Der Sozialneid der Unterprivilegierten
von Maren Lickhardt
8.3.2021

Zur Netflix-Serie »Sie weiß von dir«

Spoiler: Die neue Netflix-Serie Sie weiß von Dir (2021), eine Verfilmung von Sarah Pinboroughs Thriller Behind her Eyes (2017), wurde vielmals für ihren gelungenen Plot-Twist am Ende gelobt: Es war nicht Adele, die sich in manipulativer Absicht mit Louise, dem Seitensprung ihres Ehemannes David, angefreundet hat, um diesen an sich zu binden. Nein, Adele ist längst tot, und Bob, ein früherer Freund Adeles, hatte sich via Astralprojektion in Adeles Körper eingenistet, um mit David zusammenleben und ihn kontrollieren zu können. 

Zunächst rankt sich die Serie um die Affäre zwischen Louise und David bzw. die Dreierkonstellation zwischen Louise, David und Adele, doch bald wird klar, dass es eigentlich um das Verhältnis von Adele, David und Bob geht. Und dies handelt nur auf den ersten Blick vom Thema der besessenen Liebe mit esoterischen Beigaben. Psycho-Beziehungs-Thriller meets Mystery ist nur eine von mehreren Facetten, die die Serie auffächert. 

Um eine andere – ich sage es gleich: ungute – Facette der Serie zu beleuchten: Statt die tatsächlich gelungen inszenierte Überraschung am Ende dramaturgisch zu loben, könnte man sie zum Anlass nehmen, an die mal mehr und mal weniger virulente Sozialneid-Debatte zu denken. Zuletzt hat sich Friedrich Merz am 14. Januar auf Twitter unrühmlich hervorgetan, indem er von einer „#Neidsteuer auf höhere Einkommen“ sprach. Der Hashtag wurde von ihm natürlich gleich mitgeliefert, damit sich alle auf die missgünstigen Sozialschmarotzer einschießen konnten. Dies ging für Merz eher nach hinten los. Wenn man es aber subtiler fasst und eine Psycho-Mystery-Anlage als Trojanisches Pferd verwendet, lässt sich solches Denken durchaus normalisieren. 

In der zweiten Folge der Serie wird die ungewöhnliche Freundschaft der wohlhabenden, einsamen Adele zu dem jungen, homosexuellen drogenabhängigen Bob durch Rückblenden entfaltet. In der Psychiatrie sitzen die beiden im selben Boot: Sie tragen die gleiche Kleidung, haben ähnliche Ängste und zeigen sich einander von ihrer verletzlichen Seite. Inszeniert wird dies als romantische Idylle. Nicht selten sitzen die Seelenverwandten auf einem Baumstamm in der Natur, um sich ihr Innerstes zu offenbaren. Und so klingt es rührend, wenn Bob sagt: „I love Adele, properly. Everything about her.“ (s1e4, 20:38) Als er ausführt, dass alle Menschen – ihn eingeschlossen – egoistisch seien und sich nur Adele mitfühlend zeigt (s1e2: 37:30), müssen Zuschauer:innen sich wundern. Was ist mit der Adele aus den Rückblenden geschehen? Wie konnte aus dem unschuldigen, freundlichen Mädchen die unheimliche Frau werden, die sie in der eigentlichen Handlungszeit ist? Oder irrt sich Bob in ihr? Es deutet sich zunächst an, dass er zum Roadkill der reichen, glücklichen Eheleute geworden ist, weil er ihr allzu sehr vertraut hatte. Wäre der Junkie wirklich auf diese Weise auf der Strecke geblieben, handelte es sich bei der Serie ganz am Rande um ein etwas klischeehaftes sozialkritisches Artefakt im Sinne der Unterprivilegierten. 

Aber so ist es nicht. Wir erfahren am Ende, dass die zarte, psychisch labile, freundliche Adele sehr wahrscheinlich nichts anderes als genau dies war. Wir haben ihr wohl die ganze Zeit Unrecht getan, als wir Schlechtes von ihr dachten, während sie von Bob ermordet wurde, der sich ihres Lebens bemächtigt hat. Der homosexuelle Junkie ist der Böse! 

Vermutet man nun, die Serie stellt dies als Liebes- und Verzweiflungsszenario in einen motivierenden Zusammenhang, d.h. der arme, arme Bob müsse zum letzten Mittel greifen und sich in Adele verwandeln, um mit David ein glückliches Leben führen können, täuscht man sich. Nur auf den ersten Blick ist es harmlos, dass es Bob ist, der übermäßig häufig auf seine soziale Situation und die Differenz zu Adeles Leben aufmerksam macht. Nun hat Klassenbewusstsein sicher noch niemandem geschadet, denn wo es Klassen gibt, müssen sie auch reflektiert werden. Es klingt also zunächst bedacht, glaubhaft und mitleiderregend, wenn Bob enthüllt: „My family situation is the usual sad Glasgow tenement cliché, never knew my dad, mother’s dead.“ (s1e3, 21:00) Daher möchte Bob nicht in sein Leben zurück; er hat keinen schönen Ort, an den er sich imaginieren kann, er fürchtet sich davor, dass die sozialen Differenzen zwischen Adele und ihm außerhalb der Psychiatrie zum Tragen kommen und die emotionale Bindung auseinanderreißen (s1e4, 4:18). Auch als Bob auf Adeles teure Uhr schaut (s1e2, 13:00), geht es um die Liebesgeschichte zwischen ihr und David, während Bob verständlicherweise neidisch darauf ist, geliebt zu werden (s1e1, 14:00). 

Aber so ist es nicht. Bob schaut wirklich auf die teure Uhr, die Adele einzig von den anderen Psychiatriepatient:innen in ihrer weißen Kleidung unterscheidet und die für Bob als Konsumobjekt auf das schöne Leben der Reichen verweist. Es geht um die teure schöne Uhr und nicht um die Liebesgeschichte dahinter! Bob träumt von einem konsumistisch geprägten Upper Class-Szenario (s1e3, 22:20; s1e4, 28:08). 

Folgt man diesem Pfad, enthüllt die Serie auf Schritt und Tritt Hinweise auf soziale Differenzen, die das Leben der Reichen begehrenswert und das der Armen abstoßend macht. Nicht umsonst beugen sich Louise und David zu Beginn über einen Stadtplan, als die Ortskundige dem Neuen Orientierung stiften soll, und sie unterteilt die Stadt einzig in arm und reich, statt ihm ein paar nette Cafés zu empfehlen oder anderes (s1e1, 21:36). Diese beiläufige kleine Szene justiert das Thema der sozialen Differenz am Anfang der Serie.

Der fragwürdige Subtext der Serie lautet: Wer am unteren Ende der sozialen Leiter ist, scheint den jeweils anderen zu schädigen. Dies insinuiert jedenfalls Bobs Hinweis auf seine finanziell schwache Familie, die dadurch tatsächlich auch als ‚sozial schwach‘ erscheint: „My family is sucking the life out of me.“ (s1e3, 21:00) Wie ein Vampir haftet Bobs Herkunft an ihm und saugt ihm das Leben aus. Kein Wunder, dass er Adele als Ausflucht so sehr zu lieben scheint. „That’s what Adele is. An escape from my life. Fuck off, old life. Hello new.” (s1e5, ab 16:44) 

Aber spätestens als er ihr Vertrauen missbraucht und sie tötet, um in ihrem Körper weiterzuleben, wissen wir: Er ist der Parasit. Und das Begehren ist keine Liebe, sondern Craving – und zwar das Craving eines Suchtkranken, der das schöne Leben der Reichen am Ende noch nicht einmal vollständig ästhetisch schätzen oder tradieren kann, sondern der schlicht seinen Stoff finanzieren möchte, für den Konsumrausch sich auf eine banale Substanz reduziert. Es klingt nicht verzweifelt, sondern eiskalt, wenn er zu seinem Drogenkonsum sagt: „Some of us don’t want to stop.“ (s1e5, ab 16:44) Eskapismus in die Liebe findet nicht statt, Eskapismus in den hedonistischen Konsum wird insofern als vermindert dargestellt, als dieser letztlich mit Heroin gleichgesetzt wird. Das Begehren des Junkies bezieht sich auf die Reproduktion eines ‚minderwertigen‘ Lebensstils auf Kosten der naiven Adele. Dass in der Serie ein junger unterprivilegierter Mann so dargestellt wird, als führe er aus Sozialneid eine parasitäre Existenz auf Kosten einer armen reichen Gutsbesitzerin, finde ich äußerst problematisch. Dies schürt gaaanz unterschwellig Infiltrationsängste auf Seiten der Begüterten.

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