Rezension von Sasha Geffens »Glitter Up the Dark«, University of Texas Press (2020)
In der Geschichte der Popmusik spazierten wir viele Dekaden an einer Ahnengalerie campy gekleideter Genies entlang; wie es sich für diesen herausragenden Typus Mensch gehört, fast ausnahmslos heterosexuell, weiß, cis, männlich – schlicht: privilegiert. Auch wenn sie ihre Songs traditionell abschreiben und ihre Outfits aus dem Ballroom klauen, zelebrieren sie sich selbst als revolutionäre „Außenseiter“. Sasha Geffen queerfeministisches Rewriting der Popmusikgeschichte modifiziert diese wichtige, aber teils vereinfachende Aneignungsthese. Mit dem Sachbuch Glitter Up the Dark entwirft they eine Dialektik der Ausbeutung und des Auslebens von Queerness als Grundprinzip des Pop.
Sasha Geffen erzählt Musikgeschichte von den queeren, schwarzen Bluessänger*innen Gertrude „Ma“ Rainey und Bessie Smith über die Bühnenoutfits von Prince und jenen, die David Bowie von der Transfrau Jayne County kopierte, bis in Technoclubs unserer Gegenwart. Am Beispiel musikalischer Innovationen wie dem Theremin, analysiert they, welche gesellschaftlichen Diskurse diese kommentieren. So erklingt das Glissando, also jammernd ineinandergleitende Töne des Theremins, seit den Zwanzigern als Schwellenphänomene zwischen Mann und Frau, Mensch und Maschine. Später begleitet die künstliche Stimme übrigens wahlweise unheimliche Szenen in Hitchcockfilmen, untermalt die ersten Aliens, die im Kino auftreten, feiert ihre Renaissance im Space Rock und Afrofuturismus oder füllt – in marginaler Tradition – bis heute in das Uncanny Valley. Geffen analysiert so nah am Gegenstand, dass man – vielleicht unter dem Einfluss haraway’scher Prophezeiungen selbst zum Cyborg mutiert – bei jeder gelesenen Seite nach dem Handy greifen will, um einen ganzen Fächer neuer Tabs zu öffnen. Merci, Alien Fashion, SciFi-Film und elektronische Musik.
Diese Gegengeschichte schreibt Geffen nicht alleine: Immer mehr Todesengel des Patriarchats und der Binarität erheben sich vor der eingangs beschriebenen Genie-Galerie und schockieren die huldigenden Massen in Bandshirts. Queerfeministische Aktivist*innen kritisieren, in welchem Bereich die „Genies“ wirklich brillieren: „Appropriation“ – ein schönes Wort mit vielen plosiven Lauten. Schon bei entspannter Aussprache schwingt ein Quäntchen Abwertung und Aggression mit. Spätestens seit die Popkultur in Mainstreamserien wie Pose oder Hollywood selbstreflexiv kritisiert, dass Plattenbosse, Popstars, Modedesigner und Regisseure (ab und zu auch ein paar „*innen“, aber nur, damit man hinterher erzählen kann, sie könnten es ja auch schaffen), jahrzehntelang geklaut, umgedeutet und verdrängt haben, lässt es sich nicht länger leugnen: Rock ’n’ Roll erfand nicht Elvis Presley, Voguing stammt nicht von Madonna und Kraftwerk produzierten überraschenderweise nicht als Erste elektronische Musik.
Queer Appropriation zieht sich relativ offensichtlich durch die Popgeschichte: Sie beginnt mit Figuren wie Elvis, der von queeren Women of Colour kopierte, über David Bowie, der nicht nur für seine geklaute Transästhetik berühmt ist, sondern auch für den Oktavensprung als Tribute an den schwulen Kult um Judy Garland, bis zu Beyoncés Video Formation, in dem sie die Dragästhetik für ihre Zwecke benutzt. Das Muster der Queer Appropriation ist, wie Autor*innen Jesse R. Buendia im Missy Magazine kritisieren, nur eine Variante der kulturellen Aneignung. Während die Erfinder*innen durch Klassismus, Transfeindlichkeit, Sexismus oder Rassismus unterdrückt werden, benutzt eine privilegierte Person ihre Macht, kopiert ohne Credits Sounds, Geschichten, Stile und Ideen queerer Künstler*innen. Oft genug inszeniert sie sich dann im Pinkwashing auch noch als mutige Wohltäter*in. Ihr privater heterosexueller und bürgerlicher Lifestyle erlaubt ihnen, diese Rolle zu spielen und deren Künstlichkeit auszustellen: „Gerade genug gefährliches Gender Bending, um aufregend zu sein, ohne eine wirkliche Bedrohung für die Cisgender-Ordnung darzustellen“, sagt Geffen im Interview. In der Musikgeschichte, Kunstgeschichte, Literatur-, Medizin- und Popgeschichte – oder schlicht jeder Geschichte – liefen und laufen schon viel zu lange fröhlich aneignende und beschlagnahmende „Genies“ Parade, die gar nicht so genial, sondern gerissen sind. Trotzdem schreibt Geffen, passend zum dialektischen Ansatz, die Geschichte vieler dieser Künstler*innen ohne Wut, sprachlich fast unerwartet nah an den Genrekonventionen scheinbar „neutraler“ Geschichtsschreibung: kurze verständliche Sätze, Ereignisse, Orte und Figuren strukturieren die große Erzählung mit einem sprachlichen Habitus der Logik und des Faktischen. Geffen will aber nicht einfach nur Frauen und queere Menschen in die Popgeschichte einreihen, sondern Pop als einen ambivalenten Zwischenraum freilegen, der im bisherigen System besteht, aber nur selten als solcher besprochen wird.
Lou Reed erscheint schnell wie ein Beispiel für Queer Appropriation: Einer dieser cismännlichen, heterosexuell lebenden Musiker, der sich mit den Geschichten von Transfrauen wie Holly Woodlawn und Candy Darling als genderliberaler Glam Rocker in die Musikgeschichte einschreibt. Wenn er singt „And then he was a she” oder „And the coloured girls sing“, will man rufen: „Lou, tu’s nicht!“. In den Lyrics von „Kill your Sons“ bespricht er dann, wie seine religiösen Eltern ihn wegen homosexueller Fantasien als Kind mit Stromschocks therapieren lassen (der lächerliche Essay seiner Schwester, in dem sie kurz nach seinem Tod der Welt erklärt, dass er die Stromschocks ja aus ganz andern Gründen bekam, überzeugt eigentlich nur vom Gegenteil). Lou Reed ist sicherlich weder der männlich-lässige Held, als der er heute gerne gelesen wird, noch die skrupellose Copycat mit schönem Kajal, als die er vor der Folie der Queer Appropriation schnell erscheint. Als ambivalente Figur ist er das Produkt eines dialektischen, janusköpfigen Systems der Musikindustrie und ihrer Diskurse.
Im Interview erklärt Geffen ein zweites Phänomen: „Viele seiner Zeitgenoss*innen nahmen Lou Reed als queer wahr.“ Während die Musikgeschichte ihn heroisierte, wusch sie ihn nebenbei straight. Sicherlich manipuliert hier kein verschwörerischer Geheimclub cis-heterosexistischer Musikjournalisten die Erinnerung an Reed (obwohl die Besetzung vieler Redaktionen den Verdacht natürlich nahelegt). Was wir unabsichtlich tradieren und was wir vergessen, verrät aber einiges darüber, wen wir gesellschaftlich als Held*innen, Revolutionär*innen und Traditionsbegründer*innen akzeptieren. Straightwashing korrigiert also nachträglich Momente, in denen sich eine queere Person gegen alle Widrigkeiten eines cis-heteronormativen, binären Systems durchsetzen konnte.
Wie wenig sich Straightwashing verändert hat, zeigt der Kinofilm Jenseits der Sichtbarkeit (2019), indem Halina Dyrschka die lesbische Malerin Hilma af Klint portraitiert. Trotz der feministischen Agenda zu zeigen, dass eine Frau vor Kandinsky abstrakt malte und Kunsthistoriker*innen sie dafür aus der Geschichte strichen, verschweigt sowohl der Film als auch der Wikipediaartikel zu Künstlerin af Klints sexuelle Identität. Wen interessiert schon ihre langjährige Liebes- und Künstler*innenbeziehung zu Anna Cassel, wenn sich so herrlich über ein paar ominöse Treffen mit Rudolf Steiner phantasieren lässt?
Die Liste wächst täglich: Bisexuelle literarische Figuren wie Herkules oder Mystique aus X-Men verwandeln sich im Filmstudio auf wundersame Weise in heterosexuelle Stereotypen, der schwule Erzähler aus dem Roman Breakfast at Tiffany’s muss sich für den Film nach allen Regeln der romantischen Komödie in die promiskuitive, eventuell Prostituierte Holly verlieben, so der sozialgeschichtliche Hollywoodchronist Sam Wasson. Ob Ryan Coogler und Joe Robert Cole wohl ihre Hymnen auf die eigene Wokeness weitersangen, als sie die lesbische Liebesgeschichte aus Black Panther strichen?
Straightwashing inszeniert LGBTQIA+-Personen immer wieder als komplett neue, ahistorische Phänomene, die unangekündigt über den gutsortierten Paradieszustand der Vergangenheit hereinbrechen. Man kann nicht leugnen, dass die Rolle der progressiven, experimentellen Community anfangs irgendwie verlockend klingt: Schwule Männer stehen als professionelle Wahrsager an den Spitzen fast aller Haut-Couture-Häuser, Transpersonen erfinden Make-up-Trends wie Contouring während nonbinäre und lesbische Musiker*innen mit elektronischen Instrumenten experimentieren. Dieser enthistorisierende Futurismus ist aber auch ein Teil des strukturellen Otherings, durch den sich Heterosexuelle als althergebrachte Normalität konstruieren – nur noch einen Schritt vom guten alten Naturalisierungsargument entfernt. Die Postmarxist*innen Ève Chiapello und Luc Boltanski beschreiben in Le nouvel Ésprit du Capitalisme die tückische Superkraft des Kapitalismus: Motive, mit denen seine Kritiker*innen aufbegehren, verleibt er sich selbst ein und dreht sie zu seinen Zwecken um. Die Verkaufszahlen modischer Codes wie Doc Martens und MA-1, mit denen die frühen Skinheads in den 60er-Jahren laut Hans-Christian Dany als klassenbewusste Arbeiter*innen das Swinging London, Mode und den Konsumismus verweigern, wirken hier schon fast wie geschmacklos plakative Beispiele. Den cleveren Trick der Einverleibung kennt nun offenbar auch das heteronormative System.
Die ersten Zeilen von Glitter Up the Dark: How Pop Music Broke the Binary prangern wie auf einem Torbogen über Geffens Text „Wir können die Genderbinarität nicht zerstören, weil sie nie komplett war“. Sie entlarvt die Fiktivität der Konstruktion eines „traditionellen, eindeutigen Normalfall“ und der „ahistorischen, queeren Abweichung“. Nicht Queerness grüßt täglich als wacklige, lückenhaften Konstruktion, sondern die romantischen Weltherrschaftsfantasien der Binarität.
Geffen verfängt sich trotz des gelungenen Rewritings, das auch im Sinne Sierra Mannie gegen die problematische Aneignung von Women of Colour durch weiße, queere Communities anschreibt, immer wieder in den losen Enden der liberalen Selbsterzählung des Pop als große Freiheit. Obwohl Geffen genauestens recherchiert und nahezu jede einzelne Geschichte offensichtlich von Queer Appropriation durchzogen ist, verweigert they den Begriff: „Appropriation ist ein nützliches Konstrukt, wenn weiße Leute von Natives stehlen, weil es einem kolonialen Verlauf folgt. Mit Geschlechtern zu spielen ist irgendwie immer viel fluider und offener. Es ist eher eine Frage der Marktfähigkeit und Sicherheit, als des Stehlens. Ich interessiere mich, auch in Fällen wie David Bowie, nicht so sehr für Fragen der Authentizität, sondern dafür, was auf der Bühne oder in den Songs passiert.“
Diese Position basiert auf der interessantesten These des Buches: Popmusik habe sich als gesellschaftlicher Raum etabliert, in dem wir relativ sanktionslos gegen Gendernormen verstoßen dürfen. Denn „Popmusik spielt per Definition mit Performativität und hängt von Selbstaufnahmetechniken ab“, erklärt Geffen im Interview. „Schon wenn wir uns selbst aufnehmen, entsteht eine Trennung von Körper und Stimme. Die Aufnahme wird zu einer eignen Entität abseits von Geschlechtlichkeit, sodass der menschliche Körper gar nicht mehr im Raum sein muss.“ Die Unheimlichkeit, die entsteht, wenn wir Stimmen von Körpern trennen und die Stimmen mit Play-back-Technologien replizieren, legt die Grundlage dafür, Geschlechter zu alternieren. Diese Queerness versteht Geffen als Wesen des Pop. Geffen führt damit Wayne Koestenbaums Theorie weiter, der beobachtet, wie die soziale Kategorie homosexuell sich parallel zur Audioaufnahme entwickelt hat. Anfangs simulierten viele Musiksendungen die Konzertsituation. In den Genrekonventionen des Synchpopvideos der 80er-Jahre und den Sendungskonzepten MTVs „animieren die fertigen Audios aus dem Studio die Künstler*innen“, sagt Geffen im Interview. Die illustrative Beziehung hat sich also umgedreht – wir reisen durch fremde Galaxien, traumartige Szenen oder wohnen dramatischen Trennungen bei. Für Geffen ist dieser queere Freiraum das Grundprinzip des Pop „Jede*r bedeutende* Künstler*in des 20. Jahrhunderts spielt mit Gender“, sagt sie im Interview.
Geffen liest diesen Prozess nicht als problematische, mimetische Aneignung im Übergang vom subkulturellen, prekären Pop zum Populären, sondern führt die grundlegende Ablehnung für festschreibende Genderidentitäten mit Blick auf die Diskussion über Autor*innenschaft konsequent im Feld der Theorie fort. Dieser Ansatz besticht durch seine Radikalität; dadurch, dass Geffen der Genderbinarität nicht den Gefallen tut, sie als ubiquitär zu betrachten und ihre Anerkennung als „strukturell“ und „mächtig“ fortzuschreiben. Ihr Text wirkt, besonders wenn they über die Pionierin Wendy Carlos schreibt, die mit queeren Kompositionen die epochalen Stanley-Kubrick-Filme begleitete, mit Switched-on Bach computergenerierte klassische Musik einführt und in Beauty In the Beast in Oktaven aus 144 Tönen komponiert, wie eine Flugschrift aus einer Welt, in der Binarität keine Autorität mehr besitzt und vielleicht auch nie besessen hat. Für das Programm, Genderidentitäten und Sexualitäten nicht weiter festzuschrieben, mag es verkraftbar erscheinen, dass einige problematische Aspekte der Queer Appropriation verschwimmen. Hier stehen das Argument der unbedingten Notwendigkeit von Differenzierung, um Ungleichheiten sichtbar zu machen, als nötiger Zwischenschritt auf dem Weg in eine nicht mehr binärsexistischen Zukunft, dem Argument einer wittgenstein‘schen, vielleicht auch austen‘schen oder butler’schen durch Sprache konstruierten Welt und der daraus abgeleiteten prospektiven Geschichtsschreibung gegenüber. Geffen bedient sich methodisch, ohne es zu kommentieren, an der performativen Konstruktion der Gegenwart und Zukunft – weitet diese sogar durch die Technik der Traditionalisierung und des historischen Rewritings in die Vergangenheit hinein aus. Diese Methode verhält sich interessanterweise wie ein Gegenvektor zur Methode der Dekonstruktion der Natürlichkeit im Sinne einer genealogischen, entlarvenden historischen Methode Michel Foucaults.
Wenn Geffen den Freiraum des Pop aber isoliert betrachtet, indem they den „Markt“ als „außerhalb der Musik“ von der Analyse ausklammert, naturalisiert they damit die vielleicht materiellste Form von Diskriminierung und Ausbeutung als apolitisch. Natürlich basiert dieser liberalistische Ausrutscher auf der klugen Prämisse, dass kein einziger Mensch vollkommen im binären System aufgeht und Pop Menschen den Freiraum bietet, auszuleben, was sonst unterdrückt bleibt. Geffens Modell zeichnet Popmusik als Heterotopie, in der, im Sinne von Legacy Russells Glitch Feminismus, Abweichungen und Fehler subversiv auftreten, um die Brüchigkeit des Systems ausstellen. Durch die gesellschaftliche Verschiebung von Kunst in einen dichotomisch der Realität gegenübergestellten Raum der Fiktion, entsteht aber eben nicht nur der von Geffen thematisierte Freiraum des Pop. Die subversiven Fehler, queeren Ästhetiken und Kritiken werden durch die Dialektik diesen Freiraums aber auch als spielerische Fiktionen markiert und ihre Echtheit, Autorität und Ontologie in der kollektiven Vorstellung marginalisiert und potenzialisiert. Geffens Problem ist, dass they den Freiraum Pop für die Analyse aus dem binärideologischen, kapitalistischen System ausklammern will, ihn als wirklich frei betrachten möchte – vielleicht sogar als zukunftsschreibende Utopie. Dabei übersieht they, dass genau dieses binärideologische, sexistische System den Freiraum Pop selbst autopoietisch hervorbringt und von ihm wiederum dialektisch stabilisiert wird.
Über dem Wunsch Geffens, Kunst von ihren Urheber*innen und ihrem persönlichen, sozialen Kontext zu trennen, schwebt die große literaturwissenschaftliche These des 20. Jahrhunderts. Mit Der Tod des Autors und Was ist ein Autor entzogen Roland Barthes und Michel Foucault 1969 dem „Autor“ die Autorität über „seinen“ Text. Die Frage des 19. Jahrhunderts „Was will der Autor uns damit sagen“, war plötzlich irrelevant. Nur in einigen stickigen Klassenzimmern treibt sie bis heute die Deutschlehrer*innen um. Heute hilft diese antiautoritär gemeinte Unsichtbarkeit des „Autors“ jedoch dabei, fehlende Repräsentation zu entpolitisieren und Minderheiten zu unterdrücken. Weil ein „Autor“ heute im Privilegien-Bingo von weiß, cis, männlich, heterosexuell, bürgerlich immer noch mindestens den „Drei in einer Reihe“- Treffer braucht, ist „seine“ Identität für eine ernstzunehmende Auseinandersetzung mit Literatur, Computerspielen, DJ-Sets und Popmusik aber einfach nicht „gestorben“, sondern höchst politisch. Auch wenn man in einigen akademischen Kreisen Foucault gerne mit einer Unanfechtbarkeit vorträgt, als handle es sich um Mao-Zitate: Wir können das Problem des homogenen Kanons und seinen unsichtbaren „Autoren“ nicht länger leugnen. Ironischerweise forderten ja eigentlich gerade Foucault und Barthes zu einer antiautoritären Lektüre auf.
Wenn Geffen die Geschichten wie auf einem Seziertisch nebeneinanderlegt, übersteigen sie die individualistische, immer noch kapitalistisch geprägte Frage „Wer hat’s erfunden?“, die reaktionäre Stimmen sowohl bei Queer- als auch bei Cultural Appropriation oft anprangern. Stattdessen werden sie, ohne dass Geffen es verbalisiert, als Teil eines Systems sichtbar. So erscheint mit Glitter Up the Dark zweifellos eines der besten Bücher über Popmusikgeschichte. Der sehr gelungene historische Ansatz widerspricht sich zwischenzeitlich mit Geffens theoretischen, liberalistischen Ideen. Durch die methodischen und logischen Widersprüche verpasst es they Autor*in so auf den letzten Seiten, aus dem brillanten Rewriting und den systematischen Beobachtungen eine tragende Theorie abzuleiten.
Wenn Geffen die Ahnengalerie aber neu ausstattet, glaubt man wieder daran, dass der heteronormative Wiederholungszwangs eines glücklichen Tages enden könnte. Wie empowernd ist es zu lesen: „Die Musik, über die ich geschrieben habe, […] öffnet in mir einen Raum, in dem für mich die großen Möglichkeiten denkbar werden, die noch kommen“?
Das Schöne (bis dahin): Foucault entspann seinen Aufsatz zum Tod des Autors an Honorée de Balzacs Sarrasine: eine Erzählung, in der sich ein französischer Gast in die scheinbar „ideale Frau“ verliebt. Später findet er heraus, dass, wie in Italien damals noch üblich, ein Castrato die Rolle gesungen hatte. Geffen jedenfalls würde es gefallen.