Unverkrampft und nicht naiv
Zu Beginn muss man sich ein wenig Sorge um den Ausstellungsband machen. Im Geleitwort der Museumsdirektoren des Moderna Museet (Stockholm) und des Louisiana Museum of Modern Art (Humleback), die viele Leihgaben zur Ausstellung beigesteuert haben, heißt es in bestem Roman-Herzog-Deutsch, »unverkrampft« sei die »Geisteshaltung des Pop«.
Ich weiß nicht, welches Wort an der Stelle im wahrscheinlich englischen Manuskript gestanden hat, fest steht aber zumindest, dass die beiden Direktoren glauben, gar nicht mehr in Manier des Bundespräsidenten a.D. einen ›Ruck‹ fordern zu müssen.
Der Ruck hat sich ihnen zufolge nämlich bereits vollzogen. Die Unterscheidung von »schöner« und »angewandter Kunst«, von »high und low« würden »wir heute dank Pop-Art und Design kaum noch wagen zu verwenden.«
Das wäre in der Tat eine erstaunliche Veränderung. In der »FAZ«, dem langjährigen Hausblatt des ›Ruck‹-Freundes Herzog auf sämtlichen (ein Hoch der Gewaltenteilung!) Spitzen des deutschen Staates (Parlamentsabgeordneter, Landesminister, Präsident des Verfassungsgerichts, dann Herr in Schloss Bellevue), klang das z.B. Ende 1967 noch ganz anders: »Pop – Peng! – dreht durch. Superman im Supermarkt verendet«, lautete der Titel des Artikels (Sabine Lietzmann, »FAZ«, 30.12.1967).
Gemeint war: Die Pop-Art sei dabei, an ihrer warenförmigen, massenhaften Adaption zugrunde zu gehen. Um Supermann hat die »FAZ« keine Angst, wohl aber um Warhol & Co: »Pop als Mode, als Lebensstil, als Elixier der Unterhaltungsindustrie; das hat Pop Witz und Schärfe gekostet. Auf dem Umweg über den teils bewußten, teils unbewußten Kitsch ist Pop eingesickert in den Konsum, in die Welt der Biergläser und Streichholzschachteln.« Kein Gedanke daran, dass Pop-Artisten solcher Verbreitung ihrer Arbeit vielleicht positiv gegenüberstehen könnten; für den »Konsum« wird der Kunst-»Pop« nicht verantwortlich gemacht: »[S]o geschah das Paradox, daß die Banalität seine [sic] Parodie eingeholt hat, sie hat sich ihrer bemächtigt, sie überwältigt und verschlungen.«
Auch das war eine erstaunliche Diagnose, sah sich doch die Pop-Art zu ihrem amerikanischen Beginn, in der ersten Hälfte der 60er Jahre, noch häufig der umgekehrten Kritik ausgesetzt: Sie sei zu nah an ihren zitierten Gegenständen aus Comics, Plakaten, Illustrierten, Boulevardzeitungen, Werbung und Supermarkt-Gebrauchsdesign, um zur Kunst zählen zu können. Nun, 1967, bereits in einer konservativen deutschen Zeitung die betrübte (sicher auch etwas mit Schadenfreude durchsetzte) Meldung, leider sei die Pop-Art rasch gebrauchsfähig geworden.
Dazwischen liegt folglich jene Periode, in der die Pop-Art rasch zur Kunst nobilitiert wurde, indem man in der akademischen und feuilletonistischen Kunstkritik ihren Abstand zur Warenwelt und deren Gestaltung herausarbeitete. Am pointiertesten hat das Robert Rosenblum in seinem Artikel »Pop Art and Non-Pop Art« getan: Wer an der Pop-Art deren Sujets schätze, schrieb er im Sommerheft der Zeitschrift »Art and Literature« 1965 , sei offenkundig wegen der Fixierung auf die »vulgar trees« nicht in der Lage, den »abstract forest« zu sehen. Die besten Pop-Artisten wie z.B. Roy Lichtenstein teilten mit ihren »abstract contemporaries a sensibility to bold magnifications of simple, regularized forms – rows of dots, stripes, chevrons, concentric circles; to taut, brushless surfaces that often reject traditional oil techniques in favor of new industrial media of metallic, plastic, enamel quality; to expansive areas of flat, unmodulated color.«
Da machte es nicht einmal etwas aus, dass einige dieser Techniken und Farbvaleurs dem Bereich der Werbung und der ›slick-magazine‹-Fotografie entstammten, diente doch das Unnuancierte, künstlich Oberflächliche jener antirealistischen, abstrakt-flachen Illusionslosigkeit, der in der zeitgenössischen Kunstkritik seit längerer Zeit zuverlässig das höchste Lob zukam. Mit dem erfolgreich herausgestellten Zusammenhang von Pop-Art und abstrakter Kunst ist deshalb nicht der Status letzterer beschädigt, sondern der ersterer etabliert worden. Dem Zug der Pop-Art in die Museen und Universitäten stand nichts mehr entgegen, nicht einmal ihre manchmal zweifelhaften Sujets und Vorlagen (bzw. ihre »vulgar trees«).
Zwar ist der Antrieb der weiteren Pop-Art-Rezeption (etwa in den Nachrichtenmagazinen und auch bei Teilen der Museumsgänger) sicherlich auch gespeist von der Freude an den Comics, Zeitungsschlagzeilen, Filmstars etc., dies gereicht aber aus Sicht der Anhänger moderner Ästhetik nur den Rezipienten zum Nachteil, nicht den Künstlern. »They really worship Marilyn Monroe or Coca-Cola«, wunderte sich etwa Tom Wesselmann April 1964 in einem Interview mit »Art News«, um darum abwehrend gleich hart anzufügen: »The importance people attach to things the artist uses is irrelevant.«
Der Vorrang ästhetischer Interesselosigkeit ist damit deutlich erklärt. Wenn die Begeisterung für das Sujet schon unwichtig für den Kunst-Status ist, wie merkwürdig muss von dieser Warte erst ein Begriff wie der der ›Gebrauchskunst‹ klingen. Gemessen an dieser Position wäre ein Gleichklang von Kunst und Design, von dem die angeführten Museumsdirektoren glauben, er sei längst vollzogen, tatsächlich ein bemerkenswerter ›Ruck‹ und Zeugnis des ›Unverkrampften‹.
Nicht nur weil die Begriffe im Deutschen wegen Herzogs Reden die starke Konnotation des Neoliberalismus besitzen, kann man sich jedoch kaum vorstellen, dass eine solche Auflösung des Gegensatzes von ›high‹ und ›low‹, von der wiederum die Direktoren ausgehen, in der Kunstwelt stattgefunden haben soll.
Tatsächlich ist das auch nicht so. Der vorliegende Band selbst ist ein gutes Beispiel dafür. Obwohl Ausstellung und Katalog von einem Museum organisiert wurden, das sich der Stiftung eines Möbelherstellers verdankt, der gleich im Titel der Institution prangt, ist von Supermarkt und Konsum wenig zu spüren. Es handelt sich ja auch nicht um das Praktiker- oder Ikea-, sondern um das »Vitra Design Museum«. Folgerichtig sieht man in der Ausstellung u.a. Exponate des Grundstocks der hochpreisigen Vitra-Möbel, die von der abstrakten Kunst herstammenden Eames-Stühle. In einen vagen Zusammenhang mit der Pop-Art werden z.B. auch die Design-Avantgardisten Ettore Sottsass und Eero Aarnio gerückt, dazu gibt es einige Cover von Architektur- und Kunstzeitschriften zu sehen.
Zur Ebene des Supermarkts stößt die Ausstellung jedoch nicht vor, nicht einmal zu Filmausstattungen, Illustrierten, Diskothekeneinrichtungen, Boutiquendekor (bei denen nicht nur in den 1960er Jahren Verwandtschaften zur Pop-Art festzustellen sind). Stattdessen bekommt man einmal mehr die Bilder der Pop-Art vorgeführt, in denen Gebrauchsgegenstände mancher (vor allem leicht nostalgischer) Art zu sehen sind.
Auch die Texte zum Katalog spiegeln das wieder. Es gibt viele solide Beiträge zur amerikanischen und englischen Pop-Art, die bereits von hunderten ähnlichen Aufsätzen und Büchern zum Thema profitieren, wenn sie auch den Stand der Forschung (allein aus Platzgründen) natürlich nicht immer einholen können. Die Aufsätze oder Kapitel zu Schaufenstergestaltung, Werbung, Schallplattenhüllen etc. unternehmen aber zumeist nicht einmal den Versuch, über ein paar Hinweise auf bekannte Design-Avantgarde-Klassiker hinauszukommen.
Der Essay von Diedrich Diederichsen zu LP-Covern besitzt immerhin den Vorzug, diese Verfahrensweise zu benennen (und nicht durch ›unverkrampfte‹ Rhetorik einer angeblichen Auflösung von ›high‹ und ›low‹ zu vernebeln): Diederichsen unterteilt in »naive« und (nein, nicht sentimentalische, sondern) »konzeptualistische« LP-Gestaltungen. Das sind in Diederichsens Aufsatz genau zwei Stück (Warhols Entwürfe für »Velvet Underground & Nico« und für »Sticky Fingers«). Um die anderen tausenden »naiven« Illustrationen für Schallplattencover braucht man sich dann selbst im »Pop Art Design«-Zusammenhang nicht mehr zu kümmern.
Dokumentiert wird dadurch einmal mehr der Siegeszug des Avant-Pop, der dazu beigetragen hat, das sich die Barriere zwischen hoher und niederer, schöner und angewandter Kunst teilweise geöffnet hat, sodass nun einige Schnittmengen beider Gebiete existieren. Von einer Auflösung der Grenze kann aber überhaupt keine Rede sein.
Bibliografischer Nachweis:
Mateo Kries/Mathias Schwartz-Clauss (Hg.)
Pop Art Design
Weil am Rhein: Vitra Design Museum 2012
ISBN: 978-3-931936-95-2
272 Seiten