Tür
von Jorinde Schulz und Kilian Jörg
23.8.2016

Die Freiheiten des Clubs Berghain

„He is this cute Lithuanian boy – he’s only 19 – but there is potential.“
„You think you can get him in?“
„Hm… maybe… at least he has the looks. Oh look, there he is! Heeey Boris!“
„Hi Boris, I am Aidan.”
“So you wanna get in for the first time?“
„Yes. You think I can make it?“
„Oh sure, sweetie – we can always try! You’ve dressed well.”
“Ah Aidan, you won’t believe it – he wanted to come in a red shirt.“
„Oh gosh – well, the all-black was definitely the better choice. And it really suits you, darling.“
„Alright then – shall we go in?“
„Hmm… yes. But we think it is better for you if you try alone. You know – we don’t want to risk anything. And also your chances are much higher.“
„Oh ok… So how do we do it?“
„Well… why don’t we go first. And you’ll be a couple of meters behind us in line. Just relax and don’t act weird. Act calm, cool and like you’ve been here many times.”
„Ok… so see you inside … I hope.“
„Sure. Ciao Darling!“
„Toooom, you really gotta look out for him, in case he gets in. He looks like someone who could easily get raped. In the darkrooms he’s just gonna be common prey for the wolves.“
„Aidan darling, everybody’s gotta grow up sometime.“
„Hahahaha.“

Wie kommt man ins Berghain? Abseits einiger offensichtlicher Richtlinien – gerne schwarz, keinesfalls schnöselig, in kleinen Gruppen anstellen usw. – gibt es keinen Dresscode, der den Eintritt garantiert. Das ehemalige Heizwerk behält sich eine Unberechenbarkeit vor, mit der es sich den Status eines modernen Orakels sichert. Nie kann man ganz sicher sein, wer wirklich hineingelassen wird. Die Zeichen sind stets vage, lassen sich in vielfältiger Manier interpretieren und nur eines ist konstant: die Gnadenlosigkeit. Wird man abgewiesen, nützt kein Verhandeln, kein nett lächelndes Nachfragen, kein Aufplustern – man ist draußen. Das abweisende Kopfschütteln ist nüchtern und minimal; ist ja gar nicht böse gemeint, geht halt nicht. Trotzdem macht man sich am besten so schnell wie möglich davon, um nicht vor der ganzen Schlange angeschrien und getreten oder perfide verbal gedemütigt zu werden. Und so machen auch Gerüchte über Verzweiflungstaten die Runde, über das Mädchen, das sich nach der Ablehnung am Boden liegende Scherben krallte und damit die Pulsadern aufschlitzte, die Gruppe, die sich extra für den Besuch Tattoos stechen ließ, den Typen, der in Tränen ausbrach und flehend auf die Knie fiel…

Der Unbeirrbarkeit der Türsteher entspricht eine bedingungslose Hinnahme des Urteils seitens der hinpilgernden Freundesgruppen: Wird eine_r abgewiesen, geht der Rest natürlich trotzdem rein. Fünf Minuten ist der Triumph leicht getrübt durch schlechtes Gewissen, aber man fühlt sich doch auch angenehm gekitzelt durch den just errungenen Adel, ein bisschen besser ist man nun als die ausgeschlossene Person. Bereitwillig identifiziert man sich mit der exkludierenden Macht, indem man sofort rationalisiert, warum dieser Ausschluss geschehen musste, man ihm also nicht anders als zustimmen kann. “Ja ihr Kleid war auch schon sehr brav.” “Man muss es halt wirklich wollen, die Türsteher spüren das.” “‘No offense – aber es war vielleicht nicht schlecht, dass wir ihn alleine geschickt haben – er ist schon unser schwächstes Glied.” Legitimiert wird, was sich außerhalb des Bereichs der möglichen Rechtfertigung befindet, da es einfach Machtfaktum des erfolgreichen Clubs ist: eine knallharte und willkürliche Politik des Ausschlusses. Die jeder/m Eingetretenen den Genuss des Eingeweihtseins gibt. Die Verschmähten grollen oder verdecken die erlittene Scham durch eine Schicht lächelnde Ironisierung, an die sie selbst nicht glauben – “Scheißtür.” Die, welche regelmäßig eingelassen werden, fühlen sich sicher, dass das kein Zufall ist. Und vielleicht stimmt das, vielleicht gibt es eine Regel. Aber keine andere, als das Gesetz der großen Zahl: je öfter man reingelassen wurde, desto öfter wird man reingelassen. War man regulär da, ist man eben regular. Denn womöglich geht es gar nicht um irgendwelche äußere Merkmale, sondern vielmehr um ein Eingestimmtsein, ein antrainiertes Lebensgefühl:

„Würdest du den Jan reinlassen – so wie der jetzt aussieht?“
„Das sind immer so die … auch Lieblingsjournalistenfragen … ich lass jeden …“
„Ja weil alle so eine Angst vor dir haben, weil man denkt: ‚Oh mein Gott, der hat die Macht und man will dann wissen: gehört man dazu oder nicht?'“
„Frau Käßmann hat mich das auch schon mal gefragt, aber ich glaube nicht… Frau Käßmanns Lebensgefühl wird sicher nicht das Berghain sein. Wenn die sich vorstellt, ich klopfe morgens an irgendein Bischoffsamt – ich glaube, dass würde auch nicht funktionieren. Also das ist halt so ne…ich denke wenn mich jemand fragt… also die Frage muss gar nicht entstehen: wer da hin kommt und wirklich da Spaß haben möchte oder es gehört zu seinem Lebensgefühl, dann kommt er sicher auch rein. Aber immer diese Fragen außerhalb des Ganzen find‘ ich schwierig, also weil…“
„Aber wonach gehst du denn?“
„Auch das ist ne Frage…die ist so…[…]…man hat ja auch eine Verantwortung für den Abend und die Leute die dort feiern…“
„… und wir sind eine Bedrohung?!“
„… das habe ich auch nicht gesagt, aber…“[1]

Die Türpolitik ist ein allem demokratischen Denken radikal entgegengesetztes Prinzip. Deswegen verärgert und empört sie, zumindest oberflächlich, ist der Egalitarismus doch jeder guten Europäerin in die Seele geschrieben. Alle Menschen sind gleich, Aufklärung und so… Den Eingeweihten und den regulars ist das demonstrativ scheißegal. Die Demokratie ist das Problem und der Pöbel, der das gleiche tolle Erlebnis haben möchte, ohne dazu beizutragen – ohne richtig zu sein. Gäbe es keine Türpolitik, wir wissen es alle, erginge es dem Berghain wie jedem griechischen Ferienort, der vor 20 Jahren mal ein Geheimtipp war. Die Verpöbelung ist die heimliche Angst eines jeden Berghaingängers, nur übertroffen von der noch heimlicheren Angst, selbst zu diesem Popularisierungsphänomen beizutragen. Also hängt man sich noch eine Kette um den Hals und lässt sich in Handschellen abführen, oder zeigt pflichtschuldigst Nipples, obwohl man unlustig ist – und trägt – unwillentlich und unvermeidlich – zu ebendieser Verfälschung bei.

Die Frage des Zugangs entwickelt sich im neoliberalen 21sten Jahrhundert zunehmend zu einem sozialen Unterscheidungskriterium, das Leben und Freiheit bestimmt. Laut Jeremy Rifkins – der diese Tendenz in gewohnt apokalyptischem Tonfall verkündet – löst ein Zeitalter des Zugangs die Ökonomie des Eigentums ab: Statt Waren wird der Zugang zu Dienstleistungen, Lifestyles, Erfahrungen erworben. Die Konsument*innen werden dadurch von den Verantwortlichkeiten des Eigentums befreit, den Unternehmen im Gegenzug lebenslange Beziehungen zu ihren Kund*innen beschert, die sich in monetären Strömen ausdrücken. So leasen wir Autos (der gerne verwendete Begriff car sharing verdeckt, dass das Eigentum durchaus nicht geteilt oder gemeinsam ist, sondern bei der vermietenden Plattform liegt), kaufen Zugangsrechte zu Filmen, Musik, Büchern und Software, um kreativ werden zu können oder Erfahrungen zu intensivieren. In der Landwirtschaft behalten monopoläre Multis wie Monsanto das sogenannte geistige Eigentum an Samen und Düngmitteln – patentieren Leben in Form von DNA-Sequenzen – und verkaufen die Erlaubnis, diese zu nutzen. Die wirtschaftliche Bedeutung des Zugangs verschränkt sich mit politischen Aspekten: Auch in den Sicherheits- und Grenzkontrollen der Flughäfen, Bahnhöfe und gated communities dreht sich alles um Durchlass und Zugang. Wer darf in die Business Lounge und kann den fast track nehmen, wer wird aufgrund eines falschen Passes angehalten? Wer ergattert eine Festanstellung und dazugehörige Sozialleistungen, wer verbleibt in prekärer, temporärer Beschäftigung und bekommt gerade mal Hartz IV ab, wenn’s brennt? Wer erhält Zugang auf ein Territorium – und wer bleibt, obwohl sie es erreicht hat, de facto ohne Zugang? Mit der richtigen Summe Geld können die richtigen Leute sich so frei über die Welt bewegen wie noch nie: alle diejenigen, die nicht von Filtern ausgesiebt werden, welche zwischen passenden und unpassenden ökonomischen Vermögen, Herkünften, Hautfarben unterscheiden. In einer interessanten subkulturellen Spiegelung lässt sich ein solcher Mechanismus auch im Berghain ausmachen. Wird man als eine beurteilt, die sich den Zugang – ökonomisch, physiognomisch, sozial – leisten kann, gewährt der Club Freiheiten, die auf dem Papier unseres sogenannten Rechtstaates eigentlich undenkbar sind. Ketamin, Mescalin, Kokain sind selbstverständlich, das Experiment mit der Mischung muss keine staatliche Sanktion fürchten, denn die Polizei sucht nie nach Drogen im Berghain. Eine real prekäre Bohème im richtigen Gewand vermengt sich so mit einer ökonomischen Elite, die sich den sozialrealistischen Touch des “arm aber sexy” Berlins als Disneylandbesuch der trueness gibt. Die legendäre Tür filtert die heterogene Masse zu einer perfekt funktionierenden Partycrowd, wobei neoliberal konsequent alles, was nach Mittelklasse riecht, außen vor bleibt.

“Dass wir nicht immer freundlich wirken, liegt zum einen daran, dass wir es sicher nicht immer sind, zum anderen, dass viele Gäste schon mit der Wahrnehmung zu uns kommen, dass wir arrogant und herablassend sind. Sie haben davon gehört, sie haben darüber gelesen, ein Freund hat ihnen davon erzählt. Es gibt sogar Stimmen, die behaupten, wir würden uns daran aufgeilen, Leute wegzuschicken. ‘Rassistisch, sexistisch und fremdenfeindlich’ sollen wir sein. Es ist schwer, solche Anfeindungen zu widerlegen, ohne dass es so wirkt, als würde man sich rechtfertigen wollen. Es gibt genauso viele positive Stimmen. Dass auch genug Betrunkene und Aggressive anstehen, die uns beschimpfen und auch körperlich angehen, wird gern ausgeblendet. Natürlich ist es bitter, nach zwei Stunden Anstehen in der Kälte ein ‘Nein’ zu hören, aber jeder weiß, worauf er sich einlässt, wenn er oder sie das Berghain anstrebt. Es gibt genügend Leute, die die Ablehnung schlicht akzeptieren.“[2]

Man hat es schlicht zu akzeptieren. So steht die Türpolitik ganz im Zeichen dessen, was man die analytisch-definitorische Wahrheit des Wortes „Club“ nennen könnte: eine Mitgliederorganisation mit limited access zu bedeuten. Ganz wie der Satz “Alle Junggesellen sind unverheiratet” ist auch “Alle Clubs schließen aus” wahr, mehr noch, tautologisch. Ein kleiner historischer Rückblick bestätigt das. Schon die britischen “Gentlemen’s Clubs”, die manchen als Ursprung des Clubs gelten, waren Elitenvereine, aristokratisch bis zum letzten Lehnsessel, die bis heute teilweise Frauen oder “Ausländer” ausschließen. Dass ein “Club” auch Knüppel bedeutet, würde dann – angewendet auf die Situation, wo Sven Marquardt einen Anwärter zurückweist und dieser zu protestieren versucht – die zweite analytische Wahrheit begründen: “Ein Club ist das, was einen zu Boden haut”.

Doch jenseits dieser Tautologien gibt es auch eine andere Bestimmung und andere Historie des Clubs, wo dieser Exklusivität vehement behauptet, um einen Schutzraum einzurichten. Darauf weist der DJ, Produzent und knallhart materialistische Sozialkritiker Terre Thaemlitz hin, wenn er Clubs in ihren Anfängen als “safe spaces for types of gender and sexual variance” bezeichnet. Wenn es hier eine Exklusion gibt, so ist es eine, die als Reinklusion der Exkludierten fungiert, eine Exklusion auf Exklusion gewissermaßen, oder eine Exklusion als Gegen-Selektion. Machen wir also mit Thaemlitz einen Ausflug zu den Ursprüngen der house-Kultur in New York:

“When I started DJing I was involved in direct action groups like Women’s Health Action and Mobilization [WHAM!], ACT-UP New York, and some others. When people were totally stressed out from organizing, they would go and try to unwind at the clubs. But the clubs were also some of the first sights for enacting grassroots education campaigns: for example, making sure that there were always bowls of condoms on the counters. These things were controversial at the time. So the spaces in which people socialized, hung out, tried to relax, or even ‘escape’ through music and chemicals also became the sites that became inevitably active and materially grounded. There have also been these connections between the material realities of oppression and self-organizing, self-education, sharing information. Especially within transgender communities there was nothing artificial or imposed about that connection. People were sharing information about which hormone cocktails work and which don’t, and sharing hormone prescriptions with each other, because some people couldn’t get access to health care. So that means clubs were connected to fundamental political issues like education and health care.”[3]

Hier zeigt sich der Club als ein Ort, der sich eng an spezifische Organisationsformen der US-amerikanischen LGBT-Bewegung der 1980er anschmiegte. Die handlungsorientierten action groups setzten Fragen von gender und Sexualität auf die politische Tagesordnung; so führte die Women’s Health Action Aktionen für das Recht auf Abtreibung durch, ACT-UP politisierte die Aidsfrage. Die Aktionen rührten an in gesellschaftlichen Begehrensordnungen tief verwurzelten Mechanismen der Diskriminierung und Sanktion nicht heteronormativer Subjekte und Beziehungen.

Was stellten die Clubs für diese Bewegungen dar? Laut Terre Thaemlitz waren sie einerseits Orte der Rekreation: “they would go and try to unwind” – die Aktivist*innen mussten sich „abwickeln“, entspannen von der Anstrengung, die der Widerstand gegen diskriminierende Regime ihnen abforderte. Anders sein, unerwünscht sein heißt nämlich auch immer, sich ‚normalerweise‘ nicht entspannen zu können. Die eigene Existenz stellt einen gesellschaftlichen Stolperstein und Angriffspunkt dar, dem eine ständige Abwehr entspricht. Der politische Aktivismus, selbst wenn er ermächtigend wirkt, verstärkt den aufreibenden Aspekt des Dagegenseins. Einen sicheren Raum braucht man also, wenn einem die Umgebung zum Feind wird oder es immer schon gewesen ist, wenn sie einen nicht gedeihen lässt, sondern erstickt – sei es in Form von körperlicher Gewalt oder in Form von Missachtung, indem man ignoriert, verhöhnt, vernachlässigt oder geschlagen wird. Der Club als safe space kann dieser Prekarität ein geschütztes und geschlossenes Milieu unter Freunden entgegensetzen, einen Ort, in dem man sich bejahen kann. Er vermag einem ständigen Druck von außen eine Mauer entgegenzustellen und drinnen Schutz zu bieten. In der harten Abschottung liegt daher auch eine politische Pointe. Genau diese Geschlossenheit erlaubt es nämlich, Kontroverses auszuprobieren: “making sure that there were always bowls of condoms on the counters. These things were controversial at the time”. So ist der Club sowohl rekreativ als auch heterotop: Ort der Flucht und anderer Ort, in dem sich eine Gegenwirklichkeit aktualisiert oder überhaupt erstmal möglich wird. Eine, wo man frei Sex haben könnte, weil einem die Prävention offen zur Verfügung gestellt wird, eine, in der man über einen Wechsel zum anderen Geschlecht laut nachdenken kann – Wissen einholt indem man sich über Hormonmischungen austauscht.

Die Kondomschüssel gibt es immer noch im Berghain – fragt man bei der Bar an, wird sie unter der Theke hervorgeholt. Hier und heute ist sie vielleicht mehr freundliche Dienstleistung des Kommerztempels als Aufklärung und Ermächtigung. Aber vielleicht doch ein potenter Rest Alltagspolitik in der Hedonismusfabrik, die nach wie vor Experimentierlabor für Sexualität und Sexualitäten ist.

Nicht nur in dem einfachen Sinn, dass das Berghain als “Schwulenclub” begonnen hat, also Raum bietet für eine sogenannte gesellschaftliche Minderheit. Sondern auch deswegen, weil Sexualitäten hier von vornherein im Plural auftauchen, anders codiert sind als im heterosexuellen Draußen, und weil Sexualität hier an Kraft und Sichtbarkeit gewinnt. Zwischen den Polen von Eskapismus und Heterotopie, Alltagskampf und politischem Labor oszilliert selbst noch das Berghain – mittlerweile zum Kunstwerk, zur Sozialplastik erhoben.

 

Anmerkungen

[1]  Leicht gekürztes Gespräch zwischen Britt Hagedorn und Sven Marquardt über seine Türpolitik in der ersten Folge von „Roche & Böhmermann“ auf zdf.kultur.

[2] Sven Marquardt: Die Nacht ist Leben. Autobiographie. Ullstein 2004: Berlin, S. 211-13.

[3] Mono.Kultur # 39: Terre Thaemlitz, DJ Sprinkles, G.R.R.L., K-S.H.E., Social Material, Teriko – The Arrogance of Optimism. Berlin 2015, S.7 und 25-26.

 

Ein Ausschnitt aus dem Buchprojekt „Die Clubmaschine„, einem Mix aus politisch-philosophischer Analyse, Erfahrungsbericht und Verschriftlichungsversuch rund um das Berghain. Das Buch soll 2017 erscheinen.