Clean-Pop
„Es ist frech, aufrichtig und nostalgisch zugleich“, „ein Wink zu unästhetischeren Zeiten, gepaart mit dem Vertrauen, dass wir es jetzt besser machen.“[1] Es ist die „perfekte Balance von Ernst und Ironie“, Ausdruck einer „ambivalenten Girliness“ oder „Girlboss-ness“.[2] „Es ist androgyn und kann zur gleichen Zeit glamourös und edgy sein.“[3] „Es ist das ‚new neutral‘“, ein „genderloses Maskottchen“.[4]
Die Rede ist von „Millennial Pink“. Der Begriff soll in erster Linie keine Farbbezeichnung sein, sondern einen in den letzten Jahren um sich greifenden Trend erfassen. Allerdings drückt sich dieser in einem Farbspektrum aus, von Lachsfarben bis Pastellrosa; für manche ist es wie „rose quartz“, für andere wie „scandi pink“.
In den meisten Fällen schaffen Beispiele Abhilfe bei der Farbvorstellung: Die Acne Studios-Taschen von 2007 werden etwa vielerorts als Vorläufer für den Trend angesehen, oder Model Charlotte Free, die 2011 mit pinkfarbenen Haaren auftrat und damit einen neuen Frisurentrend auslöste. Andere verweisen auf das Label Yes Way Rosé, das 2013 gegründet und schnell zum Instagram-Hit wurde. Viele nennen das Buchcover von „#Girlboss“ (2014) der Nasty Gal-Gründerin Sophia Amoruso. Fast alle halten das Farbkonzept bei „Grand Budapest Hotel“, ebenfalls aus dem Jahr 2014, von Wes Anderson ausschlaggebend für den Erfolg der Farbe. Schließlich prognostizierte die Color Marketing Group „Shim“ als Trendfarbe des Jahres 2016. „Shim“ ist ein Wortspiel aus „she“ und „him“. Der damalige Präsident der Color Marketing Group charakterisierte die Farbe als einen „Moment der Ruhe“ (in einer Welt voller Stress).[5]
Als „ein Moment der Ruhe“ lässt sich auch das im Mai 2017 veröffentlichte Musikvideo zu „Malibu“ von Miley Cyrus lesen. Anstatt sich nackt auf einer Abrissbirne zu bewegen („Wrecking Ball“, 2013) oder mit klebrigen Flüssigkeiten zu begießen („Dooo it!“, 2015), tanzt sie für „Malibu“ in weißer Kleidung in der Natur, mit pastellfarbenen Luftballons und riesigen Seifenblasen, wobei das Video insgesamt unter einen millennial-rosafarbenen Filter gelegt zu sein scheint.
Nicht nur mit der Farbe Millennial Pink, sondern auch mit den Motiven – Meer, Luftballons, Seifenblasen, Weiße Kleider – gehört die Bildsprache des Video einem bestimmenden ästhetischen Repertoire unserer Zeit an. Dazu zählen Farben wie Hellrosa (aus dem Millennial Pink als Trend-Bezeichnung abgeleitet wurde) bis Hellbau, aber im Grunde alle Pastelltöne, sowie Kupferfarben, Silber und Gold, außerdem Motive wie Regenbögen, Einhörner, Meerjungfrauen, tropische Früchte, Glitzer und vieles mehr.
Oft muten diese Motive kindlich und weiblich an, sind aber entsexualisiert. In vielen Social-Media-Trends spielen sie eine zentrale Rolle, zuletzt etwa bei den #slime-Clips. Auch immer mehr Produkte bedienen sich des Stils und seiner Motivwelt. Man denke nur an die Einhorn-Schokolade von Ritter Sport, die „Regenbogendusche“ von Balea oder den Einhorn-Milchshake von Starbucks.
Vorläufer
Bei dem Video zu „Malibu“ fällt ins Auge, dass es zwei ästhetische Trends miteinander kombiniert: eine gewisse Cleanness – weiße Kleidung, viel Licht, alles ist glatt – bei gleichzeitiger Poppigkeit – knallige Farben der Luftballons und Seifenblasen.
In der jüngeren Vergangenheit ließ sich diese Verbindung bereits andernorts beobachten: bei den Apple-Werbungen seit den 2000er Jahren. Genauer noch: den iPod- (und später iTunes)-Werbespots. Das ist deshalb hervorzuheben, weil diese Spots musikalisch wie ästhetisch als wichtige Setzer von Trends fungierten.
Die iPod- und iTunes-Werbungen basierten auf zwei Strategien. Die erste hat jene ikonischen Videos hervorgebracht, die für lange Zeit und bis heute zu einem Synonym für iTunes geworden sind. Auf ihnen tanzen schwarze Silhouetten vor knallbunten Hintergrundfarben – nur der weiße iPod mit dem typisch weißen Apple-Kabel sticht hervor und ist, wie sich noch zeigen wird, ein dezenter Prophet. Indem die Videos ästhetisch an die Pop-Art erinnern – besonders in der Summe aller Videos, deren aufmerksamkeitserregende Farben stets variieren und das Serielle dadurch umso mehr betonen – wird der iPod zu einem augenfälligen Pop-Phänomen.
Die andere Strategie betont das Technische durch besonders simpel-clean inszenierte Settings: Ein weißer Hintergrund, vor dem die nunmehr in metallischen Farben gehaltenen iPods von einem Stapel genommen werden – zum Beispiel. In vielen weiteren Werbekampagnen von Apple sind bis heute beide Strategien miteinander verbunden. Ganz besonders in der Produktfarbe „Rose Gold“, die nicht zufällig stets als Beispiel für Millennial Pink genannt wird.
Damit hat Apple auch einen ästhetischen Code forciert (in der japanischen Popkultur ist dieser Code allerdings seit Längerem angelegt, auch zum Teil im Spielzeugdesign der 1990er Jahre, aber das sei an dieser Stelle nur erwähnt), der auf einer Zusammenführung von Pop und Cleanness basiert.
Dass hier Pop clean geworden ist, zugleich aber auch Cleanness Pop, lässt sich besonders eindrücklich an dem Trend nachvollziehen, die Haare hellrosa oder hellblau zu tragen. Hier handelt es sich gerade nicht um ausgewaschene Farben – sprich um Nachlässigkeit und damit Unreinheit –, wie sie etwa im Umfeld von Punk und Grunge in den 1990er Jahren getragen wurden, sondern es handelt sich um die Farbe Hellrosa mit ihren Assoziationen in Richtung Fantasie, Kindlichkeit, Reinheit durch positive Gedanken. Die Farben werden genau so erworben, wie sie sind – ganz ohne Warten, bis ein knalliges Pink sich irgendwann herauswäscht.
In gewisser Weise ist dieser Trend die Konsequenz aus einer Cleanness, die ein bisschen Pop braucht, um cool zu sein; und einem Pop, der nicht mehr allzu poppig sein will – weil das nicht mehr cool ist. Weiß (Cleanness) + Pink (Pop) = Hellrosa/Weißrosa (Clean-Pop). Es ist anzunehmen, dass sämtliche Pastell-Phänomene der Gegenwart aus dieser Gleichung resultieren. Die Referenz auf einen vergangenen Pop erzeugt zudem häufig einen (gewünschten) Nostalgie-Effekt.
In der Produktgestaltungs- und Werbegeschichte von Apple lässt sich also exemplarisch nachvollziehen, wie im Laufe der Zeit immer stärker die Zusammenführung von Pop – im Sinne eines Andy Warhol und damit der Kunst – und der Cleanness eines Produktdesigners wie Dieter Rams forciert wurde. Sprich: von zwei ästhetischen Strategien, die eigentlich komplementär sind.
Cleanness
Pop war häufig mit dem Schmutzigen, gewollt Nachlässigen und Rebellischen assoziiert, nicht mit Cleanness und Reinheit. Cleanness ist sauber und ordentlich, konform. Cleanness ist das Reine, Puristische, Unberührte, Jungfräuliche. Das Reine und Unberührte ist wiederum essentiell, natürlich, echt. Cleanness ist aber auch und gerade in der Präsentation technischer Produkte präsent und steht dort ebenso für Unberührtheit. Neu, frisch verpackt, noch nie angefasst – deshalb sind Unboxing-Videos so beliebt, deren favorisiertes Sujet übrigens nicht zufällig Apple-Produkte sind.
Vor einiger Zeit hat Cleanness bereits stilistisch wie inhaltlich Eingang in die Popkultur gefunden: Etwa im Norm-Core, einem Modetrend, bei dem man Jeans und weißes T-Shirt trägt und die Essenz der Normalität zum Ausdruck bringen will – und das in unisex.
Cleanness ist immer auch moralisch und gegebenenfalls politisch korrekt: In zahlreichen YouTube-Videos tauschen sich Jugendliche etwa über ihre Ernährungsumstellung aus, entledigen sich im Namen des Minimalismus materieller Güter unter Anwendung der sogenannten Kon-Mari-Methode und diskutieren Begriffe wie „Detox“, „Entschlackung“ und „Work-Life-Balance“. Cleanness ist Freiraum, Freimachen, Leermachen, Transzendenz – körperlich und geistig.
Clean-Pop
Clean-Pop ist das Resultat, wenn Pop und Cleanness sich miteinander verbinden. Wenn das Trashige unter dem Weichzeichner und der Überbelichtung von Instagram-Filtern erscheint. Clean-Pop sind poppige Motive in hellen Farben oder mit Weiß abgemischt. Clean-Pop sind Fantasie-Wesen auf den flachen Screens von Smartphones, Tablets und Computern. Clean-Pop ist, wenn das Horn des Einhorns gen Himmel zeigt, als würde es gleich losfliegen – als Sticker auf dem leuchtenden Apfel vom MacBook. Clean-Pop ist (alter) Pop in hochaufgelöst oder frisch verpackt. Clean-Pop ist ein neuproduziertes Glücksbärchi-Kuscheltier. Clean-Pop ist ein Ombre aus dunkelbraunem Ansatz und weißblonder Länge – macht aus dem Nachlässigen Bestimmtheit und Perfektion.
Als typisch Clean-Pop könnte man etwa die YouTuberin Bonnytrash bezeichnen. Das Setting ihrer Videos besteht aus einem pinkfarbenen psychedelischen Muster, vor dem diverse Einhorn- und Glücksbärchi-Kuscheltiere platziert sind, zudem ein minzgrüner Likör, eine rosafarbene Kerze und ein Landschaftsbild in Pastellfarben. Bonny trägt eine Mütze, ebenfalls in Minzgrün, mit einem Einhorn darauf und einen rosafarbenen Pullover.
In einem Video, in dem sie das Lied von Bibi H. bespricht – welches, nebenbei bemerkt, ebenfalls als Clean-Pop zu bezeichnen ist – erklärt sie, die Tatsache an sich fände sie „richtig geil“, nur hätten die Leute auf Twitter „richtig abgefuckt“. Aber generell sollte man sich nicht streiten. „Wenn der eine das toll findet, und der andere es total scheiße – lasst es einfach so stehen Leute. Jeder soll seine Meinung haben.“ „Ich gönne es Bibi von ganzen Herzen, wirklich. Wir leben in einer so freien Welt, da kann wirklich jeder machen, worauf er Bock hat.“ Clean-Pop, das ist cooler Pop-Slang aus dem Mund einer Einhornmützen-Trägerin, die Toleranz und Nächstenliebe beschwört.
https://www.youtube.com/watch?v=R-yS6AD9caE
Ist Clean-Pop weiblich?
Clean-Pop-Motive sind oft niedlich und werden oft von Frauen getragen oder anderweitig zum Ausdruck gebracht. Ist Clean-Pop also weiblich?
Tatsächlich ist der Trend ästhetisch mit dem Motiv der Madonnen-Lilie in der Kunstgeschichte vergleichbar, die wegen ihrer hellen weißen Farbigkeit vor allem in der christlichen Ikonografie zu einem Symbol von Reinheit und Unschuld wurde. Als häufiges Motiv in den Bildern der Verkündigung des Herrn wird sie zu einem Synonym für die Jungfräulichkeit Marias und auch das Ideal der Jungfräulichkeit als solcher. Zugleich hat die weiße Lilie einen leuchtend gelben Pollen-Stempel, der die Fruchtbarkeit in Erinnerung hält. In gewisser Weise ist also die jungfräuliche Geburt als Motiv Clean-Pop.
Insofern lässt sich feststellen, dass Clean-Pop alte, aber noch nicht überkommene Weiblichkeitsideale wie Reinheit und Unberührtheit in die Gegenwart führt. Gerade wegen seiner Verklärung und Veredelung des Kindlichen ist er ebenfalls mit Fantasien der Jungfräulichkeit assoziiert. Fantasien, die man in großen Teilen der Popkultur zu überwinden versucht hat, man denke nur an eine andere Madonna, nämlich jene, die in den 1980er Jahren und in Videos wie „Like A Virgin“, „Papa Don’t Preach“ oder „Like A Prayer“ den Unberührtheitsvorstellungen eine Absage erteilte.
Tatsächlich ist Clean-Pop zumindest innerhalb der Popkultur überraschend prüde und kann durchaus als Medium betrachtet werden, mit dem die alten Ideale der Unschuld zum Teil unbemerkt – da sie sich in ein poppiges Gewand gekleidet haben – ins Netzzeitalter weitergetragen werden.
Vor diesem Hintergrund bekommt auch die Ästhetik des Netzfeminismus und der Cyber-Art eine neue Relevanz. Denn sie orientiert sich zwar einerseits stark an der Ästhetik des Clean-Pop – und umgekehrt –, durchkreuzt ihn jedoch mit verschiedenen Elementen der Unreinheit. So werden Blutungen unter einer Herzchen-Unterhose inszeniert, Achselhaar in einem Einhorn-Tank-Top.
Die Kritik des Netzfeminismus erweist sich unter diesem Gesichtspunkt als strategisch und wirkungsvoll – und nicht, wie oft eingewendet wird, als bloßes Mittel zum Zweck der Selbstdarstellung schöner junger Frauen. Zugleich wirkt er auf die Ästhetik des Clean-Pop wieder zurück, stiftet neue Motive und Ideen. In seiner künstlerisch avancierten Form wird am Clean-Pop der Netzfeministinnen deutlich, dass hier die erste Pop-Generation vorliegt, die von weiblichen und nicht von männlichen Codes bestimmt ist.
Googelt man Clean-Pop, stößt man auf einen südkoreanischen Gesichtsreiniger in den Farben Pink und Weiß. Der doppelte Sinn, dass es sich einerseits um ein Reinigungsprodukt handelt, andererseits im Design als klinisch-clean bezeichnet werden muss, kann auch auf den Clean-Pop als Stilbegriff übertragen werden: Bei ihm geht es um das Reinwaschen eines Pop, der anarchisch und ‚bad‘ sein könnte, unter sehr klinischen Bedingungen – weiße Farbe, helles Licht, glatte Oberflächen.
Anmerkungen
[1] http://nymag.com/thecut/2017/03/why-millennial-pink-refuses-to-go-away.html
[2] http://nymag.com/thecut/2016/07/non-pink-pink-color-trend-fashion-design.html
[3] https://www.domain.com.au/advice/androgynous-and-ironic-how-millennial-pink-came-to-define-a-generation-20170328-gv845x/
[4] Ebd.
[5] http://nymag.com/thecut/2017/03/why-millennial-pink-refuses-to-go-away.html
Annekathrin Kohout ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Germanistischen Seminar der Universität Siegen.