Daniela Kirschstein, Johann Georg Lughofer, Uwe Schütte (Hrsg.), Gesamtkunstwerk Laibach. Klang, Bild und Politik. Drava: Klagenfurt 2018.
Der von Daniela Kirschstein, Johann Georg Lughofer und Uwe Schütte 2018 herausgegebene Band „Gesamtkunstwerk Laibach. Klang, Bild und Politik“ gliedert sich in zwei größere, mit „Annäherungen“ und „Fallstudien“ überschriebene Teile, die insgesamt fünfzehn Beiträge (fünf davon in englischer Sprache) umfassen und durch ein Vorwort respektive einen Epilog flankiert werden. Berücksichtigt man die von Laibach kontinuierlich verfolgte Strategie, ideologische Meisternarrative durch einen Mix von Überidentifikation und (auf die historische Avantgarde rekurrierender) Konfrontation gezielt zu unterminieren, so ist das multiperspektivische Format des Sammelbandes zweifellos ein probater Modus der Auseinandersetzung mit der slowenischen Gruppe.
Bedauerlicherweise werden die versprochenen „Annäherungen“ nach dem knappen Vorwort, in dem die drei Herausgeber/innen Evolution und Position Laibachs auch innerhalb des Kollektivs „Neue Slowenische Kunst (NSK)“ stimmig umreißen, im ersten Beitrag von Holger Schulze kaum geboten: Schulze referiert in einem assoziativen und nur schwer zugänglichen Sprachgestus zu einigen ausgewählten Alben und Songs der Gruppe und gleicht sie mit deren ideologischen Positionen ab. Dabei setzt er freilich ein überaus hohes Maß an Vorwissen in Bezug auf Laibach voraus, weshalb der Beitrag ausgerechnet am Beginn des Bandes denkbar unglücklich positioniert ist. Man kann auf dieses Spiel für Eingeweihte nun wahlweise einsteigen oder aber Schulzes (Selbst-)Darstellung getrost ignorieren.
Veronika Darian untersucht danach in konziser, wenn auch stark auf Alexei Monroes Monographie Interrogation Machine: Laibach and NSK bezogener Weise die verschiedenen Strategien bei der Selbsthistorisierung der Gruppe (wobei Monroes Untersuchung freilich den gesamten Band über immer wieder zitiert wird). Darian macht diese Strategien in einer von Mystifikationen und bewussten Irritationen geprägten Überspitzung konventioneller Formen der Selbstkanonisierung, in der durch die Kooperation mit diversen Theoretikern (allen voran Slavoj Žižek) generierten Verschränkung von künstlerischer Praxis und Theorie und nicht zuletzt in einer spezifischen Zitierpraxis aus. Diese entschlägt sich laut Darian dem Entscheidungszwang zwischen Parteiideologie und oppositioneller Vereinnahmung respektive zwischen avantgardistischen und reaktionären Strömungen dadurch, dass sie die lediglich relative Gültigkeit von Dichotomien dieser Art überhaupt erst sichtbar macht.
Alexei Monroe selbst bietet direkt im Anschluss daran unter dem Titel Nostra Culpa / Ihre Geschichte eine Art Postskriptum zu seiner Studie aus dem Jahr 2005 und warnt unter Rückgriff auf die tektonische Metapher der Bruchlinie davor, Laibachs künstlerischen Aktivitäten wie etwa dem Auftritt in Nord-Korea 2015 stabile Bedeutungen und eindeutige Intentionen zuzuweisen, da diese von der Gruppe selbst immer wieder bewusst unterminiert und zum Einsturz gebracht werden.
Michael N. Goddard referiert zu den diversen Mechanismen der Irritation und Subversion in den Aktionen der im Titel seines Aufsatzes angeführten „Laibach Kunst War Machine“. Die Metapher der Maschine ermöglicht es Goddard, stichwortartig gleich mehrere Facetten in Bezug auf Genealogie und Performanz der Gruppe zu beleuchten, nämlich ihr bewusst entindividualisiertes und dadurch irritierendes Auftreten (etwa in TV-Interviews, wo sich die Bandmitglieder jeglichem Dialog verweigern), den Konnex zum Industrial und schließlich Laibachs Verbindung zur Industriekultur im slowenischen Trbovlje und der spezifischen Symbolik dieser Kultur.
Eva-Maria Hanser wiederum veranschaulicht in ihrem Beitrag Laibach als Antwort? im Rückgriff auf Sigmund Freud, Slavoj Žižek und Aristoteles’ Begriff der Katharsis eindrücklich, wie sich Laibach sowohl in der Inszenierung auf der Bühne als auch in den Manifesttexten allen Hoffnungen auf eindeutige Zuschreibungen von Rezipientenseite her bewusst versagt und eben keine Antworten gibt, um so die Position des Fragenden weiterhin offen und dadurch funktional halten zu können.
Ähnlich überzeugend (freilich bei etwas stärkerer thematischer Fokussierung) gestalten sich die darauffolgenden Beiträge von Tanja Veverka und Simon Bell: Veverka unternimmt den Versuch, Laibachs mannigfach gebrochene, rhizomartig gestreute Verweise auf diverse Artefakte aus Hoch- und Populärkultur, die in ihrer Gesamtheit keine eindeutige Bedeutung ergeben, sondern widersprüchlich bleiben, mit poststrukturalistischen Theorien von Intertextualität abzugleichen. Durch Verfahren wie Remix oder Montage, die gleichermaßen der historischen Avantgarde wie der Postmoderne geschuldet sind, erhalten die von Laibach verarbeiteten Materialien laut der Verfasserin einen neuen Funktionskontext zugewiesen. Dieser unterliegt primär den Prinzipien von Wiederholung und Diskontinuität, ohne jemals konkret fixierbare Bedeutungen hervorzutreiben, und lässt sich Veverka zufolge mit Jacques Derridas Theorie der Pfropfung beschreiben. Veverka veranschaulicht dies anhand von Laibachs Version von „Opus’“ Live Is Life und des dazugehörigen Videos, die auch in mehreren anderen Beiträgen des Bandes thematisiert werden.
Einer der Konsequenzen, die aus der von Veverka herausgestellten Uneindeutigkeit der von Laibach ausgesandten Botschaften resultieren, widmet sich Simon Bell: Er skizziert in pointierter Manier das Auseinanderklaffen zwischen der Einschätzung der anglophonen Musikkritik, die im Auftreten Laibachs (ungewollt) komische Momente ausmacht, und „Laibachs“ bewusster Absage an jegliche Form von Humor als Widerstand gegen ein kapitalistisches Konsumdenken, das den Humor längst seiner Subversivität beraubt und ihn in die eigene Strategie inkorporiert hat. Laibachs inszenierte Militanz versagt sich Bell zufolge weiter der Rede von der sozialen Verantwortung der Kunst und dem Zwang zur Empathie.
Am Thema des Bandes vorbeigeschrieben ist leider Darko Štrajns Aufsatz Art, Politics and Failed Education, der über mehrere Seiten hinweg das Kulturleben der Weimarer Republik präsentiert, dabei aber Laibach bisweilen vollständig aus dem Blickfeld verliert. Als Bindeglied führt Štrajn u.a. auch Walter Benjamins grundlegenden Aufsatz Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit an, wobei er sich primär auf Benjamins abschließende Gegenüberstellung von Faschismus und Kommunismus stützt. Andere Ansätze aus Benjamins Schrift wie etwa die Definition der Aura oder die Unterscheidung von Kult- und Ausstellungswert des Kunstwerks, die in Bezug auf Laibach“ vielleicht aussagekräftiger gewesen wären, bleiben von Štrajn dagegen unberücksichtigt.
Einen probaten Abschluss für den ersten Teil des Bandes bieten dagegen die fünf Thesen Johann Georg Lughofers, mit denen gängige Positionen in der Laibach-Forschung und -Rezeption nachjustiert werden sollen: Erstens konstatiert Lughofer die sukzessive Entwicklung der Gruppe hin zu einer ,normalen‘ kommerziellen Band ohne deren frühere Alleinstellungsmerkmale, zweitens den zunehmenden Verlust an Provokationspotential, wenn Laibach inzwischen auf großen Bühnen wie etwa im Cankarjev dom in Ljubljana auftritt. Drittens wendet sich Lughofer mit schlüssigen Argumenten gegen jene Interpretationen der Coverversionen von Live Is Life oder One Vision, die in diesen scheinbar harmlosen Popsongs ein krypto-faschistisches Moment sehen wollen, das Laibach bewusst zutage fördert, viertens gegen die Behauptung, Laibach wäre Sloweniens mit Abstand erfolgreichster Musikexport, die Slavko Avseniks Original Oberkrainer und – so möchte der Rezensent hinzufügen – die Band Atomik Harmonik außer Acht lässt; fünftens und letztens vermerkt Lughofer, dass der Laibach-Wein nicht von Fans der Band, sondern von einer Winzerin gleichen Namens in Südafrika gekeltert wird.
Die sechs (teilweise weit umfangreicheren) „Fallstudien“ werden von Uwe Schüttes intensiver Auseinandersetzung mit Laibachs 2006 herausgebrachtem Album Volk eröffnet. Hier dekonstruiert die Gruppe Nationalhymnen realer und fiktiver Staaten, indem die Hymnen in musikalisch verfremdeter Weise präsentiert und deren Texte mit weiterem Material angereichert (und dadurch in ihrem Anspruch herausgefordert) werden. Schütte vermerkt zunächst kritisch den Kollektivität stiftenden Impetus von Nationalhymnen sowie die Martialität und Unantastbarkeit vieler Hymnentexte (was beides freilich für slawische Hymnen nur bedingt zutrifft), um in einem zweiten Schritt das Album Volk insgesamt in Laibachs künstlerische und musikalische Strategien einzuordnen und sowohl zu historischen als auch zu religiösen Implikationen von Hymnen zu referieren. Schließlich greift Schütte aus dem Album die drei Nummern Anglia, Yisrā’el und Germania sowie die das Album abschließende Hymne des fiktiven NSK-Staats heraus und analysiert sie detailliert in Form einer ,dichten Beschreibung‘, die Text, Bild (in Form von Musikvideos) und Ton gleichermaßen berücksichtigt.
Ähnlich überzeugend gehalten ist auch Reinhard Kopanskis Untersuchung zur Funktionalisierung von Richard Wagners Musik in Laibachs Soundtrack zu Timo Vuorensolas Science-Fiction-Komödie Iron Sky (2012). Kopanski zeichnet zunächst den Plot des Films nach (die Nationalsozialisten planen vom Mond aus eine Invasion der Erde) und arbeitet anschließend heraus, in welcher Weise das Siegfried-, das Walküren- und das Todesmotiv aus Wagners Götterdämmerung von Laibach an bestimmte Sequenzen und Charaktere des Films gebunden werden. Die daraus resultierenden Kontextverschiebungen deutet Kopanski mit Linda Hutcheon dabei als Akte der Ironie, ehe er sich noch mit Laibachs Performance Volkswagner (2009) beschäftigt, wo die Motive freilich aus Jazz-Bearbeitungen von Wagners Werken stammen und daher ihrerseits bereits sämtlich rekontextualisiert sind.
Nicht weiter erwähnenswert ist dagegen der darauffolgende Beitrag von Roman Horak – Horak ist ein weithin anerkannter Kulturwissenschaftler, der hier aber schlicht nicht gewillt ist, sich intensiver auf Laibach einzulassen, und stattdessen unter dem etwas beliebigen Titel Über Party und Pathos, Kunst und Unterhaltung in der Auseinandersetzung mit Laibachs Version von Live Is Life und dem dazugehörigen Video ebenso beliebig kulturwissenschaftliche Theoreme zur Rockmusik aneinanderfügt, die eine fehlende genauere Auseinandersetzung mit der Gruppe selbst offenbar kompensieren sollen. An die überzeugenden Beiträge von Schütte und Kopanski knüpft dagegen Daniela Kirschstein an; sie widmet sich Laibachs Kooperation mit Milo Rau, die in der Musik für Raus 2015 uraufgeführtes Schauspiel The Dark Ages ihren Ausdruck fand (die Aufführung ging damals nahtlos in ein Konzert der Gruppe über), und arbeitet einmal die über das Bühnengeschehen selbst evozierte Präsenz Laibachs heraus – eine bosnische und eine serbische Protagonistin, die über ihre Erfahrungen mit Krieg und Heimatlosigkeit berichten, erzählen auf der Bühne auch über ihre Eindrücke von Konzerten Laibachs im belagerten Sarajevo bzw. in Belgrad. In einem zweiten Schritt analysiert Kirschstein dann Laibachs Musik für Raus Schauspiel, die auf der Coverversion eines Songs aus einem Film von Rainer Werner Fassbinder beruht, der seinerseits wiederum auf Oscar Wildes Ballad of Reading Gaol basiert. Schließlich zeichnet Kirschstein noch konzise die divergierenden symbolischen Zuschreibungen zwischen dem Bühnengeschehen (das individuelle Lebensläufe präsentiert) und der betont kollektiven Performanz der Gruppe nach.
Zusammengenommen repräsentieren die drei Beiträge von Schütte, Kopanski und Kirschstein den Schwerpunkt der „Fallstudien“, also von Teil II des hier besprochenen Bandes, während die beiden letzten Beiträge von Alexander Nym sowie von Ben und Geoff Waite demgegenüber aus jeweils verschiedenen Gründen etwas abfallen: Nym beschäftigt sich mit Spectre, Laibachs 2014 veröffentlichtem, dreizehntem Studioalbum und ordnet dieses in das Werkkorpus der Gruppe ein. Er konzediert dem Album einen deutlichen Schritt in Richtung kommerzieller, gefälliger Popmusik und beschreibt diese leichtere Zugänglichkeit zunächst anhand der ersten Nummer des Albums The Wistleblowers. Anders als zuvor Uwe Schütte freilich, der das Album Volk pars pro toto über vier ausgewählte Tracks präsentierte, versucht Nym sämtliche Nummern auf Spectre mit bisweilen umfangreichen Zitaten der Songtexte zu berücksichtigen, was passagenweise naturgemäß zu Lasten der Genauigkeit in der Analyse geht. Dass ein tiefer gehender Umgang mit dem Songmaterial prinzipiell möglich wäre, belegt Nym immerhin am Beispiel der Nummer Resistance Is Futile und seinen daran geknüpften Ausführungen zu Laibachs Umgang mit populärkulturellen Versatzstücken der Science-Fiction wie etwa den Borg aus Star Trek: The Next Generation.
In das Register einer bewussten Reduktion an Verständlichkeit begeben sich analog zu Holger Schulze im ersten leider auch Ben und Geoff Waite im letzten Beitrag des Bandes: Die beiden Autoren bringen es zuwege, Laibachs wichtige Bezüge zu Friedrich Nietzsche ausgehend von dem Album Also sprach Zarathustra (2017) in einem Netz heterogener und recht wahllos gezogener Querverweise etwa zu Viktor Šklovskij, Erich Auerbach oder Luce Irigaray eher zu verdunkeln als zu erhellen. Die in den Titel des Beitrags gestellte (Leer-)Formel Laibach Is Laibach steht von daher für einen analog zirkulären Modus der Darstellung von Waite/Waite, der letztlich auf die Legitimation des Beitrags insgesamt zurückschlägt. Am Thema des Bandes vorbei geht schlussendlich zu weiten Teilen auch der Epilog von Ralf Dörper, der ganz überwiegend über die von ihm mitbegründete deutsche Elektronik-Band Propaganda, aber nur wenig über Laibach selbst berichtet.
Ungeachtet des Umstandes, dass nicht alle Beiträge des Bandes restlos zu überzeugen vermögen, und des Fehlens von Register sowie Kurzinformationen zu den beteiligten Autorinnen und Autoren, liegt mit Gesamtkunstwerk Laibach eine insgesamt beachtliche Veröffentlichung vor. Diese zielt vor allem auf die verschiedenen intertextuellen Anknüpfungspunkte der Gruppe sowie auf ihre zwischen Avantgarde und Dekonstruktion oszillierenden künstlerischen Strategien und auf den damit verbundenen konzeptuellen Hintergrund ab. In dieser Hinsicht liefert der Sammelband auch essentielle Ergebnisse, wobei sich der von Leslie Fiedler in Cross the Border – Close the Gap diagnostizierte und von Laibach teilweise zugeschüttete Graben zwischen Hoch- und Populärkultur insofern wieder öffnet, als Laibach ganz vorrangig im Kontext hochkultureller Implikationen und Anforderungen an das Publikum positioniert wird; Referenzsignale in Richtung der anderen, populärkulturellen Seite von Fiedlers Graben, wie sie die Gruppe etwa über die Aufforderung Tanz mit Laibach ebenfalls aussendet, bleiben zugunsten von Friedrich Nietzsche oder Richard Wagner demgegenüber weitgehend ausgeblendet. Was ebenfalls fehlt, ist eine Darstellung zu Laibachs spezifischem Umgang mit zentralen Akteuren der slowenischen historischen Avantgarde wie dem Regisseur Ferdo Delak oder dem Lyriker und Herausgeber Anton Podbevšek – daher ist es wohl kaum als Zufall zu bezeichnen, dass mit Krst pod Triglavom [Die Taufe unter dem Triglav] genau jenes Album der Gruppe, auf dem diese Auseinandersetzung bereits in den Titeln einiger Nummern besonders intensiv geführt wird, im Band kaum einmal Erwähnung findet. Für diese noch ausstehenden spezifischen Zugänge stellt Gesamtkunstwerk Laibach freilich einen unverzichtbaren Ausgangspunkt dar.