Pop-Archiv Oktober
von Anna Seidel
11.10.2016

Riot Grrrls in Spiegel und Spex

Es hatte schon Gründe, dass die Riot Grrrls schon in einem der Gründungsdokumente der Szene eigene Veröffentlichungen herbeisehnten. Ein gern zitierter Satz aus dem ersten Riot-Grrrl-Manifest (1991), verfasst von Kathleen Hanna, lautet: „BECAUSE us girls crave records and books and fanzines that speak to US that WE feel included in and can understand in our own ways.“[1]

Die Bewegung richtet sich damit Anfang der 1990er nicht nur gegen den „beergutboyrock“ der eigenen Szene, sondern auch gegen eine „society that tells us Girl = Dumb, Girl = Bad, Girl = Weak“.[2] Die Selbstbezeichnung Riot Grrrl ist dementsprechend eine Rückaneignung des pejorativ verwendeten Girls und bedeutet einen Bruch mit herangetragenen Rollenerwartungen, denen mit Radikalität entgegengetreten werden soll. Die drei „r“, die das „i“ ersetzen, sollen rollend, grollend, aggressiv klingen.

Kathleen Hanna liest im Jahr 2013 das Riot-Grrrl-Manifest (1991).

Die angekündigte Revolution Girl Style Now, die sich in Olympia, Washington gleichermaßen aus Art-School- wie Punk- und Hardcorekontexten entwickelt, erreicht schnell Washington D.C. und schließlich den Rest der Vereinigten Staaten. Junge Frauen schaffen sich ihre eigenen Räume, gründen im Do-it-yourself-Modus Bands sowie Platten-Labels, veranstalten Konzerte und veröffentlichen Zines[3].

Das Riot-Grrrl-Movement bleibt jedoch nicht lange underground. Ein erster großer Artikel erscheint 1992 in der Tageszeitung USA Today, dort heißt es u. a.: „Feminist Riot Grrrls Don’t Just Wanna Have Fun. […] Better watch out, boys. From hundreds of once pink, frilly bedrooms, comes the young feminist revolution. And it’s not pretty. But it doesn’t wanna be. So there!“[4]

Die Riot Grrrls sind überhaupt nicht zufrieden mit ihrer Repräsentation in den Medien. Schon im Titel wird den Feministinnen mit einer lahmen Cindy-Lauper-Referenz Spaßfeindlichkeit attestiert, im Text werden Klischees von Weiblichkeit bemüht (gerüscht, pretty und pink), die der ganzen Bewegung die Ernsthaftigkeit nehmen wollen.

Dieser und andere Berichte sind Gründe dafür, dass die Riot Grrrls schließlich einen „media blackout“ beschließen: „no more interviews, no more photos, no more acces.“[5] Die Verweigerungshaltung verhindert allerdings mitnichten die Berichterstattung. Ist ein Reden mit den Riot Grrrls nicht mehr möglich, muss eben noch mehr über sie geredet werden.

So auch im deutschsprachigen Raum, wo im Herbst 1992 der wohl erste Artikel in der bürgerlichen Presse erscheint, und zwar im Spiegel – Titel: „Revolution auf Mädchenart“.[6]

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In: Der Spiegel 50 (1992), S. 5.

Was im Inhaltsverzeichnis noch ganz viel versprechend klingt, kippt sobald Seite 242 aufgeschlagen ist. Augenhöhe? Wiederum Fehlanzeige. Aus den feministischen Aktivistinnen werden für die Autor_innen schon im Teaser bloß „kreischende Teenager“, im Fließtext ist von „Krawallgören“ die Rede. Der Bewegung wird die Schlagkraft genommen, wenn in den Bildunterschriften der fünf illustrierenden Bilder das Wort Riot für allerhand Komposita verwendet, dabei allerdings jeweils in Anführungsstriche gesetzt wird: „‚Riot’-Fans, ‚Riot-Mädchenbands’“, „‚Riot’-Gruppe’“.

Im Spiegel werden aus den Riot Grrrls eindimensionale Figuren, aus den Bandnamen werden Lachnummern. Courtney Love ist für den Spiegel eine „Schmuddelblondine […] im Baby-Doll-Kleidchen“, „Kathleen Hanna zieht die Bluse aus.“ Die für das Verständnis unnötige Übersetzung des Bandnamens lässt ein unangenehmes Augenzwinkern erahnen, wenn von „‚Hole’ (Loch)“, die Rede ist und aus dem im Englischen mehrdeutigen Namen Babes in Toyland nur „Kinder im Spielzeugland“ wird.

Auch am Publikum der Bands ist vor allem der Look spannend: „Sie haben ihre Brandzeichen auf den Körper gemalt oder tätowiert, auf die Finger, die Stirn, das Stück bloße Haut zwischen kurzgeschorenem Haarschopf und Schmuddelhemd, zwischen löchrigem Saum und Springerstiefeln. Sperrmüllkleider wie die frühen Punks tragen sie gern.“

Dass die Frauen Mode und Body-Beschriftungen als Codes nutzen, um die Deutungsmacht über ihre eigenen, objektifizierten Körper wiederzuerlangen,[7] geht in den sensationsgeilen, skandalisierenden Schilderungen des Spiegel völlig unter.

Obwohl die Recherche offenkundig die Lektüren der Riot Grrrls (Susan Faludis Backlash, Naomi Wolfs Beauty Myth, Sonic Youth) zutage gefördert hat, wird den jungen Frauen nicht recht zugetraut, sie auch verstanden zu haben, „Theorien haben sie nicht“. Überhaupt sind die Ziele und Anliegen der Bewegung, die zum Teil sicher zum Slogan taugen, oft aber auch in Manifesten und Lyrics ausformuliert sind, im Spiegel auf verkürzte Floskeln heruntergebrochen.[8] Auf die für die Bewegung so zentralen Faktoren „Mädchenpower und Solidarität“ wird nur am Rande eingegangen und auch die empowernden Foren der Bewegung abseits der Konzerte, also persönliche Treffen, Telefonketten und Zines zum Beispiel, finden kaum Erwähnung.

Gänzlich anders funktioniert der Artikel in der Spex, der einige Monate nach der Veröffentlichung des Spiegel-Artikels erscheint.[9] Kerstin Grether, damals noch freie Autorin, nicht Redakteurin, veröffentlicht einen dreiseitigen, textlastigen und informierten Beitrag zur Riot-Grrrl-Bewegung. Zwar wird ihr Text neben anderen, etwa zu „Sport & Nationalismus“ und zu Luscious Jackson, neutral auf dem Cover angeteast, ein paar Stolpersteine werden (vermutlich redaktionsseitig) dann doch ausgelegt; etwa im Inhaltsverzeichnis:

spex_inhalt

Spex 10 (1993), S. 3.

Der Titel „DUMM…HÄSSLICH…………UNCOOL…“ löst bei Informierten Assoziationen zum bereits zitierten Manifest aus, klingt für den Rest aber vor allem abwertend.[10] Schon der durchaus selbstkritische Teaser zum Text versöhnt allerdings.[11]

Was dann folgt ist ein umfassender Text, der das Riot-Grrrl-Phänomen auf ganz verschiedenen Ebenen reflektiert und politisch wie popkulturell einordnet. Anstatt, wie der Spiegel, auf kurzatmige Plattitüden zu setzen, breitet Kerstin Grether den Diskurs aus. Sie verdeutlicht die Bezüge der Riot Grrrls auf Pop-Traditionen und verdeutlicht, dass eben nicht nur die typische Frau in der Musik – „Sängerin, Chanteuse, Diva“ – Referenz ist, sondern auch der Punk.

Als Gemeinsamkeiten stellt sie etwa heraus: „Ablehnung der Kulturindustrie, ein betont aus Häßlichkeits-Utensilien zusammengestöpselter Look, Zeitdruck, Learning By Doing, Growing Up In Public bei gleichzeitiger Lesbarmachung des Hypes“. Auf den ersten Blick Oberflächliches, wie der Look, wird nicht ausgeklammert, aber eben auch nicht ausgestellt. Eine Entschlüsselung der Riot-Grrrl-Codes gelingt Kerstin Grether dann auf den zweiten Blick, wenn sie die „Darstellung von aufgeritzter, zerrissener, tätowierter Körperlichkeit, Überspitzung und Vorführen von Porno-Industrie am eigenen Leib“ beschreibt und zu dem Schluss kommt, „was Madonna in die Medien einschrieb, schreiben sie sich zurück auf den Körper“.

Diese Körper bleiben im Spex-Beitrag angenehm unsichtbar. Zur Illustration des Beitrags dient – ohne entsprechenden Credit – lediglich ein Ausschnitt aus dem Coverbild der Split-12“, die die britische Riot-Grrrl-Band Huggy Bear 1993 gemeinsam mit Bikini Kill veröffentlicht hat. Zu sehen ist eine einfache Schwarz-Weiß-Zeichnung dreier Frauen in Fantasie-Band-Shirts – so weit, so unspektakulär.

spex_huggy-bear

Spex (10) 1993 aus dem Bestand des Pop-Archivs an der WWU Münster; Bikini Kill/Huggy Bear-Split-12“ aus der Sammlung der Autorin.

In ihrer frühen Riot-Grrrl-Einordnung schreibt Kerstin Grether bei allem Support, der gar in die solidarisierende Adressierung der „Genossinnen“ gipfelt, auch über kritische Momente der Bewegung. Sie philosophiert dazu, die Spex-Diskurse der Zeit weiterführend, über das politische Potential und die Widersprüche: „Was bedeutet diese erste kollektive, explizit feministische Aufbruch von Punk-Mädchen in Zeiten, wo ‚Change’ nur noch parodistischen, zynischen Charakter hat, wo Reformprojekte Scheitern implizieren?“ Grether schreibt den Riot Grrrls abschließend einen kämpferischen „Post-Optimismus“ zu. Obwohl das Postulat eben nicht „Alles wird besser“ lautet, so geht es doch voran.

 

Anmerkungen

[1] Hanna, Kathleen. „Riot Grrrl Is…“ [1991]. The Riot Grrrl Collection. Hrsg. von Lisa Darms. New York: The Feminist Press 2013, S. 143.

[2] Ebd.

[3] Das wohl umfassendste Archiv zu Zines der US-amerikanischen Riot-Grrrl-Geschichte befindet sich in New York City und ist an die Fales Library der New York University angeschlossen: http://guides.nyu.edu/riot-grrrl. Siehe hierzu auch die Publikation von Lisa Darms: The Riot Grrrl Collection.

[4] Zitiert nach Sara Marcus: Girls to the front. The true story of the Riot Grrrl Revolution. New York 2010. S 169.

[5] Marcus: Girls to the front. S. 200. Ähnliches beschreibt Julia Downes für die amerikanische, dann auch für die britische Szene (vgl. Julia Downes: „There’s a riot going on. Geschichte und Vermächtnis von Riot Grrrl“, in: Katja Peglow und Jonas Engelmann: Riot Grrrl Revisited. Geschichte und Gegenwart einer feministischen Bewegung. Mainz: Ventil 2013, S. 18-50).

[6] O. A.: „Revolution auf Mädchenart“, in: Der Spiegel 50 (1992), S. 242-246. Ein Hinweis: Es ist davon auszugehen, dass ein Autor_innenkollektiv für den Beitrag verantwortlich zeichnet, bis 1998 wurden im Spiegel jedoch nur vereinzelt Beiträge namentlich gekennzeichnet.

[7] Wie auch Sarah Held kürzlich in ihrem Artikel zu „Fashionable Feminism“ anklingen ließ.

[8] Die Manifeste der Riot Grrrls nimmt sich Gudrun Ankele vor („Mädchen an die Macht. Manifeste und Geschichten feministischen Widerstands“, in: Jonas Engelmann und Katja Peglow: Riot Grrrl Revisited, S. 51-60); die Lyrics analysiert Jonas Engelmann („I will decide my life. Die Lyrics der Riot Grrrls“, ebd., S. 126-136).

[9] Kerstin Grether: „DUMM…HÄSSLICH…………UNCOOL…“, in: Spex 10 (1993), S. 32-34.

[10] Kerstin Grether hat den Titel zur überarbeiteten Wiederveröffentlichung des Textes auch entsprechend geändert: „Lips? Tits? Hits? Power! Die Riot Girls machen einen Aufstand in den Strukturen des Musikgeschäfts“, in: Dies.: Zungenkuß. Du nennst es Kosmetik, ich nenn es Rock’n’Roll. Musikgeschichten 1990 bis heute, Frankfurt am Main 2007, S. 48-58.

[11] Dort heißt es u. a. leicht verkürzt und dennoch selbstkritisch: „Immer noch lesen mehr Männer als Frauen diese Zeitung. Das ist nur ein Beispiel für die Tatsache, daß Frauen in der Popmusik völlig unterrepräsentiert sind.“

 

Anna Seidel ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl von Moritz Baßler in Münster. Sie promoviert zu Pop-Manifesten und schreibt als freie Autorin u. a. für das Missy Magazine und die testcard. Bei Twitter ist sie auch.