtschaften sind durch eine Differenz der Akte des Verkaufens und des Einkaufens charakterisiert. In Geldwirtschaften stellen Haushalte spezialisierte Produkte her, um sie auf dem Markt gegen das Zwischentauschmittel Geld zu tauschen und dieses Geld später wiederum in die Produkte anderer zu überführen; in Karl Marx Notation geht es um den Austausch von Waren (W) gegen Geld (G) und Geld gegen Waren, W – G – W. Aufgrund der arbeitsteiligen Spezialisierung auf die Produktion bestimmter Waren sind die Akteure einer Geldwirtschaft dem Imperativ der Einkommensgenerierung ausgesetzt; sie müssen ihre Zahlungsfähigkeit ständig reproduzieren, um ihr ökonomisches (und damit auch physisches) Überleben zu sichern (Paul 2017). Diesem Imperativ wird in der Geldtheorie gemeinhin ein Gewinn an Freiheit oder Handlungsfähigkeit gegenübergestellt. Der Freiheitsgewinn der Geldausgabe ist die Kehrseite des Imperativs der Geldeinnahme. Diese Freisetzung an Handlungsfähigkeit entspringt der Generalisierung des Geldes als Zwischentauschmittel (Heinemann 1987).
Weil das erworbene Budget weder in Bezug auf seinen Verwendungszeitraum noch sein Verwendungsziel festgelegt ist, schafft es räumliche und zeitliche Freiheiten, dann und für das ausgegeben zu werden, das zu dem Zeitpunkt verfügbar und begehrenswert ist. Während einzelne W nur bestimmte Bedürfnisse befriedigen können und dabei nur für einen Zeitraum oder sogar nur zu einem Zeitpunkt zu Verfügung stehen können (etwa, weil sie verderben), schafft Zahlungsfähigkeit die Chance, sich zu orientieren, Handlungsentscheidungen aufzuschieben und dann auf zukünftige Bedürfnislagen zu reagieren, wenn sie auftreten (Luhmann 2001; Esposito 2010). Georg Simmel hatte Geld deswegen bekanntlich als ein „absolutes Mittel“ bezeichnet (Simmel 1989), das Handlungssouveränität verspricht, weil es in seinem Einsatz unbestimmt bleibt (vgl. Kraemer 2018).
Die Spannung zwischen Zahlungsfähigkeit als Imperativ (der ständigen Erneuerung) und Handlungsversprechen (des „absoluten Mittels“) prägt die Geldwirtschaft. Ihre Ausgestaltung kann aber in der kultursoziologischen Betrachtung keinem „universell“ verfügbaren sozialem Sachverhalt „Geld“ zugeschrieben werden, wie Zelizer (1984) prominent hervorgehoben hat. Zahlungsfähigkeit ist keine einheitlich, d.h. für jeden Akteur in jeder Situation auf dieselbe Weise konstituierte und fungierende Eigenschaft. Vielmehr ist Zahlungsfähigkeit situiert und kulturell codiert. Sie wird durch kulturell spezifische Praktiken und Deutungsmuster geformt und performt. Geld als Funktion und Geld als Summe von Geldbeträgen ist auf differenzierte Weise in soziale Sinnsysteme eingebettet.
Folgt man der Kultursoziologie des Geldes in diesem wichtigen Schritt, muss in einem nächsten auch die für Geldwirtschaften konstitutive Spannung zwischen Zahlungsfähigkeit als Imperativ (der ständigen Erneuerung) und Zahlungsfähigkeit als Handlungsversprechen (des „absoluten Mittels“) ebenso als situiert betrachtet werden. Das heißt als Phänomen, dass nicht für einen Währungsraum oder gar eine Gesellschaft allgemein, das heißt überall und für jeden Akteur gleichermaßen, also universal verfasst ist, sondern ebenso in sozialen und kulturellen Bezugssystemen eingebettet, oder eben: situiert ist. Eben jene Situiertheit ist es, die in der rein quantifizierten Betrachtung monetärer Ungleichheit als messbare Einkommensdifferenzen nicht erfasst, in den Repräsentation geldwirtschaftlicher Strukturen im deutschen Gangstarap aber erstaunlich genau markiert wird. Auch wenn die beiden Aspekte von Zahlungsfähigkeit – dem (1) Freiheitsversprechen zum Preis eines (2) Imperativs der ständigen Erneuerung – ko-konstitutiv und damit analytisch kaum zu trennen sind, werden wir in den nächsten beiden Absätzen doch jeweils eigene Schwerpunkte setzen: zunächst auf das in einem Präsentismus erstickten Freiheitsversprechen der Geldausgabe und danach auf eine durch Schließungsprozesse verhinderte systematische Adressierung der Geldeinnahme.
3.1 Scheiternde Freiheitsversprechen: Präsentismus der Ghettoökonomie
Der Einspruch gegen eine rein quantifizierte Betrachtung monetärer Ungleichheiten kann man dem im deutschen Gangstarap wiederholt vorgetragenen Vorwurf an das eigene Milieu – die „Ghettoökonomie“ – entnehmen, die Angehörigen des von den Rappern beschriebenen Milieus würden sich in einen Präsentismus flüchten. Geldwirtschaftliche Vorgänge werden immer wieder als sinn- und zwecklose Wiederholungen zirkulärer Muster von Einnahmen und Ausgaben beschrieben, die der ansonsten als geschlossen präsentierten Ghettoökonomie (dazu mehr im nächsten Abschnitt) letztendlich Zahlungsfähigkeit entziehen und sie für die Bewohner*innen zu einem Nullsummenspiel der Prekarität werden lässt.
Das Freiheits- oder Handlungsversprechen des „absoluten Mittels“ finden die künstlerischen Kommentatoren der Ghettowirtschaft[4] häufig gar nicht vor, wohl aber freilich den Imperativ der ständigen Erneuerung von Zahlungsfähigkeit. Die Einnahmen ihrer Milieukolleg*innen sind aber derart eng mit den Ausgaben verschaltet, dass sich der Zeitgewinn gar nicht zeigen, die Atempause der Wahl gar nicht herausbilden, die Wahlfreiheit des absoluten Mittels nicht völlig entfalten kann. Einnahmen werden in der Ghettoökonomie nämlich vor allem für den Vollzug zweier Praktiken erzielt, die in den Texten klar – auch wenn sich die Künstler selber davon nicht frei machen wollen – negativ konnotiert werden. Glücksspiel und Drogenkonsum: „Jeder dealt, jeder spielt, Novoline und Sportwetten, Jeder zieht durch lila Scheine, oder schluckt die Schlaftabletten“ (14), heißt es bei Massiv im „Ghettolied 2011“. Das durch Dealen eingenommene Geld fließt in Kokain, Sportwetten und Spielautomaten (Novolines). „Wir drehen uns im Kreis“, erklärt er an anderer Stelle resümierend, schon als Kind hätte dieses zirkuläre Nullsummenspiel begonnen, das den eh schon unwahrscheinlichen Aufstieg und Ausstieg aus der Ghettoökonomie gänzlich verhindert. Schon „unsr’e Kindheit haben wir auf der Straße verbracht; Was fürn‘ Taschengeld? Hier werden Drogen verpackt. Wenn du die Scheine in die Novoline machst, dann beginnt ein Kreislauf, sodass du gar nichts mehr schaffst. Und wir drehen uns im Kreis“ (25). Einfach „jeder verzockt sein Geld im Café“ (13), da nimmt sich auch mancher Künstler nicht aus, berichtet doch Bushido auf einem frühen Demotape noch ganz zufrieden von seinem Tagesablauf: „erstmal kräftig cashen, dann ab ins Casino“ (52). Der Lebensstil des Geldvernichters am Glücksspielautomat und Drogenkonsumenten – „Habibos hängen in den Spielos, schmeißen Geld raus; knallen uns das Testo rein und schnüffeln all das Flex auf“ (99) – muss durch Beschaffungskriminalität finanziert werden und wird so zum von Massiv beschriebenen Kreislauf; auch staatliche Zuwendungen oder die Verpfändung von Vermögenswerten genügen hier nicht: „Im Novoline steckt das Arbeitslosengeld II, dicke Königsketten enden hier beim Pfandverleih“ (22). Es ist ein schneller, aber repetitiver und stagnierender Kreislauf: „Kriminell, Lebensstil: Asostyle, schnelles Geld, Spielothek, Novoline“ (109).
Das Motiv des Kreises wird selbst von der Rapperin Schwester Ewa bedient, die ihre Biografie eigentlich als Aufstiegsgeschichte aus der Prostitution in die Zuhälterei erzählt; Gerichtsverfahren in der realen Welt bezeugen hier die Authentizität. Aber auch das damit verbundene quantitative „Mehr“ an Einnahmen durchbricht nicht die Repetitivität der Ghettoökonomie: „Damals: Hunger, heute hab‘ ich Kummer, sehne mich nach Normalität, Denn da wo ich leb‘ wird Liebe, nicht Kohle eingetauscht. Den Profit gibt man am Novoliner aus, Teufelskreis, ein Teufelsleid“ (110), berichtet sie im Song „Szenen meines Lebens“. Immer wieder beschreiben die Rapper damit die Akteure der Ghettoökonomie als gefangen in dem, was Beckert (2018) als zirkuläre Zeitstruktur (eigentlich) vorkapitalistischer Ökonomien identifiziert, pointiert zusammengefasst in Xatars Formel: „Nutten bringen Geld, Geld bringt Nutten“ (46). Sie verweist auf einen sinnlosen Teufelskreis, in dem dieselbe Ware einmal gegen Geld verkauft und kurzerhand wieder eingekauft wird, W – G – W wird zum Zirkel, zuerst wird Geld durch Prostituierte eingenommen und dann für Prostituierte ausgegeben. Oder es wird durch Drogen eingenommen und dann verspielt oder wieder in Drogen umgesetzt.
Wer also Geld durch Zuhälterei verdient, um es danach wieder in den Konsum von Sex zu versenken, wer zuerst unter hohem Risiko dealt und dann das Geld mit geringen Gewinnchancen verspielt oder wieder in Drogen reinvestiert, der beteiligt sich an einem immergleichen Verschiebebahnhof ohne individuelle Chancen des Auf- oder Ausstiegs, aber eben auch ohne die Erzeugung von einem „Mehr“, aus dem sich eine Perspektive von Wohlstandswachstum für die Ghettoökonomie insgesamt entwickeln könnte. Das heißt freilich nicht, dass die Rapper nicht für sich selbst (und ihre Familie) Auswege aus dieser Stagnation sähen, sei es durch musikalisches Talent oder geschicktes Investieren; aber sie sind eben auch – und das interessiert uns hier – als Beobachter ihrer eigenen monetären Umwelt tätig – und die ist geprägt von repetitiver Stagnation. Im Sisyphos-Zirkel situiert ist das Geld, so kann man diese Vorwürfe interpretieren, gar kein „absolutes Mittel“ (Simmel 1989), sondern reines Instrument der Wiederholung der immergleichen Gegenwart: Drogenverkaufen, Geldverspielen; Geld beschaffen, Drogenkaufen – „das Leben gleicht ’nem Teufelskreis.“ (111)
Mit Zelizer kann das spärliche Einkommen gar nicht seine bloß vermeintlich universelle Eigenschaft eines absoluten Mittels entfalten, weil der Konsum von Drogen und Glücksspiel (und Prostitution) vormarkiert ist („earmarking“). Damit stehen die Ghettoakteure zwar unter dem Imperativ einer Geldwirtschaft, ohne an den Wahlfreiheitsgewinnen partizipieren zu können; und zwar nicht (nur), weil es quantitativ an Zahlungsfähigkeit mangelt (das tut es sicherlich auch, denn „was soll man tun, wenn das Geld nicht reicht, in der Spielothek sitzt voller Selbstmitleid?“ (112)), sondern weil sie in einen Präsentismus, das heißt zirkulär situiert ist. Stellen wie „Du starrst auf deine Freunde ihren Lohn, du kannst es schaffen, doch du polierst dem Dealer seinen Thron“ (19), „du wirst dich niemals ändern geh zum Pokern junge und verspiel dein Lohn“ oder „Viele schlafen auf der Bank im Park, statt die Miete zu bezahlen wird’s fürs Crack gespart“ (24) verweisen, wie auch viele der zuvor zitierten Einsichten, dass die Rapper den Milieuakteuren hier durchaus agency zusprechen und damit die Aufrechterhaltung zirkulärer Zeitstrukturen, die das „absolute Mittel“ unterminieren, den Handlungsentscheidungen der Akteure selbst zuschreibt.
Es geht ihnen in diesen Beispielen nicht nur um das Bemängeln eines Geldmangels, als vielmehr um die Problematisierung einer schädlichen Situiertheit von Zahlungsfähigkeit in „Teufelskreisen“ – es geht um die Kritik an einem „Lebensstil“, nicht nur an passiven Sachlagen. Auf die Betonung der agency der Ghettoakteure verweisen viele der zitierten Formulierungen des „Lebensstils“: anstatt der Miete wird das Geld für Drogen gespart, man könnte es schaffen, doch gibt das Geld dem Dealer, sobald man sich für den Novoline-Spielautomat entscheidet, beginnt ein Kreislauf. Die Rapper betätigen sich als Schützenhilfen eines „Aktivierungsstaats“ (Lessenich 2008), der mit der Trägheit alltäglicher Geldverschwendungspraktiken und mangelnder Motivation zu kämpfen hat. „Geh und frag jeden, der hier auf der Straße wohnt: 9 von 10 Leuten kriegen ihren Arsch nicht hoch“ (114); nur, so scheint es, ein Mentalitätswandel könnte diesen Teufelskreis durchbrechen, denn „nichts verändert sich, wenn du das Gegenteil von hungrig bist“ (115), die Neuausrichtung auf den Imperativ der Geldeinnahme.
3. 2 Prekärer Imperativ: Geschlossenheit geldwirtschaftlicher Ströme
Mit dem Motiv eines schädlichen Kreislaufs (viscious cycle) problematisieren die untersuchten Songs die soziokulturelle Schließung der Ghettoökonomie. Die Rapper bleiben also bei einer reinen Kritik des zirkulären Nullsummenspiels als dominante pragmatische Lebensausrichtung nicht stehen. Schließlich klang in den zitierten Stellen schon die selbstreflexive Wahrnehmung des „Teufelskreis“ als „Teufelsleid“ an, dem einige doch immer wieder zu entfliehen versuchen, aber offenbar scheitern. Damit machen sie nicht nur auf eine Situiertheit von Zahlungsfähigkeit in einem „Lebensstil“ der Ghettoökonomie aufmerksam, durch die geldwirtschaftliche Imperative bestehen bleiben, die ihnen angeblich stets korrespondierenden Freiheitsversprechen aber verlorengehen.
Bereits der eingangs zitierte Leitartikel hat gezeigt, dass die Rapper selbst reich werden wollen oder bereits monetär wohlhabend sind. Dabei wollen manche dem Ghetto entfliehen, andere aber durchaus bloß mit mehr Vermögen ihrem Herkunftsmilieu treu bleiben; „Im Traum lass ich mir ‘ne Villa in das Ghetto bau’n“ (20). Die Künstler vermitteln uns über solch individuellen Utopien hinaus den Wunsch nach monetärem Aufstieg der Ghettoökonomie (oder wenigstens ihres persönlichen Netzwerks) insgesamt. Sie wollen also monetäres Wachstum, wollen Akkumulation statt Stagnation. Der zirkulären Zeit setzen sie „imaginierte Zukunft“ (Beckert 2018) entgegen, in der individueller Wohlstand sich selbst und wenigstens noch der Familie zugutekommt. Statt auf sinnlosen Konsum zu setzen und Zahlungsfähigkeit zu vernichten, das heißt anstelle von einem „Stern auf der Haube“ träumt man „davon, dass ich Mama bald ein Haus kaufe“ (63). Für Xatar war es sein „schönster Tag im Leben, als ich es geschafft hab‘, Mama Geld zu geben“ (69) und auch Bushido verspricht rührend, „Ich bin ein guter Sohn, der seine Mutter liebt und wenn er reich wird, es alles seiner Mutter gibt“, mehr noch: „du bist mein gleiches Blut, du bist mein Fleisch und Blut, irgendwann leben wir, so wie‘s die Reichen tun“ (116). Der Weg dahin ist ebenso eindeutig, „Ich tausche ein bis zwei Alben gegen bares Geld und in zwei bis drei Jahren bin ich reich wie sau“ (117), erklärt Bushido den Prozess in barrierefreier Klarheit. Markterfolg mit Rapmusik ist der von unseren Künstlern präferierte Weg zu individuellem Erfolg und familiärer Versorgung.
Die von uns untersuchten popkulturellen Repräsentationen der Ghettoökonomie sind aber nicht nur Geschichten des individuellen Wohlstandszuwachses durch die Belieferung des Marktes mit erfolgreichen Musikproduktion. Sie beinhalten auch Stellungnahmen zu den (fehlenden) Chancen allgemeiner Wohlstandszuwächse. Der individuelle Aufstieg geht mit dem Wunsch nach mehr Wohlstand der erweiterten Bezugsgruppe einher; der Plan ist: „wir machen Cash bis hier jeder einen Benz fährt“ (66). Dafür aber darf die Ghettowirtschaft nicht nur stagnieren. Sie muss expandieren, kurz: es braucht mehr als einen Sisyphos-Kreislauf von W – G – W, vom Dealen zum Verzocken. Schließlich sollen im Endeffekt alle „hier Geld verdienen, jeder will hier groß raus“ (99). Haftbefehl versucht seine peers mitzuziehen, „guck, dass du dein Geld machst, so schaffst du den Abgang aus der Parallelgesellschaft“ (101).
Damit der monetäre Aufstieg der gesamten erweiterten Bezugsgruppe gelingt, müsste Zahlungsfähigkeit innerhalb der Ghettoökonomie tatsächlich quantitativ vermehrt werden; denn, dass die monetären Mittel generell vorhanden sind, ist auch aus dem Ghetto heraus leicht zu sehen. Allerdings verweisen die von uns untersuchten Repräsentationen geldwirtschaftlicher Verhältnisse in der Ghettoökonomie auf ein Bewusstsein für die strukturellen Grenzen der, wiederum praxeologisch-kulturell situierten, Reproduktions- und Expansionsversuche von Zahlungsfähigkeit. Ganz grundsätzlich wird es also, wenn Haftbefehl mehr oder weniger ratlos fragt: „woher kommt das Geld, von wo?“ (80). Die primäre Antwort auf diese Grundsatzfrage fällt ernüchternd aus: wer nach dem Kreislaufprinzip „Nutten bringen Geld, Geld bringt Nutten“ oder „jeder dealt, jeder spielt“ sein Einkommen zu vergrößern sucht, also von W – G – W auf die Vermehrung von G zu mehr Geld (G) umsteigen will, kann die Gelddifferenz nur innerhalb der Ghettoökonomie abschöpfen. Was fehlt, ist eine Möglichkeit der Generierung von (monetärem) Mehrwert.
Hier zeigt sich das von Zelizer beschriebene „earmarking“ deutlich. Zelizer hatte damit auf den Umstand verwiesen, dass Geld keine rein abstrakte und „universale“, das heißt für alle Akteure in jedem sozio-ökonomischen und kulturellen Kontext identische und gleichwirksame Funktionen erfüllt. Vielmehr wird Zahlungsfähigkeit situativ konstituiert, durch soziokulturelle Markierungen von Einkommensformen und Verwendungsweisen. Zahlungsfähigkeit ist eine zweiseitige Praxis sozialer Anerkennung, einmal, weil als legitim erachtete Zahlungen die erworbene Leistung der Leistungserbringer*in ebenso legitimiert (Aglietta 2018), ferner, weil der Ausweis von Zahlungsfähigkeit der/des Halter*in als legitime/n Erheber*in eines Anspruchs innerhalb einer Gruppe positioniert (Simmel 1989).
In den von uns untersuchten Repräsentationen der Ghettoökonomie wird deutlich, dass es bei der Herstellung von Zahlungsfähigkeit in diesem Sinne nicht um ein rechtliches Verhältnis geht, sondern um ein soziokulturell situiertes: Zahlungsfähigkeit ist nicht einfach mit dem Eigentum an einer (möglichst großen) Quantität an monetären Vermögenswerten gleichzusetzen. Die soziokulturelle Situiertheit zeigt sich etwa daran, dass Zahlungsfähigkeit immer wieder als Kategorie des persönlichen Prestiges gerahmt wird. Dort etwa, wo uns Xatar davon berichtet, dass er seine Zahlungsfähigkeit sogar durch Prestige substituieren kann, auch ohne Geld bekommt er – weil man „ihn kennt“ – in einem Club Freigetränke: „Flaschen auf’n Tisch – ich zahle gar nix! […] Du kennst Hafti-Abi – ich zahle gar nix!“ (47).
Eine zentrale Bedeutung kommt bei diesem framing der Quelle des Einkommens zu, was, wie wir von Zelizer wissen, für den Umgang mit Geld im Allgemeinen und nicht nur in der imaginierten Ghettoökonomie normal ist. „Mir ist es egal, ob du in der Tasche Geld hast“, stellt etwa Massiv fest, „ich kann dir erklären, wie man auf der Straße Geld macht“ (31). Es genügt also nicht, Geld zu haben, um einem allgemeinen Imperativ der ständigen Erneuerung von Zahlungsfähigkeit zu genügen, man muss ihm auf eine bestimmte, nämlich milieukonforme Weise genügen. Nicht das Haben von einem quantifizierten Vermögenswert ist für eine situierte Konstitution von Zahlungsfähigkeit hinreichend, sondern, dass sie „auf der Straße“ konstituiert wurde.
Schnell wird klar, was „auf der Straße“ nicht heißt. Durch negative Markierungen als anerkannte Einnahmequelle ausgeschlossen ist etwa der Kredit. Wer den Mercedes mit geliehenem Geld kauft, ist ein „Blender“, der „in der Gürteltasche“ offenbar „keinen Cent“ hat (44; vgl. 67). Wer sich verschuldet, muss diesen Malus schnell beseitigen, sonst wird man brüskiert: „zahl‘ mal lieber deine Schulden ab, du Mietnomade“ (118). Schulden indizieren Schwäche, weil sie in den finanziell beengten Grenzen der Ghettoökonomie eben häufiges Scheitern implizieren – „Wenn du willst leih‘ ich dir Geld, obwohl ich weiß, dass du dich drückst, Bruder, vor Verpflichtungen, vor Wahrheiten, du sitzt auf ’ner ganzen Menge Schulden, doch du zahlst auch nix zurück, Bruder; Schwäche brennt sich durch deinen Körper, du erstickst“ (119) – ein Scheitern allerdings, das dann zu Lasten der anderen im Milieu geht, nicht zu Lasten externer Quellen, geht es doch explizit nicht um einen Bankkredit. Schulden korrumpieren also Nahbeziehungen, wie Bushido etwa am Beispiel der Zwangsprostitution erklärt: „Es wurde immer mehr, und auch die Schulden kamen. Er gehörte nicht zu diesen Männern die geduldig waren. Und was er dann verlangte konnte sie nicht verstehen. Er zwang sie nur für seine Sucht auf den Strich zu gehen.“
Ebenso ist der Zufall als Ursprung der Zahlungsfähigkeit insofern ausgeschlossen, als dass „ein Fuffi aus dem Novoline“ auch „keinen Wert“ (41) hat. Das leuchtet ein, bedenkt man die Identifikation des Glücksspiels als Ausdruck eines die Ghettoökonomie lähmenden Präsentismus. Kaum Anerkennung gibt es außerdem für den Bezug von Sozialleistungen, zwischen denen kaum erkennbare Statusunterschiede gemacht werden, „der eine ist auf Schulden, der andere auf Hartz“ (10); ein geliehenes Auto taugt ebenso wenig zum Prestigegewinn wie Einnahmen aus Sozialleistungen, sie sind, anerkennungsökonomisch, Substitute: „Papi leiht dir seinen Benz und du drückst Gas, fährst auf Reserve, Undercover 4 Hartz“ (75).
Der Bezug von Sozialleistungen ist zwar im Ghetto allgegenwärtig, erlaubt aber auch nicht die Freiheiten eines „absoluten Mittel“, jedenfalls nicht in der Performance. Weder mit einem auf Pump gekauften Mercedes noch „auf Hartz IV“ kann echte Teilhabe am Ghettolebensstil sichergestellt werden. „Lak, was für Playboys, ihr seid Hartz-IV-Diddys, Portemonnaie: zwei Fuffies, ihr seid Blowjobber, Kiddies“ (121). Besonders zuverlässig ist diese Einkommensquelle sowieso nicht, wie Haftbefehl mit dem Hinweis „Fick das Land und das Amt bringt kein Plus, sondern Minus“ (122) andeutet. Wer Stütze bezieht, aber nebenbei Einkommen generiert und dabei stilsicher in der Lage ist, „straßenkonform“ zu performen, kann dann – wie Massiv und Baba Saad – auch getrost auf die Sozialleistungen verweisen: „Hartz IV aber Siebener, ich schieß‘ aus´m Schiebedach und liebe das, Junge!“ (123)
Um Zahlungsfähigkeit im eigenen Milieu wirklich nutzen zu können, darf sie nicht als Ergebnis von Glücksspiel, Staatsleistungen oder Kredit markiert sein, sondern muss anders – eben „auf der Straße“ – produziert werden, wobei damit aber weniger eine Sachdimension als vielmehr eine performative Ebene angesprochen ist, die – wie im vorherigen Zitat – beispielsweise auf eine Verbindung von Zahlungs- und Gewaltfähigkeit setzt. Hier sind die Grenzen fließend, Geld und Gewalt stehen ebenfalls in einer Art Substitutionsverhältnis; so fragt etwa Xatar: „Wer wollte mein Geld? Ich bin, um zu bezahlen, aber nicht mit Para, ich bezahle euch mit Narben“ (50). „Nur mit Gewalt“, erklärt er an anderer Stelle, in einem Song, in dem der Name „Sarah“ stellvertretend für den klangähnlichen Ausdruck „Para“ steht, sei „Sarah [Geld] zu binden“ (51). Als legitim markierte Performances von Zahlungsfähigkeit verbinden sich mit Performanz von Männlichkeitsnormen (Süß 2019), die letztendlich nur dann gelingen, wenn die erzählte Geschichte des Erwerbs der Zahlungsfähigkeit und ihre Darstellung zusammen Anerkennung finden. Deswegen können Massiv und Baba Saad eben auch „auf Hartz IV“ mit dem kostspieligen Fahrzeug selbstbewusst auftreten. Am Ende lässt sich Zahlungsfähigkeit nur für die wirksam konstituieren, die diesen Normen genügen: „Der Mann macht das Geld und das Geld nicht den Mann“ (12). Der „Fuffi aus dem Novoline“ hat eben auch deswegen „keinen Wert“, weil er negativ markierten Praktiken entspringt; eine Zeile zuvor heißt es, erklärend: „Männer misst man anhand der Taten und dem Herz“ (42). Wer Schulden hat, verliert deswegen auch gleich seine Anerkennung als Geschlechtsgenosse: „Wahre Männer gibt’s noch seltener als einen Diamant, zum Beispiel Hassan hat fett Minus auf der Bank“ (55).
Der geldwirtschaftliche Imperativ ist soziokulturell zugespitzt, weil Zahlungsfähigkeit auf anerkannte Weise reproduziert und akkumuliert werden muss. Abseits solcher hohen Ansprüche an Performanz und Entsprechung mit Geschlechterrollen sedimentiert sich die Forderung der Rapper*innen häufig in basalen meritokratischen Idealen. Was gilt ist nämlich eine Art Ethos der harten Arbeit – denn „harte Arbeit zahlt sich aus“ (124) – der gleichsam mit einer betonten Lässigkeit daherkommt – „Habe Geld, ohne was zu machen“ (30). Resonanz für ihren Ethos harter Arbeit finden die Rapper aber nicht auf den regulären Arbeitsmärkten, deren Angebot quantitative, aber auch qualitative Schwächen aufweist: die erreichbaren Arbeitsstellen bieten zu geringe Entlohnung und – im eigenen Milieu – zu wenig Prestige. Schwester Ewa jedenfalls will keinen „Helal-Job für Mindestlohn“, sondern hat stattdessen „lieber zehn Mille jede Woche auf dem Strich geholt“ (125). Dabei impliziert die Prostitution selbst zwar noch keine Illegalität, wohl aber den Status einer Schattenökonomie, die als einzige positiv markierte Quelle von Einkommen präsentiert wird. Wo die Novoline-Spielautomaten mehr nehmen, als sie geben, die Goldketten bereits versetzt sind, wo Sozialleistungen verpönt, Kredite geschasst und von den Arbeitsagenturen nur „Helal-Minijobs“ angeboten werden, bleibt nur die Kriminalität übrig.
Die allgemeinen Verweise auf Einkommen durch Drogenhandel, Prostitution und sonstiges „hustling“ zwischen der reinen Illegalität und den Grauzonen der Schattenökonomie sind zahlreich. Sie kommen in fast jedem Song vor und können und sollen hier nur in den Fällen zitiert werden, wo sie wiederum auf Probleme und Prekaritäten verweisen. Interessant ist, dass hier die Figur des sinnlosen Kreislaufs zurückkommt: „Dieses Leben ist ein Geben und Nehmen“ (54), klagt beispielsweise Bushido und bereitet damit vor, was von anderen auf den Punkt gebracht wird: die Beschaffungskriminalität als einzig allgemein verfügbare und anerkannte Einkommenspraxis verteilt vor allem Zahlungsfähigkeit innerhalb der Ghettoökonomie um und sabotiert so das Ziel eines Aufstiegs der gesamten Bezugsgruppe.
„Neuer Tag, neuer Euro; wenn ich heute reicher werde, dann wird ein anderer Kanacke heut leider ärmer“ (49), erklärt Xatar die Schließung geldwirtschaftlicher Kreisläufe in der Ghettowirtschaft gleichsam pointiert wie frustriert. Noch prägnanter drückt es Massiv aus: „Jeder fickt hier jeden“ (99). Als Nullsummenspiel bringt die Geldbeschaffung das sozio-ökonomische Herkunftsgefüge in Gefahr. Wiederum rückt das Bild des Kreislaufs in den Mittelpunkt, diesmal aber nicht als Sisyphos-Lebensstil, sondern als Fehlen von Mehrwertschöpfung oder Mehrwertzufluss, wodurch Akkumulation das soziale Gefüge selbst bedroht; das Ganze wird etwa von Xatar unmissverständlich auch in die Dimension einer Spaltung von dadurch geschlossener Ghettoökonomie als „Kehrseite“ der Wohlstandsgesellschaft eingeordnet: „Ihr seht uns ticken, Tag und Nacht; das ist die Ohnmacht der Kehrseite vom Wohlstand, denn wirst du reich, wird dein Opfer arm; Geld verschiebt sich, wie beim Poker, tamam“ (48).
Wirksame Strategien, das Nullsummenpokerspiel zu durchbrechen, finden sich nur zögerlich. Alle drei Strategien bleiben im Feld der Schattenökonomie. Fast schon hilflos wirken erstens etwa die verstreuten Verweise auf das Drucken eigenen Geldes. Haftbefehl sehnt sich beispielsweise nach einer „Villa in Miami, um Falschgeld zu pressen“ (39). Auch ein Einhunderteuroschein „falsches Geld“ kann ein „guter Hunni“ sein (21), denn sowohl legales als auch selbstgemachtes Geld – „Tüte voller Geld oder Blüten in den Händen“ – können Teil von „Mythen und Legenden“ (41) werden. Deswegen macht Bushido offenbar auch dann „das ganz große Geld selbst wenn ich Banknoten fälsch‘“ (40). Zu einer breitenwirksamen Wachstumsstrategie werden diese Projekte aber nicht ausgebaut.
Zweitens verweisen die Rapper auf einen Zufluss an Zahlungsmitteln von außen, der auf dem Abzocken Milieufremder beruht. So kann etwa die Gewinnspanne beim Verkauf harter Drogen erhöht werden, „Kunden von Außerhalb kriegen Schrott“ (79). Diese Marketingstrategie steht offenbar innerhalb des Milieus nicht zur Verfügung, vermutlich, weil Expert*innenwissen verbreitet ist; „jeder dealt“, haben wir schließlich weiter oben gelernt. Besonders „Kunden aus Aschaffenburg zahlen Hasch ‘n Achterkurs“ (97). Als serviceorientierter Anbieter fährt Haftbefehl für einen ordentlichen „Schnapp“ sogar schon mal selbst „die Drogen nach Bayern“ (96).
Freilich lassen sich Milieufremde – drittens – auch einfach überfallen: „Welcome to Frankfurt – Hände hoch, Überfall!“ (100). Man solle mal in seine Gegend kommen, fordert der auf einem der Songs im Sample gefeaturte Rapper Summer Cem in einem Song auf, „schwuppdiwupps is dein Geld weg“ (70). Viel scheint dabei allerdings nicht rumzukommen, so dass man sich auf lukrativere Überfallszenarien besinnt. Massiv fordert seine Höher*innen etwa dazu auf, ihm dabei zuzuschauen, „wie ich jetzt mit der Panzerfaust den Geldtransporter knacke“ (91). Beliebtes Ziel für Überfälle sind auch Banken, die als Versinnbildlichung der gebrochenen Beziehung zwischen Ghettoökonomie und wirtschaftlicher Außenwelt gelesen werden können. Banken – stellvertretend für die Möglichkeit des Geldverdienens außerhalb der Ghettowirtschaft – bleiben den Ghettobewohner*innen nämlich verschlossen. „Tibicker“[5] gehen „niemals in Banken rein[…]“ (86). „Was Postbank?“, fragt die (das ist für die gut gesetzte Pointe wichtig zu wissen) ehemalige Prostituierte Schwesta Ewa, was für sie zähle, sei „nicht unter’m, sondern auf dem Strich“ (107); in der Ghettoökonomie wird soziokulturell situierte Zahlungsfähigkeit eben nicht durch Bankguthaben konstituiert. Deswegen hat auch Schwester Ewa kein Girokonto, sondern „die Barren gebunkert, so wie Xatar“ (126). Zwar würde man auch im Ghetto „von ‘ner Mille auf der Bank“ träumen, aber zur Erfüllung des Traums dann eben nicht sparen oder anlegen (woher auch, „jeder dealt, jeder spielt“), sondern die Protagonisten „ziehen sich ‘ne Maske an und stürmen dann rein in die Bank“ (56). Man eröffnet kein Konto, sondern „ich klatsche den Bankautomaten“ (88) oder geht gleich „mit Bazooka in die Bank“ (127).
Die Ghettowirtschaft wird als stagnierendes und geschlossenes System dargestellt, das sich nur durch den illegalen Bezug nach Außen, also den exogenen Zustrom neuen Geldes (durch Fälschung, Abzocke oder Raub) aus ihrem zirkulären Präsentismus lösen könnte – ein hoch riskantes und wenig erfolgversprechendes Unterfangen. Zusätzlich fließt ständig Geld ab, nicht nur durch den Konsum von Mercedes-Fahrzeugen und das Verzocken von Geld in Novoline-Spielautomaten, sondern auch, weil Geld „per Western Union“ „in die Heimat“ (103) geschickt wird. Somit bleibt die Ghettowirtschaft nur für das Auf-der-Stelle-Treten auf die Zuflüsse aus amtlichen Zuwendungen, touristischem Drogenkonsum und gelegentlichen Raubzügen angewiesen. Das Unterfangen scheitert, wie trotz all der Versicherungen, man selbst sei überdurchschnittlich wohlhabend, immer wieder durchklingt, etwa wenn Bushido auf die Häme der weißen Mittelschichtsmehrheit („Jürgen“) verweist: „Willkommen in ‘ner Welt, wo man dich verdrängt, wo man dich unten hält und selbst Gold nicht mehr glänzt, […] wo dich Jürgen hinterhältig fragt, womit du denn dein Geld verdienst“ (90).
Eine Ghettowirtschaft in der Zwangslage, die auch deswegen schon hoffnungslos wirkt, weil die Rapper durch die vielen Verweise auf den „Knast“, also auf das Scheitern dieser Beschaffungs- und Versorgungsmaßnahmen, schon wissen, wer am Ende gewinnt: „Der Rand der Gesellschaft, wo man anders sein Geld macht; der Staatsanwaltschaft gefällt das“ (85). Der „Azzlack-Stereotyp“ des Ghettoakteurs macht „Schnapp mit Drugs“ (11), das heißt macht zwar „hohen Umsatz mit Drogen und dem Schwachsinn“ (34), investiert damit aber seine Kraft und Energie in hochriskante Einnahmen aus illegalen und kompetitiven Drogenmärkten, nur um dann das Geld ohne mittel- oder langfristige Zweckrationalität durch Glücksspiel wieder zu vernichten, dessen Quoten ebenso niemals so gut sein können, dass sie strukturelle Akkumulation von Zahlungsfähigkeit versprechen könnten. Am Ende siegt nämlich das Gesetz, der Milieubewohner landet im Knast, denn „weil Anwälte Geld verdien‘ müssen, klicken Handschellen ran“ (71). Im Endeffekt wird die Mehrheit der Ghettoakteure in den Strafvollzug überführt, „ob du Tütchen oder Päckchen packst, alles führt in Knast“ (128), „Acht von zehn sitzen zehn harte Jahre“ (129).
In Xatars Song „Wieder erreichbar“ erklärt der Rapper Kalim, die Problematik zusammenfassend, indem er einen Brückenschlag zwischen dem als sinnlos empfundenen Teufelskreis des Geldausgebens und gleichsam sinnlos erscheinenden Nullsummenpokerspiel um Zuwächse erreichbarer und soziokulturell legitimer Zahlungsfähigkeit vollzieht, der auch unsere Diagnose trifft: „Alles wie immer, es ist immer noch die gleiche Scheiße, wir machen unser Para mit Haze und weißen Steinen; packe ab den Stoff, nix da, khalas; Ich geh raus in das Gesocks, liebe die Luft in diesen Blocks; Kein Stopp, ich muss Para hier im Drecksloch machen, Digga, meine ganze Straße will den Jackpot knacken, alles gleich, schwarz, weiß“ (130).
4. Fazit
Die Auseinandersetzung mit dem Material hat gezeigt, dass deutscher Gangstarap eine für die (politische) Soziologie sozialer Ungleichheit ernstzunehmende Quelle ist. Wie wir herausgearbeitet haben, stellt Geld sowohl ein Zahlungsmittel, eine Beteiligungschance am Marktgeschehen sowie einen Modus sozialer Anerkennung dar. Der Fokus auf Repräsentationen von Zahlungs(un)fähigkeit im deutschen Gangstarap komplementiert die Perspektive einer materialistischen Ungleichheitsforschung, indem er die sinn- und identitätsstiftende Bedeutung der Popkultur für die gesellschaftliche Ordnung in Betracht zieht. Das Engagement in stark ethnisch segmentierten Schwarzmärkten prägt, wie die Sprecher*innen in den Songs berichten, eine Daseinsvorsorge am Rande der Gesellschaft. Die Texte dieses kommerziell äußerst erfolgreichen und stilbildenden Genres der Populärkultur bieten, freilich künstlerisch überformte, dadurch aber nicht weniger authentische Darstellungen geldwirtschaftlicher Strukturbedingungen, Zerwürfnissen und Entwicklungstendenzen aus dem Blickwinkel Betroffener an, die der quantifizierten Heuristik ökonomischer Ungleichheitsforschung nicht zugänglich sind.
Wir zeigen, dass die Repräsentation geldwirtschaftlicher Strukturen im deutschen Gangstarap im Themenkomplex „Geld“ über eine simple Angeberei mit finanziellem Reichtum hinausgeht. Vielmehr weisen die analysierten Texte auf Hemmnisse monetären Wohlstandszuwachses im Milieukontext, welchen wir als kulturelle Repräsentation der „Ghettoökonomie“ bezeichnet haben. Die Hemmnisse sind (a) der Präsentismus des eigenen Milieus und (b) die Geschlossenheit geldwirtschaftlicher Kreisläufe, durch die die soziokulturell situierte Verfassung der Geldwirtschaft insofern scheitert, als dass das vermeintlich universal strukturierte, also kontextunabhängige Instrument „Geld“ als solches nicht hergestellt werden kann.
Die in den kulturellen Repräsentationen der Ghettoökonomie geschilderten Funktionsdynamiken implizieren damit weder eine bloße Affirmation neoliberaler Werte noch eine schlichte Kritik materieller Verteilungen. Vielmehr verweisen sie auf scheiternde ideologische Legitimierungen liberal-kapitalistischer Ordnung (Piketty 2020). Die liberale Fortschrittserzählung, der zufolge eigeninteressierte Individuen nicht nur den gesellschaftlichen Reichtum vergrößern (1), sondern sich in kooperativem Wettbewerb selbst verwirklichen (2) und soziale Integration gewährleisten (3), sehen die Gangstarapper in der von ihnen beschriebenen Ghettoökonomie nicht verwirklicht. Auch wenn sie je individuell durch musikalisches Talent oder geschicktes hustling Erfolg reklamieren können, stellen sie doch die strukturelle Lähmung ihres Milieus und damit dessen Exklusion von der kapitalistischen Dynamik pointiert heraus. Anschließend an Gayatri Spivak (1995) hat Seeliger (2017) diese alternative Perspektivierung als Form ‚epistemischer Gegenmacht‘ bezeichnet, die eine Teilhabe an gesamtgesellschaftlichen Versprechen einfordert.
Moderne Gesellschaften sind funktional differenziert, sozial ungleich und kulturell heterogen. Im Sinne der Cultural Studies (siehe Fiske 1989: 3) ließen sich die hier zitierten Songs auch als Beitrag zur politischen Öffentlichkeit interpretieren, in der demokratische Gesellschaften ihre politischen Angelegenheiten unter diesen Bedingungen nach Relevanz und Lösbarkeit ordnen (Habermas 1962). Die Problematik sozialer Ungleichheit und kultureller Heterogenität thematisieren die Gangstarapper offen, indem sie auf die tauschwirtschaftliche sowie die anerkennungsstiftende Bedeutung von Zahlungsfähigkeit verweisen. Die Zirkularität des Wirtschaftslebens im Präsentismus des Milieus verweist hier auf gesellschaftliche Deprivationserscheinungen, die im Gegensatz zum Inklusionsversprechen des Sozialen Rechtsstaats als normativem und politischen Ordnungsrahmens stehen. Eine genauere Untersuchung zur Rolle popkultureller Strömungen für die Konstitution politischer Öffentlichkeiten könnte hier anschließen.
Seeliger (2013) bezeichnet deutschen Gangstarap als Kunstform zwischen Affirmation und Empowerment. Während sich die Repräsentationen des Genres – vor allem in Form von Ungleichheitskritik und migrantischer Identitätsbehauptung – mit Scharenberg (2001: 47) als „symbolischer Angriff auf die dominanzkulturelle Hegemonie“ lesen lassen, finden sich mit der Bestätigung sexistischer Stereotype wesentliche Momente der Affirmation einer repressiven Gesellschaftsordnung. Auf ähnliche Ambivalenzen deuten auch die hier erarbeiteten Befunde hin. Als Protagonisten (oder zumindest Apologeten) einer neoliberalen Erfolgskultur (Neckel 2008) übernehmen die Gangstarapper in ihren Texten ein Deutungsmuster, das Individualisierung, Wettbewerb und die Verbreitung instrumenteller Verhaltensweisen zu Richtwerten eines gelungenen Lebens im Milieu stilisiert. Insbesondere aber die Intersektionalität der beschriebenen Motive, vor allem der Zusammenhang von Männlichkeitsnormen und monetären Strukturbeschreibungen sollte weiter – und unter Vermeidung vorschneller Identifikation von monetären Topoi mit „Propagierung eines neoliberalen Wertesystems“ (Süß 2019: 32) – untersucht und reflektiert werden.
Die Inszenierung der Akquise von Zahlungsfähigkeit birgt hierbei insofern ein zumindest subversives Potenzial, als die Milieuwirtschaft hauptsächlich in Schwarzmärkten floriert. Fälle wie der Nachweis von Kokainspuren auf den Spülkästen der Bundestagstoiletten oder der illegale Waffenerwerb des Innenministers von Mecklenburg-Vorpommern markieren die Spitze eines Eisbergs irregulärer Transaktionen, dessen Masse und Volumen politische Herrschaft im neoliberalen Kapitalismus eher stabilisieren als gefährden. Politische Konsequenzen der analysierten Texte im politischen Agenda-Setting ließen sich wohl vor allem in der subjektiven Rezeption sowie in der Übertragung in gesamtgesellschaftliche Diskurse untersuchen.
Anmerkungen
[1] Die eingeklammerten Ziffern beziehen sich auf unsere Materialsammlung. Zitation wird nach dem Review angepasst.
[2] Bei dem Album „Der Holland Job“ handelt es sich um ein gemeinsames Album von Haftbefehl und Xatar.
[3] Die besondere Bedeutung familiärer Bindungen erklärt sich damit zu einem guten Teil aus dem Rückzug des Staates als Garant sozialer Stabilität.
[4] In der ethnographischen Auseinandersetzung mit Prozessen von Leistungserstellung und Güterverteilung in benachteiligten Stadtteilen wurde die ‚Ghettowirtschaft‘ als Resultat sozialer Praktiken mal mehr und mal weniger delinquenten Handelns untersucht (siehe hierzu Venkatesh 2009, 2013 und Bourgois 2014). Im Gegensatz zu so einem handlungspraktischen Zugang untersuchen wir den Topos der Ghettoökonomie als Set kultureller Repräsentationen im Sinne von Degele und Winker (2010) oder Seeliger (2013).
[5] Slangwort für Drogenhändler.
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[Dieser Aufsatz erscheint in gedruckter Form 2022 in: Marc Dietrich/Seeliger, Martin (Hg.): Deutscher Gangstarap III. Transcript Verlag.]