Hedonismus und Verantwortung in »Star Trek Deep Space Nine«
von Maren Lickhardt
18.3.2020

Eine Star-Trek-Rezeption unter dem Zeichen von Corona

Es gibt bei Star Trek Deep Space Nine eine Folge, in der ein Liebespaar, die lebenslustige Wissenschaftsoffizierin Jadzia Dax und der schwermütige Offizier für strategische Operationen Whorf, auf den berühmt berüchtigten Planeten Risa in Urlaub fährt (s5e7). Wir kennen diesen Planeten schon aus Star Trek Next Generation und wissen, dass sich alles an diesem Ort um das Ausleben hedonistischer Bedürfnisse rankt.

Führt man beispielsweise ein Horga’hn, das risianische Fruchtbarkeitssymbol bei sich, signalisiert man, dass einem der Sinn nach Jamaharon steht. Frau kann einen Horga’hn in diesem Sinne ebenfalls herzeigen. In beiden Fällen eilen die Risianer/innen mit dem Motto „All that is ours is yours“ herbei, um die entsprechenden Bedürfnisse zu befriedigen. Dabei geht es ausdrücklich nicht um Prostitution, sondern freie Liebe, bei der alle auf ihre Kosten kommen. Das mag ein Geschmäckle haben, ist aber als positiver Ausdruck einer libertären Verfassung konstruiert. Es geht darum, alles zu tun und zu tolerieren, solange es niemandem schadet.

Abgesehen davon können Besucher/innen auch allen möglichen anderen Vergnügungen nachgehen. Da der Planet über eine perfekte Wetterkontrollstation verfügt, scheint auf Risa immer die Sonne. Risa ist ein künstliches Paradies, das unsere Lieblingsurlaubsziele wie Palma de Mallorca oder Ischgl bei weitem übertrifft, obwohl Ischgl nicht wenig Kunstschnee zu bieten hat.

Whorf, der sich für dieses Szenario nicht erwärmen kann, trifft auf dem Planeten auf Pascal Fullerton, den Anführer des New Essentialist Movement, der mit dem Programm antritt: „We’re dedicated to restoring the moral and cultural traditions of the Federation. […] This world revels in the kind of self-indulgence that’s eroding the foundations of Federation society.“ (14:32) „I can only imagine what you must think of me – a middle-aged ponderous academic […] wasting his time telling you things you don’t want to hear. But you know what I see when I look at you? Children, pampered, spoiled children.“ (18:06)

Der misslaunige Whorf fühlt sich durchaus zu dieser Bewegung hingezogen, die sich in ihr Anti-Dekadenzprogramm hineinsteigert, das kulturpessimistische Haltungen gegen die zeitgenössische populäre Unterhaltungskultur spiegelt, wodurch die Serie reflexiv Einwände gegen sich selbst verhandelt. Die Argumente sind bekannt: Wenn man beschützt und diesseits gewandt nur nach dem nächsten Kick strebt, liefert man sich schutzlos möglichen Gegner/innen der eigenen Kultur – im Fall der Serie dem Dominion – aus. Das heißt, hier geht es ausnahmsweise nicht um Verflachung und Oberflächlichkeit, sondern um Verletzlichkeit im Zeichen der Unterhaltung.

»The Party Is Over«

Um zu demonstrieren, wie abhängig alle Leute auf Risa von ihrem Gute-Laune-Wetter sind, begeht die Gruppe zusammen mit Whorf einen kleinen terroristischen Anschlag. Sie setzen die Wetterkontrollsysteme außer Kraft und führen einen Ausnahmezustand herbei, weil sie denken, dass des Planeten „natural weather cycle“ (32.32), der im Wesentlichen aus Regen besteht, den Leuten verdeutlichen wird, dass sie in einer artifiziell generierten Illusion leben. ‚Zurück zum Essentiellen‘ lautet das Motto der Essentialisten: „If the Federation is going to survive we’re going to have to stop wasting our time with toys and get back to the essentials.“ Whorf ist überzeugt: „If Federation citizens cannot handle a little bad weather, how will they handle a Dominion invasion?“ (32:40) Man fragt sich natürlich sofort, wie der Ausnahmezustand im nächsten Schritt von Fullerton instrumentalisiert werden würde.

Jadzia, die Whorf zu dem Vergnügungsurlaub überredet hatte, hält dagegen. Als Trill, also als eine Spezies, die lange über mehrere Wirte hinaus lebt, hat sie die Föderation schon seit Jahrhunderten in vielen Leben verteidigt. Warum soll sie die positiven Effekte der aufklärerischen Ideale, für die sie mit aller Ernsthaftigkeit steht, nicht genießen? Whorf sieht dies ein. Als die Essentialisten mit ihrem Terrorakt eine gefährliche Stufe erreichen, interveniert er und rettet das Paradies mit den Worten: „You say that we have to return to traditional Federation values. Well, I agree, but one of those values is trust. It is essential that we remember that.“ (42:25)

Die Episode ist als Plädoyer für post- und pop-moderne Unterhaltung angelegt: Diejenigen, die über Gefahren reden, führen sie selbst herbei. Terroristische Akte sind nötig, um überhaupt die Gefahren zu bringen, die von den Kulturpessimisten beschworen werden. Die Essentialisten stellen die eigentliche Gefahr für eine fried- und freudvolle Kultur dar. Und am Ende sind es die Essentialisten, die leicht von den Sternenflottenoffizier/innen überwältigt werden können. Sie lassen sich das Paradies nicht von Personen zersetzen, die im Negativen nach Zucht und Ordnung schreien.

Dabei darf aber nicht vergessen werden, dass Star Trek ein bisweilen unreflektiertes (The Original Series) oder naives (The Next Generation) oder brüchiges (Deep Space 9) Ideal hochhält, das sämtliche Mitglieder der Sternenflotte bedingungslos vertreten, und dass Jean-Luc Picard in Picard nun antritt, um endlich auch die eigenen Grenzen zu überwinden und die humanitäre Haltung auf Asylsuchende und Fremde auszuweiten. Jede der Figuren im Star Trek-Universum kann bei allem Spaß, wenn es nötig ist, auch verzichten, um das Richtige zu tun. Jadzia tummelt sich nur auf der Risa, weil sie ganz genau weiß, dass sie es sich erlauben kann. Während sie Essentialisten keine Sekunde Glauben schenkt oder ihnen gar erliegt, ist sie als aufgeklärte, verantwortungsbewusste Wissenschaftlerin in ca. 150 Folgen diejenige, die auch weiß, wann die Party vorbei ist. Hedonismus ist in der sehr unterhaltenden und oft libertären Serie nur das Tüpfelchen auf dem I, wenn alle idealen wie materialen Parameter für alle stimmen und gewährleistet ist, dass kein Schaden entsteht.

In dem Sinne: Live Long and Prosper and Flatten the Curve.

 

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