Böse Musik – wie klingt das wohl? Bereits im Vorfeld der Veranstaltung »Böse Musik. Oden an Gewalt, Tod und Teufel« schwebte die große Frage über den Köpfen der Teilnehmer (Berlin, Haus der Kulturen der Welt, 24.-27.10. 2013). Einen Abend und drei Tage konturierten Schriftsteller, Journalisten, Performance-Künstler, Musiker, DJs (und eine DJane), Filmemacher, Wissenschaftler und nicht zu vergessen auch die Besucher das weite Feld der ›bösen Musik‹. Ist es der Klang allein oder benötigt die ›böse Musik‹ eine lyrische Dekoration, um als böse gelten zu können? Welche Absicht verfolgt eine solche Musik?
Die Veranstaltung bietet am letzten Oktoberwochenende mehrere Angebote, wie ›böse‹ Musik klingen könnte. Da diese Bezeichnung kein eigenes Genre darstellt, lassen sich unter dem Begriff sowohl Nazi-Oi Punk, Death und Black Metal, Industrial, aber auch akustisch bekömmliche Stücke, wie die Narco Corridos aus Mexiko und auch Mafialieder aus Neapel (Italien) fassen. Die akustische Wahrnehmung dieser Stile unterscheidet sich: Während im Extreme Metal bereits klanglich ein aggressiver Eindruck vermittelt wird (zumindest für Hörer, die sich nicht regelmäßig mit Veröffentlichungen aus diesen Richtungen beschäftigen), wirken Neofolk-Interpreten und die Folkbarden, die die Verbrechen der mexikanischen Drogenkartelle und ihrer Unterweltbosse besingen, harmlos und leicht goutierbar.
Dietmar Dath beschäftigt sich in seinen schriftstellerischen und journalistischen Arbeiten immer wieder mit der Faszination, die vom Heavy Metal ausgeht. Besonderes Augenmerk richtet er hierbei auf den skandinavischen Black Metal. In seiner Keynote am 24.10. nennt er auch den rechtsextremen Black Metal-Musiker Varg Vikernes aka Burzum, der unlängst aufgrund des Terrorismusverdachts von der französischen Polizei für einige Tage in U-Haft genommen wurde.
Damit »böse Musik« wirklich im moralischen Sinne böse werden kann, muss sie zuvor fetischisiert werden, so Dath in seinem Vortrag. Das Attribut »böse« ist allein zu abstrakt, es muss konkretisiert werden, so Dath. Da tauchen dann die Accessoires der verschiedenen Musiken auf: im Gangsta-Rap nutzt man andere als im Metal. Letztlich beeindruckt das aber nur die eigene Clique. Erst wenn die »Gesten des Bösen« den eigenen Container verlassen, wird es für die Außenwelt Ernst. Dann kann die »böse Musik« in den Fokus der Ordnungshüter geraten, der moralischen Mitte der Gesellschaft, die sich um das Gemeinwohl kümmert – so betrachtet können die unterschiedlichsten Stile zur »bösen Musik« werden. Mutationen zeichnen die Figurationen aus, unter denen die sogenannte böse Musik auftritt. Diese Musik in Reinform zu finden ist schwer, denn wer tanzt schon zu antikosmischen Klängen, die sich gegen das Universum und alle menschliche Schöpfung und Institutionen richtet?
Dath nennt The Devil’s Blood, eine mittlerweile aufgelöste niederländische Occult-Rock-Band, die in Metalszenekreisen sehr wohlwollend angenommen wurde, bis der Mastermind der Gruppe gegen einen ignoranten Fan im Publikum handgreiflich wurde. In den Interviews, die Selim Lemouchi später der Metalfachpresse gab, rechtfertigte er seine Prügelei mit der Sakralität des Rituals, das er mit seiner Band jeden Abend auf Tour aufführe, und dieses Ritual habe man zu respektieren. Erst wenn ein Metalmusiker ausfällig wird, sollte man es als böse Musik bezeichnen, denn was ist an Satan, Finsternis, Gespenster und Kriegsfantasien noch Erschreckendes? Es ist im Death Metal ja common sense, dieses Bild- und Sprachrepertoire aufzugreifen.
Der Programmflyer weiß hierzu Folgendes: »Sicher ist nicht jeder Death-Metal-Fan ein potenzieller Serienkiller.« Dem ist zuzustimmen. Es wäre noch hinzuzufügen, dass nicht jeder Death Metal automatisch satanisch ist. Es zeichnet vor allem den Stiefbruder Black Metal aus, sich satanischer Inhalte zu bedienen, aber würde man heute Charles Baudelaires Gedichtsammlung »Fleurs du Mal« als satanisch oder satanistisch bezeichnen? Ästhetizistisch setzen sich Dichter gern vom Gros ihrer Kollegen oder sagen wir besser: vom gesellschaftlich akzeptierten Mittelgrund ab. Das Böse gerät dann zur schauspielerischen Anstrengung, zur affektiven Geste im Widerstreit der Literaten.
Ähnlich kann man die Spirale der Provokation im Extreme Metal verstehen. Leider fehlt am Haus der Kulturen der Welt ein sachverständiger Vortrag zu dieser Musik – die Lesung vom früheren Schlagzeuger der norwegischen Death-Metal-Band Molested und der Black-Metal-Band Gorgoroth (letztere existiert heute noch in abgespeckter Form), Erlend Erichsen, wird nur kurz vom Kurator Diederichsen (falsch) eingeleitet. Erichsen spielte nie bei der schwedischen Death-Metal-Combo Entombed. Für Außenseiter kann die ständige Subnischenbildung jedoch leicht unübersichtlich werden.
Die »reflexive anti-reflexivity«, von der der britische Musiksoziologe Keith Kahn-Harris in seiner Monographie zum Extreme Metal aus dem Jahr 2007 spricht, kann durchaus auf die Handlung des Debütromans »Nationalsatanist« des Norwegers appliziert werden. Der Protagonist Vinterblod gründet die Black-Metal-Band Stormvold (Sturmgewalt auf Deutsch) und doziert vor dem Mitmusiker Runar über den Sinn der ›bösen Musik‹ für Norwegen: Frei nach Nietzsche soll die Umwertung aller Werte durch gewaltverherrlichende Musik umgesetzt werden. Eine Ästhetik des Nihilismus schafft eine Gegengesellschaft, in der verzerrte Gitarren, heiseres Krächzen und ultraschnelle Drumbeats den Soundtrack für einen Parallelkosmos bieten.
Parallelkosmen fand man am Haus der Kulturen der Welt im Rahmen der Veranstaltung mehrere: wenn der Zweck einer Musik die Vernichtung einer anderen Gruppe von Menschen wird, dann können auch mit Akustikgitarre und schöner Stimme dargebotene Lieder böse werden. Ein Unterschied besteht zudem zwischen der fiktionalen Beschwörung misanthropischer Gewaltfantasien und der realen verbrecherischen Aktivität. In Mittel- und Südamerika wie auch in Südeuropa wird organisierte Kriminalität besungen, eine Kultur der Rache und Vergeltung in wohlklingenden Gitarrenstücken glorifiziert.
Dies war Thema des Mikrosymposiums »Oden an das Verbrechen«, an dem Buback-Label-Gründer Ale Dumbsky, Filmemacher Peter Ohlendorf und Francesco Sbano aus Hamburg teilnahmen. Die Moderation übernahm der Journalist Christoph Twickel aus Hamburg. Ale Dumbsky, ehemaliger Musiker bei den Goldenen Zitronen und Gründer des Buback-Labels, versetzt auf die Frage, warum er böse Musik gut fände, mit einer einfachen Antwort: »Weil sie einfach geil ist!« Entsprechend hält Dumbsky nicht viel von Zensur. Ohlendorf zeigt sich besorgt über die zunehmende Unterwanderung von Jugendszenen durch Nazi-Musik. Selbst Rap, der lange Zeit immun gegen nationalsozialistische Texte schien (was auch mit seinem Ursprung in der Afro-American Community der USA zu tun hat), wird inzwischen für die Nazibotschaften instrumentalisiert.
Eine andere Dimension eröffnen die Lieder der ‛Ndrangheta aus Neapel. Francesco Sbano wuchs in Paolo (Kalabrien) auf, spielte bereits als Kind mit seinen Altersgenossen Fußball, deren Väter Mafiosi waren, bis er schließlich als Journalist Kontakt zu den Bossen sucht, und aufgrund seines Backgrounds diesen auch gewährt bekommt. In Folge veröffentlicht Sbano drei Compilation-CDs mit Mafiamusik. Der Diskussionsteilnehmer Lars Brinkmann, ein Musikjournalist, der einst bei »Spex« arbeitete, veranlasst dieser Umstand zu einer kritischen Meldung, ob denn Sbano die Musik der Mafiosi nicht kommodifiziere, weil er wiederholte Male (eben dreimal) diese Musik veröffentlichte. Der Angesprochene wie auch Ale Dumbsky halten dagegen, dass es für Dokumentationszwecke durchaus notwendig sei, diese Songs einem breiteren Publikum bekannt zu machen. Unbestritten kann auch das Hören angeblich ›böser‹ Musik Lust und Freude bereiten. Bei den Nazikonzerten tanzen die Skins und sonstigen Zuschauer durchaus Pogo, dazu erheben sie jedoch von Zeit zu Zeit die Arme zum Hitlergruß, wenn das entsprechende Kommando von der Bühne kommt. Ein anderes Extrem ist das Massenpublikum in Mexiko, die im Stadion die brutalen Hymnen an die Narco-Kartelle mitsingen: die Rede ist von Zerstückelungen und Enthauptungen, um im Machtkampf der Kartelle zu bestehen.
Die Oden an das Verbrechen besitzen eine andere ästhetische, aber vor allem ethische Qualität als die lyrischen Eskapaden des Martial Industrials, des Neofolks und des Metals im zweiten Mikrosymposium am selben Tag im HKW. Jeder der Panel-Teilnehmer bringt ein Tonbeispiel mit, anhand dessen die Implikationen der Musik verhandelt werden. Wiederum ist es nicht (allein) der Klang, der eine moralische Wertung als böse ermöglicht. Die Soundsamples fallen erst durch die Texte auf: der bereits erwähnte Lars Brinkmann bringt »Male Supremacy« der US-amerikanischen Hardcore/Metal-Band Carnivore mit, Michael Farin wählt »Rose Clouds Of Holocaust« der Neofolk-Truppe Death In June und die Ethnologin Dunja Brill schließt mit dem Puissance-Stück »Grace Of God«. Radiomacher Paul Paulun aus Berlin schert mit seinem Beitrag ein wenig aus: er bringt ein eigenes Radiofeature zu den Fangesängen, vor allem bei Fußballspielen.
Die Referenten erklären jeweils, was für sie das Böse an diesen Tracks ausmacht. Carnivore inszenieren eine mit martialischen Bildern gespickte Evokation von Männlichkeit, wobei der Camp-Effekt leicht übersehen wird. Heroic Fantasy und Conan-der-Barbar-Fantasien galten zu jener Zeit als schick – im Metal zieht sich ein etwas deftiger Humor durch viele Artefakte. Musikalisch wurde erst die Nachfolgeband Type O Negative bekannt beziehungsweise ernstgenommen. Der Frontmann war derselbe: der inzwischen verstorbene Pete Steele. Eine akustisch kompromisslos, weil schnell und aggressiv klingende Band bedient sich nicht nur provokativer, sondern rechtsextremer Ansichten. Die Karriere Carnivores war nur von kurzer Dauer, doch Steele verfolgt diese dubiose Vorgeschichte bis in die Type O Negative-Charterfolge.
Unter politischer und gendertheoretischer Perspektive kann ein Song wie »Male Supremacy« nicht unkritisch abgespielt und gehört werden. Die Playlists der einschlägigen Fans zeigen jedoch eine weitaus größere Toleranzschwelle. Ähnlich ergeht es bei dem Stück von Death In June, die bereits durch den Bandnamen die Alarmglocken auslösen: Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß, der in Neonazikreisen über ungebrochene Verehrung verfügt, starb im Juni. Der Name der britischen Neo-Folk-Gruppe soll darauf Bezug nehmen und die Verharmlosung des Holocausts und der Shoa oder auch die Verniedlichung in Folksongs, das heißt mit Akustikgitarre, sonorer Männerstimme und dezidierter Rhythmisierung, stellt die Panel-Teilnehmer vor ganz andere Fragestellungen: kleidet sich der Wolf im Schafspelz, der Teufel in weißen Federn? Wird der Death-In-June-Hörer durch diesen Track und das dazu gehörige Album in eine Verachtung des Judentums hineingeschaukelt? Ein Schlaflied der Demokratie, um den Faschismus in neuem Glanz auferstehen zu lassen? Bisherige Publikationen zu diesem umstrittenen Genre, das eben nicht allein aus Musik, sondern einer bis in die Neuen Rechte reichenden Ideologie besteht, wagen häufig nur einen erweiterten Fan-Blick, so in etwa das Werk »Looking For Europe« von Andreas Diesel und Dieter Gerten.
Wer sich regelmäßig mit diesem Genre auseinandersetzt, hat es deswegen nicht unbedingt einfacher, diese scheinbar naive Adaption völkischer und nationalistischer Strömungen der 1910er bis 1940er Jahre zu verstehen und vor allem politisch einordnen zu können. Musikjournalisten, wenn sie für einschlägige Zeitschriften schreiben, winden sich um eine politische Stellungnahme, ziehen sich auf eine ästhetische Position zurück. Michael Farin, Autor von Büchern, Hörspielen und Filmen zu diversen randständigen Themen wie Leopold von Sacher-Masoch, Jürgen Haarmann und Ed Gein (dem Vorbild für Hitchcocks »Psycho«), warnt vor dem Bösen in falschen Gewändern. Häufig täuscht eben die akustische Ausgestaltung über die bösen Intentionen hinweg. Man dürfe sich nicht vom schicken Auftritt dieser Musiker blenden lassen.
Doch nehmen sich die als »böse« deklarierten Musikstile oder mehr noch: die herangezogenen Einzelbeispiele wirklich selbst als solche ernst? Der Neofolk versteht sich als apokalyptisch, als auf die Endzeit vorbereitend. Die Wiedererweckung einer tabuisierten Epoche Europas könnte als popkultureller Trotz verstanden werden, wenn den Musikern es nicht manchmal so ernst um ihre Musik wäre.
Im Heavy Metal allgemein und speziell im Extreme Metal spielen die Musiker mit Versatzstücken einer Mythologie des bösen Widersachers göttlicher Ordnung. In den meisten Fällen beschränkt sich das Kokettieren mit Leichenschändungen, Massakern, Blasphemie und Misanthropie auf den internen Wettbewerb der Extreme-Metal-Musiker. Man kann ein solches Vorgehen zumindest als naiv bezeichnen, wenn der Blick von der Außenperspektive gewagt wird. In der Diskussion kam der Gedanke auf, wie schnell sich diese vermeintliche Boshaftigkeit abnutzt.
Dunja Brill relativiert die gewaltverherrlichenden Aussagen der vermeintlich devianten Muskgenres: es komme letztlich auf die Hörgewohnheiten an, sie nehme die Metalfans vor allem als »Soundfreaks« wahr, die »im Sound aufgehen möchten«. Holger Schulze als Panel-Moderator wirft kurz danach in die Runde, ob es nur darauf ankomme, sich an die noch ungewohnten Klänge zu gewöhnen? Zwei Tage zuvor fand das Mikrosymposium zu »Mean Oscillations. Böse Schwingungen« statt, an dem die Klangkünstlerin Anke Eckardt aus Berlin teilnimmt. Sie installiert im HKW zwei Installationen, die aktuelle Bestrebungen der Sicherheitsbehörden in diversen Ländern veranschaulichen, mit Schall Demonstranten im öffentlichen Raum zu vertreiben. Auf den Einsatz von Wasserwerfern oder sogar Plastikgeschossen wird verzichtet – stattdessen werden empfindlich hohe Frequenzen von entsprechenden Geräten ausgestrahlt. In der Frequenz der menschlichen Stimme moduliert, trifft diese böse Musik als Waffe eine besonders empfindliche Stelle im Hörbereich des Menschen. Zumindest solchen Einsatz von Musik als Waffe identifiziert Brill als einen Vorgang, der ihrer Meinung nach eindeutig böse Züge trägt.
Während der Veranstaltung insgesamt fiel aber auf, dass nur selten auf den akustischen Charakter der vorgestellten Klänge als ›böse‹ referiert wurde. Dies mag mit der eindeutig moralischen Besetzung des Attributs ›böse‹ zusammenhängen, auch mit der religiösen Implikation. Bereits das DVSM-Symposium in Oldenburg im Oktober 2008 verband dieses Thema mit dem Tod und Teufel. Detlef Diederichsen und Holger Schulze griffen es nun im Jahr 2013 in ihrem Untertitel »Oden an Gewalt, Tod und Teufel« erneut auf.
Kontextualisierung von Klang
Eine Konferenz, die knapp zwei Wochen zuvor ebenfalls in Berlin, an der Humboldt Universität im Fach Sound Studies, stattfand – »Functional Sounds«, 4.-6.10.2013 –, konnte dabei helfen, die künstlerischen wie auch wissenschaftlichen Erklärungsversuche zum Thema in einen kulturellen, aber vor allem auch politischen Bezug zu setzen.
Das Sound Design, die Funktionalisierung von Klängen, aber auch Musikstücken für definierte Zwecke und Funktionen, kennt keine moralische Wertung, sondern die Funktionalität als Abgleich mit dem gewünschten Ziel. Alle Vorgänge auf einem PC werden von entsprechenden Soundeffekten begleitet, vorausgesetzt, man hat nicht die Stummtaste gedrückt oder die Lautsprecher ausgeschaltet. Ähnlich wird eine Operation im Krankenhaus von allen möglichen Klängen begleitet, die Effizienz eben jener entscheidet häufig über den Erfolg eines chirurgischen Eingriffs.
Musik kann in diesem Sinne zu bösen Effekten eingesetzt werden. Die Foltermethoden auf Guantanamo durch die US-Armee (britische Medien wie der »Guardian« berichteten darüber) nutzten verschiedene Stücke aus Pop, Dance, Songwriter, Rock, Metal und sogar Death Metal, um die angeblichen Terroristen, die dort ohne gerichtliches Verfahren und ohne offiziellen Haftbefehl festgehalten werden, seelisch und psychisch zu zermürben. Körperliche Folter lässt sich auch nicht unter breitester Dehnung der Genfer Kriegsrechtskonvention oder der UN-Erklärung für Menschenrechte anwenden, so dass findige Juristen im Verteidigungs- und Justizministerium der Vereinigten Staaten Lücken im US-Gesetz fanden, um »verschärfte Verhörmethoden« anwenden zu können. Hier werden zur Unterhaltung geschaffene Stücke eindeutig in einem fremden Kontext gebraucht und dadurch rekontextualisiert. Die US-amerikanische Death-Metal-Band Deicide, deren Song »Fuck Your God« laut Zeitungsberichten genutzt wurde, antwortete in einem kurzen E-Mail-Interview vom Oktober 2013 ihrem seit Jahrzehnten gepflegten Image gemäß, dass das für sie in Ordnung sei, da Deicide schließlich keine softe Musik spielten.
Ein weiterer Aspekt der militärischen Funktionalisierung von Musik oder eher von Klang und Geräuschen wurde in der AUDINT-Performance des Autors Steve Goodman (auch bekannt als DJ Kode9) am Samstagabend gezeigt. Während des 2. Weltkriegs wurden Kriegsgeräusche simuliert, so zum Beispiel Panzer, die über Wassersenken und Brücken fahren, aber auch Mörserabschüsse wurden auf Band aufgenommen, um dem Feind durch fiktive Soundscapes eine Schlacht an Orten vorzutäuschen, an denen die feindliche Armee keinen Sicht-, aber Lauschkontakt besaß. Diese Klangexperimente verbanden sich mit Soundscape-Forschungen, der bewussten Erzeugung von Räumen durch entsprechende Soundeffekte. Die Performance arbeitet suggestiv ohne sichtbare Referenten, allein durch Collagierung von Fotos und Zeichnungen, einer Stimme aus dem Theatersaal-Lautsprecher, die leider in englischer Sprache ziemlich nuschelt, die Aufmerksamkeit der Hörer deswegen ziemlich gesteigert werden muss, um die hochinteressanten Verknüpfungen hören, aber auch verstehen zu können. Die Performance ähnelt einer ›Spy Novel in animated action‹.
Der nächste militärische Schritt nach Ende des 2. Weltkriegs waren laut der »Martial Hauntologies/Unsound Histories« CIA-Forschungen in Vietnam unter dem Codenamen PSYOP (Psychological Operations), die eine Beschallung des Kriegsgebiets zur Folge hatte. Filmisch wurde dies besonders einprägsam in »Apocalypse Now« (1979) umgesetzt. Die entsprechende Szene mit den Helikoptern und der Wagner-Walküren-Beschallung aus der Luft hat sich ins popkulturelle Gedächtnis geschrieben. Immer wieder wird in Arbeiten zur Militarisierung von Musik auf diese Filmszene hingewiesen, die sich wiederum auf Operationen der US-Army in Vietnam bezieht.
Doch die Militärforschung geht nicht nur in Hollywood-Filmen eine ›liaison dangereuse‹ mit der Popkultur ein – das aufgelöste AUDINT (Audio Intelligence)-Projekt der Alliierten veröffentlicht die kreierten Soundeffekte als Schallplatten unter dem Label Audio Fidelity Records. Nun konnte der Amateur zu Hause nicht nur die Authentizität der fiktiven Soundscapes mit der Stereoanlage überprüfen, sondern auch dieses Klanggeschehen der Schlacht im heimischen Wohnzimmer inszenieren.
Darin liegt möglicherweise der archimedische Hebel der »bösen Musik« verborgen: ein Roleplay des Ernstfalls. Es wird in manchen Genres so getan, als wäre die Apokalypse schon zum Greifen nah. Zu denken wäre an den Death und Black Metal, aber auch an die »No Future«-Parole des Punkrock. Im Ernst-Nehmen steckt das Ernst-Machen stets begründet: die Musik verlässt dann den Bereich der Unterhaltung und erobert den politischen Raum. Man denke auch an die Schulmassaker, deren Urheber sich durch kraftvolle gitarrenverstärkte Musik häufig aufgeputscht haben (so hörte der Columbine-Schütze Rammstein und KMFDM). Es ist zu vermuten, dass von musikalischen Strukturen befreite Schallwellen im Kriegseinsatz eingesetzt werden können, sich wegen ihrer fehlenden Semantik – bis auf die physisch deutlich spürbare Druckwelle – als böse Musik, als eigentlich böse Musik eignen. Der Rest bleibt Interpretationssache und ist von der Gewöhnung des Hörers abhängig.
Fazit
Die moralische Dimension des Attributs ›böse‹ verschwand im Haus der Kulturen der Welt unter der Polyphonie der Gegenwart. Das will heißen: sobald ein Mensch zur Musik tanzt oder die Platten zu Hause mit Vergnügen hört, wird das zumindest für ihn keine böse Musik darstellen. Erlaubt ist, was gefällt. Es gab zwar Positionen, die bei den Mikrosymposien und den anschließenden Zuschauerdiskussionen für eine äußere Kontrolle mancher Genres plädierten, doch einen Konsens darüber, was angeblich ›böse Musik‹ sein soll, konnte keiner erreicht werden, wie zu erwarten war.
Vielleicht kann man sich dem Thema auch nur auf ironischem Wege nähern? Musikalische Ironie bildet das Fundament des Duo Chúpame El Dedo, die ihre Auftragsarbeit »Colombian Dark Tropical« als Hommage an den skandinavischen Death Metal verstehen. Die beiden Musiker Eblis Álvarez und Pedro Ojeda treten im güldenen und purpurnen Mönchshabit auf und singen bzw. sprechen nur mit Harmonizer-Verzerrung. Ja, Verzerrung könnte ein Indiz für böse, wirklich böse Musik sein. So lässt sich der wilde Mix aus lateinamerikanischen Stilistiken (Cumbia) und Death Metal (vor allem durch die Lyrics und die Drum-Blastbeats) erklären. Aber wenn Eblis und Pedro sogar mit dem Harmonizer Non-Show-Details wie kurz-noch-ein-Bier-vor-dem-nächsten-Song-Trinken kommunizieren, ist das Gelächter im Publikum groß. Hier wird der Death Metal zur Bereicherung des eigenen Sounds aufgenommen, aber nicht ernst genommen. Doch was wäre letzthin der Ernst des Death Metals?
Nukleare Zerstörung der Welt und aller Zivilisation? Vom Death und Black Metal wäre dann auch nicht mehr viel zu hören. Irdische böse Musik wäre unmöglich, da nur Menschen diese (mit Intention) komponieren können. Der Ernstfall muss folglich bis zum Ende hinausgeschoben werden. Das Ende der Erde ist – zumindest rein astronomisch betrachtet – noch in weiter Ferne. Man beschwört es manche Male herbei, wenn jede Hoffnung verloren scheint. Und doch wird weiter gemacht, nicht unbedingt nur, aber vor allem in der sogenannten »Bösen Musik«. Eine Beschäftigung mit dieser Musik, die auf Hass und Zerstörung ruht (oder zumindest die Möglichkeiten dieser Emotionen und Handlungen andenkt), rollt die Unterhaltungsindustrie vom anderen Ende auf: durch das Extrem zur Freude. In einer Gegenwart, die von apokalyptischen Vorstellungen geprägt ist, mag eine »böse Musik« ein unverfälschtes Bild auf das Potenzial des Ernstfalls werfen können. Dieses Fazit unterscheidet sich von der Idee der Aufklärung, »dass Musik per se ethisch gut sei. Im Zuge der Aufklärung wurde die Idee populär, dass Musik – wie Kunst generell – zum Projekt der Fortschrittsmoderne beitragen sollte, d.h. – wie es im Jargon des 18. Jh. hieß – zur Durchsetzung der allgemeinen ›Glückseligkeit‹ und ›Vollkommenheit‹ der Menschheit auf Erden. Seitdem ist Musik nicht nur ein Produkt menschlicher Kultur und Zivilisation, sondern operiert auch als Medium von Humanisierung.« (Kutschke 2012: 216)
Böse Musik hingegen verbündet sich mit dem Unmenschlichen, dem Anti-Humanen, wird zur Negativfolie des Entertainments und macht dennoch oder gerade deswegen ungeheuerlichen Spaß. Axel Krygier, Multiinstrumentalist, rennt im Bärenfellkostüm und einer Gesichtsmaske mit zwei roten LED-Leuchten als Augenersatz auf die Bühne – der Mann wird zum Tier. Er verliert das Bewusstsein von Gut und Böse, lässt sich von Instinkten leiten. Bezogen auf komponierte Musik wirkt das Böse instinktbefreiend, in Bezug auf Klang zählt der durchschlagende Erfolg, in etwa bei der Kriegsführung und im Kampf. Scham und Furcht werden beiseitegelegt, Stärke in Texten und Auftritt bewiesen. Durchweg böse zu sein, würde bedeuten, irgendwann auch gegen die eigene Gruppe zu agieren. Musik wird zumeist nicht nur von einer Person gehört – ein Ding der Unmöglichkeit, immer und gegen alles ›böse‹ zu sein. ›Böse‹ ist dann eine Maske, die nach Lust und Laune auf- und abgesetzt werden kann. Das Haus der Kulturen der Welt nahm wiederholt Anlauf, durch Überraschungsangriffe die Masken der Bösen vom Gesicht zu reißen. Einige Male ist seinen Bewohnern das auch gelungen. Dahinter kam die Lust am Grauen, aber auch der Wille zum Machtmissbrauch von Musik zum Vorschein.
Literatur
Andreas Diesel und Dieter Gerten, Looking For Europe. Neofolk und Hintergründe, Zeltingen-Rachtig 2007.
Erlend Erichsen, Nationalsatanist. Roman, Bellheim 2012.
Daniel Fromme, Ein Instrument im Kontext des Bösen – Warum Graf Zahl die Orgel spielt, in: Katharina Wisotzki/Sara R. Falke (Hg.), Böse Macht Musik. Zur Ästhetik des Bösen in der Musik, Bielefeld 2012, S. 61-77.
Steve Goodman, Sonic Warfare. Sound, Affect, and the Ecology of Fear, Cambridge (MA) et al. 2010.
Jan G. Grünwald, Male Spaces. Bildinszenierungen archaischer Männlichkeiten im Black Metal, Frankfurt am Main 2012.
Keith Kahn-Harris, Extreme Metal. Music and Culture on the Edge, Oxford/New York 2007.
Beate Kutschke, Imagines „böser“ Musik, in: Katharina Wisotzki/Sara R. Falke (Hg.), Böse Macht Musik. Zur Ästhetik des Bösen in der Musik, Bielefeld 2012, S. 201-218.
Roland Seim, Ab 18. Zensiert diskutiert unterschlagen, Münster 2012 (11. Nachdruck der 3. Auflage von 1998).
Marcus Stiglegger, Nazi-Chic und Nazi-Trash. Faschistische Ästhetik in der populären Kultur, Berlin 2011.
Reto Wehrli, Verteufelter Heavy Metal. Skandale und Zensur in der neueren Musikgeschichte, Münster ³2012.
Katharina Wisotzki/Sara R. Falke (Hg.), Böse Macht Musik. Zur Ästhetik des Bösen in der Musik, Bielefeld 2012.
Dominik Irtenkauf M.A. ist freischaffender Journalist und Autor (u.a. fürs Legacy-Magazin und Telepolis), zudem arbeitet er an einer Dissertation in den Sound Studies zur Soundscape in gitarrenverstärkten Musiken.