Kochen und Nachkochen
von Christina Bartz
21.9.2020

Aktuelle Kochsendungen

[aus: »Pop. Kultur und Kritik«, Heft 14, Frühling 2019, S. 18-24]

Wer sich für Kochen interessiert, der findet im (linearen) Fernsehprogramm stets ein passendes Angebot. Gekocht wird in allen Formaten: als mehr oder weniger spektakuläre Spielshow mit Wettkampfcharakter (»The Taste«, »Das Kochduell«, »Die Küchenschlacht«, »Schlag den Henssler«), als Themen-Doku, die ebenfalls Wettkampfelemente enthält (»Das perfekte Dinner«, »Mein Lokal, Dein Lokal«, »Gekauft, gekocht, gewonnen«), als Talkshow, bei der Kochen als kommunikativer Anlass dient (»Lafer! Lichter! Lecker!«), als Coaching-Show (»Rosins Restaurants«, »Rach, der Restauranttester«, »Die Kochprofis«), als Reisemagazin (»Anthony Bourdain«, »Zwei Asse tischen auf«, »Man v. Food«) oder als Kochshow im wörtlichen Sinne, bei der vor Publikum gekocht wird (»Polettos Kochschule«, »Kerners Köche«, »Tim Mälzer«). Alle genannten Sendungen kommen erst nach der Jahrtausendwende ins Programm, sie bilden den Bestandteil eines Booms, der in den 1990er Jahren seinen Ausgang nimmt.

Über eine längere Tradition verfügt ein Format, das man heute ›Tutorial‹ nennen würde, aber in den Anfängen der Verbreitung des Fernsehens ›Ratgeber‹ oder auch ›Service‹ hieß – eine Rubrik, unter deren Titel man in den 1950er bis 1980er Jahren Haushaltsanleitungen gab sowie Rezepte vorstellte und -kochte. 1953 beginnt die erste deutsche Kochsendung »Bitte in 10 Minuten zu Tisch« mit Clemens Wilmenrod, der mit einigen seiner Kreationen wie (dem urheberechtlich umstrittenen) Toast Hawaii nationale Berühmtheit erlangt. Der wahrscheinlich bis heute bekannte Toast Hawaii ist dabei nicht nur ein Beweis, dass die Rezepte tatsächlich nachgekocht wurden (andernfalls wäre er wohl wie das Arabische Reiterfleisch wieder in Vergessenheit geraten), sondern gibt auch einen Hinweis darauf, was unter den Bedingungen eines transitorischen Mediums wie dem frühen Fernsehen das Nachkochen erst ermöglichte: die Einfachheit der Rezepte, die keiner weiteren Speicherung bedürfen.

Ab den 1990er Jahren – den Herausforderungen des Transitorischen wird inzwischen mit dem Versenden von Rezeptheften durch die Sender, mit begleitenden Kochbüchern sowie dem Videorekorder begegnet – nimmt die Anzahl der Kochsendungen sprunghaft zu, das Konzept der televisuellen Kochanleitung bleibt aber präsent, wenn auch in veränderter Form. Die frontale Ansprache des Zuschauers weicht dem Dialog der vor der Kamera Kochenden. Damit beginnen bereits in den 1980er Jahren u.a die Sendungen »Was die Großmutter noch wußte« und »Kochen mit Martina und Moritz« (ehemals »Servicezeit Essen&Trinken«), später dann »Alfredissimo!«, in der Alfred Biolek ab 1994 mit Prominenten Rezepttipps austauscht. Doch die Zunahme der Kochsendungen ist kein deutsches Phänomen; 1993 wird der heute noch bestehende Sender Food Network, der sich auf Sendungen rund um das Essen spezialisiert, gegründet. Rezeptdarbietungen in Form des Vorkochens spielen auch hier eine Rolle, am bekanntesten in den Produktionen rund um Jamie Oliver, dessen Sendungen wie »Jamies 30-Minute Meals« ebenfalls in Deutschland auf den Bildschirm kommen. 

Es gibt unterschiedliche Erklärungen für diesen Anstieg der für das Kochen verwendeten Sendezeit. Zum einen werden die essensbezogenen Sendungen als Bestandteil eines übergeordneten Trends gesehen: das Aufkommen des Lifestyle-Fernsehens, das sich mit Fragen der alltäglichen Lebensführung häufig unter ästhetischen Gesichtspunkten befasst und sich durch seine konsumorientierten Informationen auszeichnet – also Mode, Wohnen, Körper, Auto, Freizeitgestaltung etc. Auch die Erörterung der Geschmacksbildung zu Film, Musik und eben Essen gehören dazu. Wissenschaftlich wird das Lifestyle-Fernsehen verstärkt im Zusammenhang mit Techniken des Selbstmanagements untersucht: Das Fernsehen führe performativ Handlungsoptionen vor, die an die Lebenswirklichkeit der Zuschauer anschließbar seien und in Form der Rezeption und Adaption eingeübt würden. Fluchtpunkt seien dabei weniger die trainierten Verhaltensformen als die Herausbildung einer spezifischen Subjektivität. Bevorzugter Analysegegenstand ist dabei das Make-over, dem eine Selbstoptimierungs- und Selbstermächtigungslogik eingeschrieben sei; der Bereich Essen und Kochen, in dem das Make-over kaum anzutreffen ist, findet dagegen weniger Beachtung. 

Zum anderen wird die Zunahme der Kochsendungen mit einem entsprechenden Zuschauerinteresse erklärt, das auf ein geändertes Essverhalten zurückgehe. Essen werde einerseits zunehmend im Zusammenhang mit Gesundheit und körperlichem Wohlbefinden beobachtet; andererseits werde angesichts knapper Zeitressourcen dem alltäglichen Kochen immer weniger Aufmerksamkeit geschenkt und stattdessen Fertigprodukte konsumiert. Letzteres werde gleichsam durch das Zuschauen bei der televisuellen Zubereitung des Essens kompensiert. Im Zuge dessen gehe es auch um das Moment der Häuslichkeit und Familie, das sich mit dem Kochen verbinde. Familiäre Geborgenheit, wie sie ehemals mittels des heimischen Kochens ›performt‹ wurde, werde nun bei Kochsendungen gesucht.

Jamie Olivers 30-Minuten-Küche gibt für diese Erklärung ein gutes Beispiel ab, weil hier in einer Fernseh-Rezeptanleitung für eine meist gesunde Mahlzeit die Herausforderung knapper Zeitressourcen mit dem Evozieren von familiärer Fürsorge verbunden wird. Das ganze Setting strahlt Häuslichkeit aus, indem an die eher unordentlich gehaltene Küche (an den Kühlschrank sind z.B. Notizzettel geheftet) ein Essbereich anschließt, der aus einem großen Holztisch besteht, um den einladend Stühle gruppiert sind. Immer wieder wird die Rezeptanleitung mit Hinweisen auf Olivers Familie versehen, z.B. wenn der Zuschauer erfährt, dass es sich um das Lieblingsgericht seiner Kinder handelt. Hier spricht nicht der Gastronom, sondern der liebende Familienvater oder auch gastfreundliche Hausherr. Die Zutaten wie auch das fertige Gericht präsentiert die Show farbenfroh und in Detailaufnahme, sie vermittelt dadurch eine große Hinwendung zum Essen. Zugleich ist immer alles in Bewegung und in hoher Frequenz montiert, so wird die Zeitnot und Hektik, die sich auch im Titel niederschlägt, ins Bild gesetzt – in nur 30 Minuten ein selbst zubereitetes Essen für Familie und Freunde, das ist das Versprechen der Sendung. Gesund soll es auch sein, dafür steht Oliver mit seiner ›Feed me better‹-Kampagne. Die Besonderheit dieser Sendung ist die Zeitlimitierung; Häuslichkeit und Familie kehren als Element weiterer Produktionen hingegen immer wieder, insbesondere bei denen von Food Network; einige Sendungen, z.B. mit Siba Mtongana und Giada de Laurentiis, sind auch in Deutschland über sixx zu empfangen. Beide reichern ihre Kochanleitungen mit Geschichten von ihrer Familie an und behaupten, im eigenen Heim zu drehen. Sie vermitteln das Bild einer liebenden Mutter und Ehefrau, deren Zuwendung sich in der Tätigkeit des Kochens niederschlägt.

Doch auch wenn das Moment der Häuslichkeit mit so großer Regelmäßigkeit die Sendungen aufgerufen prägt, greift die Erklärung des veränderten Essverhaltens und der dadurch ausgelösten Wünsche nach televisueller Kompensation für die Zunahme der Kochsendungen zu kurz – und dies nicht nur, weil Zuschauerbedürfnisse selten einen bedeutenden Grund für Fernsehentwicklungen abgeben. Da wären schon eher die Wünsche derer relevant, die für die Fertigprodukte, die das heimische Kochen ersetzen, werben wollen. Für sie bieten die Sendungen ein gutes Werbeumfeld, weil durch die thematische Ähnlichkeit von Werbung und Sendung der Programmflow nicht unterbrochen wird. Bildmotive und -stile können ineinandergreifen und so vom Umschalten abhalten.

Doch das Thema Essen und Kochen ist nicht nur ökonomisch im Sinne des Verkaufs von Werbezeit, sondern auch televisuell gut verwertbar. Es eignet sich für die verschiedenen Inszenierungs- und Darstellungsformen des Fernsehens. Wenn man bei den traditionsreichen Rezeptratgebern bleibt, nimmt gerade das Häusliche und Alltägliche (in deren Sphäre das Fernsehen eingebunden ist) eine zentrale Stellung ein. Als Medium des Heimgebrauchs gehört die Sichtbarmachung und Dramatisierung der häuslichen Sphäre zum Standardrepertoire des Fernsehprogramms. Dem Zuschauer wird modellhaft die eigene Lebenswirklichkeit vorgeführt und sein Alltag durch die ihm zukommende televisuelle Aufmerksamkeit aufgewertet. Genau das leistet das Fernsehen, wenn es Rezepte als eine Art verkürzte Homestory wie bei Mtongana zeigt.

Ganz im Sinne einer Forschung, die Fernsehen als Instanz des Trainings zur Selbstführung beobachtet, wäre deshalb zu fragen, welche Routinen von Häuslichkeit und Familie mittels des Kochens in Szene gesetzt werden. Es geht gerade nicht um Kompensation des Verlusts der heimischen Tätigkeit angesichts von Fertigprodukten, sondern um das Einüben von Praktiken der Familie und Häuslichkeit durch die Zubereitung und das Anrichten von Speisen. Deren Gelingen wird crossmedial durch Internetseiten, die meist nicht nur Zutatenlisten und Rezeptanleitungen, sondern auch Anwendungsbeispiele enthalten, sichergestellt. Sixx erläutert etwa ein Rezept von Oliver mit dem Hinweis: »Die asiatische Suppe ist perfekt für kalte Herbsttage.« So wird selbst ein thailändisches Gericht an den Alltag der Zuschauer angeschlossen.

Regelmäßig verkoppeln Kochsendungen die Sphäre des Häuslichen mit einer Internationalität der Gerichte. Es sind weniger heimische oder weitverbreitete Gerichte, deren Rezepte die Sendungen präsentieren, vielmehr herrscht eine hohe Weltoffenheit bzgl. der Zutaten und Speisen vor. Die empfohlenen Rezepte werden Regionen zugeordnet oder als landestypisch wahrgenommene Nahrungsmittel und Gewürze verwendet. Im Falle von Laurentiis reicht schon die Herkunft der Köchin aus, damit die Gerichte als italienische Originale erscheinen. Dass ›landestypisch‹ eher ein Effekt von Fremdbeschreibungen ist, die sich in Abgrenzung zum eigenen Essen ergeben, haben kulturwissenschaftlich orientierte Food Studies unter dem Begriff des ›ethnic food‹ jenseits televisueller Darstellungsformen herausgearbeitet. Solche Beschreibungen, wie sie auch das Fernsehen in seinen Kochsendungen liefert, schaffen den Eindruck einer ethnischen Einheit auf der Ebene der Kulinaristik, die dann als Lifestyle zum Konsum zur Verfügung steht, z.B. in Form des Besuchs eines Spezialitätenrestaurants.

Maren Möhring hat in ihrer Studie »Fremdes Essen« (2012), in der sie die ausländische Gastronomie der Bundesrepublik untersucht, aufgezeigt, wie fremdländische Restaurants und deren Speisenangebot gleichsam als Institutionen des Probehandelns eines Kulturkontaktes funktionieren. Fremde Kulturen lassen sich laut Möhring im Spezialitätenrestaurant »auf sicherem Terrain« und im Rahmen bekannter »Regularien«, wie sie für einen Restaurantbesuch gelten, erfahren. Vergleichbares lässt sich wohl auch über die Kochsendungen sagen. Sie vermitteln innerhalb bekannter Fernsehformate über die Rezeptanleitungen fremdkulturelle Elemente und die Möglichkeiten einer Begegnung mit ihnen. Dabei ist nicht nur das Rezept selbst bedeutsam, sondern auch dessen visuelle Aufbereitung, die etwa über das Anrichten der Speisen deren Herkunft ins Bild setzt. Das Fernsehen markiert einerseits die ethnische oder regionale Zuordnung von Speisen und macht diese andererseits konsumierbar (und zwar beides, indem vorgeführt wird, in welcher Form die Nahrungsmittel verwertbar und genießbar sind). Beim Betrachten der Sendungen und beim heimischen Nachkochen kann dann im Sinne Möhrings der Kulturkontakt geprobt werden. Und damit das besser gelingt, gibt es nicht nur Rezeptanleitungen; auch die passende Gelegenheit für eine fremdländische Speise wird genannt, denn wie sixx ja weiß, isst man scharfe Suppen am besten an kalten Herbsttagen.

Mit dieser Konstellation der Kochsendung schließt das Fernsehen an eine Tradition an, deren frühen Vertreter Wilmenrod mit seinem exotischen Toast Hawaii und Arabischem Reiterfleisch darstellte. Zu letzterem erschien 1959 ein satirischer Kommentar von Martin Morlock im »Spiegel«, aus dem hervorgeht, dass bereits Wilmenrod Tipps dazu gab, unter welchen Bedingungen ein Gericht besonders genussvoll verzehrt werden könne (Speckkuchen z.B. eher im Freien). Vor allem evoziere er durch den Verweis auf den Nahen Osten mehr oder weniger gelungen die Imagination einer Orientreise, die laut Morlock jedoch spätestens beim Nachkochen als Schein entlarvt werde (weil das Arabische Reiterfleisch wie Buletten schmecke). Fernsehkochen bedeutet – jenseits solcher Ernüchterung – fiktiv in die Ferne zu schweifen, kulinarisch an einem anderen Ort zu sein oder (mit Möhring gesprochen) Kulturkontakt auf sicherem Terrain.

So schließt das Fernsehen mit den aktuellen Kochsendungen nicht nur an die Tradition einer bestimmten Sendeform an, sondern führt in einer modernisierten Ästhetik aus Detailaufnahme und beweglicher Kamera seine eigene Tradition vor, indem es sich noch einmal als das ehemals viel beschworene ›Fenster zur Welt‹ beweist: Es bringt fremde Gerichte in das Heim der Zuschauer und macht sie erlebbar. Im Modus des Kochens in der familiär anmutenden Küche werden die Sphären des Heimischen und des Unbekannten bildlich zusammengebracht. Das Exotische macht aber nur äußerst anschaulich, was auch mit »Heimathäppchen« (WDR) funktioniert: die Welt nach Hause bringen.

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von Christina Bartz
21.9.2020

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