Über Uniformierungen und das Militärische in der aktuellen Männermode
Wenn es um geschlechtliche Differenzierung im Umgang mit Kleidung und Mode geht, kann die Uniformierung durchaus als eindeutig männlich konnotiertes Phänomen bezeichnet werden. Selbst ohne einen militärischen Kontext herzustellen, ist eines der typischsten Elemente der Männerkleidung im Grunde nichts anderes als eine Uniform: der Anzug. Anne Hollander schreibt in ihrem Buch Anzug und Eros: „Ein Geheimnis ihrer erotischen Anziehungskraft ist die einheitliche Lässigkeit, die an das natürliche Kleid von Tieren erinnert.“ Uniformen wirken der eher fragilen männlichen Identität entgegen, indem sie die Stärke der Gruppe über das Individuum stellen. Nicht umsonst sind Jugendkulturen und die dazugehörigen vestimentären Codes fast immer von Männern initiiert. Die eigentliche Uniform ist militärisch. Äußerer Drill und visuelle Gleichschaltung sind mächtige Tools, um eine Gruppe von Individuen zusammenzuschweißen und daraus einen großen, gleich gerichtet agierenden Apparat zu machen.
Wer die Entstehungsgeschichte männlicher Kleidungsstücke kennt, weiß, wie viele davon militärischen Ursprungs sind. Der Parka, die Bomberjacke, der Trenchcoat oder der Raglanmantel sind nur die bekanntesten Beispiele. Es gibt viele mehr, die weniger populär sind. Zyklisch dringen Uniformen und Militärausrüstungen in die Mode und eventuell auch in die Alltagskleidung ein. Der Fishtail Parka bei den Mods, Regency-Uniformen bei den Peacocks oder Bundeswehr-Parkas in der Hochphase der Anti-AKW-Proteste Ende der siebziger/Anfang der achtziger Jahre. Damals sollte das Tragen von Militärkleidung Respektlosigkeit und Verachtung gegenüber allem Militärischen demonstrieren.
Wer jetzt gerade die Männerkollektionen nach verbindlichen Trends absucht, stößt auf jede Menge Inspirationen, die das Etikett „Military“ tragen: Schlamm- und Khakitöne, Fieldjacken, Armee-Mäntel und Fliegerblousons. Gerne geht damit Kritik über eine Facette der Mode einher, die vor dem Hintergrund globaler militärischer Konflikte als geschmacklos und unpassend angesehen wird. Anders betrachtet steckt dahinter vielleicht nichts weiter als die Sehnsucht nach Konsens, Zugehörigkeit und Wir-Gefühl, in einer vom Fetisch des Individuellen bestimmten Zeit.
Der Anzug ist keine Uniform, aber er wirkt so. Der amerikanische Designer Thom Browne ist fasziniert von den korrekten Anzügen der frühen sechziger Jahre, den scharf gebügelten, verkürzten Hosen und den eng an den Körper geschneiderten Sakkos. Browne inszeniert sie immer wieder gerne im Stil eines militärischen Appells, wie beispielsweise bei einer Präsentation für das britische Warenhaus Harrods anlässlich der Sommerkollektion 2013.
Stefano Pilati ist ein Virtuose im Umgang mit Silhouetten und Materialien. Seine aktuelle Winterkollektion für das Haus Ermenegildo Zegna ist durchtränkt von verfeinerten, ästhetisch überhöhten Uniform-Inspirationen. Umgesetzt in feinem Kaschmir, schimmerndem Samt oder Plastik beschichtetem Tweed, changieren die Looks irgendwo zwischen absolutem Luxus und urbaner Uniform.
Für seine Winterkollektion 2015 ist Neil Barrett zu seinen Wurzeln zurückgekehrt. Mitte der Neunziger Jahre fing er an seinen hybriden Stil zu entwickeln, der vom Konservatismus britischer Stockbroker genauso beeinflusst ist wie von Skinheads oder Punks. Dieses Prinzip steckt auch hinter der Kombination aus britischer Heritage mit Parkas, Army Coats und modifizierten Fliegerjacken.
Das Military-Phänomen reicht bis in die Sommerkollektionen 2016 hinein. Alexander Wang, noch bis vor kurzem auch Creative Director für das Haus Balenciaga, setzt für den Sommer 2016 auf eine schnörkellose, von Workwear und Militäruniformen inspirierte Ästhetik. Mit Khakitönen, Aviator-Jacken, M51 Parkas, aufgenähten Tags und Barcodes bleibt kaum ein Klassiker unerwähnt.
Es war die erste Menswear Show von Olivier Rousteing für Balmain. Wenn Uniformen sommerlich interpretiert werden, dann nennt man das „Safari“ und muss fürchten, ein Klischee zu bedienen. Natürlich passiert das in diesem Fall nicht, denn hier geht es um Transformation und Verfremdung. Desert Boots werden zu Sandalen modifiziert, Combat Hosen erhalten Satin-Glanz und Jacken sind von Jute-Flechtwerk überzogen, das Epauletten imitiert.
Leichtigkeit war das Leitthema bei Kenzo. Der auf manchen Teilen platzierte Hinweis „Pull!“, quer geführte Nähte, Tunnelzüge und D-Ringe sind eine Anspielung auf Parachuting- und Fliegeruniformen. Der aufgeschüttete Sand, futuristisch angehauchte Sonnenbrillen und phosphoreszierende Farbakzente gaben der Präsentation darüber hinaus einen extraterrestrischen Hauch.
Volker Orthmann ist Consultant für die Mode- und Lifestylebranche und Dozent am Design Department Akademie für Mode und Kommunikation Düsseldorf.