Von Zoot Suit bis Blaxploitation: Rezension zu Philipp Dorestal, »Style Politics. Mode, Geschlecht und Schwarzsein in den USA, 1943-1975«
von Marc Dietrich
14.12.2012

Engagierte Wissenschaft

Mode als dezidiert politisch gehaltvoller Untersuchungsgegenstand? Konservativ gestimmte Kritiker verweisen skeptisch auf eine substanzlose ›Welt des schönen Scheins‹, auf ein reines ›Oberflächenphänomen‹ oder verwerfen die Mode wegen ihrer geringen Halbwertzeit direkt als wenig untersuchungswürdig. Die meisten heutigen Kulturwissenschaftler betonen hingegen, dass die Stilisierung des Körpers über Kleidung, Make-Up und Frisuren (von Tattoos ganz zu schweigen) sich immer auch mehr oder weniger reflektiert an sozialen Zeichen und Zuschreibungen abarbeitet.

»Style Politics« weist gleich im Titel seine Zugehörigkeit zur neueren kulturwissenschaftlichen Richtung aus. Das Buch beschäftigt sich vorwiegend mit den afroamerikanischen, revolutionären (Sub-)Kulturen, ihren widerständigen Praktiken und den Grabenkämpfen einer vermeintlich kollektiv-homogenen Protestwelle, die gegen das rassistische  ›White America‹  des 20. Jahrhunderts ankämpfte. Philipp Dorestal rückt in seiner intersektionellen Diskursanalyse einen historischen Abschnitt in den Blick, der von den so genannten Zoot Suit Riots (1940er Jahre) bis zum Blaxploitationkino (1970er Jahre) reicht: Die Bürgerrechtsbewegung, die Black Panther Party, der Cultural Nationalism der Gruppe Us sowie die Nation of Islam zählen zu seinen Untersuchungsgegenständen.

Detailreich, differenziert, aber nicht überladen rekonstruiert der Autor den soziokulturellen Diskurs, in den die Entwicklung und Etablierung afroamerikanischer Style-Praktiken eingesponnen war. Neu ist der Zugang zur Thematik: Wo die ›Kulturgeschichte des Politischen‹ seit Jahrzehnten Widerständigkeit und Protest sozialpsychologisch aufrollt und sich vornehmlich auf die Wirkung kollektiver Akteure und/oder ihrer »charismatischen Führer« (Weber) konzentriert, deren »konkrete Handlungen« dann analytisch beleuchtet werden, hält Dorestal mit dem Begriff der »Style Politics« dagegen: »Style verstehe ich als ein Ensemble von stofflichen Accessoires, Gegenständen, aber auch Körperteilen, die eine bestimmte Identität performieren.« (S. 36).

Aufgezeigt wird, wie die Stilisierung des Körpers im Verbund mit Körpertechnologien vor dem Hintergrund bestimmter und unterschiedlich stark einwirkender gesellschaftlicher Kategorien wirkt. Wenig überraschend heißen die theoretischen Stichwortgeber Foucault und Butler. Etwas zu ausführlich und nicht sonderlich innovativ  –  dafür aber mit der nötigen kritischen Distanz und sehr solide argumentierend – gelangt Dorestal zu einem politischen Begriff des Styles, der auch den eingangs skizzierten Skeptiker überzeugen könnte. Style ist eine performative Praxis, die bestimmte Zeichen und ihre Konnotationen ›anruft‹.  Die Iteration eines gewissermaßen besonderen Stils macht diesen als solchen erkennbar.  Denn  »[…] ein bestimmter Style wird nur dadurch identifizierbar, dass er mehrere Elemente hat, die ihn von anderen Styles unterscheiden« (S. 34).

Style – das ist vor allem ein Phänomen, das im Spannungsfeld von race, gender und Raum ansiedelt und dort Bewertungen unterzogen wird, wo (›weiße‹) hegemoniale Vorstellungen mehr oder weniger stark definieren, was hautfarben- bzw. geschlechtsspezifisch tragbar ist, was wo wer tragen darf.  Style, als Art sich zu kleiden, frisieren oder körperlich präsent zu sein, ist politisch, weil Machtkämpfe um gesellschaftliche Anerkennung insbesondere dort ausgetragen werden, wo Style-Signifikanten den Status und die Wertigkeit der Subjekte ›feststellen‹ sollen. Diese überzeugenden Ausführungen Dorestals werden manchmal von Zuspitzungen begleitet, die den Vorsatz einer soliden Argumentation und auch die vorher berechtigterweise geübte Kritik an Butlers Performativitätstheorie des Subversiven zu konterkarieren drohen, etwa wenn es diffus heißt: »Style ist damit schon allein dadurch politisch, dass es keinen ›neutralen‹, lediglich für die eigenen ästhetischen Vorlieben aussagekräftigen Modegeschmack gibt.« (S. 34).

Besonders spannend wird es immer dann, wenn Common-Sense-Theorien über Schwarzsein und Widerstand in den USA einer kritischen Lesart unterzogen werden. Wer bei der Diskussion von afroamerikanischer Widerstandspraxis etwa meint, dass Afros als unumstrittene, bewegungsintern abgesegnete  Zeichen der Auflehnung gegen eine ›weiße Ästhetik‹ zu lesen seien und das Blaxploitationkino zweifelsohne einen Rückfall in stereotype Geschlechter- und Rollenbilder darstelle – was die Forschung über weite Strecken laut Dorestal tut –, der wird hier eines besseren belehrt. Auf Basis verschiedener Quellen (angefangen von Artikeln in Magazinen und Zeitungen über Oral History-Dokumente bis hin zu Bildern in Subkulturorganen oder wissenschaftlicher Lektüre) wird gezeigt, dass das ›natural hairstyling‹ etwa von den Black Panthern zum identitätsstiftenden Signifikaten promoviert wurde, Vertreter der Nation of Islam dieses jedoch als ›unzivilisiert‹ deuteten.

Überhaupt: Der Afro als Referenz an eine ›authentische‹ afrikanische Volkskultur? Fehlanzeige: »Interessanterweise wird der Afro, so er überhaupt in Afrika Verbreitung fand, in der Regel nur von einer kleinen Elite getragen: es handelte sich dabei fast ausschließlich um Frauen von Ministern und Staatsbediensteten. Der Afro wird hier ein Statussymbol für soziale Distinktion und Geld, er kennzeichnete seine Träger/innen gerade nicht als ›afrikanisch‹, sondern als ›westlich‹ und ›modern‹.« (S. 241)

Dorestal zeigt immer wieder, dass afroamerikanische Bewegungen zu kaum einem Zeitpunkt eine gemeinsame (style-)ideologische Basis für Widerstandhandlungen fanden. Auch bei den Protagonisten des Blaxploitationfilms finde man stark kontrastierende Bewertungen dessen, was die Filme an revolutionären oder konterrevolutionären Semantiken zum eigenen Projekt beisteuerten. Wenn Dorestal allgemein aufzeigen kann, dass Mode und Styling von den Bewegungen immerzu als Signifikant für die Konstruktion von erwünschter/nichterwünschter Männlichkeit oder Weiblichkeit aufgefasst wurden, so wird hier besonders gut sichtbar, dass extreme Figuren wie Supafly oder Cleopatra Jones einerseits als reaktionär-schädliche Zuspitzungen zirkulierender Topoi interpretiert, andererseits als Prototypen einer neuen Männlichkeit/Weiblichkeit zelebriert wurden.

Diese Diskurse ragen in die Gegenwart hinein. Deutlich wird, dass etwa zeitgenössische Debatten um die Genderkonstruktionen im amerikanischen oder deutschen Rap einen langen Vorlauf haben und die Figurenkonstruktionen ›stylepolitisch‹ auf die afroamerikanischen Vorläufer Bezug nehmen.  Diese Verweissysteme nimmt Dorestal wegen seiner zeitlichen Eingrenzung nicht mehr in den Blick. Hier kann der Leser die Entwicklung weiterspinnen: Wer den performativen Praktiken einer Lady Bitch Ray (oder neuerdings Schwester Ewa) auf die Spur kommen will, tut gut daran, das Blaxploitationkino (und Dorestals Ausführungen dazu) zu berücksichtigen.

Ohnehin lässt sich das Buch über weite Strecken als einführender Grundlagentext für Forscher und Journalisten lesen, die sich mit dem Thema ›african american culture‹ näher beschäftigen möchten. Dekonstruiert wird der Mythos einer geschlossenen Widerstandsbewegung, die bestenfalls in das moderate Lager (Bürgerrechtsbewegung um Martin Luther King) und den ›militanten Arm‹ (Black Panther und Malcolm X) zu differenzieren sei. Nicht einmal der affirmative Bezug auf Afrika als ›Motherland‹ kann als einendes Band gewertet werden: Betrachteten führende Figuren der Panther wie Huey P. Newton afrikanische Kultur eher als etwas, das rückständig und wenig anknüpfungsfähig für das eigene Projekt sei, so demonstrierten die Cultural Nationalists beim Tragen von Dashikis (bunte, weite Hemden, die auf Afrika verweisen sollten) eine panafrikanische Identität. Styletechnisch und damit politisch wieder auf andere Weise verfuhren die Anhänger der Nation of Islam (NOI,  jene bis heute existente religiöse Bewegung, die sich zumindest in den Anfängen für den Separatismus weißer und schwarzer Bürger aussprach). Wurde der Afro zu Beginn noch bejaht, änderte sich die Bewertung spätestens mit der Mainstreamvereinnahmung durch weiße Akteure: »Die religiösen Lehren von Elijah Muhammed werden hier als die einzig richtigen Styletechnologien angepriesen. […].  Die ›Primitivität‹ und ›Ungepflegtheit‹, die der Afro signalisiere, wurde in der NOI ersetzt durch kurz geschnittenes, ›adrett‹ aussehendes Haar und eine Uniform, die Stolz und Respektabilität ausdrücke.« (S. 266)

Die Stärke von Style Politics liegt in der zielstrebigen Entlarvung vordergründig trennscharfer Kategorien und Gegensätze: Vermeintlich erkennbare Oppositionen oder Dichotomien etwa im Sinne von ›authentisch/aufgesetzt‹, ›schwarz/weiß‹ oder ›politisch/nicht politisch‹ weiß der Autor souverän zu korrigieren – manchmal gar zu dekonstruieren. Dies geschieht prägnant etwa dann, wenn Dorestal Kritik übt an Jerry Rubin, einem zentralen Autor der so genannten Yippie-Bewegung: Jerry Rubin versuchte sich und seine weißen Anhänger in die Nähe schwarzer Negativerfahrungen mit einem diskriminierenden System zu rücken. Dieser Solidarisierungsversuch funktionierte argumentativ über die obskure Gleichsetzung der Stigmatisierungserfahrung von weißen Langhaarträgern und African Americans:

»Rubin macht also eine Dichotomie auf, die zwischen Langhaar- und Kurzhaarträger/innen verlaufe. Während der Kurzhaarschnitt von Jugendlichen mit der etablierten sozialen und politischen konservativen Ordnung assoziiert würde, wäre der Langhaarschnitt ein Style, der mit diesen Konventionen bräche und Freiheit und Unangepasstheit symbolisiere. (…) Rubin nivelliert damit historisch gewordene Unterdrückungsstrukturen, die African Americans und People of Color mit Rassismus konfrontieren, während das Tragen von langen Haaren eine selbstgewählte Entscheidung ist, die reversibel ist und die zudem nicht die Auswirkungen hat, wie sie Menschen mit Rassismuserfahrungen haben.« (S. 213).

Um zu derart pointierten Interpretationen oder dem durchweg spannenden Forschungsmaterial vorzustoßen, muss sich der Leser allerdings durch knapp 80 Seiten Theorie und ›Vorspiel‹ arbeiten. Für den ungeduldigen Leser ist dies eine kleine Geduldsprobe, für den thematisch und wissenschaftlich interessierten Leser liest sich das ein oder andere jedoch mit Gewinn. Allerdings kann der erste Lesertypus den Theorieteil durchaus überschlagen, ohne hinterher im wissenschaftlichen Fachgeplänkel unterzugehen, so wie der zweite Lesertypus die Fundierung der empirischen Analyse im Theorieteil zumeist wiederfindet.

Am Ende der Lektüre des Buches steht die Einsicht, dass einiges, was man über Bürgerrechtsbewegung, Black Panther Party oder Nation of Islam zu wissen glaubte, nur teilweise plausibel, nicht vollständig zutreffend oder schlicht klischeebehaftet ist. Die Stärke des Buches liegt weniger im theoretisch-methodischen Instrumentarium an sich (intersektionelle Diskursanalyse mit Bezügen zu Butlers Performativitätstheorie), sondern der Art und Weise, wie dieses nutzbar gemacht und die komplexen Beziehungen zwischen den Akteuren und Style-Phänomenen transparent gemacht werden.

Enttäuscht wird allerdings ein Leser, der zwei Dinge sucht: Erstens, eine Arbeit, die Style dort untersucht, wo er doch augenscheinlich am prominentesten zu Tage tritt: auf der visuellen Ebene. Das Buch geizt mit Bilddokumenten, die sich für eine Analyse des Stylings auch unter Aspekten der intersubjektiven Nachvollziehbarkeit angeboten hätten. Das spärlich integrierte Bildmaterial wird keiner systematischen Interpretation unterzogen,  die vorhandenen Stills scheinen wenig gezielt ausgewählt, fast beliebig. Der Autor nimmt die Gelegenheit, selbstproduzierte Bilder von den Akteuren als aussagekräftige kulturelle Selbstbeschreibungen zu verhandeln, kaum wahr. Style wird dem Leser als etwas präsentiert, das der Sprache überantwortet ist. Angesichts der visuellen Wirkungskraft die (bewegte) Bilder auch schon in den vergangenen Jahrzehnten besaßen sowie der möglicherweise darin abzulesenden Identifikationsangebote ist diese Entscheidung nicht plausibel. Wohlwollend kann man allerdings konzedieren, dass sich die Arbeit auf eben das konzentriert, was sie auch untersuchen möchte: Den Diskurs, in den der Style eingeflochten ist. Zugrunde liegt hierbei implizit wohl auch der Foucaultsche Diskursbegriff mit seiner Emphase auf dem Sagbaren.

Enttäuscht wird möglicherweise und zweitens auch ein Leser, der sich tiefergehende Einsichten oder gar dezidierte Auseinandersetzungen mit dem Style-Erbe der Black-Power-Protagonisten in der gegenwärtigen Popkultur wünscht. Wer inhaltliche Anleihen und intertextuelle Zitate etwa im Rap der 1980er und 1990er untersucht sehen möchte (etwa bei Public Enemy oder Paris) oder sich dafür interessiert, was möglicherweise zeitgenössische Erfolgsrapper (zu denken wäre etwa an das »Watch the throne«-Projekt von Jay-Z und Kanye West) mit Black-Power-Attitüde und -Ästhetik anstellen, der wird vom Autor vertröstet. Das Forschungsdesiderat wird aber immerhin als solches erkannt und benannt (343f.). Diese Einwände in Konjunktivform (›hätte‹, ›könnte‹, ›wäre nicht…?‹) sind freilich dem Eindruck geschuldet, dass man gerne noch mehr von Dorestal lesen würde – gerade weil man sich der Devise ›Style Politics do matter‹ nur anschließen kann.

 

Bibliografischer Nachweis:

Philipp Dorestal
Style Politics. Mode, Geschlecht und Schwarzsein in den USA, 1943-1975
Bielefeld: Transcript 2012
[ = American Studies;  Bd.  4]
ISBN 978-3-8376-2125-9
369 Seiten

 

Marc Dietrich, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Seminar für Angewandte Humanwissenschaften der Hochschule Magdeburg/ Stendal.