Modebotschaften
[aus: »Pop. Kultur und Kritik«, Heft 13, Herbst 2018, S. 45-49]
Es heißt, Mode sei eine Möglichkeit des Ausdrucks der eigenen Persönlichkeit. Seitenweise widmen sich Modemagazine der Frage, wie die eigene Persönlichkeit durch Kleidung unterstrichen werden kann – als sei Persönlichkeit ein Text, der zur besseren Lesbarkeit mit reichlich Textmarkereingriffen zur Geltung gebracht werden muss. ›Express yourself!‹ ist ihre Maxime, die stets in die Aporie führt, Individualität durch genormte, massenhaft verkaufte Fast Fashion ausdrücken zu wollen.
Mode fungiert dabei als universales Zeichensystem, basierend auf einem Code, den alle verstehen – nicht weil er besonders elaboriert ist, sondern weil er gleichermaßen basal wie banal ist. Er wird umso lesbarer, je deutlicher seine Botschaft in einem bekannten Zeichensystem Ausdruck findet. Genau das erklärt den seit nunmehr zwei Jahren ungebrochenen Hype der Motto-, Logo- und Bandshirts, sowohl auf den High-Fashion-Laufstegen als auch in den Geschäften der Massenmodeketten von H&M bis Zara.
Wenn Mode die Persönlichkeit unterstreichen soll, liegt nichts näher, als die eigenen Ideale oder Wünsche auf einem Mottoshirt auszudrücken oder die Vorliebe für eine Band oder einen Star auf stolzgeschwellter Brust vor sich herzutragen. Nun könnte man wie die Schriftstellerin Fran Lebowitz zynisch fragen: Wenn sich sowieso schon niemand für dich interessiert, warum sollten wir uns für deine T-Shirt-Botschaft interessieren? Ob die Botschaft des Shirts beim potenziellen Empfänger ankommt, hängt also ganz wesentlich von dessen Interesse ab. Oder dominiert der Bekenntniswert, wobei die Botschaft ein Bekenntnis vor sich selbst ist und erst als Sekundäreffekt eine Gemeinschaft mit anderen stiftet?
Im Jahr 2017 kam das am meisten Aufsehen erregende Mottoshirt aus Diors Frühjahr/Sommer-Kollektion; es trägt die Aufschrift »We should all be feminists«. Das bei Feuilletonisten, Instagram-Influencern und Stars gleichermaßen beliebte baumwollgewordene Bekenntnis zum Feminismus führt das Problem des Sloganshirts deutlich vor Augen: Das Mottoshirt widerlegt die beabsichtigte Botschaft selbst. Im Fall Diors handelt es sich um ein Shirt, das einer emanzipativen Geste das Wort redet, dies aber anordnet und, beinahe übergriffig, ein universales »Wir« behauptet. Auf einer tieferen Ebene wird ein solches Motto geradezu durchgestrichen: Die Herstellungspraktiken der global agierenden Modefirmen, die Shirts in Schwellenländern von unterbezahlten Frauen herstellen und auf Modenschauen vor allem durch westliche, weiße Frauen vorführen lassen, stehen im eklatanten Widerspruch zur Forderung nach Gleichheit.
Mode hat auch früher schon versucht, ›Female Empowerment‹ zu symbolisieren – man denke nur an 80er-Jahre-Silhouetten mit breiten Schulterpolstern. Stets waren solche Trends mehr oder weniger subtil; die Botschaft wurde nicht direkt auf dem Leib ausbuchstabiert; vielmehr wurde die Silhouette re- oder deformiert. Das Sloganshirt stellt die allgemeinste Stufe des Versuchs dar, Kleidung zu codieren – nicht zuletzt weil dieser Versuch im Medium des Baumwollshirts stattfindet, das geschlechterneutral ausfällt und den Körper unter der Kleidung eher unsichtbar macht.
Im Frühjahr/Sommer 2018 dominieren nicht länger politische Botschaften, die in ihrer Vereinfachung ein gewisses Unbehagen erzeugen, sondern Marken-Shirts, nicht bloß von traditionellen T-Shirt-Firmen wie adidas oder Leviʼs, sondern vor allem von solchen Marken, die einen nostalgischen Erinnerungswert besitzen: 7up, die man schon als Kind geschmacklich nicht vom Brausekonkurrenten Sprite zu unterscheiden vermochte. Oder die völlig zurecht stiefmütterlich behandelte Cherry Coke, die stets an ihre No-Name-Produktimitationen erinnerte.
Ebenfalls sehr beliebt und in diesem Modejahr omnipräsent ist das NASA-T-Shirt. Es gibt von ihm viele Varianten, bisweilen mit simplem NASA-Logo, dann als nostalgische Variante im Used-Look oder als Mottoshirt mit der Aufschrift: »I need some space«. Es passt zum ungebrochenen Trend der Idealisierung des Wissenschaftsnerds, wobei inzwischen jeder, der im Chemieunterricht in der Schule leidlichen Erfolg hatte, sich selbst als Nerd anzusehen scheint. Die meisten NASA-Shirtträger sind zu jung, um die ikonischen Raketenstarts der Apolloraketen miterlebt zu haben; allenfalls erinnern sie sich an das tragische Challenger-Unglück. Die NASA-Shirts sind etwas für die, die nicht dabei waren, für die, die zu spät gekommen sind.
Das gilt auch für die gleichfalls allgegenwärtigen Shirts mit Musikern und Bands, die einen mehr oder weniger nostalgischen Charakter besitzen: Whitney Houston zu besten MTV-Zeiten mit riesiger Schleife im Haar auf einem 80er-Jahre-Sweatshirt, Misfits-, Metallica- und AC/DC-Shirts, die von der Teenie- über die Erwachsenen- bis zur Babyabteilung bei C&A, Zara und anderswo in jedweder Variante zu haben sind. Auch hier kann es schwerlich um die Markierung des Ich-bin-dabei-gewesen-Seins gehen. Denn das ist ja die übliche Konnotation des Bandshirts: dass man es idealerweise auf einer Tour oder einem Festival gekauft und mit Blut, Schweiß und Tränen im Moshpit oder auf schlammigen Campingplätzen verdient hat. Nichts davon trifft auf die Bandshirts zu, die sich nun in den Kollektionen finden. H&M übrigens führte das Spiel mit den Bandshirts in eine neue Dimension: So konnte man in der Herrenabteilung ein Shirt mit dem Machine Head-Albumcover von »The Blackening« kaufen – allerdings ohne den Bandnamen, dafür aber um glitzernde Strasssteinchen ergänzt. Thrash Metal wird zu Glam-Rock.
Das »The Blackening«-Albumcover enthält eine emblematische Botschaft: Zu sehen ist ein Skelett in königlicher Robe, dessen Fuß auf der Weltkugel ruht; gewissermaßen also der Tod in der Funktion des ultimativen Verheerers anstelle des Salvator mundi. Der Tod hält dem Betrachter einen Spiegel vor, auf dem in spiegelverkehrter Schrift geschrieben steht: »The mirror which flatters not.« Solch ein Spiegel, der nicht schmeichelt, ist wiederum ein wunderbares Sinnbild für die Beziehung von Mensch und Mode – und damit sind nicht die schmalen Umkleide-Spiegel samt unangenehmer Beleuchtung gemeint. Gemeint ist das Verhältnis von Sehen- und Gesehen-Werden, das der Kernaspekt der Mode ist und zugleich deren Signalcharakter unterstreicht: Man kleidet sich nicht für sich selbst modisch. Man sendet eine Botschaft, die lautet: Alles ist eitel.
Nebenbei führt uns das Emblem zu der tieferen Bedeutungsebene des Motto- und Bandshirts in seiner Doppelfunktion als indexikalisches wie ikonisches Zeichen. Porträts von Whitney Houston oder Kurt Cobain auf Shirts sind fraglos ikonische Zeichen, als Porträt mit ihren Referenzobjekten verknüpft. Zugleich fungieren sie als Index, der auf die popkulturelle Einbettung der Mode sowie die Rolle der Mode in der Popkultur verweist. Ebenso verhält es sich mit dem Markenshirt, das nicht nur auf die Marke verweist, sondern zudem auf die mit dieser (zumindest imaginär) verbundenen Eigenschaften und deren popkulturelle Bedeutung. Dass nun die etwas abwegigen Marken – wie Cherry Coke oder 7up – die Shirts dominieren, mag am Hang der Mode zum nostalgischen Revival liegen. Das Markenshirt verdeutlicht in jedem Fall den Warencharakter der Mode (der bisweilen hinter ihrem Fetischcharakter verschwindet). Je trivialer die Marke, desto besser (man denke auch an Andy Warhols Pop-Art-Drucke von Campbell’s Soup Cans), denn so rückt nicht die Marke selbst in den Vordergrund, sondern der popkulturelle Hintergrund, der symbolische Referenzrahmen.
In der Marke verschwimmen Ware und Wort, Ding und Zeichen. Das einfache Ding erhält einen symbolischen Überschuss; die symbolische Überschussproduktion ist menschliche Kulturleistung par excellence. Mode, die Slogans, Bandlogos und Marken zeigt, kennzeichnet sich selbst als Referenzobjekt und Zeichensystem. Sie tut das nicht auf subtile Art, sondern buchstabiert es aus.
Marlen Hobrack schreibt als freie Autorin u.a. für den Freitag und Zeit Online.