Hybridität der Gattungen: Schlagerfilm / Filmschwank / Schlagerfilmschwank
von Hans J. Wulff
27.8.2016

Gattungen der Unterhaltung

[zuerst erschienen in: Hanno Berger/Frédéric Döhl/Thomas Morsch (Hg.): Prekäre Genres. Kleine, periphere, minoritäre, apokryphe und liminale Gattungen, Formen und Spezies. Bielefeld: Transcript 2015, S. 217-236.]

Zu behaupten, der Schlagerfilm wäre ein Hybridgenre, hieße, Eulen nach Athen zu verschiffen. Dass er aber nicht nur mit filmischen Genres der unterschiedlichsten Art eine Hochzeit eingegangen ist, sondern sich auch der Formenwelt älterer Formen der populären Unterhaltungskünste bedient, deutet auf ein Beharrungsvermögen des Unterhaltenwerdens hin, das genaueres Nachdenken lohnt – ebenso wie die über die Veränderungen, die der Schlagerfilm an den älteren formulae vornahm, sich an die Kontexte der Zeit anschmiegend.

Es geht nicht mehr um Genres des Kinos wie den Western, den Abenteuerfilm oder den Krimi, die Folien für die Geschichten des Schlagerfilms bildeten, sondern um Gattungen der Unterhaltung wie die Revue, die Operette oder den Schwank und seine Verwandten.

Die Tradition des Schwanks

Im folgenden wird der Schwank im Zentrum stehen, eine Form des auf Lachwirkung abzielenden Theaterstücks, das historisch bis ins Mittelalter oder sogar noch weiter zurückweist, das ich hier aber auf den bürgerlichen Schwank seit etwa Mitte des 19. Jahrhunderts einschränken werde [1]. Die theatergeschichtliche Auseinandersetzung mit dieser Form populären Theaters blieb randständig, der Schwank galt – ähnlich wie Posse und Farce – in der bürgerlichen Kritik als Form des „niederen Theaters“, in der marxistischen als Ausprägung des kapitalistischen Unterhaltungstheaters. In beiden Sichten wurde sie als literarisch und künstlerisch anspruchslos abqualifiziert.

Der Schwank unterscheidet sich insbesondere von der Posse durch die Tatsache, dass er alle komischen Elemente in eine spannungsreiche, in sich geschlossene und gerundete Handlung integriert (gegenüber der viel stärker ausgeprägten Nummernstruktur der Posse, deren Strategie der komischen Einlagen und der Improvisationen). Der Schwank wurde Ende des 19. Jahrhunderts vor allem an großstädtischen Privatbühnen kommerzialisiert und popularisiert. Dass der Schwank aber allgemein einem Flair großstädtischer Internationalität angehöre, wie manchmal behauptet wird, ist angesichts der Popularität etwa des „Bauernschwanks“ in Zweifel zu ziehen (vgl. zusammenfassend neben Klotz 1987, 151-184, auch Herzmann 2003).

Der Schwank ist dabei eine Form unter anderen, deren Grenzen oft schwer oder gar nicht auszuloten sind. Klamotte (oft als „derber Schwank“ ausgewiesen), Klamauk, Posse, Farce, Burleske, Groteske – es ist eine ganze Familie von Formen des Lachtheaters, die miteinander verwandt sind und miteinander gemischt werden. Es kann nicht darum gehen, scharfe Grenzen zwischen den Formen zu ziehen, sondern sie als ein Ensemble dramaturgischer Strategien anzusehen, die sich erst funktional erfüllen. Welche semantischen Effekte sich im Einzelfall ergeben, ist auch im Einzelfall zu untersuchen.

An diversen Mundartbühnen genießt der Schwank bis heute große Beliebtheit. Aber nicht nur dort: Klassiker wie Charleys Tante werden bis heute immer wieder aufgeführt und variiert [2].

 

Unstrittig ist, dass der Schwank sich in der Nachbarschaft von Posse, Operette und Musical, aber auch von Vaudeville und Boulevard-Theater entwickelt, seit den 1950ern auch in verschiedenen Spielformen mediale Gattungsableger vor allem im Fernsehen hervorgebracht hat.

Will man Bausinger (1967) folgen, gibt es vier Grundformen des Schwanks: (1) den Ausgleichstyp, bei dem die anfängliche Überlegenheit einer Partei durch die List der Gegenpartei neutralisiert wird, und (2) den Steigerungtyp, bei dem sich die Überlegenheit einer Partei im Verlauf der Handlung vergrößert (Bausinger 1967). Beiden tritt gelegentlich (3) der Spannungstyp zur Seite, bei dem divergierende Auffassungen eines Faktums durch zwei Parteien miteinander konfrontiert werden, sowie der (4) Schrumpftyp, bei dem nur eine Seite der Kontrahenden des Konflikts agiert, der andere dagegen reaktionslos bleibt.

Obwohl diese makrodramaturgischen Typen darauf hindeuten, dass die Auseinandersetzung um Macht ein Kernprinzip der Schwänke gewesen sei (und ist), ist das politisch-sozialkritische Moment gegenüber der Posse deutlich zurückgenommen und meist auf die Opposition der Geschlechter reduziert (Herzmann 2003, 406). Neben diesen Makrostrukturen sind es die Elemente der Situationskomik, der Wortwitzes und der Typenkomik, die die Stücke als Lachanlässe durchziehen.

Volksnähe, Derbheit, Unbeschwertheit, Fröhlichkeit, Geradlinigkeit – das alles bei Absehung von den  tieferen sozialen Konflikten, von Klassengegensätzen und von gesellschaftlichen Umbrüchen: Bestimmungsstücke des Schwanks, auf die man allenthalben stößt. Der Anschlusspunkt, die unbeschwerte Ausgelassenheit der meisten Schlagerfilme, ihre manchmal überbordende Ausmalung einzelner Szenen (vor allem der musikalischen, aber nicht nur dieser) der Gattungsgeschichte des Schwanks einzugliedern, wird schnell sichtbar. Rein stofflich basieren Schwank und Schlagerfilm nicht nur auf Konflikten zwischen Figuren, von denen die eine der anderen (zumindest dem gesellschaftlichen Stand nach) überlegen ist, sondern auch auf realitätsgebundenen, oft derb ausgeführten Situationen, in denen auch Tabuthemen wie Sexualität und Körperfunktionen berührt werden.

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Dennoch stellt sich die Frage, ob der Schlagerfilm einfach das Formenarsenal der Schwänke der Jahrhundertwende übernahm oder ob er sie an die neue Bedingung des Kinos ebenso angepasst hat wie an die neuen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Konditionen der jungen BRD und Österreichs [3].

Schlagerfilme sind in überwältigender Mehrzahl in den beiden westlichen Nachfolgestaaten des nazideutschen Reichs entstanden. Produktionen aus anderen Ländern lassen sich kaum nachweisen (auch nicht aus der DDR). Das wirft natürlich die Frage auf, was die kulturelle Spezifik dieser Filme ausmacht, die sich aus den Formeln des Theaterschwanks deutlich lösen, auch wenn sie eine Fülle von Techniken des Lachen-Machens übernehmen. Sie schwingen sich ein in eine Gesellschaft im Umbruch, die ungemein rasante Modernisierungen im Industriellen durchmachte, deren soziale Strukturen sich ebenso schnell änderten und die zudem auf der Suche nach einer Identität Nach-dem-Nazismus war.

Es wird sich schnell zeigen, dass die Familie oder die Ehe als Schauplatz der Kernkonflikte der Theaterschwänke an Bedeutung verloren und anderen Themen folgten, auch wenn die komische Auseinandersetzung mit den Alltagszwängen des Privatlebens ein immer wieder neu ausgeleuchtetes dramatisches Terrain abgab. Keine simple Fortschreibung der Formen also, sondern eine Neuadaption, eine Uminterpretation und Neuverteilung der Akzente.

Weil es mir um die spezifische Interaktion komödiantischer Form und sozialpolitischem Umfeld geht, werde ich ausschließlich auf Beispiele aus dem Schlagerfilm nach 1945 (bis etwa 1965) zurückgreifen, ausgehend von der Annahme, dass Diskursthemen und -formationen der deutschsprachigen Nachkriegsgesellschaften in den Filmen aufgenommen werden, die anders sind als diejenigen, die sich in den Musikfilmgenres der Kriegs- und Vorkriegszeit spiegeln.

Schlüsse

Schwänke und Schlagerfilme erzählen geschlossene Geschichten, die definitiv ein Happy-End haben. Es sind aber im Schwank fast immer Geschichten über Ehekrisen, die in einen neuen Zustand des Waffenstillstands zwischen den Partnern einmünden (vgl. Klotz 1987); im Schlagerfilm sind es dagegen fast immer Liebesgeschichten, die davon erzählen, wie zwei, die – für den Zuschauer von Beginn an klar erkenntlich – zueinander finden sollen, sich am Ende tatsächlich vereinen.

Das Ende ist nicht das Zentrum, es gehört zu sehr zu dem, was dem Zuschauer sowieso versprochen ist. Der Weg dahin ist das Interessante. Darum auch sind alle Inszenierungselemente funktional bestimmt: weil sie sich im Lachen des Zuschauers erfüllen, der sie als Stationen einer Bewegung zum glücklichen Ende hin versteht. Als Retardationen, als Vertiefungen des Konflikts der Parteien, als Annäherungen, denen eine erneute Distanzierung folgen muss (zumindest solange das Ende noch nicht in Sicht ist). Und als lustvolles Ausleben der Affinität von Figuren, die sich selbst noch gegen das Happy-End wehren oder skeptisch sind, ob die ersehnte Beziehung Bestand haben kann oder nicht, vielleicht auch, weil jede Liebe auch eine Gefährdung des eigenen Ichs darstellt, vor der man sich schützen muss. Alle diese Behinderungen des guten Ausgangs sind reflexiv, weil der Zuschauer sich des Happy-Ends immer sicher sein kann. Tragische Enden, sogar bittersweet endings gehören zum verbotenen Terrain, sind untersagt, nur im Ausnahmefall zugelassen.

Im Einzelfall kann auch die Pointe den Schluß bilden, der ungeahnte Glückswechsel. Der arbeitslose Lehrer, der zufällig in ein Fernsehstudio geriet, mit einem Professor für afrikanische Musik verwechselt wurde und ein zerstörtes Studio hinterließ, der bis nach Afrika fliehen musste und immer noch von NWDR-Agenten verfolgt wurde – hätte er damit gerechnet, dass er verfolgt wurde, weil die Zuschauer von seinem desaströsen Slapstick-Auftritt so begeistert waren, dass sie ihn als TV-Komiker und -Moderator wiedersehen wollen? Und dass er sozusagen als Dreingabe noch die Schöne gewinnt, die er nach Afrika begleitet hatte?

Münchhausen in Afrika (BRD 1957, Werner Jacobs) erzählt eine Geschichte, in der der Held nie den Mut verliert, er bleibt aufrecht bei allem, was ihm zustößt, und steht am Ende als Gewinner dar, wie ein Hans-im-Glück. Und auch dass die stellungslosen Musiker, die beim NWDR vorsprechen, der jedoch an ihrer neumodischen Musik desinteressiert ist, die daraufhin einen Piratensender gründen und schnell die Sympathien des Publikums gewinnen, dass sie am Ende just bei dem Sender unter Vertrag genommen werden, der sie eingangs der Geschichte ablehnte – das hat keiner von ihnen geahnt und ist eine finale Wendung, die den Protagonisten das Glück zukommen lässt, das sie verdienen (in Große Star-Parade, BRD 1954, Paul Martin).

Ob die Enden nun märchenartig sind, wie angeklebt erscheinen oder als wahre Höhepunkte gefeiert werden (im Schlagerfilm immer mit Musik!), ob sie eines deus ex machina bedürfen – immer unterliegen sie einem der Gattung eigenen, stillschweigenden Glücksversprechen, das alles Geschehen umgreift.

Erzählmotive der Identität

Ein wahres Arsenal an Motiven steht der Schwankerzählung (wie dem Schlagerfilm) zur Verfügung. Der Lacheffekt ist fast immer sicher. Ein genauerer Blick wirft die Frage auf, ob der Schlagerfilm-­Schwank tatsächlich die soziale Realität absenkt und nur noch Privates zum Sujet des Komischen macht oder ob er Tiefenthemen des Normalen spielerisch zur Disposition stellt. Dass am Ende die gesellschaftliche Ordnung wiederhergestellt wird, ist für diese Frage unerheblich – weil die Geschichten von einem Durchgang durch das Andere der sozialen Ordnungen erzählen, die das Gesellschaftlich-Reale zumindest zeitweilig in Frage stellen. Einige Motive, auf die man immer wieder stößt:

Der Verlust der Identität: Ein Kernthema ist die Frage der Identität – die fragil ist und jederzeit thematisch werden kann. Verliert eine Figur die Insignien ihres Standes, wird des Geldes und der Papiere verlustig, ist sie nicht mehr identifizierbar, rutscht in eine andere soziale Kaste. Eine Ordnung des Gesellschaftlichen wird greifbar, die so ganz auf Statussymboliken und gewohnten sozialen Kontexten beruht, die sich gleichwohl schnell als Konvention herausstellt.

Ein besonders bekanntes Beispiel ist Der lachende Vagabund (BRD 1958, Thomas Engel): Hier beschließt ein Generaldirektor eines Zeitungsverlages, die Stadt zu verlassen und zumindest eine Zeitlang als Vagabund frei und unabhängig zu leben. Beim Baden werden ihm alle seine Sachen gestohlen – doch liest ihn der junge Mann auf, den Vogelsangs Tochter liebt, den sie aber wegen der Intervention der Schwester des Direktors nicht heiraten darf. Da sein Schwiegervater in spe ihn noch nie gesehen hat, beschließt der junge Mann, aus dem Vagabundenleben des Direktors eine Zeitungsreportage zu machen – als er sich offenbart, nimmt Vogelsang die Idee begeistert auf, die beiden geraten in immer seltsamere Abenteuer hinein. Dieweil war der Vagabund, der die Kleidung des Generaldirektors gestohlen hatte, mit dieser in die Villa des Bestohlenen gegangen, um die Kleider zurückzugeben. Die beiden Frauen, deretwegen der Generaldirektor ausgestiegen war, veranlassen ihn zum Bleiben – und er beginnt zu prassen, spreizt sich in lächerlicher Art, kurz: Er wird zur Karikatur eines reichen Bürgers. Dass der Film den Ausstieg aus dem Schema von Reich und Arm (und von Macht und Machtlosigkeit) grotesk verdreht, dass er ihn sogar zum Sujet des Boulevard-Journalismus erhebt, weist den irrealis der ganzen Unternehmung zusätzlich aus.

Der betrogene Betrüger: In Mädchen mit schwachem Gedächtnis (BRD 1956, Geza von Cziffra) spielt Germaine Damar ein junges Provinzmädchen, die Tänzerin werden will und deren Eltern das nicht gutheißen, und das von Zuhause ausgerissen ist; als sie alle ihre Sachen verliert, täuscht sie Gedächtnisschwund vor und wird von zwei Betrügern, die auf das Erbe ihrer Adoptivtochter aus sind, als Tochter identifiziert – und dass diese am Ende der Geschichte nach einer langen Folge von musikalischen Episoden, unabgekündigten Besuchern, Slapstickiaden einschließlich einer fast grotesken Cross-Dressing­Einlage enttarnt werden (wiederum mit einem Photo für die Presse), dass die junge Frau dabei noch einen Liebsten gewonnen hat: ein Schwank-Ende. Und ein Schlagerfilm-Ende: Das Paar, das sich gefunden hat, singt „Ein kleines Stück vom großen Glück…“, so auch musikalisch den Sack zubindend.

Die falsche Identität: In So ein Millionär hat’s schwer (Österreich 1958, Géza von Cziffra) ist Peter Alexander ein Millionärssohn, der von der Frau (Germaine Damar), in die er sich spontan verliebt hat, für einen Bettler gehalten wird. Sie hat Mitleid, er wird von ihr in verschiedenste Beschäftigungen vermittelt – von der Arbeit als Parkplatzwächter über die eines Etagenkellners bis hin zu gelegentlicher Aushilfe als Schlagzeuger in einer Tanzkapelle; als er auch noch als Dieb verdächtigt und ins Gefängnis eingewiesen wird, ist ihm klar, dass er angestoßen durch die Liebe und das falsche Spiel, das er begonnen hatte, Erfahrungen gesammelt hat wie noch nie in seinem Leben [4].  Alexander hat mehrfach Rollen gespielt, die den Identitätswechsel gerade umgekehrt erproben. In der Operettenadaption Im Weißen Rößl (Österreich/BRD 1960, Werner Jacobs) [5] spielt er einen Kellner, der nach seiner Kündigung im Hotel dort als Gast einzieht und die bis dahin herrschenden Machtverhältnisse umdreht; ähnlich ist er in Peter schießt den Vogel ab (BRD 1959, Géza von Cziffra) ein Hotel-Rezeptionist, der unter der falschen Identität als argentinischer Rinderkönig in ein Urlaubs-Hotel zieht und dort wiederum das gespreizte und unterwürfige Herrschaftgebaren des Rezeptionisten unterminiert. Andere Filme wie Tausend Takte Übermut (BRD 1965, Ernst Hofbauer) treiben das Spiel mit falschen Identitäten noch weiter – der Hoteldirektor als Buchhalter, die Telefonistin als Playgirl, die Freundin des Direktorensohns als reiche Erbin, ein Zufallsgast als Direktor – hier weiß keiner mehr, wer der andere ist; um so erheiternder ist die Auflösung am Schluss, zugleich Anlass dafür, dass gleich mehrere Paare zueinander finden.

Figurenkonflikte

Die Figurenkonstellation von Schwank und Schlagerfilm ist oppositiv organisiert: Da steht der Herr gegen den Bauern oder den bäuerlichen Rebellen [6], der strenge Hausvater gegen die aufsässige Frau (oder umgekehrt), der Reiche gegen den oder die Armen (meist um das Thema des Geldes), der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer (als Variation und Aktualisierung der Opposition von Herr und Knecht). Bausingers eingangs erwähnte Typologie der Schwänke ist an die Konstellation der Figuren gebunden. Derartige Konstellationen finden sich auch im Schlagerfilm. Allerdings sei schon eingangs festgehalten, dass die Typifizierung der Figuren sich von den Hauptfiguren gelöst und auf die Nebenfiguren verlagert hat, die oft ein Eigenleben als comic sidekicks entfalten.

Eine Reise ins Glück (BRD 1958, Wolfgang Schleif) erzählt von einem Erbe in Italien, auf das der reiche Nachbar aus ist. Er versucht, die neuen Besitzer zu vertreiben – das Anwesen sei heruntergekommen, das Inventar nichts wert, sogar Geister soll es im Haus geben. Sein Bruder verbündet sich mit den Deutschen, die nach Italien gekommen sind, in der Hoffnung, das Weingut zu einem blühenden Unternehmen zu machen. Am Ende muss der Reiche klein beigeben, die Gegenintrige hat ihn schachmatt gesetzt. Typ I der Bausingerschen Ordnung, der Ausgleich zwischen den Parteien. Der Typus ist in einer ganzen Reihe der Schlagerfilme umgesetzt. So liebt und küßt man in Tirol (BRD 1961, Franz Marischka) handelt von einem reichen Hotelier, der zu verhindern versucht, dass eine junge Frau einem älteren, von den Gästen kaum noch frequentierten Hotel zu neuer Attraktivität verhilft. Auch er muss seine Pläne am Ende aufgeben, verliert gar seinen Sohn an die junge Erbin. Es ist interessant, dass diese Geschichten fast immer um ökonomische Interessen herum gebaut sind, um Wiederaufbau, um den Gewinn einer Einkommens- und Lebensperspektive. Der Kontext der 1950er Jahre ist allenthalben spürbar.

Bausingers andere Typen spielen demgegenüber nur nachgeordnete Rollen – die Frage stellt sich, ob man die Typologie unverändert auf den Schlagerfilm übertragen kann. Viele der Filme handeln von Emanzipationen, von der Durchsetzung von Modernisierungen gegenüber der kontroll- und machtausübenden Institution (wie Schulfilme wie Liebe, Jazz und Übermut, BRD 1957, Erik Ode, der von einer Schule erzählt, in der die Jugendlichen nicht klassische Musik, sondern Jazz spielen, was am Ende akzeptiert wird), von der Überwindung von Klassenschranken (resp., angepasst auf die soziale Realität der BRD der Zeit, von Reichtums- oder Einkommensdifferenzen) oder von Künstlerbiographien (gemeint sind Sänger, Tänzer, Komponisten), die mühsam beginnen und im Jubel der Öffentlichkeit enden.

Die für Bausinger so zentrale Konfliktstruktur und ihre Manifestation als Paarung von Prot- und Antagonist ist hier deutlich zurückgenommen. Es sind Widerstände, die überwunden, Widerfahrnisse, die verarbeitet werden müssen, Liebeskonflikte, die der Klärung bedürfen, die den Geschichten zugrundeliegen. Immer wieder ist es der ökonomische Erfolg, der das Ende ausmacht oder begleitet (von der Vereinigung des Paares abgesehen). Konflikt-Konstellationen stehen im Hintergrund – Väter (oder Mütter), die ihre Kinder reich verheiraten wollen, Lehrer, die die Kinder und Jugendlichen von den neuen Themen der Jugendkultur (vor allem der Musik) abzuhalten suchen und sie auf die klassischen Bildungsinhalte festlegen wollen, Männer, die den Zwängen oder gar dem symbolischen Gefängnis ihrer Ehen oder Status entfliehen: Es sind Ausbrüche, die den narrativen Verwicklungen zugrundeliegen, nicht so sehr Interessenkonflikte [7].

Im Schlagerfilm dominieren die Liebesgeschichten, vielleicht auch die Rankünen, die dazugehören, viele Missverständnisse, das Zaudern, sich tatsächlich endgültig zu binden. Das Ideal der Zweierbeziehung dominiert am Ende alles. Klassische Konstellationen des Bühnenschwanks verschwinden nicht ganz, wandern aber oft in Nebenhandlungen aus. In „widerstreitenden Interessenfronten“, die an die Geschlechter gebunden sind (Klotz 1987, 153), wird nicht nur die Frage danach aufgeworfen, wer wen beherrschen und kontrollieren darf, sondern auch die Potentiale von Widerstand oder gar Rebellion ausgeforscht, mit denen der oder die Unterdrückte gegen den Machtanspruch des anderen antreten kann. Diese interpersonalen Spiele „umreißen den Spielraum dessen, was die Hauptbeteiligten können, wollen, sollen, müssen, dürfen – und wie sie sich im Hin und Her dieser Modalschübe verklemmen“ (ibid.).

Wie schon der Schwank handeln die meisten Schlagerfilme von Normen, „die Lust und Ausgelassenheit allenfalls heimlich, offen hingegen nur gemessenes oder missvergnügtes Gebaren zulassen“ (ibid.). Im Hintergrund beider Formen steht die Diszipliniertheit, ja die symbolische Korsettage bürgerlichen Lebens, das Ensemble solcher Werte wie Anstand, Sittlichkeit, Ehrbarkeit, Einhalten von Etikette, Takt und Manieren, Zurückhaltung exaltierter Ausdrucksformen und ähnliches mehr.

Anders als im klassischen Schwank sind Seitensprünge im Schlagerfilm äußerst selten [8], dafür ist das für die Finalisierung dieser Geschichten so zentrale Ideal der Zweierbeziehung zu wichtig. Die älteren Männer, beruflich und finanziell arriviert, die jungen Frauen nachstellen, bekommen aber immer wieder ihr Fett weg (oder bieten Gelegenheit zu bittersüßen Seitenhandlungen). Und auch junge Frauen, die nur auf den Reichtum ihrer Verehrer aus sind (und das im Moralsystem der Filme so wichtige Prinzip der „reinen Liebe“ missachten), werden als materialistisch und egoistisch geleitet charakterisiert, obwohl sie das so wichtige Prinzip der ökonomischen Saturiertheit so sehr beherzigen. Sexuelle Initiativität ist den Männern vorbehalten; die sexuell aktive Frau ist relativ selten.

Gleichwohl sind Männer wie Frauen auf das Erotische fixiert; nur die Strategien, den möglichen Geschlechtspartner zu binden, ihm die eigene Attraktivität bei gleichzeitiger Selbstbescheidung vorzuführen, sind unterschiedlich [9]. Sicherlich sind viele Männer des Schlagerfilms Habenichtse, die gesellschaftliches Ansehen und Wohlstand erst noch erlangen müssen (und es tatsächlich auch schaffen). Die erotisch attraktiven Frauen sind ebenso arm; die reichen Töchter sind fast immer unattraktiv, müssen manchmal erst als Frauen ausstaffiert werden, um in ihrer erotischen Weiblichkeit wahrnehmbar zu werden [10].

Auch wenn ihnen der Reichtum abgeht, sind die Heldinnen anmutig, witzig, schön – und sie sind musikalisch, als Sängerinnen oder Tänzerinnen. Musische Begabung und körperliche Ausdrucksfähigkeit gehen Hand in Hand, konfigurieren viele der Schlagerfilm-Heldinnen als Figuren außerhalb des kapitalistischen Wertsystems, dem fast alle anderen unterworfen sind [11]. Ob die Frauen-Heldinnen des Schlagerfilms damit zu Signalen einer anderen, Lust, Körperlichkeit und Zärtlichkeit umfassenden Weltorientierung werden, bleibt zu diskutieren.

Geht der Schwank von der Gebundenheit von Mann und Frau in einer Familie oder zumindest in einer festgefügten Zweierbeziehung aus, bahnt der Schlagerfilm den Übergang der Liebesanziehung in die Festigkeit der institutionalisierten Beziehung an. Es ist nicht so sehr Streit um den Anspruch aufeinander, sondern Misstrauen gegen die Aufrichtigkeit und Verbindlichkeit der sich anbahnenden Beziehung, die die Schlagerfilm-Geschichten in Gang bringen. Es hat eine Transformation vom traditionellen Schwank zum Schlagerfilm gegeben, der nicht vom Bestehenden ausgeht, sondern auf noch Kommendes aus ist. Das Ideal der bürgerlichen Zweierbeziehung – sprich: der Ehe – ist aber in beiden ein Thema. Klassengegensätze oder soziale Widersprüche, die in den Geschlechter-Interaktionen noch in der Posse eine Rolle spielten, werden letztlich privatisiert, zum (allerdings sexualisierten) Stimulus der Liebesanbahnung abgesenkt.

Das Sprachliche

Eine eigene Ebene des Lachenmachens in Schwank und Schlagerfilm ist das Sprachliche. Bausinger (1958) machte eine grundlegende Unterscheidung von „Schwank“ und „Witz“, der zufolge der Witz verstandesmäßig erfasst wird und man nur über ihn lachen kann, wenn man ihn tatsächlich kognitiv erfasst hat; der Schwank dagegen schaffe eine bestimmte Atmosphäre, in der die Imaginationskraft des Zuschauers gefordert sei und in der er kontextgeleitet zum Höhepunkt der Handlung geführt werde (1958, 703). Das Lachen im Schwank ist handlungs-, das im Witz pointengeführt.

Tatsächlich verbinden sowohl Schwank wie Schlagerfilm beide Formen des Lachenmachens. Da finden sich Dialoge, die von Spitzzüngigkeit ausgezeichnet sind. Vor allem die zwischengeschlechtlichen verbalen Schlagabtausche markieren eine eigene Ebene der Beziehungskommunikation, die oft auf eine intellektuelle Gleichstellung schließen lassen, auf eine gemeinsame Selbstbewusst- und -Gewissheit, die die Asymmetrie der (realen) Geschlechterverhältnisse manchmal unterlaufen. Und es finden sich regelrechte Witzformeln, mehr oder weniger intellektuell gefärbt, manchmal anzüglich, manchmal ironisch. Einige Beispiele, aus verschiedenen Filmen:

— Der Sohn: Heiraten auch Kamele? Der Vater: Es heiraten nur Kamele!
— Was ist paradox? Wenn man bei einer Eiskönigin Feuer fängt!
— „Kinder bin ich lustig, dass der Kalk in den Adern rauscht!“, ruft ein mindest Siebzigjähriger am Ende aus.
— „An dir ist eine Hausfrau verlorengegangen“, sagt der junge Galan zu seiner Angebeteten und verpflichtet sie, nie wieder „Star“ zu sein; er habe eine „bessere Rolle“ für sie. Sie: „Kinderkriegen und Heiraten?“; er: „Und wenn du brav bist, bist du sogar gleichberechtigt“.

Dass ein Schauspieler wie Heinz Erhardt mit seinen Wortverdrehungen, Kalauern, (sinntragenden und sinnlosen) Versprechern in einer ganzen Reihe von Schlagerfilmen auftrat, hat auch damit zu tun, dass er die für die Inszenierung so wichtige Ebene der sprachlichen Irritation bedienen konnte. Immerhin könnte man argumentieren, dass der Sprachwitz zu jenen Strategien der Zuschauerführung gehört, für die der ständige Wechsel der Verstehens-Anlässe zentral ist. Das Lachen in Schwank und Witz bedarf permanenter Aufmerksamkeit, weil die Elemente sehr schnell aufeinander folgen, die in das Amüsement des verstehenden Zuschauers einmünden können und sollen.

Bis zum Nonsens und zur Blödelei kann das Spiel mit Sprache getrieben werden. Selten können sogar die Texte der Lieder vom Kalauer-Fieber ergriffen werden. Ein Beispiel ist das Lied „Sellerie“ aus dem Film So liebt und küßt man in Tirol (BRD 1961, Franz Marischka, 0:48), das die Old Merrytale Jazzband in übertriebener Naivität auf einem Fest im Hotel vorträgt:

Ich ess‘ für meine Leben gern / Klops mit Sauerkraut. / Auch Eisbein mit Püree / Und Hühnerfrikassee. / Doch mein Freund Hieronymus / hat ’ne süsse Braut. / Das Mädchen heisst Sofie. / Sie ißt nur Sellerie. / Sellerie, Sellerie, Sellerie. / Spät und früh will Sofie Sellerie. / Frühmorgens schreit sie schon im Bad: / „Wo bleibt denn bloss mein Selleriesalat?“. / Sellerie, Sellerie, Sellerie. / Apfelmus, Pflaumenmus, will sie nie. / Sie will nicht Bismarckhering mit Spinat, / nur ausgerechnet Selleriesalat.

Das Lied treibt den Sinn an den Rand der Anarchie – mögen die Vorzugsspeisen des Sänger-Ichs noch ehrlich aufgezählt zu sein, so fragt man sich bereits: Was hat das in einem Lied zu suchen? Die „Sophie“ des Liedes erweist sich als Grotesk-Figur, die obsessive Bindung an den Sellerie-Salat als geradezu aberwitzige Beschreibung einer „süßen Braut“. Das alles verbunden mit der dümmlichen Naivität des Vortrags verbündet sich zur sinnfreien Karikatur – aber der Text verdreht auch eine Konvention der achtvoll-bewundernden Beschreibung der Freundin eines Freundes, kehrt ein Gebot der Höflichkeit um.

Die so zentrale Rolle des Sprachlichen bedingt aber auch, dass manches seinen Witz verliert (und für nachzeitige Zuschauer sozusagen „in Klammern“ gelesen werden muss). Der Witz sei vom dictum, der Schwank vom factum regiert, heißt es bei Bausinger (1958, 703). Der Schwank ist tatsächlich nicht auf die momentane Pointe ausgerichtet, sondern auf den Verlauf, die Entwicklung der Figurenbeziehungen und der Intrigen, die gesponnen werden.

Schon die Musiknummer im Schlagerfilm wirkt oft wie eine Retardation der Atemlosigkeit, mit der die Informationen auf den Zuschauer niederprasseln. Und darum auch sind Träume, Wachphantasien und ähnliches, die das Subjektive der Figuren zeigen können, so selten – weil sie den Fluss des Geschehens aufhalten. Der Schlagerfilm wie schon der Schwank ist am Äußeren der Handlung interessiert, nicht am Innenleben der Figuren. Es geht um den Strudel der Geschehnisse und die manchmal absurde Logik, die sie vorantreibt, nicht um die Träume, Phantasien, Wünsche und Ängste der Beteiligten.

Dass Liebe, Tanz und 1000 Schlager (BRD 1955, Paul Martin) tatsächlich eine kurze Traumsequenz enthält, verwundert etwas – doch ist der Traum wie eine spukhafte Charakterisierung des Stars ausgelegt, der ein Frauenheld ist und mit zahllosen Frauen oft undefinierte, jedenfalls aber erotisch unterlegte Beziehungen unterhält. Die Geschichte erzählt anderes: Um eine junge Sängerin vor den Avancen des Schlager-Hallodris zu schützen, wird sie als Dreizehnjährige ausgewiesen, eine Maskierung, die der jungen Frau wiederum die Möglichkeit gibt, die Kinderrolle auszunutzen, um in die Nähe des geliebten und pubertär umschwärmten Stars zu geraten.

Ihr erster Auftritt im Kinderkostüm wird sofort ambivalent, als sie mit einem Tretroller in das Probenstudio kommt und unvermittelt dem Star auf den Schoß hüpft. Die päderastischen Momente der Alters-Mésalliance via Verkleidung werden im Nu etabliert und werden die Hälfte des Films durchwehen: weil der Mann ob des erotischen Hingezogenseins zu dem Kind in tiefe Verwirrung gerät [12]. Die Aufklärung erfolgt nach der Hälfte des Films, die Altersverhältnisse sind wieder im Lot, aus den beiden (Caterina Valente und Peter Alexander) kann ein Paar werden. Für die erste Hälfte der Geschichte aber kann jede Geste, jeder Blick, jeder Satz, der miteinander und übereinander gesprochen wird, mehrdeutig und doppelbödig lesbar werden.

Exzess

Das Spiel mit Überraschungen, Verwechslungen, Missverständnissen, Zufälligkeiten, Verkleidungen bis hin zum Cross-Dressing: Auch im Mikrostrukturellen greift der Schlagerfilm auf die Strategien des Schwanks zurück. Das Thema sind Normen und Tabus des verordneten Lebens, die in manchmal exzesshafter Weise außer Geltung gesetzt werden. Manchmal ist es ein durch Rausch begünstigter oder ermöglichter Ausbruch; manchmal findet er in der musikalischen Einlage statt.

Bis in die Ausstattung der Figuren hinein kann man die Strategie der Übertreibung, der Überspitzung, ja der Karikatur verfolgen. Aus Kleidung wird oft Maske. Besonders die männlichen Cross-Dressings nutzen die falsche Identität im anderen Geschlecht zur Überzeichnung weiblichen Verhaltens, zielen auf eine Typologie weiblicher Überkorrektheit und Sittsamkeit, überzogener Verhaltens- und Körperkontrolle, die lachen-macht. Die Rolle als Frau und das Wissen um den Mann, der in der Verkleidung steckt, führt zu einem Auseinanderfallen der Figurenwahrnehmung.

Wenn also Heinz Erhardt in Ach Egon (BRD 1961, Wolfgang Schleif) in einer grotesken, den Eindruck einer Karikatur älterer Frauen erweckenden Performance als „Tante Erika“ auftritt, diese in eine groteske Aufführung des Liedes „Der fabelhafte Egon“ einmünden lässt, wird in der Übertreibung ein Blick auf Modelle zeitgenössischer Weiblichkeit ebenso wie auf Modelle familialer Strukturen möglich, in der Frauen wie die „Tante“ als Wächter der Moral agieren, selbstgewiss, schrill, Dominanz verlangend und jeden Widerspruch unterdrückend. Durch das Übertreibende der Performance hindurch erschließt sich soziale Beziehungs- und Rollen-Realität.

Nicht alles ist so offen auf Konventionen der sozialen Intraktion hin auszulesen. Manchmal geht es um anderes, das der Musik näherliegt. Kein Tanz ist seit dem 19. Jahrhundert so mit exzesshafter Bewegung und erotischer Aufladung verbunden wie der Czardas. Fest, Trunk, Exzess gehen eine innige Verbindung ein. Es ist ein Formationstanz, trotz aller Ungehemmtheit der Tanzenden und der unvermittelt ausgelebten Körperlichkeit der Bewegung. In Opernball (Österreich 1956, Ernst Marischka) tanzt eine etwas betrunkene junge Frau (Sonja Ziemann) einen Czardas, andere fallen in den Tanz ein, der zu einem wilden Gruppentanz wird.

Erst der Rock‘n‘Roll übernimmt in der zweiten Hälfte der 1950er das Moment der Körperlichkeit des Tanzes, verbindet es sogar mit Akrobatischem und kann zudem mit Erotischem aufgeladen werden. In Und so was muss um acht ins Bett (BRD/Österreich 1965, Werner Jacobs, 0:47) singt Gitte Haenning auf einem Tisch stehend die Rock‘n‘Roll-Nummer „No no no, sagt mein Daddy“; danach zieht sie ihren Lehrer  in einen wilden Tanz hinein („Come Back!“) – und weil sie eine dänische Prinzessin ist und dabei photographiert wird, kommt es zu einem kleinen Skandal; dabei ist die in der Presse behauptete Anrüchigkeit des Tanzes aus der Luft gegriffen – viel wichtiger ist, dass die junge Frau nicht nur die Abgrenzung der Jugendlichen von der Generation der Eltern artikuliert, sondern vor allem den älteren Mann zu einem Modus körperbetonten Tanzes einlädt, die einem ganz anderen, unbürgerlichen und nicht auf Körperdisziplin ausgerichteten Konzept von Bewegungslust folgt, das der Jugend und dem Rock‘n‘Roll vorbehalten ist.

Immer wieder werden die Erzählungen durch Slapstickiaden unterbrochen. Verfolgungsjagden im Zeitraffer, choreographierte Schlägereien (oft von Musik unterlegt), Tortenschlachten – das Arsenal der Körperkomik-Filme wird immer wieder angezapft, ohne aber je zentral zu werden. Slapstick bleibt auf die Episode beschränkt. Zur überbordenden Körperkomik und zur zeitweiligen Aussetzung der Verhaltens- und Körperkontrolle gehören auch manche Rauschszenen wie etwa in Eine hübscher als die andere (BRD 1961, Axel von Ambesser, 1:14): Ein Butler (gespielt von Rudolf Platte) läßt alle Contenance fallen, als er in am Kronleuchter hängend den „Lüsterwalzer“ improvisiert, diesen in rhythmische Schwingung versetzt (mitsingend: „…so blau, so blau…“, auf „An der schönen blauen Donau“ anspielend) [13].

Ein Extrembeispiel stammt aus Und so was muss um acht ins Bett (BRD/Österreich 1965, Werner Jacobs, 1:17): Der Lehrer (Peter Alexander) und sein Freund, der Zahnarzt (Gunther Philipp), bei dem er wohnt, sind kurz vor dem Ende des Films alleingelassen, beide sind enttäuscht – und betrinken sich hemmungslos, improvisieren dazu im Behandlungszimmer des Zahnarztes einen Reimgesang „Schieß die Weiber auf den Mond“, was sie sichtlich in bessere Laune versetzt. Am Ende trinken beide ein halbes Glas Chloroform und brechen besinnungslos zusammen.

Summa

Die Kunst des Lachen-Machens hat lange Traditionen. Sie hat eigene Formen der Aufführung hervorgebracht, vom Sprachwitz über die Körperkomik bis zur witzigen Handlung, ebenso wie ganze Gattungen. Die Formengeschichte zeigt, wie sich gerade die populärtheatralischen Formen sich als ein Strom des Tradierens, des Aneignens, Weiterentwickelns und der Anpassung auf veränderte gesellschaftliche Rahmenbedingungen erweisen.

Dass die Zentralität der Konflikte zwischen Interessenparteien, die noch im Schwank der Zeit um die Jahrhundertwende so wichtig war, in der BRD von 1945 bis 1965 zurücktrat, Platz machte für die komische Ausarbeitung von Ausbrüchen aus der gesellschaftlichen Norm, deutet sicher darauf hin, dass das soziale Kastenwesen in Bewegung geraten war. Es macht aber auch deutlich, dass das Komische mit der Gestaltung von Freiheitsphantasien zusammenhängt, dass zumindest in der Umgrenztheit der Fiktion Normen und Regeln außer Kraft geraten können, so den Blick freigebend auf Möglichkeiten des In-der-Welt-Seins, die in der bürgerlichen Normalität unzugänglich wären.

Diese Art der Komik (wie vielleicht auch der Figurenzeichnung) enthält einen utopischen Impuls, auch wenn die bürgerliche Alltagsrealität am Ende fast immer wiederhergestellt wird. „Komisch und zum Lachen bringt, was im offiziell Geltenden das Nichtige und im offiziell Nichtigen das Geltende sichtbar werden läßt“, schreibt Odo Marquard einmal (1976, 141). Das Aussetzen der Ordnungssysteme bürgerlichen Lebens wird ausgeglichen durch den imaginären Gewinn an Vitalität, an Körperlust, durch das Eintauchen in einen Strom der Geschehnisse, über dem immer das qua Gattung ausgesprochene Versprechen des Glücks hängt.

Hier könnte nicht allein ein rezeptionsästhetisch-funktionaler Ansatz gefunden werden, das Populärkulturelle, das so sehr unter dem Verdikt der ästhetischen Anspruchslosigkeit, ja sogar Nichtigkeit stand und steht, in anderem Licht zu sehen, sondern auch die scheinbare Abkoppelung des dergestalt Komischen von der umgebenden Realität neu zu reflektieren und es als verdeckte Auseinandersetzung mit Idealen, Wünschen und Veränderungsphantasien ihrer Zeit zu lesen.

 

Anmerkungen

[*] Für Hinweise danke ich Ludger Kaczmarek.

[1] Der Schwank, manchmal auch: Volksstück, Dialektstück; Bühnenschwank, frz.: farce, entstand wohl im im 14. Jahrhundert als komisches Zwischenspiel; ab dem 15. Jahrhundert wurden Schwänke zu eigenständigen Stücken; im Deutschen war die Bedeutung zunächst eingeschränkt auf  Theaterstücke (literatur-)satirischen Inhalts, erlangte im 19. Jahrhundert dann seine heutige Bedeutungsbreite. Etymologisch stammt die Bezeichnung von swanc (= Schlag, Fechthieb, Streich [aus der Fechtersprache]), wurde seit dem 15. Jahrhundert außerhalb der Theaterpraxis auch als allgemeine Bezeichnung für „lustiger Einfall“ oder „witzige Erzählung“ üblich (in Wendungen wie „einen Schwank aus der Jugend erzählen“ bis heute lebendig), die Tradition der lateinischen Lügenmärchen des 10. und 11. Jahrhunderts, von witzigen Predigtmärleins und französischen Fabeln terminologisierend und bündelnd.

[2] Gerade Charleys Tante ist lebendiger Beweis für das ungebrochene Fortleben des Schwanks. Unter dem Originaltitel Charley’s Aunt) entstand das Stück als Farce in drei Akten von Brandon Thomas im Jahr 1892. Nach dem überwältigenden Bühnenerfolg – das Stück lief teilweise jahrelang –, einer Broadway-Fassung und über 100 Übersetzungen begann bereits 1911 die Verfilmungsgeschichte; oft spielten bekannte Komiker die Hauptfigur. Eine ihrerseits verfilmte  Musicaladaption (Where‘s Charly?, USA 1948, Frank Loesser, George Abbott) folgte. Zu den über vierzig nachweisbaren Film-Adaptionen gehören die folgenden Titel:

1911 – La zia di Carlo (Italien 1911);

1913 – La zia di Carlo (Italien 1913,  Umberto Paradisi);

1915 – Charley‘s Aunt (USA 1915) mit Oliver Hardy;

1925 – Charley‘s Aunt (USA 1925, Scott Sidney) mit Sydney Chaplin, dem Bruder von Charlie Chaplin;

1930 – Charley‘s Aunt (USA 1930, Al Christie);

1934 – Charleys Tante (Deutschland 1934, Robert A. Stemmle);

1940 – Charley‘s (Big-Hearted) Aunt (USA 1940, Walter Forde);

1941 – Charley‘s Aunt (USA 1941, Archie Mayo) mit Jack Benny;

1952 – Where‘s Charly? (USA 1952, David Butler) mit Charley Wykeham;

1956 – Charleys Tante (BRD 1956, Hans Quest) mit Heinz Rühmann;

1963 – Charleys Tante (Österreich 1963, Géza von Cziffra) mit PeterAlexander;

1977 – Charley‘s Aunt (Großbritannien 1977, Graeme Muir), 60minütiges TV-Stück;

1983 – Charley‘s Aunt (USA 1983, William Asher), TV-Film mit Charles Grodin.

[3] Die Traditionslinie, die vom Schwank in den Schlagerfilm einmündet, mag man auch der Tatsache entnehmen, dass eine ganze Reihe von Schwänken als Schlagerfilme neu adaptiert und modernisiert wurden, manchmal sogar in mehreren Filmfassungen vorliegen – eine Tradition des komischen Films, die bis in die Stummfilmzeit zurückreicht.

[4] Die falsche Identität wird ihm zu einem Eintritt in eine Art „Erfahrungsreise“, zu einer momentanen Erweiterung seines Horizonts und vor allem zur Erfahrung einer bedingungslosen Solidarität, als die junge Minette (Germaine Damar) sich vornimmt, den Geliebten (Peter Alexander) und seinen Freund (Heinz Erhardt) aus dem Gefängnis zu befreien (1:20). Der Polizist, der die beiden schon entlassen will, als der Schmuck wieder auftaucht, spielt aber die Intrige mit, er wird den „Spaß“ nicht verderben, es Minette zu ermöglichen, ihre Liebe durch eine „abenteuerliche Entführung“ zu beweisen.

[5] Die gleichnamige Operette von Ralph Benatzky (1930) basiert auf einem Alt‑Berliner Lustspiel von Oskar Blumenthal und Gustav Kadelburg aus dem Jahre 1896.

[6] Man denke an Das Wirtshaus im Spessart, zunächst eine Novelle von Wilhelm Hauff aus seinem Märchenalmanach (1828), mehrfach für die Bühne adaptiert (u.a. von Heinrich Hubert Houben, 1920?), von Kurt Hoffmann 1957 verfilmt.

[7] Darum auch sind viele Standard-Situationen des Schwanks im Schlagerfilm in Nebenhandlungen immer präsent. Vor allem der duckmäuserische Ehemann, der den Ausbruch aus dem häuslichen Gefängnis probiert und am Ende in just diese Ehe zurückkehrt (wenngleich oft mit einer Neuverhandlung der innerehelichen Machtverhältnisse), ist immer noch ein Nebenheld; vgl. etwa Drei Mann in einem Boot (BRD/ Österreich 1961, Helmut Weiss) als eine der wenigen Ausnahmen.

[8] Ausnahmen finden sich aber im verwandten Operettenfilm; vgl. etwa Opernball (Österreich 1956, Ernst Marischka).

[9] Ohne so weit gehen zu wollen wie Klotz (1987, 157), der für den Schwank schreibt: „Die Männer sind hinter den Frauen her, und die Frauen sind hinter den Männern her. Es ist ganz offensichtlich ein Hinterher, kein Gegenüber.“

[10] Man denke auch an die Doppelrolle der Attraktiven und der Hässlichen, die Liselotte Pulver in dem am Rande des Schlagerfilms angesiedelten Filmschwank Kohlhiesls Töchter (BRD 1962, Axel von Ambesser) nach einem Bauernschwank von Hanns Kräly (1920), basierend wohl auf Shakespeares The Taming of the Shrew (1594?). Der Stoff wurde seit 1920 mehrfach verfilmt und variiert:

1920 – Kohlhiesels Töchter (Deutschland 1920, Ernst Lubitsch);

1930 – Kohlhiesels Töchter (Deutschland 1930, Hans Behrendt);

1943 – Kohlhiesels Töchter (Deutschland 1943, Kurt Hoffmann);

1955 – Ja, ja, die Liebe in Tirol (BRD 1955, Géza von Bolváry);

1978 – Das Wirtshaus der sündigen Töchter (BRD 1978, Walter Boos);

1979 – Kohlpiesels Töchter (BRD 1979, Jürgen Enz).

[11] Zu den ganz anders angelegten Frauenfiguren des Schwanks vgl. Klotz (1987, 178f).

[12] Die Affinität der Geschichte zu Billy Wilders The Major and the Minor (USA 1942) ist offensichtlich – hier verkleidet sich eine junge Frau als Zwölfjährige, gerät in eine Kadettenanstalt und verdreht nicht nur allen Kadetten, sondern vor allem dem Major der Anstalt den Kopf, der ähnlich verwirrt auf die erotische Ausstrahlung des vermeintlichen Kindes reagiert. Dass die Rolle des Kindes von der damals 31jährigen Ginger Rogers gespielt wird, der man die Kindlichkeit nur als Maske und Travestie abnehmen kann, erhöht den Witz der Verkleidung nur noch. Der Skandal in beiden Filmen findet im Imaginären statt, kann sich nicht auf die naturalistische Darstellung der Figur berufen.

[13] Man könnte an die Körperkomik der amerikanischen Farce denken. Bei Nowak (1991, 30) wird sie bestimmt als: „wenn die Personen stereotypisiert sind, großes Gewicht auf visuelle Gags und Geschwindigkeit liegt und Gewalttätigkeiten als nicht weiter schlimm gesehen werden.“ Sei demgegenüber aber eine Handlungsentwicklung erkennbar und das Umfeld realistisch gekennzeichnet, spricht die Autorin von „Komödie“. Das nimmt der Vielfalt des Komischen alles und könnte an den Komisierungsstrategien von Schwank und Schlagerfilm kaum greifen.

 

Literatur

Bausinger, Hermann (1958) Schwank und Witz. In: Studium Generale 11, S. 699-710.

— (1967) Bemerkungen zum Schwank und seinen Formtypen. In: Fabula 9, S. 118-136.

Herzmann, Herbert (2003) Schwank. In: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Neubearb. d. Reallexikons der deutschen Literaturgeschichte. […] hrsg. v. Jan-Dirk Müller. 3, P-Z. Berlin/New York: de Gruyter, S. 405-407.

Klotz, Volker (1987) Bürgerliches Lachtheater. Komödie – Posse – Schwank – Witz. Reinbek: Rowohlt (Rowohlts Enzyklopädie. 451.).

Marquard, Odo (1976) Exile der Heiterkeit. In: Das Komische. Hrsg. v. Wolfgang Preisendanz u. Rainer Warning. München: Fink, S. 133-151 (Poetik und Hermeneutik. 7.).

Nowak, Annneliese (1991) Die amerikanische Filmfarce. München: TR-Verlagsunion (Film, Funk, Fernsehen – praktisch. 3.).

 

Abdruck mit freundlicher Genehmigung des transcript Verlags.

Weitere Hinweise zum Sammelband »Prekäre Genres«, in dem der Aufsatz zuerst erschienen ist, hier.

Wenn Sie den Aufsatz im wissenschaftlichen Zusammenhang zitieren wollen, benutzen Sie bitte die Buchfassung.

 

Hans J. Wulff ist Professor für Medienwissenschaft an der Universität Kiel.