Werkstattbericht eines ‚freien Autors‘
Wenn ich selbst entscheiden kann, wie ich bei einer Tagung oder in den biografischen Notizen unter einem Text bezeichnet werden will, sage ich „Kulturwissenschaftler und freier Autor“. Das heißt, dass ich mich über das Schreiben und Publizieren definiere. Bis 2015 lautete die entsprechende Angabe noch „Professor für Kunstwissenschaft und Medientheorie“. Dass ich also noch nicht so lange als freier Autor firmiere und dafür auch meinen Beamtenstatus aufgegeben habe, dürfte umso mehr nach überzeugter Identifikation klingen. Allerdings hat sich für mich durch den Statuswechsel gar nicht so viel verändert. „Forschung und Lehre“ hieß für mich ebenfalls bereits, Erkenntnisse und Thesen möglichst in schriftliche Form zu bringen und öffentlich zu machen. Wissenschaft lebt von Transparenz; nur was publiziert wird, kann auch überprüft, diskutiert, korrigiert oder erweitert werden. Die Bezeichnung ‚freier Autor’ sagt im Unterschied dazu erst einmal nur, dass ich meiner forschenden und publizistischen Tätigkeit außerhalb einer Institution und jenseits von Antragswissenschaft nachgehe. Aber letztlich sagt die Bezeichnung dann doch viel mehr. Zeugt sie nicht von dem Vertrauen, mit Publikationen den eigenen Lebensunterhalt bestreiten zu können? Die titelgebende Frage meines Vortrags könnte also genauso lauten: Publizieren, um – nicht – leben zu können?
Woher aber kommt das Vertrauen in die existenzsichernden Kräfte des Publizierens? Und wie kann jemand dieses Vertrauen haben, der weder Literatur noch Reportagen oder Drehbücher schreibt? Tatsächlich bekomme ich die meisten skeptischen, besorgten, ungläubigen Fragen von Leuten, die in ähnlichen Fächern tätig, dabei aber fest angestellt sind – viel seltener von Menschen, die ihr Geld in ganz anderen Bereichen verdienen. Das mag damit zu tun haben, dass Fachfremde zu wenig Ahnung von den Verhältnissen in den Geisteswissenschaften haben, dürfte aber mindestens so sehr daran liegen, dass die Vertreter von letzteren generell und habituell besonders zaghaft eingestellt sind, wenn es um die Bewertung der eigenen Chancen und Fähigkeiten geht. Tatsächlich dürfte es in kaum einem anderen Metier so große Selbstachtungsdefizite und Defensivhaltungen geben wie unter Geisteswissenschaftler*innen. Manchmal bezweifeln sie sogar die eigene Wissenschaftlichkeit, und leider erheben viele von ihnen weder Ansprüche auf breitere Aufmerksamkeit und Anerkennung für ihre Publikationen, noch darauf, aktuelle Debatten mit ihren Stimmen zu bereichern.
Weitere Gründe kommen hinzu, weshalb viele zu der Grundeinstellung neigen, das, was sie veröffentlichten, werde ohnehin nicht gelesen und sei letztlich nicht so wichtig. So geht gerade in der Kunstgeschichte – mehr als etwa in der Soziologie oder in der Politologie – der Verdacht um, die großen Zeiten des Fachs lägen in der Vergangenheit; man könne bestenfalls gegen einen weiteren Bedeutungsverlust anschreiben, komme aber letztlich zu spät. Was also ist von dem Selbstbewusstsein geblieben, mit dem ein Wissenschaftler wie Heinrich Wölfflin nach allgemeingültigen Formeln der Stilentwicklung suchte oder das einen Kunstschriftsteller wie Julius Meier-Graefe dazu brachte, Urteile über Künstler mit der Autorität eines letztinstanzlichen Richters zu fällen? Dabei ist andererseits überall vom ‚Iconic Turn’ und von der wachsenden Bedeutung von Bildern die Rede. Gerade Kunst- und Bildwissenschaftler*innen könnten und sollten also eigentlich größeren Stellenwert, mehr öffentliche Resonanz haben als früher.
Doch werden auch aus der Diagnose einer wachsenden Bildermacht lieber gegenteilige Schlüsse gezogen – und man mutmaßt, dass Texte und Diskurse insgesamt künftig keine so große Rolle mehr spielen, die Epoche der Schrift also zu Ende geht. Was aber soll Wissenschaft dann überhaupt noch sein? Ist ihre Zeit dann nicht auch vorbei? Oder müsste sie sich vollständig reformieren, um zeitgemäß zu sein, ja um in einer Gesellschaft Geltung haben zu können, in der Evidenzen und Emotionen zunehmend eher mit Bildern als mit Worten geschaffen werden?
Tatsächlich sprechen die technischen Möglichkeiten von Jahr zu Jahr mehr dafür, zur Vermittlung von Wissen und als Ort für Debatten lieber auf multimediale Formate zu setzen statt weiter logozentrisch zu agieren. Doch auch jenseits von Veränderungen, die sich aus der Digitalisierung ergeben, lässt sich schon länger vielfach eine Konjunktur von Spielarten des Demonstrierens und Zeigens – auf Kosten von Schrift und Sprache – erkennen. Gerade hinsichtlich des Umgangs mit Kunst ist sicher die Karriere des Mediums ‚Ausstellung’ am eindrucksvollsten. Lange eher als Pranger und Entfremdungsinstrument wahrgenommen, traut man Ausstellungen seit einigen Jahrzehnten nahezu alles zu, ja glaubt offenbar, durch geschickte Auswahl und Anordnung von Exponaten lasse sich beliebig viel Erkenntnis hervorbringen. Entsprechend sind nicht mehr Kunstschriftsteller, Kritiker und Wissenschaftler, also Vertreter schreibender Berufe, sondern Kurator*innen – Profis des Zeigens – Leitfiguren des Kunstbetriebs.
Sofern das Wort doch noch eine Rolle spielt, ist es aber – auch das eine immer manifestere Entwicklung – zunehmend das gesprochene und nicht das geschriebene Wort. Interviews und Podiumsdiskussionen boomen, und in der digitalen Welt finden Podcasts und YouTube-Channels selbst bei denen viel Resonanz, die bis vor kurzem noch eindeutig – schriftfixierte – Büchermenschen waren. Für die jüngere Generation gilt das umso mehr – hier ist YouTube eine wichtigere Quelle für Wissen und Orientierung als Wikipedia und im Geist von Schriftlichkeit Geschriebenes weniger Teil des Alltags als eine Gegenwelt.
Wie kann man sich unter solchen Umständen noch als freier Autor begreifen, wie nach wie vor darauf beharren, Bücher zu publizieren – und wie überhaupt schreiben? Wenn man (wie ich) schon ein wenig länger publizistisch tätig ist, sind die angesprochenen Veränderungen natürlich auch direkt zu spüren. Auflagen von Büchern werden kleiner, Rezensionen weniger, man wird seltener von Leser*innen kontaktiert. Dafür bekommt man Mails von Studierenden, die ein Referat über ein Buch halten sollen, es aber nicht lesen wollen, sondern darum bitten, dass der Autor ihnen Fragen dazu beantwortet. Für Journalist*innen gilt das noch mehr. Man muss also, je mehr man geschrieben hat, desto öfter darüber reden, hat also gleichsam doppelte Arbeit. Dabei droht das, was man in der schriftlichen Formulierung schon mal auf den Punkt gebracht hatte, in der Rückvermündlichung wieder ungenauer zu werden. Aber es gilt als O-Ton – und das ist meist wichtiger.
Wird man zu einer Lesung eingeladen, soll man ebenfalls keinesfalls mehr lesen, sondern erzählen oder sich interviewen lassen. Doch wird das Publikum dadurch nicht etwa neugierig auf das Buch, vielmehr haben die meisten, nachdem sie den Autor ja schon ‚live’ gesehen und gehört haben, das Gefühl, es gar nicht mehr lesen (und kaufen) zu müssen. Das Buch ist also nur Anlass für einen Abend, wie man als Autor auch sonst zu einer Podiumsdiskussion oder zu einem Vortrag zwar eingeladen wird, weil man ein Buch geschrieben hat, dieses jedoch weder von den Veranstaltern davor noch vom Publikum danach gelesen wird. Selbst halbwegs erfolgreiche Autor*innen leben somit kaum – weniger denn je – von ihren Büchern, aber dafür von den vielen Events, die mit ihnen bespielt werden.
Das ist keine durchwegs schlechte, auf jeden Fall aber eine paradoxe Situation. Als Autor kann man daher nämlich nur überleben, wenn man willens und fähig ist, auch aufzutreten und gerade nicht das zu tun, was man dem eigenen Selbstverständnis zufolge eigentlich tut und am liebsten tun will: schreiben. Entsprechend muss man sich ein wenig sorgen, ob man wohl auch noch eingeladen werden wird, wenn sich erst einmal feste Größen in den neuen Formaten etabliert haben, die – etwa als YouTuber oder Podcaster – von vornherein geübter und begabter darin sein dürften, zu performen, sich in Szene zu setzen und unterhaltsam zu sein. Doch noch ist es nicht so weit. Noch tingelt man als Autor von Pult zu Pult und Podium zu Podium – und darf sich dabei sogar ein klein wenig wichtig vorkommen.
Ist man zwischendurch wieder zuhause, schreibt man weiter an den Texten, vielleicht sogar am nächsten Buch. Doch wäre man ein nachlässiger und kurzsichtiger Autor, ließen einen die Erfahrungen mit so vielen Nicht-Leser*innen und so wenigen Leser*innen unbeeindruckt. Die berühmte Sinnfrage könnte sich stellen, aber genauso ist es möglich, sich in eine ‚Trotz alledem’-Haltung zu begeben. Ich selbst mache mir viele Gedanken darüber, wie sich Bücher schreiben ließen, die entgegen allen gegenläufigen Trends dennoch gelesen werden könnten. Und ich bin auch froh, dass ich mir solche Gedanken machen muss, denn ich bin überzeugt davon, dass es einer Sache gut tut, wenn sie nicht selbstverständlich geschieht, sondern immer wieder neu begründet und neu angepasst werden muss. Die diversen Zweifel, die man als Autor und erst recht als geistes- und kunstwissenschaftlicher Autor heute haben kann, versuche ich also nicht zu verdrängen, sondern mich davon leiten zu lassen und sie als Treibstoff für Reflexion und Ausprobieren zu nutzen.
Von Buch zu Buch brauche ich daher aber auch länger, bis ich eine Form finde, die mich selbst überzeugt. Am Anfang steht meist die Vorstellung, eines der beliebten mündlichen Formate zu übernehmen und den gesamten Text als Interview oder Gespräch abzufassen. Würde das nicht leichter und lebendiger zu lesen sein als eine kompakte Abhandlung? Und gibt es dafür nicht auch berühmte Vorbilder – zumal aus Zeiten, in denen sich Formfragen ebenfalls schon stärker stellten oder in denen Medienumbrüche stattfanden? War etwas Ähnliches nicht sogar schon Platons Erfolgsrezept? Und ist Platon nicht ohnehin (einmal mehr) moderner denn je, weil er nicht nur Dialoge verfasst hat, sondern auch ein erklärter Kritiker der Schrift war? Er lebte in der gegenläufigen Umbruchszeit zu der, die aktuell begonnen hat, blickte also noch als Fremdling auf das Neuland ‚Schrift’ und kannte alle Vorbehalte ihr gegenüber. Das gewichtigste Argument ihr gegenüber lautete, dass ein geschriebener Text gleichsam tot, nur ein Notbehelf sei, mit dem die Gedanken eines Autors fixiert würden, der aber viel besser, wirkungsvoller, passgenauer agieren könne, wenn er selbst anwesend – mündlich präsent – sei.
Beim weiteren Konzipieren eines Buchs habe ich mich dann aber bisher doch jedes Mal wieder von der Adaption einer mündlichen Form verabschiedet; sie erscheint mir als Fake, ist zwar vielleicht mit weniger Hürden rezipierbar, entbehrt aber, außer sie würde ihrerseits manieriert, der Vorzüge des Schriftlichen, also etwa einer Verdichtung durch Leitmotive oder einer Systematisierung von Argumenten. Dennoch bleibt die Phase der Formfindung von dem Wunsch geprägt, den sich ändernden Ansprüchen möglicher Leser*innen entgegenzukommen. Gefälligkeit und Unterhaltsamkeit – so rede ich mir ein – sind dabei aber sicher nicht die einzigen Kriterien. Oder kann etwa nicht gerade die Verdichtung dazu führen, eine Lektüre zwar nicht einfacher, aber dafür intensiver zu machen – und auf diese Weise die Lesezeit – und letztlich die Lebenszeit – erfüllter werden zu lassen? Die Zeit anderer nicht zu verschwenden, scheint mir tatsächlich einer der wünschenswertesten Imperative für Autor*innen zu sein, und zu überlegen, wie man Thesen anschaulicher, Argumente prägnanter und Beispiele ohne Geschwätzigkeit formulieren kann, kann – und sollte – immer wieder Ansporn sein. Das Buch ist dann bestenfalls ein Konzentrat – und im Extremfall gar nicht darauf angelegt, auf einmal und im Ganzen gelesen zu werden.
Dass nichts selbstverständlich und zugleich mehr denn je möglich ist, bedeutet also eigentlich eine Chance für die Gattung ‚Sachbuch’. Vielleicht könnte man daher sogar eine weitere Paradoxie diagnostizieren: Die wachsende Lese-Krise hat nicht zwangsläufig ein Nachlassen der Qualität zur Folge, vielmehr können die Zweifel, Skrupel und Überlegungen der betroffenen Autor*innen im Gegenteil sogar zu einer Verbesserung der Standards von Lesefreundlichkeit, eventuell aber auch zu innovativen Formen von Stil, Dramaturgie und Darstellung führen.
Um diese Vermutung beweisen (oder auch nur plausibel machen) zu können, müsste man jedoch möglichst viele heutige und – im Vergleich dazu – frühere Sachbücher lesen. Allerdings sind auch Autor*innen mittlerweile häufiger als früher Nicht-Leser*innen als Leser*innen – dies eine Beobachtung, von der ich mich selbst keinesfalls ausnehmen kann. Zwar wurde sicher zu allen Zeiten Lektüre gerne simuliert, weshalb als Gegenmittel sogar die Akademien gegründet wurden, die nicht zuletzt auf der Idee beruhen, ihre Mitglieder zum Studium der Schriften der anderen Mitglieder – also auf ein Leseethos – zu verpflichten. Doch heute gibt es dank der vielen Interviews und ähnlichen Formate simple und gute Möglichkeiten, Lektüre zu substituieren. Und warum sollten Autor*innen davon weniger Gebrauch machen als andere Interessierte? So bleiben viele der mutmaßlich guten Bücher auch unter Kolleg*innen weithin ungelesen. Die Autorentätigkeit selbst ist damit aber zugleich einsamer als früher, da man weniger in Reaktion auf andere Bücher – höchstens in Reaktion auf andere Positionen – schreibt. Das wiederum führt dazu, dass es auch weniger Verbundenheit unter Autor*innen gibt – und entsprechend weniger Standes- und Selbstbewusstsein. Zudem dürfte der Qualitätsgewinn, der darin liegen kann, dass man als Autor*in heute vermehrt über Leser*innen und Vermittlungsfragen nachdenkt, dadurch wieder wettgemacht werden, dass man weniger in der schriftlich-textlichen Auseinandersetzung mit anderen Autor*innen steht als früher.
Autor*innen mangelt es heutzutage vor allem aber auch deshalb an Selbstbewusstsein, weil mehr Menschen denn je Texte publizieren. Vor allem das Internet macht es möglich. Der Krise des Lesens korrespondiert also gewiss keine Krise des Schreibens. Dies ist eine weitere Paradoxie, die sich noch durch die Hypothese steigern lässt, dass viele auch deshalb weniger lesen, weil sie dafür mehr schreiben, dieselbe Zeit somit lieber für das Produzieren als für das Rezipieren von Texten verwenden. Autor*in zu sein, ist damit nichts Besonderes mehr, die Bezeichnung selbst vermag kaum noch motivierend zu wirken.
Diejenigen, die sich eigentlich mit mehr Berechtigung und Überzeugung als Autor*innen begreifen könnten, weil sie Bücher und nicht nur kleine Beiträge oder journalistische oder gleichsam mündliche Texte schreiben, tun sich mittlerweile sogar umso schwerer, Selbstvertrauen oder gar Stolz aus ihrer Tätigkeit zu beziehen. Denn ihnen bleibt nicht verborgen, dass selbst mittelmäßige Blogs mit hastig geschriebenen Beiträgen oft viel mehr gelesen werden als Bücher, in denen Jahren an Arbeit steckt. Online zu publizieren, heißt, vernetzt zu sein, und jeder Link bietet die Chance, neues und noch mehr Publikum zu bekommen, das zugleich die Möglichkeit hat, bei Bedarf schnell und unkompliziert zu reagieren – mit einem Kommentar, einem Tweet oder auch nur einem Like. Diese unmittelbare Kommunikation fördert die Vermündlichung des Schreibens, zugleich aber lässt es sich als Defizit empfinden, dass bei Büchern – und selbst bei E-Books – Austausch und Vernetzung nicht gleichermaßen stattfinden. Entsprechend wächst bei Autor*innen von Büchern nach und nach der Eindruck, ihr Geschriebenes habe den Charakter von Grabbeigaben: sei zwar sicher aufgehoben, aber auch für lange Zeit, vielleicht für immer verborgen – und damit tot. Will man Austausch und Debatte vermeiden, so lässt sich schließen, braucht man nur ein Buch zu schreiben und zugleich auf Interviews oder andere Aussagen dazu zu verzichten. Noch mehr Garantie, folgenlos zu bleiben, gibt es für Texte in gedruckten Sammelbänden, mit denen Symposien dokumentiert oder Jubiläen begangen werden. Ich kann mich nicht erinnern, hier jemals eine Reaktion bekommen zu haben.
Dagegen bin ich immer wieder überrascht, wie es sich anfühlt, wenn ein Text, der zuerst im Print erschienen ist, einige Wochen oder Monate später online publiziert wird. Es ist, als würde er an die Kreisläufe der Kommunikation angeschlossen und zum Leben erweckt. Plötzlich gibt es wirklich Rückmeldungen, manchmal entspinnt sich sogar eine Diskussion, oder man findet sich zitiert. Wer die Idee von Wissenschaft ernst nimmt, müsste somit darauf achten, dass möglichst viele eigene Texte online zur Verfügung stehen, denn so etwas wie eine ‚scientific community’ kann nur noch im Netz real sein. Nur was online zu finden ist, ist genügend gut verfügbar, um auch rezipiert zu werden. Nur was online steht, ist wirklich öffentlich – ist wirklich publiziert.
Das gilt wiederum nur für Texte, die nicht hinter Bezahlschranken liegen, denn auch sie stellen oft – nicht nur finanziell, sondern ebenso logistisch – ein so großes Hindernis dar, dass sie den freien Fluss weitgehend zum Stillstand bringen. Dieser Umstand erinnert aber zugleich daran, wie schwer es generell – nicht nur im Bereich der Wissenschaft – ist, im Netz mit Texten Geld zu verdienen – wie schwer es also erst recht ist, als Autor*in von Online-Publikationen leben zu können. Doch da es (wie ich ausführte) längst genauso wenig realistisch ist, mit Büchern den eigenen Lebensunterhalt zu bestreiten, sondern das eher dank der Einladungen einer vielfältigen Eventkultur gelingt, bedeutet es auch nicht unbedingt weitere Einbußen, wenn man für wenig bis kein Geld online publiziert. Aktuell hält es sich ungefähr die Waage, ob man wegen eines Online-Beitrags, der zu einer Diskussion führte, zu einem Auftritt eingeladen wird, oder ob das geschieht, weil man ein Buch geschrieben und allein damit besonderes Engagement für ein Thema an den Tag gelegt hat. Künftig könnten Bücher aber auch in dieser Hinsicht an Bedeutung verlieren, und statt einen renommierten Verlag zu haben, wird es für Autor*innen dann wichtiger sein, online gut vernetzt zu sein.
Eventuell erwächst aus der allgemeinen Vernetztheit aber auch ein neues Bedürfnis nach Exklusivität, und vorstellbar erscheint mir, dass es künftig einen Markt für Texte gibt, die nur in limitierten Editionen gedruckt werden und allein aufgrund ihrer Knappheit als wertvoll gelten und entsprechend teuer sind. Etwas lesen zu können, von dem man weiß, dass andere es nicht lesen können, dürfte eine Erfahrung sein, die sich mancher einiges kosten lassen wird. Schon jetzt gibt es vermutlich viel mehr Geschriebenes und gerade auch viel mehr Wissenschaft jenseits jeglicher Öffentlichkeit, als man zuerst vermuten würde. Man denke nur an die zahllosen Studien und Expertisen, die Unternehmen in Auftrag geben und die gar nie gedruckt oder publiziert werden. Es lässt sich hier von einer Schattenwissenschaft sprechen, die meist sogar mit Geheimhaltungspflichten einhergeht, da sich die Auftraggeber von der Exklusivität Vorteile gegenüber der Konkurrenz erhoffen. Eigentlich sollten sie allerdings eher die Sorge haben, dass man ihnen nicht unbedingt das Beste verkauft – allein weil es hier keinerlei Kontrolle durch andere Wissenschaftler*innen geben kann. Aus der Sicht eines Ideals von Wissenschaft müsste man jede derart gezielte Nicht-Publizität sogar als Rückschritt verurteilen – als Weg zurück in Eigenbrötelei und Idiosynkrasie. Nicht zuletzt drohen dort Einseitigkeit und sogar Ideologisierung, da die Interessen der Auftraggeber stärker sein können als der Wunsch nach Sachlichkeit. Andererseits sind Exklusivaufträge gut bezahlt, für Autor*innen, die mit ihrer öffentlichen Arbeit nicht genügend verdienen, daher neben den Einladungen zu Vorträgen und Events eine willkommene Einnahmequelle.
Heutzutage – so wie ich – als freier Autor zu leben, bedeutet also, nie auf einen Nenner bringen zu können, was man tut. Manchmal hat man viel Öffentlichkeit, bekommt aber kein Geld, ein anderes Mal empfindet man eine gute Bezahlung fast schon als Schweige- oder Schmerzensgeld, weil Schreiben dann gerade nicht Publizieren bedeutet, sondern zur Geheimangelegenheit wird. Manchmal hat man als Autor mehr zu reden als zu schreiben, und generell hat man es mit einem Medienwandel zu tun, der sehr vieles, was lange Zeit selbstverständlich war, infrage stellt – weit über die Rolle von Autor*innen hinaus. Eine Identifikation mit einer festen Idee von ‚freier Autor’ ist also gar nicht möglich. Für mich jedoch besteht der Reiz des Autor-Seins gerade darin, ein immer skeptisches, immer leicht gebrochenes Verhältnis dazu zu haben. Vielleicht bin ich sogar nur Autor geworden, weil ich generell ein Problem habe, mich mit etwas zu identifizieren. Vielleicht bin ich es also gerade nicht, weil ich so viel Vertrauen in diese Tätigkeit und ihre Zukunftstauglichkeit habe, sondern weil ich die Beweglichkeit mag, die aus Unsicherheit resultiert.
Diesen Vortrag hielt Wolfgang Ullrich auf der Tagung „Die Zukunft des kunstwissenschaftlichen Publizierens“, die am 19./20. Juli 2019 auf Initiative des „Zentralinstituts für Kunstgeschichte“ in München stattfand. Zuerst publiziert auf der Website des Autors, Veröffentlichung hier mit freundlicher Genehmigung des Autors.
Wolfgang Ullrich ist freier Autor (Leipzig).